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Ist die Welt zu retten?

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Die Kulturhauptstadt 2009, Linz, überrascht mit verschiedenen Projekten aus dem Kunst-, Kultur- und Sozialbereich: »52 Wege die Welt zu retten.«

Ist die Welt noch zu retten? Verlassen wir uns auf Obama? Oder legen wir selbst Hand an? Hilft ein Lächeln? Eine wundersame Melodie? Brauchen wir Batman oder die Hopi-Indianer? Yoga für alle? Einen Zaubertrank? Was fällt KünstlerInnen und StadtbewohnerInnen dazu ein? Das fragten die Verantwortlichen der Kulturhauptstadt Linz 2009 und fassten aus der internationalen Ausschreibung eines entsprechenden Ideenwettbewerbs machbare Projekte bzw. Theoriefragmente oder praktische Anregungen aus: Mit dem hochgesteckten Ziel durch unkonventionelle Vorschläge und kleine Interventionen »Vereine, Einzelpersonen, Organisationen, StudentInnen, Kinder oder PensionistInnen« zum Mitdenken, zum Mittun und vielleicht sogar zu Protesten gegen die Zerstörung unseres Lebensraumes anzuregen.
Wöchentlich eine Kunst-Aktion
»52 Wege die Welt zu retten« heißt nun der originelle Programmpunkt der Kulturhauptstadt Linz, wo seit Anfang Jänner bis zum Jahresende wöchentlich irgendwo in der Stadt eine Kunst-Aktion stattfand bzw. stattfinden wird. Als Motto könnte dem Projektreigen ein Zitat von Martin Luther vorausgestellt werden: »Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt zerbräche, ich würde heute noch einen Baum pflanzen.« Das Logo ist ein abstrahierter, mehrfach gebrochener Rettungsring. Und die Inhalte versprechen visionär, aktionistisch, humorvoll oder aufklärerisch zu sein.
1. Station Bushaltestelle
Wer, wo und was die Linzer erwartet, wird im Voraus nicht verraten, damit der Überraschungseffekt erhalten bleibt. Wer sich jedoch jeweils zu Wochenbeginn zur Bushaltestelle Nibelungenbrücke begibt, kann sich zeitgerecht über den jüngsten Coup oder den aktuellen Weltrettungsvorschlag informieren.
Diese Bushaltestelle ist nicht nur die erste Station, sondern auch Basislager, Konzeptvermittlung und Sammelstelle. Sie wurde vom deutschen Künstlerduo Folke Köbberling & Martin Kaltwasser dem Typus eines polnischen Buswartehäuschens nachgebaut bzw. nach diesem Modell erweitert. Ein polnisches Vorbild wählten die beiden deshalb, weil dort Wartehäuschen als Treffpunkt, als Ort des Austauschs dienen, als eine gewachsene Pinwand, die mit vielen Suchen- und Finden-, Ankauf- und Verkauf-Zetteln gespickt und beklebt ist.
Eine Funktion, die - zumindest im urbanen Bereich - der westlichen Infotainment-Gesellschaft längst verloren ging. »Beim Projekt Nibelungenbrücke gibt es nun ebenfalls eine Pinwand für Meinungsaustausch, eine Möglichkeit zur Korrespondenz sozusagen und wechselnde Plakate, welche die jeweils aktuelle neue Aktion ankündigen und beschreiben. Außerdem werden 52 Rahmen für Fahrpläne nach und nach mit der Veröffentlichung der umgesetzten oder konzipierten Projekte gefüllt, sodass sich jeder am Schluss  mit einem Überblick über die Vielfalt der Ideen zur Rettung der Welt informieren kann«, erklärt Christine Weisser, Innenarchitektin und Projektleiterin mit Kulturhauptstadt-Erfahrung (Luxemburg). Darüber hinaus hat die Busstation symbolische Bedeutung, ergänzt Weisser: »Alle Besucher sind eingeladen, aufzuspringen und die Welt zu retten.«
Weltrettungs-Lemma
Diese Ansage wird allerdings gleich in der zweiten Plakat-Argumentations-Aktion »Weltrettungs-Lemma« mit philosophischen Widersprüchlichkeitsüberlegungen ad absurdum geführt: Ausgehend von der These, dass die Welt vor sich selbst gerettet werden muss, weil sie sich selbst ihr größter Feind ist, also gleichzeitig Subjekt und Objekt der Zerstörung, folgert das Schweizer Kulturkonglomerat Cran, dass die Welt zerstört werden muss, um gerettet zu werden. Aber: »Sie ist aber gemäß dem ersten Weltrettungs-Lemma nur so lange gerettet als sie existiert, also nicht auf ewig und daher nicht zu retten.«
