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a .o. Univ.-Prof. Dr. Ruth Simsa
NPOs wirken für viele sinnstiftend. Es gibt in allen Organisationen Dinge, die einen ärgern, die nicht funktionieren, die belasten. Von NPO-Führungskräften höre ich dennoch: Ich weiß, warum ich aufstehe, ich kann zu meinen Entscheidungen stehen.

NPOs unter Druck

Interview

Seit 1998 beschäftigt sich ein eigenes Institut auf der Wirtschaftsuniversität mit Nonprofit-Organisationen. Die Institutsleiterin über die Zivilgesellschaft.

Zur Person
a .o. Univ.-Prof. Dr. Ruth Simsa
Geboren 1962
Mutter von zwei Kindern
Studium der Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien, Auslandsstudien in Großbritannien und Spanien
Postgraduate-Studium der Soziologie am Institut für Höhere Studien Wien
Ausbildung in Integrativer Gestalttherapie (ÖAGG)
Lehrtrainerin für Gruppendynamik und Organisationsberatung (ÖGGO)
Ausbildung in Bioenergetischem Coaching
Habilitation in Soziologie (Senator-Wilfling-Preis für wissenschaftliche Leistungen)
a. o. Univ.-Prof. am Institut für Soziologie der WU-Wien (derzeit karenziert)
Seit 1993 selbstständige Organisationsberaterin, Managementtrainerin und Coach
Leitung des Institutes für Interdisziplinäre Nonprofit-Forschung, WU-Wien

Arbeit&Wirtschaft: Frau Univ.-Prof. Dr. Ruth Simsa, Sie leiten das Institut für interdisziplinäre NPO-Forschung. Kann man ÖGB und Arbeiterkammer eigentlich zu den Nonprofit-Organisationen (NPO) zählen?

Ruth Simsa: Sie sind es - genauso wie die Kirche übrigens. Es gibt aber ganz unterschiedliche Definitionen. Der gängigsten NPO-Definition nach müssen folgende Kriterien gegeben sein: Erstens ein Mindestmaß an formaler Organisation (soweit nach nationalem Recht möglich), also nicht nur eine soziale Bewegung oder eine Interessengruppe, zweitens ein Mindestmaß an Freiwilligkeit (z. B. unbezahlte Mitarbeit, Spenden), drittens die Nutzung der Gewinne für den Organisationszweck (also keine Gewinnausschüttung), viertens ein Minimum an Selbstverwaltung (d. h. keine komplette Außenkontrolle im juristischen Sinn) und fünftens private Trägerschaft (also keine öffentliche Verwaltung).

Seit 1998 gibt es das Institut für Nonprofit-Forschung. Warum sind die Zivilgesellschaft und NPOs ein so großes Thema?

Ausgegangen ist die Diskussion wahrscheinlich von der großen internationalen Studie von Salamon und Anheier - dem Johns-Hopkins-Projekt. Dabei wurde erstmals eine Definition für NPOs erstellt und international verglichen, wie viele NPOs es in den verschiedenen Ländern gibt, was sie zum Bruttonationalprodukt beitragen, und in welchen Branchen sie tätig sind. Das hat, glaube ich, sehr viel in Bewegung gebracht. Natürlich muss man sich auch fragen, warum plötzlich das Geld für so ein großes Forschungsprojekt da war. Es war wohl einfach höchste Zeit. Es gibt in diesem Feld mehr Organisationen als man vorher angenommen hat - das war eines der wesentlichsten Ergebnisse dieser Studie. NPOs sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in vielen Ländern, das hat man vorher auch nicht gewusst. Aber NPOs gibt es natürlich schon viel länger als diese Studie.
Manche - wie etwa die Pfadfinder, die Freiwilligen Feuerwehren oder das Rote Kreuz - existieren schon sehr lange.

Sehr viele NPOs sind im Pflege- und Sozialbereich tätig und übernehmen Aufgaben, die man eigentlich dem Staat zurechnen könnte. In den USA haben gerade in diesen Bereichen NPOs eine größere Bedeutung als bei uns.

Im angloamerikanischen Raum haben NPOs eine viel höhere Bedeutung als eine Art Substitut des Staates. Bei uns ist es eher eine Kooperation: Der Staat legt die Rahmenbedingungen fest mit denen die NPOs arbeiten. Mit Abstand die meisten dieser Organisationen sind im Gesundheits- und Sozialbereich tätig. Dann kommt der Bildungs- und Freizeitbereich.
In Österreich werden Rahmenbedingungen und Finanzierung staatlich - meist durch die Länder - geregelt und die NPOs führen die Tätigkeit aus. In der Ausführung besteht kaum Unterschied zu Profit-Organisationen, die immer häufiger auch in diesem Bereich tätig sind. Außer, wenn Gewinn ausgeschüttet wird. Profit-Organisationen machen oft einen Bogen um unrentable Fälle.
Wenn z. B. Blutkonserven transportiert werden, ist es egal, ob das das Rote Kreuz macht oder eine Profit-Organisation. Den betrunkenen Obdachlosen, der gestürzt ist, wird eher die NPO mitnehmen. NPOs müssen zwar auch aufs Geld schauen und da hat sich die Situation in den letzten Jahren ziemlich verschärft. Durch die Leistungsverträge wird nicht alles abgedeckt, was an Kosten anfällt, und es wird auf die Organisationen Druck ausgeübt.

