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Alles Krise, oder was? Das AMS für Jugendliche gleicht einem Bienenstock. Auch auf den Stiegen sitzen und stehen Jugendliche in Gruppen zusammen. Verschiedene Sprachen sind zu hören, die Warteräume in den sechs Stockwerken sind voll.

Alles Krise, oder was?

Schwerpunkt

Beim Eintritt ins Erwerbsleben werden viele Jugendliche allein gelassen. Sie helfen einander gegenseitig.

Hinter einem der vielen Computer im Arbeitsmarktservice (AMS) für Jugendliche in der Neubaugasse in Wien sitzt eine junge Dame. Cirka 20 Jahre, ein Outfit, wie es auch bei Chefsekretärinnen vorzufinden ist. Sie ist erst vierzehn Jahre sagt sie, während sie weiter nach Adressen im Service-Computer sucht. Es ist heute ihr erster Tag im AMS als Arbeitsuchende in spe. Im Juli endet ihr letztes Schuljahr an einer Kooperativen Mittelschule. Auch die meisten ihrer Schulkolleginnen haben sich schon beim Arbeitsmarktservice vormerken lassen. »Besser früher als später«, sagt Zulija. »Man kann hier die Adressen suchen, wo man arbeiten möchte und sich dort bewerben.« Was sie werden will? Bürokauffrau, meint sie, wie ihre Schwester. Zulija spricht so gut Deutsch, das kann nicht ihre Muttersprache sein. Da lacht sie und sagt: »Na ja, das ist Russisch. Geboren bin ich nicht da.« Da habe sie doch eine doppelte Chance. »Ach so?«, meint sie, »Ja sicher, vielleicht. Ich hoffe.«

Es wurlt
Das AMS für Jugendliche gleicht einem Bienenstock. Auch auf den Stiegen sitzen und stehen Jugendliche in Gruppen zusammen. Verschiedene Sprachen sind zu hören, die Warteräume in den sechs Stockwerken sind voll. Nur wenige sitzen mit Kopfhörern da, einer signalisiert mit tief ins Gesicht gezogener Schirmkappe: »Mit mir nicht sprechen.«
Es ist Monatsbeginn: »Da laufen am Tag bis zu 500 Jugendliche durchs Haus«, erzählt Gerda Challupner, Leiterin der Regionalstelle Wien des AMS für Jugendliche. Die wenigsten kommen allein, einige wenige erscheinen mit Vater oder Mutter, viele werden vom Freund oder der Freundin begleitet. Bis zu vier, fünf Begleitpersonen hat Frau Challupner schon gezählt.

Übersiedlung im Herbst
Sie freut sich auf das neue Haus, in das das AMS für Jugendliche im Herbst übersiedeln wird. »Wartezeiten über eine halbe Stunde steigern die Unzufriedenheit enorm«, berichtet Gerda Challupner. Auch für ihre KollegInnen ist die Arbeit in den engen Räumlichkeiten zu den Spitzenzeiten extrem belastend. Durch Terminvereinbarungen und einer »vorgelagerten Betreuungszone« für Jugendliche, die »eher spontan« vorbeikommen, soll der Druck reduziert werden. Rund 12.000 Jugendliche sind derzeit als arbeit- oder lehrstellensuchend in Wien gemeldet, etwa die Hälfte davon besucht Qualifizierungsmaßnahmen.

»Alle wollen arbeiten und sich um ihr selbst verdientes Geld auch etwas leisten«, betont Gerda Challupner, die seit 1980 in der Betreuung Jugendlicher, vormals Arbeitsamt, tätig ist. Wenn ein Jugendlicher arbeitslos wird hat es Gründe, die zu beseitigen sind: Ein fehlender Pflichtschulabschluss, mangelnde Qualifizierungen oder Deutschkenntnisse etwa. Manchen macht die Pubertät zu schaffen. Manche haben familiäre oder gesundheitliche Probleme. »Da stehen sie eben momentan der Welt hilflos gegenüber und verlieren einen Arbeitsplatz nach dem anderen. Sie brauchen in dieser schwierigen Situation Begleitung und Unterstützung«, berichtet Challupner. Bei Jugendlichen mit besonderen Problemen arbeitet das AMS-Wien eng mit anderen Beratungseinrichtungen zusammen: Etwa WUK-Monopoli, der Wiener Berufsbörse oder dem Sprungbrett.
Österreichweit war die Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen zu Jahresbeginn um rund 23 Prozent gestiegen. Zusätzliche Mittel für das AMS hatte die Österreichische Gewerkschaftsjugend (ÖGJ) gefordert. »Die Wirtschaft wird sich wieder erholen. Gut ausgebildete Arbeitskräfte können aber nicht von einem Tag zum anderen eingeschult werden. Mit fundierter Ausbildung muss jetzt begonnen werden, nicht erst wenn die Wirtschaft wieder Fachkräftemangel schreit«, meint der ÖGJ-Vorsitzende Jürgen Michlmayr.
 
