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Mitbestimmen

Aus AK und Gewerkschaften

Wichtige Rechte der ArbeitnehmervertreterInnen in Krisenphasen.
Teil 1: Informations- und Beratungsrechte.

Das kollektive Arbeitsrecht - im Wesentlichen also das Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) - ist in weiten Teilen auf Problemlagen, eben Krisen, ausgerichtet. Das verwundert nicht weiter, ist doch das soziokulturelle Instrument »Recht« ganz allgemein für Situationen geschaffen, in denen im zwischenmenschlichen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Bereich Interessenkollisionen und Konflikte auftreten.

Krisenverlauf
Ein eskalierender Krisenverlauf in einem Unternehmen lässt sich folgendermaßen grob skizzieren: Gerüchte - Nachforschungen durch den Betriebsrat (BR) - Informationen - Diskussionen - Versetzungen oder Änderungskündigungen - Betriebseinschränkungen (Produktionsreduktionen oder Kurzarbeit) - Kündigungen - Betriebs(teil)schließung - Unternehmensverlagerung oder Insolvenz.
Für all diese Stadien hat der Gesetzgeber zumindest abstrakt vorgesorgt. Von bloßen Einsichts- und Informationsrechten bis zur Aufsichtsratsmitbestimmung oder der Befassung einer »staatlichen Wirtschaftskommission« ist, Schritt für Schritt an Intensität zunehmend, Mitbestimmung prinzipiell gegeben. Das österreichische Mitbestimmungsrecht hat den Vorteil, als sozialpartnerschaftlich geprägtes Rechtssystem gut strukturiert und übersichtlich geregelt zu sein. In 28 zusammenhängenden und aufeinander aufbauenden Paragrafen - von § 89 bis § 112 ArbVG sind im Wesentlichen alle gesetzlichen Ansprüche aufzufinden.
Unterteilt sind die Befugnisse der Belegschaft und ihrer Organe BR (bzw. Betriebsausschuss), ZBR (Zentralbetriebsrat) und Konzernvertretung in

  • Allgemeine Kontroll- und Informationsansprüche (§§ 89 bis 93)
  • Soziale Mitwirkungsbefugnisse und Betriebsvereinbarungs-Tatbestände (§§ 94 bis 97)
  • Personelle Mitwirkungsbefugnisse (§§ 98 bis 107)
  • Wirtschaftliche Mitbestimmung (§§ 108 bis 112).

Als Nachteil könnte man das teilweise Fehlen einer »herrschenden höchstgerichtlichen Rechtsprechung« empfinden.

Interessenausgleich
Unser Mitbestimmungsrecht geht vom Prinzip aus, Konflikte zwischen BR (eigentlich: Belegschaft) und Unternehmensleitung nicht vor Gericht oder im Wege des Arbeitskampfes auszutragen, sondern möglichst lange zu verhandeln. Aus diesem »Zwang« zum Weiterverhandeln - oft unter dem Damoklesschwert einer Schlichtungsstellenentscheidung - kann vom BR mitunter vieles erreicht werden. Für die beiden Verhandlungspartner BR und Unternehmensleitung ist der »Interessenausgleich zum Wohl der ArbeitnehmerInnen und des Betriebs« als Ziel vom Gesetzgeber vorgegeben (§ 39 ArbVG). Dabei können, trotz grundsätzlich bestehender Verschwiegenheitspflichten, VertreterInnen des ÖGB bzw. der zuständigen Fachgewerkschaften und der Arbeiterkammer beigezogen werden (§ 39 Abs. 4 ArbVG).

Mitbestimmen statt zusehen
Einige wichtige Rechte aus dem Arbeitsverfassungsgesetz im Überblick:
- Kontrolle von Arbeitszeit, Entgelt samt Abzügen sowie Gesundheitsschutz und Sicherheit (§ 89)
- Information und Beratung: ehestmöglich, vollständig und durch Unterlagen belegt (§§ 91, 92, 98, 108, 109)
- Bilanz-Information und -analysemöglichkeit (§ 108)
- Innerbetriebliche Qualifizierung oder Umschulung (§ 94)
- Mitwirkung bei Einschränkung oder Einstellung betrieblicher (nicht individueller!) Sozialleistungen (»Wohlfahrtseinrichtungen«) - (§ 95)
- Mitsprache bei Änderung bzw. Reduktion des Entgelts einzelner ArbeitnehmerInnen oder »Änderungskündigungen«; unbezahlter Urlaub oder Bildungskarenz (§§ 96, 105-107 sowie ABGB-Vertragsrecht). Hier ist auf der individual-arbeitsrechtlichen Arbeitsvertragsebene kaum kollektive Mitwirkung rechtsverbindlich gegeben.
- Betriebspensions-Leistungen einschränken, aussetzen oder einstellen (§§ 6, 8 und 9 BPG)
- Arbeitszeit-Flexibilisierung (§ 97 Abs. 1 Z. 2 sowie §§ 4 bis 4b und 7 AZG)
- Abbau von Urlaub und Zeitausgleichsguthaben (§§ 19e und 19f AZG; § 4 UrlG; § 109)
- Kurzarbeit (§ 97 Abs. 1 Z. 13; §§ 29 und 30 AMFG)
- Einspruch gegen Versetzungen (§ 101)
- Verhinderung von »Austauschkündigungen« (§§ 99 und 105)
- Mitwirkung bei »Massenkündigungen«: Frühwarnsystem (§ 109 und § 45a AMFG)
- Verhinderung von »sozialwidrigen« Kündigungen (§§ 105 bis 107)
- Einvernehmliche Lösungen: »Überlegungsfrist« (§ 104a)
- Mitwirkung bei Verkauf oder Verpachtung an ein anderes Unternehmen/Konzern oder bei geplanter Betriebsschließung (§§ 108, 109, 110 [Aufsichtsratsmitbestimmung], 111, 112)
- Mitsprache bei Verlagerungen innerhalb von EU-Unternehmen und EU-Konzernen: Europäischer BR (§§ 171 bis 207)
- Sozialplan zur Abwendung oder Milderung der Folgen einer »Betriebsänderung« (§ 109)
- Mitwirkung in der Schlichtungsstelle, der Branchenschlichtungskommission oder der staatlichen Wirtschaftskommission (§§ 111, 112, 144 bis 146)

