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Viele kleine Unterschiede Auch im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung wurde »der kleine Unterschied« bisher zu wenig berücksichtigt.
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Viele kleine Unterschiede

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Nur langsam breitet sich Gender Mainstreaming in sämtlichen Bereichen des Gesundheitswesens aus.

Gesundheit ist für viele Frauen ein wichtiges Thema, sie lesen spezielle Magazine und Bücher, sie kümmern sich um Gesundheit und Wohlergehen ihrer Kinder (nicht selten auch um die des Partners). Frauen gehen häufiger zum Arzt als Männer - und sie arbeiten auch häufiger für diese Ärzte. Mehr als 78 Prozent der im Gesundheits- und Sozialwesen Beschäftigten sind Frauen.
Doch damit hat sichs auch schon mit der weiblichen Domäne im Gesundheitsbereich: Obwohl offiziell im Sprachgebrauch schon einige Jahre auch die weiblichen Endungen vorkommen, ist es bis zur echten Gleichstellung noch weit. So schließen beispielsweise in Wien zwar mehr Frauen als Männer das Medizinstudium ab, auf dem Weg zur Spitze gehen die Ärztinnen allerdings sukzessive verloren. Der Anteil weiblicher Professorinnen beträgt dann nur noch acht Prozent! Der niedrige Frauenanteil in den Chefetagen allein reicht allerdings nicht als Erklärung dafür, dass die vielen Unterschiede zwischen Männern und Frauen Jahrzehnte hindurch nicht ausreichend beachtet wurden.

Angeregt durch die Frauenbewegung begann man - vielmehr frau - nachzudenken und gezielt nachzuforschen, welche konkreten Nachteile das männerzentrierte Weltbild der Mediziner mit sich bringt. Mittlerweile häufen sich die Erkenntnisse:

  • Die Symptome eines Herzinfarkts können bei Frauen weniger dramatisch sein. Übelkeit, diffuse Brust- und Bauchschmerzen wurden und werden manchmal leider noch immer fälschlich für harmlos gehalten. Dies war vermutlich auch einer der Gründe dafür, dass Frauen bei Herzerkrankungen deutlich seltener als ihre männlichen Leidensgenossen die Chance hatten/haben, zur Spitzenmedizin vorzudringen.
  • Ein neuralgischer Punkt im weiblichen Skelett ist das Knie, weil es durch das breitere Becken anders belastet wird. Zwei Drittel der künstlichen Kniegelenke werden Frauen implantiert.
  • Frauen erwachen schneller aus der Narkose und leiden häufiger an postoperativen Komplikationen wie Übelkeit und Erbrechen.
  • Manche Medikamente wie z.B. Aspirin zur Schlaganfall-Prophylaxe haben etwas unterschiedliche Wirkungen bei Männern und Frauen.

In den vergangenen Jahren wurde so mancher Mangel aufgedeckt und manches verändert: Während früher in klinischen Studien Frauen oft deutlich unterrepräsentiert waren (wegen der zyklusbedingten Hormonschwankungen und möglichen Schwangerschaften), müssen heute an Medikamentenstudien auch 40 Prozent weibliche Probandinnen teilnehmen.
Der Oberste Sanitätsrat, das höchste medizinische Beratungsgremium des Gesundheitsministeriums, hat durch einen ungewöhnlich hohen Frauenanteil von 20 zu 19 ein deutliches Zeichen gesetzt. Gender Mainstreaming muss in den Führungsetagen beschlossen werden, mit entsprechenden Prioritäten kann man ein deutliches Zeichen setzen. Bis sich in den Köpfen der Menschen etwas ändert, das dauert dann meist ohnehin etwas länger. So kann es leider auch heute noch vorkommen kann, dass ein Gynäkologe von »meinen Patienten« spricht - obwohl an den Universitäten schon seit einigen Jahren Gender-Medizin unterrichtet wird. »Von diesen Veränderungen können Männer genauso profitieren«, erklärt die Internistin und Gender-Medizin-Expertin Univ.Prof. Dr. Margarethe Hochleitner »denn z.B. auch Klischees wie Osteoporose als typisch weibliches Problem werden so revidiert.«

Täglicher Spagat
Apropos typisch weiblich: Unzureichende Kinderbetreuungseinrichtungen, ein schlechtes Gewissen gegenüber den Sprösslingen, ständiges Jonglieren mit Terminen wie Elternsprechtagen und Ferien, ganz zu schweigen von plötzlichen Krankheiten sind Stressfaktoren, die wohl die meisten Mütter kennen. Und je niedriger das Einkommen, desto geringer sind die Möglichkeiten, auf eventuelle Betreuungsengpässe flexibel zu reagieren. Viele Frauen wechseln täglich nach der Erwerbsarbeit nahtlos in die Arbeitswelt zu Hause mit Aufgabenbetreuung, Kochen, Putzen etc. Der Spagat zwischen Beruf und Privatleben wird anfangs häufig als Kunststück erlebt und entwickelt sich nicht selten irgendwann zum Risikofaktor.

