topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Nicht willkommen Der »Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts« ist nach außen hin eine Festung. »Eindringlinge« sind nicht erwünscht und müssen draußen bleiben.

Nicht willkommen

Schwerpunkt

Während in der EU die letzten Grenzen beseitigt werden, wird die Union nach außen hin immer mehr zur Festung.

Das italienische Ferienparadies Lampedusa liegt nur 113 Kilometer vor der afrikanischen Küste. Lampedusa ist ein Touristentraum mit spektakulären Tauchregionen, kristallklarem Meer und herrlichen Stränden. Doch Lampedusa hat zwei Gesichter. In den vergangenen Jahren hat die Insel sich zum Auffanglager für die sogenannten Boat-People entwickelt. Zahllose namenlose Gräber auf Lampedusa sind stumme Zeugen unerzählter menschlicher Schicksale. Sie stehen für Jahre auf der Flucht, die in einer gefährlichen Bootsfahrt auf überladenen Booten endet, erzählen von ungehörten Beweggründen für dieses todesmutige Wagnis, berichten von Angst und Ertrinken.

Unmenschliche Auffanglager
Diejenigen Flüchtlinge, die die Überfahrt überlebt haben und schließlich Festland betreten durften, werden nach ihrer Ankunft in Lager gesteckt. Viele Flüchtlinge werden auch direkt nach Libyen zurückgeschickt. Denn mit Libyen hat die EU ein »freundschaftliches« Abkommen getroffen: Das Land erklärte sich bereit, direkt auf afrikanischem Boden, Auffanglager zu betreiben. Von ausreichender Versorgung mit Nahrung, Kleidung, Medikamenten oder gar psychologischer Betreuung kann dabei allerdings nicht die Rede sein. Auch die Lager auf Malta und Lampedusa bieten nicht viel bessere Bedingungen. Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen protestieren immer wieder gegen die unmenschlichen Zustände dort.

2.000 Tote jedes Jahr
Mindestens 2.000 Menschen dürften nach Aussage verschiedenster Hilfsorganisationen jährlich im Mittelmeer den Tod finden. Die Dunkelziffer liegt weitaus höher, denn oft verschwinden Boote spurlos.
Im April 2009 starben an einem einzigen Tag etwa 600 Menschen im Mittelmeer. Ein Tunesier wird von einem libyschen Behördenvertreter zitiert: »Ich war mit 13 weiteren Tunesiern auf dem Boot mit 365 Flüchtlingen. Ich bin der einzige Überlebende.«
Ein anderes Boot mit 257 Flüchtlingen an Bord kenterte und sank am selben Tag. Das EU-Parlament legte daraufhin sogar eine Schweigeminute ein. Die Tränen allerdings sind Krokodilstränen, denn Europa möchte für das Drama an seinen Außengrenzen keine Verantwortung übernehmen. Technisch gesehen wäre es übrigens leicht möglich, Boote in Seenot via Satelliten zu orten und die Menschen zu retten.
Nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist es völkerrechtswidrig, Menschen, die im Sinne der GFK Flüchtlinge sind, zurückzuweisen. Sicherlich, viele Flüchtlinge fliehen nicht nur vor Verfolgung aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung, wie es die GFK vorsieht. Sie fliehen auch vor Hunger oder Umweltkatastrophen, oft verursacht durch Globalisierungsprozesse und die Länder des Nordens. Die Grundsätze der GFK entstanden nach dem 2. Weltkrieg unter dem Eindruck von Naziterror und Völkermord. Den berechtigten Gründen vieler heutiger Flüchtlinge werden sie nicht mehr ausreichend gerecht und sollten daher erweitert werden.

EU-Innenpolitik
Die EU-Innenpolitik soll einen »Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts« schaffen. Die Bürgerinnen und Bürger der Union können diesen Raum frei und ohne lästige Grenzkontrollen bereisen. Durch die Erweiterung des Schengen-Raumes sind die EU-Außengrenzen nach Südosten verschoben worden und Österreich liegt mittlerweile im Herzen der grenzenlosen EU.
Selbst einige eingefleischte KritikerInnen der EU-Erweiterung schätzen mittlerweile die Vorteile, die der Abbau der Grenzbalken im Alltagsleben bringt. Doch Sicherheit und Freiheit haben einen Preis. Im gleichen Maß wie die EU ihren BürgerInnen Hindernisse aus dem Weg räumt, grenzt sie sich nach außen hin ab.
Der »Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts« ist nach außen hin eine Festung. »Eindringlinge« sind nicht erwünscht und müssen draußen bleiben. Vor ihnen schützt die EU ihre Außengrenzen sorgfältig und mit Nachdruck. Auch wenn dies den Tod der Boat-People bedeutet.

