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Tatsächlich mobilisierte der EGB am Vortag der Entscheidung in Straßburg 15.000 KollegInnen, die allen Versuchen, die Arbeitszeitrichtlinie auszuhöhlen, ein machtvolles »Nein« entgegensetzten.

Das Soziale Europa lebt

Schwerpunkt

Das EU-Parlament wehrt drohende Verschlechterungen der Arbeitszeitrichtlinie ab und beweist seine Eigenständigkeit.

Erfolg für die europäischen Gewerkschaften: Zum Jahresende gab es gleich zwei positive Nachrichten für ArbeitnehmerInnen aus der EU zu vermelden. Neben der Verabschiedung der neuen EBR-Richtlinie wehrte sich das EU-Parlament erfolgreich gegen drohende Verschlechterungen der EU-Arbeitszeitrichtlinie. Die EU-Abgeordneten erteilten entsprechenden Versuchen von Kommission und Mitgliedsstaaten auch in zweiter Lesung eine klare Absage. Über die Neufassung der Richtlinie wird in Brüssel bereits seit Jahren verhandelt. Konkret betroffen sind vor allem Mindestvorschriften über die zulässigen Höchstarbeitszeiten in der gesamten EU. Kurz vor der entscheidenden Abstimmung hatten der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) und der ÖGB noch einmal massiv mobilisiert und an die Abgeordneten appelliert, für eine starke Arbeitszeitrichtlinie zu stimmen.
Worum geht es?
Zur Klarstellung: Es geht bei der Arbeitszeitrichtlinie nicht um die gesetzlich oder kollektivvertraglich festgelegten Normalarbeitszeiten, es geht auch nicht um die Frage von Überstunden und deren Bezahlung. Es geht aber um die Begrenzung der maximal zulässigen Höchstarbeitszeiten für die ArbeitnehmerInnen in der gesamten EU. Es geht also um einen Rahmen, den die Mitgliedsstaaten beachten müssen und der einen Kernbereich des Gesundheitsschutzes der ArbeitnehmerInnen betrifft. Die bislang gültige Arbeitszeitrichtlinie aus dem Jahr 1993 schreibt vor, dass die durchschnittliche Höchstarbeitszeit grundsätzlich 48 Stunden pro Woche nicht überschreiten darf, allerdings unter Berücksichtigung von Durchrechnungszeiträumen.
Diese Richtlinie enthält jedoch auch das so genannte Opt-out: Dies war zunächst als absolute Sonderbestimmung für Großbritannien vorgesehen und stellt eine Ausnahme von der durchschnittlichen 48-Stunden-Höchstarbeitszeitgrenze dar. Um das Opt-out anzuwenden, muss der/die ArbeitnehmerIn in einer individuellen Vereinbarung mit dem Arbeitgeber »freiwillig« auf die Höchstarbeitszeit verzichten. Dieses Opt-out wurde zunehmend mißbraucht, da insbesondere britische ArbeitnehmerInnen massiv gedrängt wurden, so einen »freiwilligen« Verzicht zu unterzeichnen, um überhaupt einen Arbeitsplatz zu bekommen. Deshalb kämpfen EGB und Gewerkschaften seit Jahren für eine wirksame Arbeitszeitrichtlinie und gegen das Opt-out, damit die Höchstarbeitszeitgrenze von 48 Stunden nicht noch weiter ausgehöhlt wird.
Unausgewogener Kompromiss
Einen Rückschlag erhielten die gewerkschaftlichen Forderungen im Juni 2008. Die ArbeitsministerInnen der EU hatten sich damals bei ihrem Ministerrat nach jahrelangem politischen Tauziehen auf einen »Kompromiss« geeinigt, der fast alle gewerkschaftlichen Forderungen ignorierte. Dieser Ratsbeschluss war gleichzeitig eines der letzten »Geschenke« des ehemaligen Arbeitsministers Bartenstein an die ArbeitnehmerInnen. Er unterstützte über Jahre die Forderungen der britischen Regierung, bestehende Mindestvorschriften weiter aufzuweichen. Im Einzelnen beinhaltete dieser Ratsbeschluss zwar schärfere Schutzvorschriften für das Opt-out, befürwortete aber dessen Weiterführung. Im Falle einer Nutzung des Opt-out hätte dies zulässige Arbeitszeiten von bis zu 65 Stunden pro Woche bedeutet - und zwar durchschnittlich, das heißt in einzelnen Wochen könnten selbst diese 65 Stunden noch deutlich überschritten werden! Auch in den anderen strittigen Fragen ignorierten die Mehrzahl der MinisterInnen die Interessen der Beschäftigten. So sollten auch sogenannte »inaktive« Bereitschaftsdienste in Zukunft in der Regel keine Arbeitszeit mehr darstellen.
Richtungsentscheidung
Umso wichtiger war das Votum des EU-Parlaments am 17. Dezember 2008. Alejandro Cercas, ein sozialistischer spanischer Abgeordneter, kämpfte bereits Wochen vor der entscheidenden Abstimmung für seinen Bericht, der in allen wesentlichen Punkten für eine starke Arbeitszeitrichtlinie eintritt, die diesen Namen auch verdient. Kernpunkt war die Forderung nach einem Auslaufen des Opt-out binnen drei Jahren, eine wirksame Höchstarbeitszeitgrenze von 48 Stunden und die Anerkennung von Bereitschaftsdiensten als Arbeitszeit.
Notwendig war dafür eine parteiübergreifende Mehrheit im Parlament, denn die Verfahrensvorschriften waren für Cercas alles andere als vorteilhaft: Hätten sich die Abgeordneten nicht mit absoluter Mehrheit auf eine abweichende Position geeinigt, wäre automatisch der unausgewogene Ratsbeschluss mit allen nachteiligen Folgen für die Beschäftigten Bestandteil einer neuen Arbeitszeitrichtlinie geworden. Mit anderen Worten: Diese Abstimmung war die letzte Chance, eine Verschlechterung der Arbeitszeitvorschriften in der EU zu verhindern.
Erfolgreiche Mobilisierung
Tatsächlich mobilisierte der EGB am Vortag der Entscheidung in Straßburg 15.000 KollegInnen, die allen Versuchen, die Arbeitszeitrichtlinie auszuhöhlen, ein machtvolles »Nein« entgegensetzten. Unter den DemonstrantInnen war auch eine Delegation von 100 österreichischen GewerkschafterInnen, die nach Straßburg gereist waren. Der geschäftsführende ÖGB-Präsident Foglar appellierte in einem Schreiben an alle österreichischen EU-Abgeordneten, auch in zweiter Lesung für eine starke Arbeitszeitrichtlinie und damit für den Bericht des Abgeordneten Cercas zu stimmen. Das ÖGB-Europabüro und das Brüsseler Büro der AK organisierten in Brüssel eine Diskussionsveranstaltung mit dem Berichterstatter und dem Leitenden Sekretär des ÖGB, Bernhard Achitz, um nochmals für die Anliegen der ArbeitnehmerInnen zu werben.
Und tatsächlich: Allen Versuchen der Unternehmerlobby zum Trotz stimmte eine überraschend deutliche Mehrheit der ParlamentarierInnen für den Cercas-Bericht und betonte damit seine Eigenständigkeit gegenüber den Mitgliedsstaaten. Das EU-Parlament setzt damit ein deutliches Zeichen für das Soziale Europa:
Die 48-Stunden-Höchstarbeitszeitgrenze soll erhalten bleiben.
Absage an Arbeitszeiten von 65 Stunden und mehr: Das Opt-out soll nach Willen des Parlaments binnen drei Jahren abgeschafft werden.
Bereitschaftszeiten sollen weiterhin zur Gänze als Arbeitszeit gelten, Flexibilität primär über Kollektivverträge gewährleistet werden.
Eine Jahresdurchrechnung der Höchstarbeitszeit soll weiterhin nur mit Kollektivvertrag eingeführt werden dürfen.
Bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Unter Berücksichtigung betrieblicher Erfordernisse sollen ArbeitnehmerInnen das Recht auf Änderungen ihrer Arbeitszeiten erhalten.
Nur ein Etappenerfolg
Das EU-Parlament hat sich nun schon zum wiederholten Mal als wichtiger Verbündeter der ArbeitnehmerInnen und ihrer Anliegen in der EU erwiesen. Die zunehmende Wichtigkeit des Parlaments sollte für die Gewerkschaften ein Grund mehr sein, die bevorstehenden EU-Wahlen im Juni besonders aktiv zu begleiten, und die KandidatInnen an ihrem Eintreten für das Soziale Europa zu messen.
Dennoch: Das erfreuliche Ergebnis der Abstimmung über die Arbeitszeitrichtlinie ist zunächst nur ein Etappenerfolg, mit dem der unsoziale Ratskompromiss verhindert werden konnte. Da Parlament und Mitgliedsstaaten im sogenannten Mitentscheidungsverfahren gemeinsam entscheiden müssen, aber sich in beiden Lesungen nicht auf eine gemeinsame Position verständigen konnten, wird es in den nächsten Wochen zu einem Vermittlungsverfahren kommen. Ziel ist ein Kompromiss zwischen beiden Positionen. Somit besteht kein Grund zur Euphorie, vielmehr bleibt der Kampf um den Erhalt und Ausbau sozialer Rechte in der EU auf der Tagesordnung der Gewerkschaften.
Immerhin gibt es für das Vermittlungsverfahren eine weitere positive Nachricht: Arbeits- und Sozialminister Hundstorfer zeigte sich »nicht unglücklich« über das Votum des EU-Parlaments und kündigte eine konstruktive Haltung Österreichs bei den anstehenden Vermittlungsbemühungen an. Dies wäre schon ein großer Schritt in die richtige Richtung, nachdem der ehemalige Arbeitsminister Bartenstein im Rat jahrelang die Position der Hardliner um Großbritannien nachhaltig unterstützt hatte.


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