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René Pfister, Werner Engl, Helga Hromada, Evelyn Regner Das Europäische Parlament ist durch seine demokratische Legitimierung sicherlich die arbeitnehmerInnen-freundlichste Institution in der EU und steht hinter den ArbeitnehmerInnen!
v.l.n.r.: René Pfister, Werner Engl, Helga Hromada, Evelyn Regner

Es ist auch dein Europa!

Interview

Evelyn Regner, Kandidatin für das Europäische Parlament, diskutiert mit BetriebsrätInnen über Ziele und Möglichkeiten europäischer Politik.

ZUR PERSON
Evelyn Regner

Sie ist derzeit Leiterin der Stabsstelle Internationales im ÖGB. Sie war achteinhalb Jahre lang Leiterin des ÖGB-Europabüros in Brüssel, vertritt den ÖGB im Vorstand des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) und ist Mitglied des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA). Jetzt kandidiert sie für die FSG bei der kommenden EU-Wahl und ist erstgereihte Frau der SPÖ - Nummer 2 auf der Liste.

ZUR PERSON
Helga Hromada

Sie ist Betriebsratsvorsitzende im Krankenhaus Göttlicher Heiland in Wien und Vorsitzende der Bundesfachgruppe Gesundheits-, Heil- und Pflegeberufe der Gewerkschaft vida.

ZUR PERSON
Werner Engl

GMTN, Gewerkschaft Metall-Textil-Nahrung, er ist seit 28 Jahren stv. Vorsitzender des Arbeiterbetriebsrates von General Motors und auch Mitglied des Europäischen Betriebsrates von GM.

ZUR PERSON
René Pfister

GPA-djp-Bundesjugendvorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier,  Mitglied des GPA-Präsidiums und Betriebsrat bei Austrian Airlines.



 

Arbeit&Wirtschaft: Welche Erfahrungen habt ihr persönlich und im Betrieb mit Europa gemacht?

Helga Hromada: Ich kenne Evelyn vom EU-Projekt »Transnationaler Gesundheitsdialog«. Es handelt sich um ein Projekt zwischen den Ländern Deutschland, Polen, Tschechien und Österreich, wo es um Zusammenarbeit und Dialog im Gesundheitsbereich geht. Ziel des Projekts ist es, die Gesundheitssysteme zu vergleichen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten und so die Ängste vor der europäischen Harmonisierung der Gesundheitssysteme - z. B. vor der PatientInnenmobilität - zu nehmen.

Werner Engl: Gestern war Kollege Swoboda zu Besuch bei uns im Werk in Aspern. Wir konnten sehen, dass die Leute im Werk sehr weit von den europäischen Themen entfernt sind. Momentan steht die AK-Wahl im Mittelpunkt. Bei der Diskussion mit Kollegen Swoboda zeigte sich, dass die EU vor allem mit Themen wie »Gurkenkrümmung«, oder dass durch den Euro alles teurer wurde, besetzt ist - leider eben die Themen, über die in der Kronenzeitung zu lesen ist. Da wären wir selbst als BetriebsrätInnen natürlich gefordert, andere Themen ins Spiel zu bringen.

René Pfister: Ich habe Evelyn bei einer Weiterbildung für »Future Trade Union Leaders«, als Referentin kennengelernt. Dabei sind enge Kontakte mit jungen GewerkschafterInnen aus ganz Europa entstanden - diese Kontakte und die Vernetzung waren seither immer wertvoll bei Arbeitszeitkonflikten etc.
Solche Erfahrungen waren für mich sehr positiv, und wenn in Österreich alle ins Horn der Kronenzeitung stoßen und sagen: Was da in Brüssel passiert, das brauchen wir nicht, so muss man gegenhalten und das Positive herausstreichen und sagen, welche Möglichkeiten und Chancen Brüssel bietet.

Was würdet ihr euch von einer zukünftigen europäischen Parlamentarierin erwarten? Was sollte sie für eure spezielle Branche tun - für die Automobilindustrie, die von der Krise betroffen ist, für das Gesundheits- und Sozialwesen, das als Hoffnungsträger gilt - bzw. für die Jugend, die momentan schlechte Chancen am Arbeitsmarkt hat?

Helga Hromada: Der Gesundheits- und Sozialbereich betrifft uns alle. Die Menschen wollen, dass ihre Altersversorgung und ihre Gesundheitsversorgung abgesichert sind und nicht in der Marktwirtschaft aufgehen. Die Privatwirtschaft hat die gewinnträchtigen Bereiche des Gesundheitswesens für sich entdeckt - wir befürchten aber, dass dabei die Grundversorgung bzw. die nicht so lukrativen Bereiche auf der Strecke bleiben. Die PatientInnenmobilität in Europa darf nicht dazu führen, dass die Zweiklassenmedizin überhand nimmt. Mein zweites großes Anliegen sind die Beschäftigten im Gesundheitswesen. Hier müssen wieder die Menschen im Mittelpunkt stehen, nicht nur die Wirtschaftlichkeit.

Evelyn Regner: Ich möchte den Aspekt der Qualität im Gesundheitswesen besonders unterstreichen. PatientInnenmobilität darf auf keinen Fall die Qualität mindern, indem man aus Kostengründen bei den Beschäftigten spart, z. B. durch Ausgliederungen. Das Gesundheitswesen gehört zu den öffentlichen Dienstleistungen, in anderen Branchen, wie bei der Post, wurde in letzter Zeit liberalisiert. Beim Gesundheitswesen darf es dazu nicht kommen, hier muss es in der EU einen allgemein verbindlichen Rahmen geben, es müssen Qualität, allgemeine Zugänglichkeit und Universalität festgeschrieben werden. Dafür werde ich mich mit aller Kraft einsetzen.
Ein weiterer Aspekt, gerade jetzt in der Krise, sind öffentliche Investitionen - nationale und europäische -, ich denke da an die Altenpflege, die Gesundheitsversorgung und die Kinderbetreuung. Hier muss einerseits gesamteuropäisch gedacht werden, zugleich regional gehandelt werden. Die Beschäftigungsbedingungen der Menschen im Gesundheitswesen sind uns ein großes Anliegen.

Werner Engl: Wir haben bei General Motors vor 13 Jahren den Euro-Betriebsrat gegründet, damals war das noch ein Pilotprojekt. GM hat in zehn Ländern vierzehn Werke, der Eurobetriebsrat trifft sich bis zu neunmal im Jahr, das ist viel öfter als sonst üblich. GM ist bei den Eurobetriebsräten Benchmark. Wir haben einen tollen Standard erreicht, wo das Gemeinsame siegt, wir sind hervorragend aufgestellt.
Nun ist aber die Krise da. Uns ist klar: Es kann keine direkten Förderungen geben. Aber Opel ist nicht durch Eigenverschulden in die Krise gekommen, sondern durch das Finanzdesaster in Amerika und auch bei GM. Wir bräuchten nun Bürgschaften für Kredite. Unser Ziel wäre, dass jedes Land, in dem ein Opel- oder GM-Werk steht, auf nationaler Ebene Bürgschaften für Kredite übernimmt.
Zurzeit suchen wir einen Investor. Wir sind in Aspern eine eigene Gesellschaft, »Powertrain«, zugleich eine GM-Tochter. Da wir 90 Prozent unserer Produkte für Opel erzeugen, wollen wir bei einer Ausgliederung zu Opel gehören, das ist unser Zukunftsplan. GM sollte nur noch eine Minderheitsbeteiligung haben.

Wir brauchen hier nun von der EU positive Signale. Was plant Europa für die Autobranche?

