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Konfliktstoff Kopftuch Längst nicht alle Frauen und Mädchen, die ein Kopftuch tragen, werden von der Familie dazu gezwungen.
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Konfliktstoff Kopftuch

Schwerpunkt

Das Tragen eines Kopftuches symbolisiert für viele die Unterdrückung der Frau im Islam. Das Thema ist komplizierter als es auf den ersten Blick scheint.

Sie prägen mehr und mehr unser Straßenbild. In Wien treffen wir sie überall, in der U-Bahn genauso wie in öffentlichen Gebäuden. Mehr als andere MigrantInnen führen uns Frauen mit Kopftüchern vor Augen, dass die Multikulturalität unserer Gesellschaft eine Tatsache ist, die wir nicht länger ignorieren können - ob uns das nun gefällt oder nicht.
Doch wie gehen wir damit um? Ist das Kopftuch eine Provokation in einer säkularen Gesellschaft, ein Symbol für die Rückständigkeit der MigrantInnen, ein Zeichen dafür, dass da eine Parallelgesellschaft existiert, in der die Moderne noch nicht angekommen ist? Oder ist das Kopftuch nicht vielmehr eine sichtbare Projektionsfläche für oft eher diffuse Ängste vor dem Fremden und Unverständlichen und seit dem 11. September auch immer mehr vor islamistischem Terrorismus und Unterwanderung durch muslimische AttentäterInnen?
Wenig überraschend hat uns die jüngste Diskussion über eine Studie zum islamischen Religionsunterricht wieder eine Unzahl von Fotos kopftuchtragender Frauen in allen Medien beschert. Das muslimische Kopftuch ist einfach das perfekte Symbol für das Thema »Integrationsprobleme von muslimischen MigrantInnen« - auch wenn die Frage nach dem Demokratieverständnis einiger islamischer ReligionslehrerInnen mit dem Kopftuch eigentlich gar nichts zu tun hat. 

Anders als in Deutschland oder Frankreich gibt es in Österreich keine ernsthafte Debatte über ein Kopftuchverbot - auch nicht in Schulen. Die Rechtslage ist klar. Laut Erlass des Bildungsministeriums unterliegt das Tragen eines Kopftuches der Religionsfreiheit und kann daher auch nicht verboten werden. Dennoch fallen Diskussionen zum Thema Kopftuch oft höchst emotional aus. Nicht nur für FrauenrechtlerInnen wie Alice Schwarzer ist das Kopftuch Stein des Anstoßes. Schwarzer bezeichnet es als »Flagge des Islamismus«. Laut einer vom Innenministerium in Auftrag gegebenen repräsentativen Befragung von 1.000 ÖsterreicherInnen lehnt nicht ganz die Hälfte der Befragten (muslimische) religiös motivierte Kleidung in öffentlichen Gebäuden und insbesondere in Schulen grundsätzlich ab. 

Ausgrenzung hilft nicht
Selbst wenn - wie sicherlich bei Alice Schwarzer der Fall - hinter der ablehnenden Haltung die ehrliche Sorge um die Rechte der kopftuchtragenden Frau steht, die Konsequenzen der ablehnenden Haltung trägt die betroffene Frau und nicht der Ehemann oder Vater, der sie vielleicht dazu zwingt. Haben Migrantinnen ohnehin schlechtere Karten bei der Suche nach einem qualifizierten Arbeitsplatz, so sinken diese Chancen gegen null, wenn es sich bei den betreffenden Migrantinnen um Frauen und Mädchen handelt, die ein Kopftuch tragen. Eher als sie dazu zu zwingen, das Kopftuch abzulegen, drängen Verbote und Ablehnung die Betroffenen aus dem Arbeitsleben oder aus höheren Schulen. Man fragt sich in diesem Zusammenhang, wie es in Österreich tatsächlich um die Religionsfreiheit bestellt ist.
Eine differenzierte Sichtweise vertritt Heide Oestreich in ihrem Buch »Der Kopftuchstreit«: »Nicht alle Frauen haben das Vergnügen, superemanzipiert zu sein und in einem liberalen Umfeld zu leben. Auch nicht alle Musliminnen. Einige von ihnen müssen einen schwierigen Weg zurücklegen. (…) Sie beruhigen vielleicht ihre Eltern oder Ehemänner, die Angst um ihre moralische Integrität haben, damit, dass sie besonders wohlerzogen islamisch sind und ein Kopftuch tragen. (…) Diese Frauen gehen einen komplizierten, mühsam austarierten Weg, der mit dem Adjektiv »unterdrückt«, das die Gesellschaft auf sie klebt, nicht besonders gut beschrieben ist.« Oestreich argumentiert weiter, dass diesen Frauen nicht geholfen sei, indem man sie ablehnt. Im Gegenteil käme dadurch ein Teufelskreis in Gang. Junge muslimische Frauen und Mädchen, meint sie, die wegen ihres Kopftuchs keinen Ausbildungsplatz bekämen, landeten tatsächlich mit hoher Wahrscheinlichkeit hinter dem Herd und blieben gettoisiert. 