Keine einfache Situation für die NPOs.

Die finanzielle Lage hat sich in den vergangenen Jahren verschlimmert. Teilweise war das ja auch gut, denn es gab sicher Produktivitätsreserven bei einigen Organisationen. Zum Teil geht es aber auch an die Belastungsgrenze. Nehmen wir z. B. die mobile Pflege: Da werden die Wegzeiten nicht bezahlt - das ist doch widersinnig. Das führt zur Selbstausbeutung von Organisationen und ihren MitarbeiterInnen.
Wir haben vor ein paar Jahren eine große Untersuchung über Arbeitszufriedenheit in der Pflege gemacht, und da war zum Teil eine Tendenz zu erhöhter Belastung in den NPOs. Ich glaube, das erhärtet die These, dass sie ein umfassenderes Leistungsspektrum haben mit gleichen finanziellen Mitteln. Weil sie aber nicht zaubern können, geht das zulasten der MitarbeiterInnen.

Welche Rolle spielt der Idealismus bei dem Ganzen? Viele NPOs haben ja einen hohen sozialen Anspruch und die dort Beschäftigten auch.

Die Werte prägen den Alltag in den NPOs meist sehr stark. Manchmal sogar in einer Form, die einer rationalen Führung der Organisation entgegensteht - wenn Konflikte z. B. nicht ausgetragen werden, weil doch alle »gute Menschen« sein wollen. Dennoch sind die meisten NPOs sehr betriebswirtschaftlich organisiert, vor allem im Pflege- und Gesundheitsbereich.
Schwieriger ist es bei Freiwilligen-Organisationen Aber auch hier ist viel im Umbruch begriffen. Langsam beginnen sich die Menschen als NPO-ManagerInnen zu definieren. Es gibt ein neues Selbstverständnis der NPOs als eigene Gruppe von Organisationen mit anderen Herausforderungen, mit teilweise anderen Aufgaben für das Management.

Was sind denn die konkreten Unterschiede im NPO-Management?

Ich bin der Ansicht, dass NPO-Management anspruchsvoller ist. Das NPO-Management muss mit mehr Widersprüchen fertig werden als etwa Führungskräfte im staatlichen oder im gewinnorientierten Sektor. ManagerInnen haben dort alle Widersprüche, die sie sonst auch haben - z. B. die Erreichung von gewinnorientierten Zielen und die Befindlichkeit der MitarbeiterInnen oder der Widerspruch zwischen dem was KlientInnen wollen und was die Organisation will. Aber eine Wirtschaftsorganisation kann sich letztendlich auf eine Logik konzentrieren: die Geldlogik. Die können immer sagen: Tut uns leid, wir sind da, um Geld zu machen, und wenn sich ein Bereich nicht rentiert wird er aufgelassen, ausgelagert, was auch immer.
Eine NPO kann das nicht, die muss sowohl die Geldlogik als auch die Logik ihrer Inhalte, ihrer Mission gleichwertig berücksichtigen. Sonst wird sie unglaubwürdig oder überlebt nicht. Das heißt, dort gibt es keine eindeutige Entscheidungsprämisse. Diese Art von Widersprüchen ist auch bei noch so gutem Management nicht leicht auflösbar. Man kann nicht sagen: Wir gehen jetzt nur in Richtung unseres ethischen Ziels oder vermehrt in Richtung Geld.
Was im sozialen Bereich dazukommt - und das ist bei vielen Dienstleistungsorganisationen so - ist, dass die LeistungsempfängerInnen nicht immer die sind, die zahlen. Ich habe also ein Dreieck von DienstleisterIn - KlientIn - AuftraggeberIn. Zudem sieht die Öffentlichkeit hier auch sehr genau hin. Wenn ich mir z. B. Schuhe kaufe, und ich bin zufrieden und das Schuhgeschäft auch, dann kann hier niemand weiter dreinreden. Wenn ich dagegen aber eine drogenabhängige junge Frau bin und werde von meinen Eltern oder einem Sozialarbeiter zur Drogenberatung geschickt, habe ich vielleicht ein anderes Verständnis von einer guten Drogenberatung als meine Eltern, die AnrainerInnen der Beratungsstelle oder der Staat, der z. B. meint, ich solle mehr kontrolliert werden, oder es müsste auch billiger gehen.
Eine weitere Schwierigkeit für NPOs sind die unterschiedlichen MitarbeiterInnengruppen: Was wollen und brauchen Ehrenamtliche oder Freiwillige, was Hauptamtliche. Die Führung von Ehrenamtlichen gehört zu den schwierigsten Aufgaben. Die können jederzeit gehen, und lassen sich nicht unter Druck setzen. Um sie muss man permanent werben.

