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Die kleinen Leute - Vorurteile gegen EU Ärger über die Union: an erster Stelle steht der Unmut über die Gehälter an der EU-Spitze, gefolgt vom Ärger über mangelnde Rücksichtnahme auf österreichische Interessen, über die Bürokratie und unsinnige Regelungen á la Gurkenkrümmungsverordnung.
Buchtipp

Die kleinen Leute

Schwerpunkt

Es ist schwer, Vorurteile der BürgerInnen gegen die EU zu beseitigen. In Österreich werden sie von Politik und Boulevard verfestigt.

Ich brauche sie nicht«, sagt der kleine Mann.
»Wen?«, fragt die kleine Frau.
»Die EU«, sagt er.
»Ach so«, sagt sie, »Ich hab schon glaubt, es wär was Wichtig’s.«

In Österreich fiel die Beteiligung an den Wahlen zum Europaparlament von 67,7 Prozent (1999) auf 42,4 Prozent (2004). Prognosen lassen ein weiteres Absinken befürchten. »Ein europäisches Stimmungstief, Skepsis und Unzufriedenheit über das öffentliche Erscheinungsbild der Europäischen Union und erhebliche Informationslücken«, nannten die Meinungsforscher Fritz Plasser und Peter Ulram als Gründe der geringen Wahlbeteiligung. Weiters: »Situative Verärgerung über die Gehalts- und Spesenregelungen der Abgeordneten zum Europaparlament, ein thematisch konturloser Wahlkampf und Versuche einzelner Akteure, die Wahl zur Denkzettelwahl umzufunktionieren.«

Komplexe Inhalte einfach verpackt
Die Europäische Union hat einen schweren Stand in Österreich. Ihre Form, die BürgerInnen über ihre Bedeutung aufzuklären, ist nicht immer ganz geglückt.
»Schau, ein Backhendl«, sagt ein kleiner Mann. Er steht mit seiner kleinen Frau neben dem EU-Info-Stand beim Messepalast. Vor ihnen steht auf einem Podest ein in Zellophan verpacktes »bratfertiges« Huhn aus Plastik, dreimal so groß wie die beiden. Appetitlich ist es nicht. Es illustriert anhand einer Frage (»Wollen Sie das?«) die Wichtigkeit der EU-Institutionen im Bereich Konsumentenschutz.
»Wofür ist denn das?«, fragt sie.
»Für die EU«, sagt er: »Sieht man doch an der Fahne.«
»Wozu werben die denn noch, sind doch eh schon dabei«, sagt sie.
»Möchten Sie einen Kugelschreiber?«, fragt die junge Dame in blau-gelb aus der Info-Koje. »Schreibt gut. Sie können in der Kabine auch Ihre Meinung zur Europawahl sagen. Kommt direkt nach Brüssel, auf Video-Screen.«
»Wolln’S mi pflanzen?«, fragt der Mann. »Oder weama weida grupft? Was hat die EU mit an Hendl z’tuan?« Das erläuternde Schild am Plastikhuhn wird im Ärger übergangen. Das Sujet, das gebe sie zu, sei vielleicht nicht glücklich gewählt, sagt die junge Dame, aber es ginge um etwas Wichtiges. Es ginge um den Verbraucherschutz. Es ginge um das Europa- ... Aber schon sind die beiden fort.
Die Sorgen und Ängste der BürgerInnen würden nicht genug zur Kenntnis genommen, heißt es. Europa sei ein Buch mit 27 Siegeln, kompliziert, verwirrend, nicht beeinflussbar. Vom Lebensalltag der Menschen entfernt.
Auf der Freyung informiert die Volkspartei über die Europawahl. Es ist der 9. Mai, Europatag. Vor dem Plakat »Europa wählt. Österreich entscheidet« spielt eine Alpenkapelle. Elisabeth Engstler moderiert ein Quiz im Stil der Millionenshow. Peter Rapp führt mit Österreichs EU-Kommissarin für Außenbeziehungen Benita Ferrero-Waldner ein Interview. »Wie kann man sich nun Ihre Arbeit vorstellen?« »Ich habe 6.000 Mitarbeiter«, setzt Frau Ferrero zur Antwort an. Rapp: »Ja, und diese 6.000 Mitglieder ...«
»Mitarbeiter«, korrigiert die Kommissarin.
Es sei halt schwer, die Arbeit der EU zu erklären, meint der Moderator. Aber so richtig zugehört wird ohnehin erst, wenn Jazz-Gitti singt.

