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Die einfachen Soldaten, die aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrten, gehörten zu den Verlierern der Inflationskonjunktur, die 1919 begann und mit der »Genfer Sanierung«, einer Sanierung von Staatshaushalt und Währung zu Lasten der Volkswirtschaft, endete. Vi

Das Elend anderer ...

Historie

Richard Wagner, Leiter der freigewerkschaftlichen Bildungszentrale, über Gewinner und Verlierer in der großen Inflation nach 1919.

Indessen war die Krone … stark im Wert gefallen. Die ganze Welt kam nach Österreich kaufen, der große »Ausverkauf« begann: Zunächst kaufte man Luxuswaren, dann Industrieprodukte und kurbelte so die österreichische Produktion wieder an. …. Schon im Sommer 1919 hatte die Hausse an der Börse begonnen. Wer Geld hatte, kaufte auf der Flucht vor dem Währungsfall Effekten und Devisen. Die Börsenpapiere kletterten schnell hinauf. Bald hatte sich eine tolle Spekulation entwickelt, an der nicht nur die reichen Leute, auch Bürger, Beamte und Angestellte bis in die unteren Schichten hinein teilnahmen. … Die Banken errafften ungeheure Gewinne. ... Die Banken zogen auch immer mehr Industrien an sich, eine Gefahr für die Betriebe und Löhne, als dann der große Krach kam.
Aber nicht nur Börsenspekulanten, auch Schieber aller Art, inländische wie ausländische, kamen leicht zu Reichtum. Große Schiebergestalten … tauchten in Wien auf, wurden berühmt und berüchtigt zugleich durch die Schnelligkeit, mit der sie ganze Handelszweige, Industrien und Banken, auch alte angesehene Großbanken wie billige Lumpen zusammenrafften. … Man konnte mit verhältnismäßig wenig Dollar oder Pfund oder Franken, auch schon mit Mark oder Tschechenkronen, viel verdienen. …
Nur für den Arbeiter und kleinen Angestellten, der weder an der Börse spielen noch Waren verschieben konnte, sank das Realeinkommen mit dem Fallen des Kaufwertes der Krone ungeheuerlich. Arbeiter und kleine Angestellte gingen zerlumpt herum und hatten immer weniger zu essen. …
Die »Gewerkschaft«, das Organ der Gewerkschaftskommission, fasste die Zustände und die Stimmung der Arbeiterschaft in die Worte zusammen (Jahrgang 1921, Nr. 3, Seite 17): »…Heftige Begierde nach Genuss …. beherrscht die einen, ärgste Not und bittere, bis zur Verzweiflung treibende Sorgen die anderen.
Frauen, einem wandelnden Juwelierladen gleichend, begegnet man auf der Straße. Das Elend anderer schleicht nebenher. Die Zustände schreien förmlich in aufreizender Art nach gründlicher Änderung.
Zwischen all dem ertönen die gelehrsamen Theorien der Volkswirtschaft von der Preisbildung und dem Abbau der Preise. … Die von Löhnen oder Gehalt Lebenden sollen geduldig hoffen und harren, sollen demütig ihr Schicksal ertragen. Sonst fällt die Valuta oder es kommt noch schlimmer. Die Armen sollen im Stillen zugrunde gehen. Aber diese wollen nicht. Ihr Recht auf Leben machen sie geltend.«

Dr. Richard Wagner, der Autor dieser Zeilen, leitete bis 1934 die freigewerkschaftliche Bildungszentrale. Als Sozialdemokrat verlor er 1934 seinen Job, als Jude musste er 1938 fliehen. Er kämpfte in Jugoslawien mit den Partisanen gegen Hitler-Deutschland und wurde erschossen, nachdem er andere jüdische Flüchtlinge gerettet hatte.

Ausgewählt und kommentiert von Dr. Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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