Auch ethische Ziele sind nur schwer einzugrenzen.

Eine große Schwierigkeit sind auch diese tendenziell unerreichbaren Ziele, z. B. bei Greenpeace. Daraus resultiert eine hohe Frustration. Es ist schwer, Erfolge zu feiern. Wenn ich bei Amnesty mitarbeite, und ich habe drei Gefangene befreit und es sind in dieser Zeit zehn neue dazugekommen, dann ist es schwierig, sich zu freuen. Auch im Sozialbereich gibt es zum Teil wenige Erfolgserlebnisse, ob in der Sterbehilfe oder der Altenpflege.
Dies alles macht es für das Management nicht eben leichter. Dennoch ist der Bereich auch attraktiv. Es macht Sinn, hier zu arbeiten und kann damit sehr befriedigend sein. Langsam entstehen daher auch mehr Tendenzen, eine Führungskarriere bei einer NPO anzustreben. Es gibt also immer wieder ManagerInnen, die aus der Wirtschaft in NPOs wechseln.

Wie weit spüren NPOs die aktuelle Wirtschaftskrise?

NPOs stehen vor zwei Herausforderungen: Erstens investiert die öffentliche Hand momentan viel Geld in die Privatwirtschaft - Stichwort Bankenhilfe -, auf der anderen Seite werden in der nächsten Zeit genau die Probleme, die NPOs lösen wollen, verschärft. Es gibt mehr Bedarf an ihren Leistungen bereits jetzt und auch in naher Zukunft, neue Armut, mehr Arbeitslosigkeit etc. Damit hängen soziale und gesundheitliche Probleme zusammen. Es gibt also mehr Bedarf und möglicherweise weniger Geld. Denn die große Gefahr ist, dass der Staat jenes Geld, das in die Privatwirtschaft fließt, bei den NPOs spart.
Das wäre aber sehr kurzsichtig, denn viele NPOs arbeiten ja in sehr personalintensiven Bereichen wie der Pflege. Jeder Euro, der dort hinein investiert wird, trägt stark zur Ankurbelung der Wirtschaft bei, denn es handelt sich hier um Niedriglohnbereiche. Und bereits im ersten Semester Ökonomie lernt man, dass die Konsumquote bei niedrigen Einkommen besonders hoch ist. Es wäre also durchaus für die Gesamtwirtschaft effektiv, Geld in den NPO-Sektor zu investieren. Ich persönlich frage mich, ob es tatsächlich sinnvoll ist, wenn Menschen für Autoeinstampfung Geld bekommen und bei der Pflege gespart wird. Und natürlich wäre es auch gesellschaftspolitisch problematisch, gerade jetzt bei NPOs zu sparen, da diese durch ihre Leistungen auch viel Sicherheit und Integration von Personen bieten und soziale Problemlagen mildern. Und dies ist genau in einer Krise natürlich besonders wichtig.

Sind NPOs eigentlich eher Frauensache?

Auch bei den NPOs sitzen in der Führungsetage vor allem Männer. Aber es ist ein Bereich, der Frauen sehr wohl Chancen gibt. Also nicht jede einzelne NPO natürlich - die sind ein weites Feld auch vom politischen her. Aber in der Regel schauen NPOs mehr auf die Gender Perspektive, bieten Frauen mehr Chancen, und lassen Frauen eher in verantwortungsvollen Positionen zu.

Welche Bedeutung haben die Werte von NPOs?

NPOs wirken für viele sinnstiftend. Ich mache Managementtrainings in der Profit-Welt und in der Nonprofit-Welt. Es gibt in allen Organisationen da und dort Dinge, die einen ärgern, die nicht funktionieren, die kränken und belasten. Von NPO-Führungskräften höre ich dennoch regelmäßig: Ich weiß, warum ich aufstehe, ich kann zu meinen Entscheidungen stehen, ich kann mir ins Gesicht sehen. In der Profit-Welt erklären mir die Manager häufig: »Ich bin überhaupt nicht dafür und muss es trotzdem machen.«
Durch die starke Orientierung an den Börsenmärkten ist vieles extrem kurzfristig geworden, orientiert am schnellen Gewinn. Das hat sich in den vergangenen zehn Jahren sehr zugespitzt: Einerseits die Beurteilung von Managern nach Aktienkursen, andererseits diese gesamtgesellschaftliche Legitimierung von Gier. Man galt ja schon als dumm, wenn man nicht zweistellige oder höhere Gewinne gemacht hat. Aber dafür haben wir ja jetzt die Rechnung bekommen - wir werden sehen, ob sich etwas ändert. Insofern haben NPOs eine Chance, einen Bedarf zu decken, eine Sehnsucht nach Werten zu erfüllen.

Wir danken für das Gespräch.

Das Interview führte Katharina Klee für Arbeit&Wirtschaft

Weblinks
Homepage von Ruth Simsa
www.ruthsimsa.at
Institut für interdisziplinäre NPO-Forschung
www.npo.or.at

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