Wer also weltumspannende, handfeste Vorschläge zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der Not in der Dritten Welt, der Kontrolle der Banken und Börsen oder Konzepte für den Klimaschutz erwartet, wird enttäuscht. »Die Themen«, so Weisser, »betreffen Produkte des Nahrungs- und Gebrauchsmittelbereichs, die direkte Umwelt, Ängste und Gefühle und das soziale Miteinander.« Es werden Inputs für die kleinen Schritte im Alltag gegeben, für die Hinwendung des Ich zum Du, für die Überwindung der (eigenen) Grenzen durch hautnahe Selbsterfahrung.
Ein experimentelles Beispiel, das als Konzept vorgestellt, aber in Linz nicht umgesetzt wird, ist die Kunstaktion »Cookieparty« von Angela Dorrer, in der die TeilnehmerInnen einen Keksteig mit oder in ihrem Mund formen und so essbare Skulpturen produzieren. Die geformten Süßigkeiten werden auf signiertes Pergamentpapier gelegt, gebacken und dann zum Essen herumgereicht. Jeder/jede TeilnehmerIn kann so bestimmen, wessen Keks er/sie essen wird. »Es kostet doch einige Überwindung, so was zu essen, aber genau darum geht es, die eigenen Grenzen zu überwinden«, so Weisser, »und doch den Grad der Grenzüberschreitung selbst zu bestimmen: Nämlich zu entscheiden, ob man die Keks des Partners, des Nachbarn oder des Fremden isst.«
Liebesplätze
Mit einer anderen Art der Verbindung zwischen Ich und Du, der Sexualität, beschäftigt sich der Verein für Jugend-, Familien- und Sexualberatung: Seine Aktion trägt den Titel »Liebesplätze«. Die Vereinsmitglieder wollen herausfinden, an welchen öffentlichen Linzer Plätzen die Menschen sich am häufigsten lieben, und dann eine Top-Ten-Liste für potenzielle InteressentInnen vorstellen.
Ein anderes Sozialevent, das ebenfalls nicht nur in grauer Theorie abgehandelt, sondern verwirklicht wird, nennt sich »Ohrwurm« und liegt in Händen von »Orton - Verein zur Belebung und Erweiterung kultureller Ausdrucksmöglichkeiten«. Diese Gruppe möchte nachweisen, dass schon eine sich verbreitende gute Laune ein Beitrag zur Weltrettung sein kann. Die Akteure werden ausschwärmen, sich auf die Verkehrsmittel der Stadt verteilen und ungeniert bekannte Melodien pfeifen, um positives Feeling in den Alltag zu streuen.
Und falls sich jemand schon mal gefragt hat, was passiert, wenn die Leute Kaugummi auf die Straße spucken und die Straßenreinigung der Gemeinde nichts tut, um ihn zu entfernen, der findet darauf die Antwort in Linz mit dem Aufruf »Kaugummis retten die Welt«, bei dem nachgerechnet und nachgewiesen wird, dass auf Gehsteigen und Plätzen ohne regelmäßige Reinigung in kürzester Zeit ein quietschender knöcheltiefer Sumpf aus Kaugummis entstünde, und dass die Säuberung durch die Straßenreinigung etwa Deutschland im Jahr 900 Millionen Euro kostet, ein Betrag, der für den Kultur- oder Sozialbereich sinnvoller verwendet werden könnte.
Cooking poor
Mit urbanem Leben und seinen natürlichen Grenzen beschäftigt sich die Wiener Sängerin und Musikerin Jella Jost. Für ihr Projekt »cooking poor« untersucht sie die Überlebensmöglichkeiten in Stadtwelten. Welche Lebensmittel stehen Stadtmenschen zur Verfügung? - fragt sie nach: Der gestohlene Apfel aus Nachbars Garten? Gebratene Maden? Verkochte Baumrinde? Und kommt zu dem Schluss, dass Überleben im Urbanen nur durch Einfuhr von Lebensmitteln möglich ist. Und die werden aus aller Welt herbeigeschafft.
»Der Künstlerin geht es darum, sehr dezent einen Nachdenkprozess über die Herkunft und die Transportwege der Lebensmittel einzuleiten, und sie hofft, dass einige Leute überlegen werden, ob es nicht umweltfreundlicher und ökologischer wäre, Lebensmittel aus dem eigenen (Um-)Land zu kaufen«, sagt Weisser.
Spontanität und Leichtigkeit
Dem Projektpotpourri zur Rettung der Welt liegt eigentlich die Idee einer Gruppe von KünstlerInnen (Karl Stocker, Alexander Kada, Josef ›Seppo‹ Gründler, Anke Strittmatter, Gerhard E. Kuebel) zugrunde. Geplant war, an jedem Tag des Jahres 2009 mit einer anderen Aktion in der Kulturhauptstadt Linz zu intervenieren. Aber wie das Leben so spielt, fehlte dafür das Budget, zumal auch jedes der 52 Projekte nicht mehr als 2.000 Euro kosten darf. Weisser: »Die Veranstaltungsreihe soll von der Spontanität und der Leichtigkeit leben.«


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