Evelyn Regner: Die SPE-Fraktion will die Wahl des künftigen Kommissionspräsidenten und seines Teams von Bedingungen abhängig machen. Unsere Forderung: Die sozialen Grundrechte müssen Vorrang vor dem Binnenmarkt haben! Die Konjunkturpakete gegen die Krise und die Versprechen für die Beschäftigten sind bislang leider nur sehr punktuell, viele Betroffene merken nichts davon.
Wir brauchen ein klares Bekenntnis zum Vorrang von sozialen Grundrechten bei jeder Budgetmaßnahme und jedem Konjunkturpaket - wir müssen immer nachfragen, was bedeutet das konkret für die ArbeitnehmerInnen? Das heißt, man muss genau auf die Umsetzung schauen, auf die realen Auswirkungen.
Das müssen wir als Abgeordnete einfordern. Wir werden politischen Druck erzeugen, auch dort, wo wir die Entscheidungen nicht selbst treffen können. Die Europäische Union kann als Schutzschild wirken. Und das Europäische Parlament ist durch seine demokratische Legitimierung sicherlich die arbeitnehmerInnenfreundlichste Institution in der EU und steht hinter den ArbeitnehmerInnen!

René Pfister: Gerade die Jugendlichen sind von der Krise ganz besonders betroffen. Es gibt deutlich weniger Ausbildungsplätze, der Arbeitsmarkt bleibt für zu viele junge Menschen verschlossen. Als ein warnendes Beispiel möchte ich die Jugendkrawalle in Frankreich anführen, solche Probleme werden durch die Krise noch verstärkt werden.
Unser kapitalistisches System in seiner Ausprägung ist gescheitert, da es keine Antwort für junge Menschen zu bieten hat. Was sollen wir einem Jugendlichen sagen, der keine Möglichkeit hat, einen Ausbildungsplatz zu bekommen oder dessen Eltern den Schulbesuch nicht finanzieren können, weil sie sich selbst das Leben nicht mehr leisten können?
Was kannst du im Parlament für die Jugendlichen tun? Z. B. gibt es in Österreich eine Ausbildungsgarantie bis 18 Jahre - könnte das nicht auch europaweit angeboten werden? Hier brauchen wir Antworten! Europaweit braucht die Jugend Perspektiven.

Evelyn Regner: Der Druck auf die jungen Leute ist enorm. Sie sollen in Schule und Beruf erfolgreich sein und eine Familie gründen, zugleich sehen sie überall nur unsichere Zukunftsaussichten. Was können wir dem entgegensetzen? Ich denke, unser duales Ausbildungssystem in Österreich ist wirklich sehr gut. Es bietet jungen Menschen nicht nur Zukunftsperspektiven, sondern nimmt auch die ArbeitgeberInnen in die Verantwortung - das scheint mir ein wesentlicher Punkt. Denn nur für den Markt produzieren ist zu kurzsichtig. Die EU muss daher massiv in Ausbildung investieren.
Wir haben auch europaweite konkrete Ziele, z. B. die Anzahl der SchulabbrecherInnen zu reduzieren. Es hakt jedoch an der nationalen Umsetzung. Vieles von dem, was in Brüssel initiiert wird, bleibt auf nationaler Ebene stecken! Ein anderes Beispiel für diese Problematik ist die Gleichstellungspolitik: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Das steht seit 50 Jahren festgeschrieben. Nur: Wir kennen alle die aktuellen Zahlen zur Einkommensschere - also wo bleibt die Umsetzung?
Auch hier wieder ist es noch das Prinzip »erst der Markt«. Das verhindert, dass ja eigentlich die Beschäftigungspolitik Priorität haben sollte. Ich denke, es braucht endlich eine Kampfansage an die bisherige Politik, die sich nur am Markt orientiert!

Was macht Brüssel falsch, was müsste sich ändern?

Helga Hromada: Für mich schließt sich hier der Kreis bei allen Anliegen, die wir haben - zuerst der Mensch, und dann der Markt! Es müsste wieder der Mensch im Mittelpunkt stehen! Es bräuchte endlich eine Wende, eine Umkehr, weg von der reinen Wirtschaftlichkeit, hin zu neuen Werten. Europa ist reich und kann sich Bildung, Jugend, Altersversorgung, Gesundheit und Arbeitsplatzsicherung leisten. Wenn in der Öffentlichkeit öfter zu hören wäre, dass in Europa die BürgerInnen und ihre Lebensqualität im Mittelpunkt stehen, würde das schon viel helfen! Auch mehr Transparenz wäre gefragt.