Information und Beratung
Je nach Krisenstadium stehen dem Betriebsrat unterschiedliche juridische »Instrumente« zur Verfügung. Ohne genaue Information über die finanzielle Situation des Unternehmens - und des mitbestimmten Betriebs im Besonderen - ist eine Mitsprache über Gegensteuerungs-Maßnahmen oder eine Beratung über Alternativkonzepte unmöglich. Daher sind Rechtzeitigkeit und Relevanz der für die jeweilige Krisenphase nötigen Informationen das Um und Auf! Die Erstinformationen durch den Betriebsinhaber (Geschäftsführung oder ManagerInnen) werden mündlich am raschesten erfolgen; die Belegung der Informationen durch schriftliche Unterlagen, Zahlen- und Datenaufschlüsselungen sowie Erläuterungen ist nur schriftlich sinnvoll. Die Informationsansprüche sind Bringschulden des Managements; die Untermauerung und Überprüfung der Informationen durch Unterlagen müssen dem Betriebsrat nur auf Verlangen (Holschuld) zur Verfügung gestellt werden.

Die Informations- und Beratungsrechte sind in den §§ 91, 92 (allgemein), 92a (technischer Arbeitsschutz) und 108 (wirtschaftliche Informations-, Interventions- und Beratungsrechte) zu finden. Daneben gibt es konkretere Informations- und Beratungspflichten der Geschäftsleitung bzw. des beauftragten Managements im Zusammenhang mit Personalaufnahme und Kündigungen (sowie Entlassungen und einvernehmlichen Lösungen), bei gravierenden betrieblichen Veränderungen, die zu einem Sozialplan führen können, und bei drohenden Betriebs(teil)übertragungen auf einen anderen Unternehmer bzw. Rechtsträger (Betriebsübergänge nach AVRAG).

Rechtzeitig
Rechtzeitig oder »ehestmöglich« bedeutet, dass bereits zu Beginn des Planungsstadiums zu informieren ist, selbst wenn ein entsprechender Businessplan oder eine Machbarkeitsstudie des Managements (noch) nicht fertiggestellt wurde.
Ist die Entscheidung bereits gefallen, wären die entsprechenden Beratungsrechte weitgehend sinnlos. Denn ihr Zweck ist es, der Belegschaft zu ermöglichen rechtzeitig Alternativvorschläge zu unterbreiten, wozu eine vorherige Beratung mit Interessenvertretungen und anderen Sachverständigen häufig unumgänglich ist. Primärer Zweck der Informations- und Beratungsvorschriften ist, dass der Betriebsinhaber nicht aus Überraschungseffekten, Zeitnot oder Desorientierung der Arbeitnehmerschaft und ihrer Organe Vorteile zieht, indem er diese vor vollendete Tatsachen stellt.

Beratungen zum Ausgleich der betrieblichen und sozialen Interessen sollten daher noch vor Beginn der Umsetzung einer geplanten Geschäftsführungsmaßnahme gesetzt werden. In diesen Beratungsgesprächen könnten fundierte, betriebswirtschaftlich vertretbare Alternativvorschläge seitens des BR vorgebracht werden; das hat v. a. im Rahmen der Aufsichtsratsmitbestimmung schon öfters zum Erfolg geführt.
Leider wird es dem Management leicht gemacht, die Informations- und Beratungspflicht zu ignorieren. Abgesehen von der eventuellen »Verteuerung« eines Sozialplans (gemäß § 108 Abs. 3 ArbVG) gibt es keine wirksame Strafandrohung (§ 160 ArbVG sieht in einigen Fällen Geldstrafen von maximal EUR 2.180 vor). Allerdings könnten vorenthaltene Informationen notfalls durch eine Leistungsklage (das heißt Klage gegen Vorstände oder Geschäftsführer, die gesetzlich zustehenden Informationen zu erteilen), in weiterer Folge mittels »Beugestrafe« erzwungen werden; dass derartige gerichtliche Exekutionsmittel in aller Regel zu spät kommen und jede weitere, eventuell doch noch vorhandene Dialogbereitschaft zerstören, ist ein gesetzliches Manko.

»Wirtschaftsdemokratie«
Mit dem 1974 in Kraft getretenen ArbVG wurde in der »Ära Kreisky« ein gewichtiges Stück an Demokratisierung des Wirtschaftslebens geschaffen. Demokratische Teilhabe an Entwicklungen im Unternehmen bedeutet aber auch eine große Verantwortung für die Betriebspartner, also Betriebsräte und Management.

Mehr dazu in der nächsten Ausgabe von A&W.

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