Wertschätzung fehlt
Nicht wenige junge Mütter reduzieren von Anfang an die Erwerbsarbeit. Nach einer Synthesis-Studie aus dem Jahr 2005 nehmen nach der Elternkarenz nur 40 Prozent der Frauen ihre Vollzeittätigkeit wieder auf. Doch Teilzeitarbeit ist meist bloß auf den ersten Blick eine attraktive Möglichkeit, Kinder und Beruf zu vereinbaren. Denn diese ist vor allem in den Branchen mit an sich prekären Arbeitsbedingungen möglich - wie beispielsweise im Handel. »Hier haben sich in den vergangenen Jahren die Arbeitsbedingungen massiv verschlechtert«, so Ilse Fetik, Bundesfrauenvorsitzende der GPA-djp, »seit dem Jahr 2000 hat die Teilzeitarbeit um beinahe 50 Prozent zugenommen, und dabei sind fast neun von zehn Betroffenen Frauen.« Die Statistik für geringfügig Beschäftigte zeigt einen ähnlichen Trend.

Viele Teilzeitangestellte im Handel arbeiten auf Abruf von einen Tag auf den anderen oder in zerrissenen Blöcken, etwa mit einer Mittagspause von vier Stunden. »Was sollen sie in der Zwischenzeit machen?«, fragt sich nicht nur Fetik. Oft bleibt Arbeit außerhalb der (ohnehin ständig ausgedehnteren) Öffnungszeiten unbezahlt. Privilegiert sind hier diejenigen, deren Arbeitgeber einen Betriebskindergarten unterhält. Immerhin hat Teilzeitarbeit den Vorteil, dass ungünstige Arbeitsbedingungen besser kompensiert werden können - was unter anderem für den Arbeitgeber den Vorteil hat, dass die Zahl der Krankenstandstage niedriger ist.
Neben der geringen sozialen Absicherung hat Teilzeitarbeit auch den Nachteil, dass die Zuständigkeit der Frau für Haushalt und Kinder quasi einzementiert wird. Außerdem sind die typischen Teilzeitjobs in der Regel mit eher geringem sozialem Ansehen verbunden und ermöglichen nur wenig Handlungsspielraum und Erfolgserlebnisse. Gemeinsam mit schlechter Bezahlung führt das nicht selten zu Frust und schwindender Motivation. ÖGB-Frauensekretärin Sylvia Ledwinka: »Die partnerschaftliche Teilung der Kinderbetreuung, der längst fällige Abbau von Einkommensunterschieden und 1.100 Euro Mindesteinkommen würde für viele Frauen spürbare Erleichterungen bringen.«

Gleichstellung statt Gleichmacherei
Auch im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung wurde »der kleine Unterschied« bisher zu wenig berücksichtigt. So wurden im Rahmen des Projekts »Gender Mainstreaming in der betrieblichen Gesundheitsförderung« verschiedene standardisierte Fragebögen gesichtet. Dabei wurde deutlich, dass für Frauenarbeitsplätze typische Belastungen wie häufiges Heben kleiner Lasten, Vereinbarkeit und Doppelbelastung, Gewalt bzw. Einschüchterung und sexuelle Belästigung nicht berücksichtigt wurden. Es fehlten aber auch Konzepte und Methoden zur Bearbeitung männerspezifischer Probleme wie Neigung zu Risikoverhalten (Arbeitsunfälle), Belastungen als »Hauptverdiener«, Karenz für Väter etc. Mehr Gender-Bewusstsein kann auch in diesem Bereich Männern durchaus Verbesserungen bringen. Ein gutes Einkommen allein garantiert noch nicht unbedingt Zufriedenheit; Überlastung, Überstunden, Zeitdruck und Angst um den Arbeitsplatz machen dem »starken Geschlecht« zu schaffen. Laut Arbeitskräfteerhebung 2007 der Statistik Austria fühlen sich 55 Prozent der Männer (40,5 Prozent der Frauen) durch ihren Job physisch, 37,9 Prozent psychisch (Frauen: 29,5 Prozent) belastet.

WEBLINKS
Dokumentation der grenzüberschreitenden Veranstaltungsreihe Gender Medizin:
www.vorarlberg.at/pdf/dokumentation-gendermediz.pdf
Englische Fachseite:
www.gendermedjournal.com/

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