Die Krone des kleinen Mannes
Als Gründe des Ärgers über die Union führen das Meinungsforscherduo Fritz Plasser und Peter Ulram an erster Stelle den Unmut über die Gehälter an der EU-Spitze an. Gefolgt vom Ärger über die mangelnde Rücksichtnahme auf österreichische Interessen und über die Bürokratie, unsinnige Regelungen und Vorschriften á la Gurkenkrümmungsverordnung.
77 Prozent der Kronen-Zeitungs-LeserInnen hätten sich regelmäßig über die EU geärgert, meinen die beiden Experten in ihrer Analyse der Europa-Wahl 2004. 21 Prozent der Leserschaft wählte bei den Europawahlen 2004 die Liste des regelmäßigen Kolumnenschreibers Hans Peter Martin. Margot K., Sekretärin, 41, liest die »Krone« am Sonntag. Für Politik interessiert sie sich kaum, schon gar nicht für die Europas. Wenn sie wählen würde, dann wäre es der, wie heißt er noch mal? Der, der immer alles aufdeckt. Der mit dem Schal, der gegen die EU ist.
»Was treibt Hans Dichand an?«, fragt die Hamburger Wochenzeitung »Die Zeit« in ihrer Ausgabe vom August vorigen Jahres, als die heftige Anti-EU-Kampagne des Blattes einsetzte. »Die Pläne der EU, Österreichs Marillenmarmelade in Konfitüre umzubenennen, hätten ihn wütend gemacht.« Vielleicht aber, so der Autor Florian Klenk, sei es nur das Gespür eines gewitzten Blattmachers gewesen für das, was man vor 60 Jahren das gesunde Volksempfinden nannte?
Die Sehnsucht nach dem verlorenen Schrebergarten bewege die kleinen Leute und auch die, von denen sie regiert werden, meint Barbara Coudenhouve-Kalergi in ihrem Kommentar im Standard »Wie wir wurden, was wir sind.« Einer Grundstimmung, der sowohl die Rechtsparteien als auch die Kronen-Zeitung Rechnung tragen. Einfache Antworten auf komplizierte Fragen verfehlen nie ihre Wirkung. »In unserem Fall lauten sie: An allem Übel sind einerseits die Ausländer schuld, andererseits die Europäische Union.« Das »Herzstück« der von Herausgeber Dichand betriebenen Meinungsbildung in Sachen diffuse Ängste und Ressentiments ist die Leserbrief-Seite »Das freie Wort«. Hier werden EU-Bürokraten mit Kinderschändern verglichen. Die Wertegemeinschaft der Europäischen Union mit Inzest-Tätern, »die in Thailand urlauben, während seine Kinder im Keller vegetieren«. Tiefer geht es kaum.

Unsere Leserbrief-Ecke
»Als mündiger Bürger bzw. Bürgerin hätte ich auch eine Holschuld, hat eine Politikerin gesagt. Man müsste sich auch selbst informieren. Obwohl: In Österreich ist es nicht leicht, ein mündiger Bürger zu sein. Man redet mir nach dem Mund, schon bevor ich etwas gesagt habe. Ich komme mit dem Denken gar nicht nach - schließlich arbeite ich in einem Brotberuf, wo nicht meine Gedanken das Produkt sind - und schon wissen Politiker und Politikerinnen oder ›die Zeitung‹ was ich will.« Herbert K. (47).
»Wussten Sie, dass die Abgeordneten im Europäischen Parlament ihren Sitz nicht nach Herkunftsland einnehmen, sondern aufgrund ihrer politischen Zugehörigkeit?«, steht in einem EU-Folder. »Ja, das habe ich gewusst. Viele von den Parteien offenbar nicht. Wie könnten sie sonst behaupten, dass sie das Beste für uns aus Brüssel herausholen wollen? Wird hier ein geschossenes Wildschwein verteilt?« Hermine S., Niederösterreich.
»Wahlplakate sind nie besonders intelligent. Aber die von den Rechten sind eine Beleidigung. Man sagt von mir, ich wäre vorurteilsbeladen, voll der Ressentiments. Kann man sich beim EU-Volksanwalt über österreichische Plakate beschweren? Was haben die EU-Wahlen mit Abrechnung zu tun? Wieso muss man sich gerade bei Europawahlen schämen, auch Österreicher zu sein?
So viele Vorurteile gegen die EU kann ich als Durchschnittsbürger nicht entwickeln, wie im Wahlkampf präsentiert werden.« Der kleine Mann aus Floridsdorf.

WEBLINKS
Ein virtueller Spaziergang durch den Plakatdschungel:
diepresse.com/home/politik/euwahl/474291/index.do
Unter www.wahlkabine.at können Sie mit der Beantwortung 25 virtueller Fragen klären, mit welcher Partei es die größte politische Übereinstimmung gibt.
Wer sich einmischen möchte, kann im Internettool der globalisierungskritischen Bewegung attac Kandidaten befragen:
www.electioncampaign.eu/

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Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
gabriele.mueller@utanet.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

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