Frontex
Im Oktober 2004 beschloss der Rat der EU eine Verordnung zur Errichtung einer eigenen Grenzschutzagentur. Seit Mai 2005 ist diese mit dem klingenden Namen Frontex aktiv und schützt die EU-Außengrenzen. Ihr Sitz ist in Warschau, ihr Handlungsfeld die komplette EU und, um Flüchtlinge erst gar nicht ankommen zu lassen, immer stärker auch das gesamte Mittelmeer und somit auch fremde Küstengewässer. Offiziell untersteht Frontex der Kontrolle des Europäischen Parlaments und muss diesem regelmäßig Bericht erstatten. Tatsächlich sind die Aktivitäten von Frontext allerdings höchst undurchsichtig und kaum nachvollziehbar.
Neben dem Abfangen der Boat-People wird die Agentur überall dort aktiv, wo »Ausnahme- und Notsituationen«*) bestehen. Jeder Mitgliedsstaat, der sich vermeintlich einem »massiven Zustrom von Drittstaatsangehörigen gegenübersieht, die versuchen in sein Hoheitsgebiet einzureisen«, kann Frontex zu Hilfe rufen. Das lässt natürlich erheblichen Interpretationsspielraum offen und überträgt es damit den einzelnen Mitgliedsstaaten, zu entscheiden wann »massiver Zustrom« vorliegt. Dubios muten auch die »Teams aus AsylexpertInnen« an, die von Frontex abgestellt werden können, um ein Erstprofil von den Flüchtlingen zu erstellen. Fast immer fallen diese Urteile schon an der Grenze negativ aus. Auch die UNHCR äußerst sich dazu besorgt: »Es darf nicht von Grenzwachebeamten oder Sicherheitskräften entschieden werden, ob jemand Anspruch auf Asyl hat oder nicht, denn jeder Fall ist individuell zu bearbeiten und zu untersuchen«, sagt Lloyd Dakin, Repräsentant der UNHCR.

Motor für EU-Innenpolitik
Was in anderen Bereichen der EU-Innenpolitik noch in den Kinderschuhen steckt wird bei der Bekämpfung illegaler Migration längst praktiziert. Beamte mehrer EU-Länder, gekleidet in ihren jeweiligen Uniformen, werden in einem dritten EU-Land aktiv.
Eine völlig neue Entwicklung von Polizeibefugnissen. So praktiziert etwa bei einer Frontex-Mission mit dem viel versprechenden Namen Amazon II, die auf den internationalen Flughäfen Frankfurt, Amsterdam, Barcelona, Lissabon, Mailand, Madrid, Paris und Rom stattfand. Die Mission Amazon II wurde gestartet, weil Frontex »starke Migrationsbewegungen auf dem Luftweg aus Lateinamerika« festgestellt hatte. Passagiere aus Lateinamerika wurden kontrolliert, und auch wer mit korrekten Papieren ankam wurde von den internationalen Polizisten aufs genaueste verhört. Während 17 Tagen wurden auf diese Weise 2.161 Menschen abgefangen und wie potenzielle Kriminelle behandelt.

*) Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. April 2007 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates und des Europäischen Parlaments über die Bildung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke und zur diesbezüglichen Änderung der Verordnung EG Nr. 2007/2004 des Rates (KOM(2006)0401 (10) - C6-0253/2006 - 2006/0140(COD)(11).

KURZ GEFASST
Trotz aller Bemühungen und immer weiter verschärfter Kontrollen, gibt es bisher keinen merkbaren Rückgang der illegalen Migration nach Europa. Zwar wird es für illegale Flüchtlinge immer schwieriger und oft auch gefährlicher bestimmten Routen zu folgen. Die erhoffte abschreckende Wirkung bleibt jedoch aus - zu stark ist die Anziehungskraft, zu viele Fernseher verbreiten auch noch in den letzten Winkel der Slums der Welt das Bild vom reichen, sicheren Europa. Wir werden uns in der Zukunft keine Gedanken mehr darüber machen müssen, ob es uns passt, dass Menschen nach Europa fliehen - denn sie werden es ohnehin tun (müssen). Abschottung allein ist als Ziel der EU-Innenpolitik sinnlos und überflüssig. Klar ist, dass wir Verantwortung übernehmen und Wege finden müssen, mit den flüchtenden Menschen besser und fairer umzugehen, uns überlegen müssen, wie wir sie unterstützen, und wie wir weitere humanitäre Katastrophen, wie den Tod von unschuldigen Menschen auf der Flucht, verhindern können.

KONTAKT
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
ruth.bauer@gmx.net
oder die Redaktion
aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum