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Jesus für sieben Euro

Jesus für sieben Euro

Schwerpunkt

Es ist nicht leicht, als Student aus Bulgarien in Österreich Geld zu verdienen, weiß Biber-Redakteur Todor Ovtcharov.

Ich studiere seit eineinhalb Jahren in Wien und muss mich selbst finanzieren. Wenn man in Österreich arbeiten will, begreift man schnell, dass ein bulgarischer Pass trotz EU-Beitritt so etwas wie ein Stück Klopapier mit einem Foto darauf ist. Man muss jeden Job annehmen. Wie der Chef einer Personalagentur zu mir am Telefon sagte: »Wissen Sie, Herr Ovtcharov (bei dem Namen stotterte er ein bisschen), Sie müssen nur da arbeiten, wo Sie nicht gesehen werden, Sie wissen ja wie es ist.« Mittlerweile weiß ich, wie es ist und so landete ich in der Gemüsefabrik Süßenbrunn.

Ich war der Karottengott
Zwölf Stunden am Tag musste ich minus drei Grad kalte Karotten aussortieren. Alle krummen, schwarzen und beschädigten Karotten müssen weg. Ich war der Karottengott. Den Job machte ich zusammen mit Ivan, der gerade sein Zahnheilkundestudium in Sofia abgeschlossen hatte. Als junger Zahnarzt konnte er in Sofia nicht so viel Geld verdienen, dass er sich ein Snowboard kaufen konnte. Deswegen sortierte er über die Weihnachtsferien in Süßenbrunn Karotten aus. Die üblichen MitarbeiterInnen in der Fabrik sind ältere Frauen aus der Slowakei. Der Chef ist der einzige Österreicher in der Fabrik. In der Uni lerne ich über Demokratie im Westen - im wirklichen Leben sehe ich eine moderne Sklaverei. 

Jessica und Jennifer
Ein paar Monate später arbeitete ich in einer Bäckerei in Straßhof. Ich musste Zimtschnecken verzieren, Golatschen mit Puderzucker und Plunder mit Schokolade übergießen. Dabei war ich der süßeste Typ auf der Welt - mit Puderzucker, Schokolade und Marillenmarmelade überall auf meinem ursprünglich weißen T-Shirt. Für eine muntere Atmosphäre sorgte Radio Niederösterreich. Die ganze Nacht hörte ich fröhliche Lieder, in denen es um Liebe und Schmerz ging, und die von Sängerinnen gesungen wurden, die alle Jessica oder Jennifer hießen. Als ich die Stelle als Plunderbesprüher kündigte, bekam ich mein Geld für drei Wochen Nachtarbeit nicht. Einen Vertrag hatte ich natürlich nicht - ich musste ja versteckt sein.
 
Zeugen Jehovas und die Emos
Seitdem ich in Wien bin, habe ich ungefähr zehn Jobs gemacht. Zu den oben genannten kommen noch die als Kuvertierer, Plakatierer, Flyerverteiler, Aschenbecherwäscher, Garderobier und Umzugshilfe.
Vor kurzem sollte ich als Jesus Christus gekleidet das Jesus-Christ-Superstar-Musical promoten. Ich bekam eine weiße Robe, ein riesiges Kreuz, einen Dornenkranz und eine lockige, schwarze Perücke, mit der ich mehr wie ein Transvestit als wie der Sohn Gottes aussah. Die Arbeit war mehr als aufregend:
Zeugen Jehovas wollten mich bekehren, die Emokinder fragten, ob sie mich steinigen dürfen, und eine nette ältere Frau erkundigte sich, ob ich aus der Psychiatrie entlaufen bin. Zu allem antwortete ich leidend: »Jesus Christ Superstar in der Votivkirche.« Am zweiten Tag kam die Polizei, sagte mir, dass ich eine Bestätigung vom Magistrat brauche, um Jesus zu sein, und die Jesusaktion wurde unterbrochen. So trug ich mein Kreuz, wie ich mein Ausländer-Kreuz seit eineinhalb Jahren trage und voraussichtlich immer tragen werde. Doch wie der Sohn Gottes uns sagte: Der, der leidet, wird im Himmel belohnt.

Weblinks
biber - die erste Stadtzeitung mit scharf - ist das erste transkulturelle Magazin in der österreichischen Medienlandschaft und erscheint im Jahr 2009 sechsmal kostenlos:
www.dasbiber.at

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