1.621 Vornamen

In den Bundesländern leiden besonders viele junge Menschen unter der Wirtschaftskrise. Mit einer ungewöhnlichen Aktion machte die ÖGJ-Burgenland auf die Lage der Betroffenen aufmerksam: Auf einem Plakat wurden die 1.621 Vornamen jener Jugendlichen notiert, die (im Februar) auf Jobsuche waren. Eine Zahl, die den EinwohnerInnen einer größeren burgenländischen Gemeinde entspricht. »An der Jugendarbeitslosigkeit sind nicht die Jugendlichen schuld«, meint ÖGB-Jugendsekretär Oliver Krumpeck. »Sie wollen arbeiten und sich eine Existenz aufbauen. Die Zahlen kommen zustande, obwohl 350 junge Menschen derzeit in überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen einen Beruf erlernen und die Zahl dieser Einrichtungen um mehr als 30 Prozent gestiegen ist.«

Kein Grund zur Panik
Ein ähnlich rapider Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit wie in den Bundesländern war in Wien nicht zu verzeichnen. Gerda Challupner: »Rein von der Statistik her, ist - noch? - kein Grund zur Panik. Schließlich haben wir hier keine voest, keine Magna-Werke oder andere Großproduktionsstätten, sondern einen starken Dienstleistungssektor.«
In der Regionalstelle Wien ist auch eine Servicestelle für Unternehmen eingerichtet. Die Zusammenarbeit mit Unternehmen und Wirtschaftskammer funktioniere gut, berichtet Gerda Challupner. Trotzdem: »Momentan ist alles Krise. Ich würde mir wünschen, dass man sich von ihr nicht so unter Druck setzen lässt. Die Unternehmen müssen mehr in die Jugendlichen, in die Zukunft investieren.«

Hakan* ist mit seiner Freundin da. Sie halten einander an den Händen. Hakan sucht Arbeit, der Bereich ist ihm egal. »Ich komme gerade aus der Haft«, erzählt er, er habe Probleme gehabt, jetzt aber mache er eine Therapie. In der Haft hat er auch den Staplerführerschein gemacht. »Ich bin voll motiviert«, sagt er. »Aber manche Betriebe nehmen zu viele auf und behalten nach ein paar Monaten nur einen davon. Da ist die Motivation dann wieder weg.« Dass er auch Türkisch spricht, war »bis jetzt eher ein Nachteil. Mir hat das höchstens Schwierigkeiten gebracht: Wenn ich einmal etwas verstanden habe, was ich nicht hätte verstehen sollen.«

Auch Gregor* will Staplerfahrer werden. Er ist 20 und sucht seit einem Jahr einen Job. Deutsch spricht er wenig, sein Freund Milan* spricht für ihn. »Es gibt viele, die kein Deutsch können«, sagt er, »die bleiben dann lieber zu Hause. Das kann ich auch verstehen. Aber es gibt auch viele, die wirklich suchen. Mein Freund zum Beispiel.« Und Milan selbst. Er hat die Fachschule für Bautechnik abgebrochen und anschließend Maler und Anstreicher gelernt. Seit einem Monat ist er arbeitslos. »Jetzt gehts mir schlecht«, sagt er. »Ich fühle mich nicht wohl dabei. Aber spätestens im Sommer werde ich etwas finden. Ich hab ja nicht umsonst gelernt.«

Traditionelle Berufe
Die Wirtschaftslage, so ist zu vermuten, wird sich auch bis Jahresende weiterhin verschlechtern. »Aber schon im Vorjahr, als die Zahlen noch besser waren, hatten viele Jugendliche Probleme, einen Job oder eine Lehrstelle zu finden. »Der Druck auf die Jugendlichen wird immer größer«, berichtet Gerda Challupner. »Sie gelten nur dann als wertvolles Mitglied der Gesellschaft, wenn sie einen Arbeitsplatz haben. Und viele haben niemand, der ihnen bei Misserfolgen oder bei einem Durchhänger einen Anstoß gibt. Das ist in den vergangenen Jahren ein immer größer werdendes Problem geworden: Dass Jugendliche beim Einstieg in das Erwerbsleben ganz allein sind.« Und: Berufsorientierung ist ein Prozess, kein halbstündiges Gespräch, meint Challupner. Nach fast 30 Jahren Berufserfahrung ist eines gleich geblieben: das Ranking der Berufswünsche. Kfz-Techniker, vormals Automechaniker, bei Burschen und die »Dreiergruppe« bei den Mädchen: Friseurin, Einzelhandel und Büro.
*) Namen von der Redaktion geändert

Weblinks
AMS-Infoseite für Jugendliche
www.arbeitszimmer.cc
Berufsinformationszentren des AMS
www.ams.at/buw/14139.html
Berufskompass zur Berufsorientierung
www.berufskompass.at
Lehrlingskompass
www.lehrlingskompass.at
Berufsinformationscomputer
www.bic.at
Bildungs- und Berufsinformation
www.yourchoiceinfo.at
Berufslexikon
www.berufslexikon.at/lehre
Lehrberufsinfo mit Stellenangeboten
www.lehrberuf.info

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