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Wegen Verdachts auf Unterschlagung von EU-Fördermitteln hatte die EU-Kommission bereits im vergangenen Jahr Subventionen in Höhe von fast 500 Mio. Euro für Bulgarien auf Eis gelegt. Wegen Verdachts auf Unterschlagung von EU-Fördermitteln hatte die EU-Kommission bereits im vergangenen Jahr Subventionen in Höhe von fast 500 Mio. Euro für Bulgarien auf Eis gelegt.
Buchtipp

Korruptionsgefährdet

Schwerpunkt

Erstmals in der EU-Geschichte wurden einem Mitglied Fördermittel gestrichen. Gründe: Korruption und Verstrickung von Politik und organisiertem Verbrechen.

Eine Bilanz namhafter Südosteuropa-ExpertInnen im April in Wien zum Thema »Bulgarien 20 Jahre nach der Wende« fiel recht düster aus: Laut einer aktuellen Studie konnten nur 15 Prozent der Befragten in dem Balkanland eine Verbesserung ihres Lebens erkennen.
»Die junge Generation ist viel zu schnell im Westen angekommen. Wir haben die Ellbogentechnik exportiert«, stellte der frühere Koordinator des Südosteuropa-Stabilitätspaktes Erhard Busek fest. Um die Parteienlandschaft zu stabilisieren, müsste die Mittelschicht in dem Land weit mehr ausmachen als jetzt - nicht einmal ein Sechstel der Bevölkerung Bulgariens gehört zum Mittelstand. Vor allem das Thema Korruption, mit dem Bulgarien seit geraumer Zeit in der EU für Schlagzeilen sorgt, blieb bei der ExpertInnen-Tagung nicht ausgespart. »Bei uns ist das schon System«, klagte ein bulgarischer Politikwissenschaftler, als er vom Interesse ökonomischer Gruppen sprach, die »kein Interesse an einem europäischen Rechtsstaat haben«. Erhard Busek gab offen zu: »Bulgarien und Rumänien waren auf den EU-Beitritt nicht vorbereitet.« Er nahm dabei auch die alten EU-Länder in die Pflicht, die »Markt, aber nicht soziale Marktwirtschaft exportiert« hätten.
Auch den Stabilitätspakt, der 2008 durch den Regionalen Kooperationsrat für Südosteuropa (SEECP) abgelöst wurde, nahm dessen einstiger Sonderkoordinator von der Kritik nicht aus: Viel zu wenig sei in Ausbildung und Verwaltungstraining investiert worden, Mittel im Mediensektor politisch vergeben worden.

Weiterführung der Reformen

Bulgarien ist zusammen mit Rumänien am 1. Januar 2007 der Europäischen Union beigetreten. Brüssel fordert jedoch die Weiterführung begonnener Reformen: Auch nach dem Beitritt stehen die neuen Mitglieder unter verstärkter Beobachtung. Alle sechs Monate müssen sie in Brüssel über ihre Fortschritte berichten. Insbesondere der Kampf gegen die Korruption steht im Vordergrund.
Zur wirksameren Korruptionsbekämpfung will Bulgarien nun in verschiedenen Ministerien EU-ExpertInnen auf Schlüsselpositionen einsetzen. Die bulgarische Regierung wolle auf diese Weise möglichst schnell die »besten Praktiken der EU« umsetzen.
Doch auch das Justizsystem lässt noch immer zu wünschen übrig. Bulgarien sei weiter den Nachweis schuldig, dass seine Justiz »in der Lage ist, Korruption und organisiertes Verbrechen aufzudecken«, schrieb die EU-Kommission in einem im Februar dieses Jahres veröffentlichten Bericht.
Wegen Verdachts auf Unterschlagung von EU-Fördermitteln hatte die EU-Kommission bereits im vergangenen Jahr Subventionen in Höhe von fast 500 Mio. Euro für Bulgarien auf Eis gelegt.
Damit hat erstmals in der Geschichte der Europäischen Union ein Mitgliedstaat wegen grassierender Korruption Fördergelder in Millionenhöhe eingebüßt. Bulgarien werden 220 Mio. Euro endgültig gestrichen. Weitere 340 Millionen Euro blieben eingefroren. Das Land habe bislang keine ausreichenden Garantien gegeben, dass das Geld für die vorgesehenen Projekte verwendet werde. »Es ist wichtig, dass wir die Interessen der europäischen Steuerzahler im Auge behalten«, ließ die EU-Kommision verlautbaren: »So etwas hat es noch nie gegeben.«

Korruption steigt

Transparency International teilte bei der Vorlage des Korruptionswahrnehmungsindex 2008 mit, dass auch in dem neuen EU-Land Bulgarien die Bestechlichkeit im öffentlichen Sektor gestiegen sei. Dieser jährlich erstellte Korruptionswahrnehmungsindex basiert auf der Auswertung von verschiedenen Expertisen, etwa der Weltbank und der Bertelsmann-Stiftung. Darin werden derzeit 180 Staaten mit einem Punktwert zwischen 0 (als extrem korrupt) und 10 (frei von Korruption) bewertet. Spitzenreiter Dänemark hat 2008 die Note 9,3 erhalten, Schlusslicht Somalia 1,0.
Bulgarien ist im Korruptionsindex tief abgerutscht und erhält mit einer 3,6 einen Wert wie zuletzt im Jahr 2000 (3,5). Weltweit ist Bulgarien auf Platz 72, unter den Mitgliedstaaten der EU ist es das Schlusslicht. Die Note bedeutet, dass Bulgarien nun nicht mehr als »korruptionsgefährdet«, sondern als »stark korruptionsgefährdet« eingestuft wird.

