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Für den bis zu den ersten freien Wahlen 1994 politisch und sportlich isolierten Staat am Kap bedeutet die WM den Schlusspunkt seiner schrittweisen Wiedereingliederung in das internationale Sportgeschehen. Für den bis zu den ersten freien Wahlen 1994 politisch und sportlich isolierten Staat am Kap bedeutet die WM den Schlusspunkt seiner schrittweisen Wiedereingliederung in das internationale Sportgeschehen

Vor dem Anpfiff

Schwerpunkt

Südafrika bereitet sich auf die Fußball-WM 2010 vor. Und kämpft mit Arbeitslosigkeit, Kriminalität und einer Verschärfung der Verteilungskonflikte.

Die im Juni 2010 stattfindende Fußball-Weltmeisterschaft - an der Österreich ja voraussichtlich nicht teilnehmen wird - wirft immer stärker ihre Schatten voraus. In der globalen Fußball-Welt geht es hektisch um Qualifizierung von Mannschaften, um Spielertransfers, Schiedsrichternominierungen etc. In Südafrika selber laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Für den bis zu den ersten freien Wahlen 1994 politisch und sportlich isolierten Staat am Kap bedeutet die WM den Schlusspunkt seiner schrittweisen Wiedereingliederung in das internationale Sportgeschehen. Gleichzeitig geht es auch um eine Leistungsschau nach eineinhalb Jahrzehnten Demokratie. Und für den ganzen afrikanischen Kontinent, auf dem eine Fußball-WM zum ersten Mal stattfinden wird, fungiert der gigantische Event auch als ein Zeichen der Hoffnung auf wirtschaftlichen und politischen Aufschwung.

Modernisierungsimpuls

Auch wenn die anfangs überzogenen südafrikanischen Erwartungen wohl nicht zur Gänze in Erfüllung gehen werden, zumindest für die Infrastruktur des Landes hat die Weltmeisterschaft einen wichtigen Modernisierungsimpuls gebracht. Zehn große Stadien wurden entweder neu errichtet oder ausgebaut (fünf davon sind bereits fertig), der neue Flughafen in Durban sowie die Anlagen für den Hochgeschwindigkeitszug zwischen Johannesburg und Pretoria sind in Bau, massive Investitionen in Telekommunikations- und Transporteinrichtungen wurden getätigt. All das soll hunderttausend neue Arbeitsplätze bringen, und zusätzliche Jobs entstehen im Tourismussektor und bei der Polizei: Allein zehntausend neue PolizistInnen sollen dafür sorgen, dass die immer noch hohe Kriminalitätsrate bis zur WM deutlich sinkt. Als ein lange geforderter Beitrag zur Verkehrssicherheit ging vor wenigen Wochen ein neues Autobusnetz in Johannesburg in Betrieb, und zwar - eine gesellschaftspolitisch umstrittene Entscheidung - in kommunaler, nicht privater Trägerschaft!

Streik im Stadion

Auch die Gewerkschaften machten sich die politische Euphorie und den wirtschaftlichen Boom vor allem in der Baubranche zunutze - wenngleich auf ihre eigene Art. Schon 2007 war es beim Bau des Moses-Mabhida-Stadions in Durban zu einem Ausstand gekommen, in dem es im Konflikt mit dem Bauunternehmen vor allem um Sicherheitsfragen ging. Kleinere Streiks folgten. Im heurigen Juli kam es dann zu einem klassischen, landesweiten Lohnkampf, wobei den Arbeitern der Termindruck zugute kam, unter dem die Baufirmen stehen. Mit Ende des Jahres 2009 müssen nämlich sämtliche Stadien fertiggestellt und der FIFA übergeben worden sein.
Rund 70.000 vorwiegend von der südafrikanischen Bergarbeitergewerkschaft vertretene BauarbeiterInnen bestreikten nicht nur die Stadion-Baustellen, sondern auch die großen Bauprojekte im Verkehrsbereich. Nach einer Woche endete der Streik mit einem durchschlagenden Erfolg der Gewerkschaften - in diesem Ausmaß dem ersten in einer Branche, die traditionell durch prekäre Arbeitsverhältnisse, niedrige Löhne und einen hohen Anteil an ausländischen Arbeitsmigranten geprägt ist. Neben einer verbesserten sozialen Absicherung (allerdings nur für längerfristig Beschäftigte) stimmte die Arbeitgeberseite letztlich einer Lohnerhöhung um zwölf Prozent zu, was um etwa fünf Prozentpunkte über der Verbraucherpreisinflation liegt. Ein bemerkenswerter Erfolg, allerdings ausgehend von einem durchschnittlichen Monatslohn, der bei ungelernten ArbeiterInnen ca. 2.500 Rand (umgerechnet etwa 230 Euro) nicht übersteigt. Das ist zwar deutlich höher als in anderen Sektoren (beispielsweise in der Landwirtschaft), dafür werden aber in der Regel die zu leistenden Überstunden nicht bezahlt.