Werner Engl: Ich glaube, wir hatten 1995 zu große Erwartungen in die EU! Das ist dann irgendwann gekippt und in Enttäuschung gemündet. Was die Gewerkschaften in Europa angeht, so nehme ich sie als zu uneinig wahr, die gemeinsame Linie fehlt oft.

Evelyn Regner: Das sehe ich anders. Natürlich haben die einzelnen Ländergewerkschaften unterschiedliche Schwerpunkte. Aber wenn es um handfeste Verbesserungen geht, gibt es kaum Widersprüche! Bei konkreten Zielen wie z. B. Richtlinien für die LeiharbeiterInnen oder die Arbeitszeit, sind sich die europäischen Gewerkschaften sehr einig.

René Pfister: Wir sollten weniger über Gurkenkrümmungen oder Privilegien der EU-Beamten diskutieren, dafür mehr und konkreter über die Sozialunion reden und die EU in die richtige Richtung lenken. Wir brauchen eine Politik für die ArbeitnehmerInnen und weniger Lobbying der multinationalen Konzerne in Brüssel. Alle paar Jahre während des Wahlkampfs steht die EU im Mittelpunkt. Die restliche Zeit passiert recht wenig. Es wäre gerade für junge Menschen wichtig, dass die PolitikerInnen aus Brüssel öfter den Kontakt zu den Leuten suchen, Betriebe besuchen usw. So könnte man die europäische Politik transparent machen. Mit solchen einfachen Mitteln könnte man viel bewirken - nicht zuletzt ließe sich verhindern, dass sich das Bild der Menschen von Europa auf »die da in Brüssel« reduziert!

Evelyn Regner: Meine Bitte an euch wäre, eben auch Interesse an Europa zu zeigen. Ich bin sehr daran interessiert, Europa zu den Menschen zu bringen, aber dafür braucht es auf der anderen Seite eben auch eine entsprechende Offenheit.

Wir sind bei der EU seit 1995 - sind wir als ÖsterreicherInnen schon in der EU angekommen?

Evelyn Regner: Wir haben an einer ÖGB-Kampagne zur EU-Wahl gearbeitet. Als Slogan haben wir »Wähle dein Europa« gewählt. Daraus entstand dann eine spannende Diskussion: Identifizieren wir uns eigentlich mit Europa? »Es ist auch dein Österreich« wäre für uns alle völlig klar als Bekenntnis. Aber bei der EU haben wir doch noch Zweifel und stellen dann rasch alles in Frage - insofern sind wir noch nicht hundertprozentig angekommen in Europa, fürchte ich.

Helga Hromada: Uns geht es sehr gut, und wir haben oft zu viel Angst, etwas zu verlieren. Es wundert mich, dass nicht mehr junge Menschen Interesse an der EU haben und versuchen, in Europa herumzukommen. Hier könnte die Schule mehr tun, aber auch die Medien. Der Blick über den Tellerrand wäre gefragt.

Werner Engl: Der Betriebsbesuch von Kollegen Swoboda hat sehr viel gebracht. Es sollte noch viel mehr solche Gelegenheiten geben, mit europäischen Politikern zu diskutieren. Das wünsche ich mir.

René Pfister: Ich komme aus der AUA - ohne internationale Vernetzung würden wir vom Bodensee bis zum Neusiedler See fliegen. Auch in der Gewerkschaftsjugend wollen wir uns über Europa informieren. Wir müssen mehr jungen Menschen Gelegenheit gaben, sich zu vernetzen und Europa besser kennenzulernen. Nur so werden wir lernen, einander besser zu verstehen.

Das Gespräch führte Barbara Lavaud für Arbeit&Wirtschaft.

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