Gründe, ein Kopftuch zu tragen
Längst nicht alle Frauen und Mädchen, die ein Kopftuch tragen, werden von der Familie dazu gezwungen. Die deutsche Psychologin Birgit Rommelspacher meint, das Kopftuch könne sowohl emanzipatorische Bedeutung haben und Zeichen des Widerstands gegen erzwungene Assimilation sein wie ein Zeichen der Unterdrückung. Vor allem junge türkische Frauen in der BRD, so meint sie, würden sich oft bewusst für das Kopftuch entscheiden und sähen darin einen selbst bestimmten Akt. 

Ihnen ginge es vor allem darum, für sich selbst einen Standort zu finden zwischen der Kultur ihrer Eltern und der Aufnahmegesellschaft sowie einen eigenständigen Bezug zu weltanschaulichen Fragen. Weitergedacht bedeutet das, dass es zu einfach ist, Musliminnen, die Kopftücher tragen, als homogene Gruppe über einen Kamm zu scheren. Vielmehr müsste man eigentlich für jeden Einzelfall prüfen, welche Motive dabei im Spiel sind.
Ich versuche nicht Unterdrückung von Frauen in patriarchalen muslimischen Gesellschaften schönzureden, denn diese gibt es ohne Zweifel - genauso wie sie auch in den migrantischen Communities in Europa vorkommt. Der Aufschwung, den islamistische Strömungen in den vergangenen Jahren erfahren haben, hat die Situation der Frauen in den betreffenden Gesellschaften ebenfalls nicht verbessert. Davor die Augen zu verschließen, wäre sicherlich naiv. Zweifellos haben Hass, Gewalt und antidemokratische Parolen in demokratischen modernen Gesellschaften nichts verloren - egal woher sie kommen. Mit dem Kopftuch hat das allerdings nichts zu tun. Wovor wir uns jedenfalls hüten sollten ist, alle MuslimInnen pauschal unter Islamismusverdacht zu stellen. Laut einer Untersuchung des European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC) wächst seit 2001 europaweit die Diskriminierung von MuslimInnen. Da besonders leicht als solche zu identifizieren, sind davon kopftuchtragende Frauen besonders stark betroffen.
Müsste es nicht gerade eine säkulare Gesellschaft auszeichnen, dass wir die Freiheit unserer Mitmenschen respektieren, religiöse Überzeugungen zu haben, auch wenn wir diese nicht teilen, jedenfalls so lange sie damit nicht gegen Gesetze verstoßen oder die Rechte anderer verletzen?

Soziale Lage von MuslimInnen
Doch zurück zur Frage der Integration von muslimischen MigrantInnen. Wann sind MigrantInnen erfolgreich integriert? Dazu gefragt, was für sie persönlich Integration eigentlich bedeutet, sagt eine muslimische Frau, die ein Kopftuch trägt: Für sie bedeute Integration Arbeit, Wohnung, Zugang zu Bildung und Beruf. Alles Dinge, die eigentlich selbstverständlich sein sollten. Eigentlich.
Denn die Realität sieht anders aus. Laut Angaben des Innenminsteriums unterscheidet sich die Bildungsstruktur von MuslimInnen ganz wesentlich von denen der Gesamtbevölkerung. Nur etwa 18 Prozent der muslimischen MigrantInnen haben eine Lehre abgeschlossen im Gegensatz zu 35 Prozent in der Gesamtbevölkerung. 

Einen Universitätsabschluss haben laut Innenministerium nur etwa vier Prozent der MuslimInnen in Österreich. Laut einer aktuellen OECD-Studie liegt der durchschnittliche AkademikerInnenanteil unter den im Ausland geborenen Personen in Österreich mit 11,3 Prozent sogar geringfügig höher als unter der im Inland geborenen Bevölkerung (10,9 Prozent). Im Vergleich dazu liegt er bei der türkischen Wohnbevölkerung, die einen hohen Anteil von MuslimInnen hat, bei nur 2,3 Prozent.
Entsprechend höher als in der Gesamtbevölkerung ist auch die Armutsgefährdung bei MuslimInnen. Man muss nicht hellsehen können, um zu wissen, dass marginalisierte und wenig gebildete Menschen bedeutend leichter für eine ideologisierte Religion ansprechbar sind. Erfolgreiche Integration ist nicht einfach eine Aufgabe, die MigrantInnen erledigen müssen. Integration ist nicht von der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Betroffenen zu trennen, und aus der Verantwortung dafür kann sich die aufnehmende Gesellschaft nicht einfach davonstehlen.

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