Organisierte Kriminalität

Eng verknüpft mit der extremen Korruption sind in Bulgarien auch Bandenkriege und organisierte Kriminalität. Die bulgarische Regierung bekräftigt zwar immer wieder ihren politischen Willen, die staatlichen Institutionen im Kampf gegen Bestechung und organisierte Kriminalität zu mobilisieren, die Erfolge lassen aber auf sich warten. Seit 2001 gab es in Bulgarien mehr als 150 Bandenmorde. Bisher wurde kein Täter verurteilt.
Ein anderer Faktor politischer Instabilität und Korruption ist der massenhafte Kauf von Wählerstimmen. Laut Experten wurden bei der EU-Wahl im Juni Stimmen für sechs Milo. Euro gekauft. Das Geld komme aus schwarzen Kassen, eine Wählerstimme koste dem Auftraggeber etwa 100 Lewa (51 Euro). Von diesem Geld erhalte der Wähler rund die Hälfte. Der Rest gehe an die Vermittler.
Immerhin versuchen die Behörden nun dem Betrug mit den EU-Förderungen nachzugehen. Die Justiz hat erst kürzlich hunderte von Ermittlungsverfahren wegen Erschleichung von EU-Zuschüssen durch bulgarische Landwirte eingeleitet. Ein Teil der Bauern steht im Verdacht, übertriebene Angaben über die Größe ihrer genutzten Flächen gemacht zu haben, um mehr Beihilfen zu bekommen.
Außerdem wurden 150 Ermittlungen wegen Unregelmäßigkeiten und Betrugs im Zusammenhang mit dem Landwirtschafts-Hilfsprogramm der EU (SAPARD) eingeleitet, mit dem der bulgarische Agrarsektor zuvor auf den EU-Beitritt des Landes vorbereitet werden sollte.
Mittlerweile kam es auch zu einigen politischen Rücktritten und Skandalen rund ums Innenministerium: Bulgariens Vize-Innenminister ist nach Medienberichten, wonach er in einen Korruptionsfall verstrickt sein soll, im Juni zurückgetreten. Er soll als Vermittler zwischen einem Unternehmer und einem hohen Beamten der Agentur für Fischerei und Aquakulturen agiert haben. Erst Ende Mai wurde sein Vorgänger entlassen. Und im Vorjahr musste der Innenminister unter dem Druck von Korruptionsvorwürfen und mutmaßlichen Kontakten zur bulgarischen Unterwelt den Chefsessel räumen. Auch einer seiner engsten Mitarbeiter, der bulgarische Polizeichef, trat damals zurück.

Bemühungen

Trotz solcher beunruhigender Vorfälle hat die Europäische Union einen Teil der Millionen-Hilfen für Bulgarien wieder freigegeben. Die Kommission entsperrte eine Tranche von 115 Millionen Euro, die vor allem für den Autobahnbau bestimmt ist. Der Großteil der Finanzhilfen in Höhe von 465 Millionen Euro liegt allerdings weiter auf Eis und die Freigabe der Gelder fand im Europaparlament keine ungeteilte Zustimmung.
Kurz vor den Parlamentswahlen im Juli hat das Gericht in Sofia den früheren Chef des Heizwerks der bulgarischen Hauptstadt wegen Veruntreuung von fast sechs Millionen Lewa (drei Millionen Euro) schuldig gesprochen. Er wurde zu einer Haftstrafe von 14 Jahren verurteilt. Dieser Prozess gilt als symbolträchtig für das Vorgehen gegen die Korruption.
Bleibt zu hoffen, dass auch nach den Wahlen der Eifer nicht nachlässt. Denn, wie es ein Vertreter des europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) recht nüchtern ausdrückt, kam man in Brüssel zu dem Schluss, »dass es trotz der Bemühungen, die notwendigen Institutionen aufzubauen und die vorgeschriebenen Verfahren und Prozesse einzuführen, nur wenige Belege dafür gibt, dass das System tatsächlich ordnungsgemäß funktioniert.«

Buchtipp
Ilija Trojanow
Die fingierte Revolution.
Bulgarien, eine exemplarische Geschichte.
dtv, 2006, 251 Seiten,  12,90,
ISBN 3-423-34373-7
Vorbestellung:
ÖGB-Fachbuchhandlung, 1010 Wien, Rathausstr. 21, Tel.: (01) 405 49 98-132
fachbuchhandlung@oegbverlag.at

Weblinks
Wikipedia über Bulgarien:
de.wikipedia.org/wiki/Bulgarien

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