Ein »Bildungserlebnis«

Über die Streiks bei den Stadionbauten wurde auch in den österreichischen Medien berichtet - ein »Bildungserlebnis«, wie es der Wiener Sporthistoriker Gerald Hödl bezeichnet: »Die Information über Arbeitskämpfe in Südafrika hätte - wie in den Jahren zuvor - nie den Weg in unsere Zeitungen gefunden, hätten die Streiks nicht die zukünftigen Schauplätze des WM-Turniers betroffen.« Tatsächlich ist das Interesse der Medien an Südafrika seit der Beendigung des sog. Rassenkonflikts stark gesunken - was auch mit der Tatsache zusammenhängt, dass aus Afrika generell hauptsächlich Negativmeldungen berichtet (und erwartet) werden, positive Entwicklungen aber selten Eingang in die Schlagzeilen finden. Auch die Bedeutung des friedlichen Machtwechsels am Kap der guten Hoffnung im Jahr 1994 und des seit damals geleisteten gesellschaftspolitischen Aufbaus wird deshalb in der Regel unterschätzt.

Erste demokratische Wahl 1994

Nicht nur ist in Südafrika der von vielen prophezeite Bürgerkrieg nach Jahrzehnten der Diskriminierung der schwarzen Mehrheitsbevölkerung (»Apartheid« als afrikanische Form des Nationalsozialismus) ausgeblieben. Mit den ersten demokratischen Wahlen in der Geschichte des Landes im April 1994 und der Bildung einer Koalitionsregierung unter dem langjährigen politischen Häftling Nelson Mandela wurde stattdessen ein Prozess zur Errichtung einer »nicht-rassistischen« und »nicht-sexistischen« Demokratie in Gang gesetzt, der weltweit seinesgleichen sucht. Ausdruck dessen war Mandelas historische Versöhnungspolitik zwischen Schwarz und Weiß ebenso wie die von Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu geleitete Versöhnungskommission zur Aufarbeitung der schweren Menschenrechtsverbrechen der Apartheidepoche oder das Bestreben der neuen Regierung, an die Stelle der früher politisch geschürten Konflikte zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarben, Sprachen und Kulturen, Weltanschauungen und Religionen das Bekenntnis zu einer einheitlichen »südafrikanischen Nation« auf Basis der Menschlichkeit (»Ubuntu«) zu setzen. Ein politischer Prozess, der freilich nur gelingen kann, wenn er auch die Umwandlung der von der Rassendiskriminierung früherer Jahrzehnte geschaffenen ungleichen Besitz- und Vermögensverhältnisse einbezieht.
Die Rückgabe von seinerzeit beschlagnahmtem Grund und Boden an die ursprünglichen schwarzen BesitzerInnen (oder ihre Nachkommen) ist deshalb ebenso Verfassungsauftrag wie die bevorzugte Behandlung der früher aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen (»affirmative action«) oder die gesetzliche Umschichtung von privatem Aktienbesitz. Verbunden mit einer Bildungsreform hat all dies dazu geführt, dass die früher bestehende Gleichung von weiß = reich, und schwarz = arm im heutigen Südafrika nicht mehr gilt. Eine boomende, leider nicht immer auch sozial eingestellte schwarze Mittel- und Oberschicht hat sich ebenso herausgebildet wie sich die Gruppe der »armen Weißen« vergrößert hat.

Globalisierungsfalle

Der Verlust ihrer früheren, an die »richtige« Hautfarbe gekoppelten Privilegien wird von so manchen weißen SüdafrikanerInnen - nicht zuletzt auch von jenen europäischen bzw. österreichischen Einwanderern, die in den 1960er- und 1970er-Jahren genau wegen dieser Privilegien nach Südafrika ausgewandert sind - beklagt. Die wirklichen Probleme Südafrikas und seiner fast 45 Mio. EinwohnerInnen liegen allerdings woanders. Durch die rasche Öffnung der jahrzehntelang relativ abgeschotteten Volkswirtschaft ab Mitte der 1990er-Jahre hat das Land vermutlich eher die Nachteile als die Vorteile der ökonomischen Globalisierung zu spüren bekommen. Auch die wenig entwicklungsfreundlichen Bedingungen der EU im Bereich des Außenhandels haben das stark exportorientierte Südafrika nachhaltig enttäuscht.

Folgen der Finanzkrise

Steigende Arbeitslosigkeit, das Anhalten der Kriminalität und eine Verschärfung von Verteilungskonflikten sind die Folgen, derzeit noch verstärkt durch die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise, die das Land mit Verzögerung treffen. Kein Wunder, daß Südafrika deshalb im Rahmen der G-20, der es als eines der wirtschaftlich leistungsfähigsten Länder Afrikas angehört, für eine stärkere Kontrolle globaler wirtschaftlicher Institutionen und für mehr Schutz für schwächere Volkswirtschaften eintritt.

Weblinks
Dokumentations- und Kooperationszentrum Südliches Afrika:
www.sadocc.at

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