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Die Uni brennt Seit einigen Wochen protestieren Studierende gegen die mittlerweile unerträglichen Bedingungen, seien es die überfüllten Hörsäle, die bürokratischen Hürden oder der Lehrpersonalmangel, an der Universität Wien.

Die Uni brennt

Schwerpunkt

Studierende in ganz Österreich kämpfen für mehr Geld für Bildung und gegen Ausbeutung in allen Lebensbereichen.

Nur Chuck Norris studiert in Mindestzeit!« Im besetzten Auditorium Maximum, kurz Audimax, verweist ein Transparent auf die momentane Wahrscheinlichkeit, ein Studium in Mindestzeit zu schaffen. Seit einigen Wochen protestieren Studierende gegen die mittlerweile unerträglichen Bedingungen, seien es die überfüllten Hörsäle, die bürokratischen Hürden oder der Lehrpersonalmangel, an der Universität Wien. Patrick Prager ist seit der ersten Stunde dabei. »Zuerst war ich nur als Sanitäter eingesetzt, jetzt bin ich einer der Koordinatoren.« Er ist davon überzeugt, »dass Menschen demokratisch und gleichberechtigt gut kooperieren können. Das sehen wir hier seit drei Wochen. Und die, die den konservativen Status quo der alten Hierarchien beibehalten wollen, versuchen das zu sabotieren.«
Nach einigen Schrecksekunden, die Tage dauerten, kamen erste Reaktionen der politischen Öffentlichkeit auf die Audimax-Besetzung.

Haltet durch!

»Haltet durch, solidarisiert euch untereinander«, motivierte Sabine Oberhauser in einer kurzen Ansprache die Studierenden und erntete Jubel und Applaus. Die ÖGB-Vizepräsidentin betonte, dass die BesetzerInnen des Audimax »ein Vorbild für das, was jeder einzelne Mensch machen kann«, seien. Sie meinte weiter: »Wir können zeigen, was geht, wenn die Macht vom Volke ausgeht.«
Die protestierenden Studierenden erhielten auch Unterstützung von Hochschullehrergewerkschaft und PersonalvertreterInnen der Uni Wien. »Die Studierenden haben recht«, heißt es in einer Aussendung. Der Aufstand sei »nur noch eine Frage der Zeit gewesen«. Noch weiter geht der wissenschaftliche Betriebsrat der Universität Wien: Er ersuchte alle Bediensteten, die Forderungen der Studierenden mitzutragen und sie »bei ihren Protestaktionen zu unterstützen«.
Die GewerkschafterInnen unterstützen die Forderungen der Studierenden nach einer De-mokratisierung der Universitäten, genügend und attraktiven Arbeitsplätzen für Lehre und Forschung, leistungsfördernden Studienbedingungen, zeitgemäß ausgestatteten und vor allem ausreichend vielen Hörsälen, Seminarräumen und Labors sowie der Sicherstellung der Studierbarkeit in Mindeststudienzeit.
Wissenschaftsminister Johannes Hahn brauchte am längsten, um auf den Protest zu reagieren und verabschiedete sich dann lieber nach Brüssel. Eine noch von ihm angekündigte Dialogveranstaltung soll am 25. November unter dem Titel »Dialog Hochschulpartnerschaft« in der Aula der Wissenschaften in Wien stattfinden. Rund 50 VertreterInnen der verschiedensten Hochschulpartner werden dazu eingeladen. Seitens der Regierung wird neben Nochminister Hahn Unterrichtsministerin Claudia Schmied teilnehmen. Die protestierenden StudentInnen können VertreterInnen schicken. Währenddessen forderten die Grünen einen parlamentarischen »Gipfel«. In einem Brief an Nationalratspräsidentin Barbara Prammer sprach Bundessprecherin Eva Glawischnig von einem »Gebot der Stunde, seitens der Politik den Dialog mit den Studierenden zu suchen«.

Keine Überraschung

Dabei müsste es diese Überraschung über die Proteste gar nicht geben, denn bereits im Jänner dieses Jahres schrieb die Unikonferenz in einem offenen Brief an über 300.000 Personen, die unmittelbar betroffen sind: »Die uniko hat in den letzten Wochen und Monaten in den Medien mehrfach auf diese drohende Entwicklung hingewiesen und wird die Öffentlichkeit über diese, einer gedeihlichen Entwicklung der Universitäten zuwider laufende Haltung der Bundesregierung vorbehaltlos informieren. Wir fürchten aber, dass diese Information allein nicht ausreicht. Wir bitten Sie daher um Ihre aktive Unterstützung: Sprechen Sie auch selbst mit PolitikerInnen, EntscheidungsträgerInnen und JournalistInnen und zeigen Sie, dass die Finanzierung von Forschung und Lehre ein Anliegen aller Universitätsangehörigen ist, das überdies im Interesse der gesamten Volkswirtschaft, gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, liegt.«
Massive Kritik hagelt es auch seit Jahren von ExpertInnen am neuen Bologna-Studiensystem. Seit zehn Jahren werden europäische Universitäten auf das neue »Bologna-Studiensystem« mit den Abschlüssen Bachelor, Master und PhD (Doktorat) umgestellt. In Österreich werden mittlerweile rund 80 Prozent der Studien in dieser Form angeboten. Derzeit schließen die meisten nach dem Bachelor-Abschluss sofort ein Master-Studium an. Das Studium ist somit bis zum Abschluss einfach aufwendiger geworden. Der Philosoph Konrad Paul Liessmann, Professor an der Uni Wien, bezeichnete das neue Studiensystem als »starren Schematismus, der wie ein Schimmelpilz die europäischen Universitäten überzieht, mit aufgeblähten Verwaltungen, exzessiven Modularisierungen, überflüssigen Akkreditierungen, verwirrenden Zertifizierungen und zahllosen Reglementierungen«.

"Bologna ist wie Coca-Cola"

Liessmann, der sich im Audimax Fragen und Diskussionen der Studierenden stellte, sagte ferner, dass »der Bologna-Prozess, an seinen eigenen Kriterien gemessen, gescheitert ist. Weder begünstigt er Mobilität zwischen europäischen Universitäten, noch macht er das Studium besser und die Studienzeiten sind auch nicht verkürzt. Und für Bachelors siehts in der freien Wirtschaft auch nicht sehr rosig aus, sie werden als zweitrangige Absolventen wahrgenommen.« Patrick Prager, der seit drei Wochen im Audimax die Stellung hält, leitet den Bachelor historisch her: »Diese Bezeichnung bedeutet Fußritter oder auch Edelknecht. Nomen est omen. Das ist symptomatisch für den ganzen Bologna-Prozess. Unter dem Deckmantel der Reform wird aus Bildung Ausbildung, aus selber denken wird nachplappern. Bologna ist wie Coca-Cola: Das wurde dereinst ja auch als Medizin verkauft, heute wissen wir, dass es ganz im Gegenteil Zuckerwasser ist.«
Martin Haiden, ein Bachelor, mittlerweile bei einer überregionalen Tageszeitung als Onli-neredakteur tätig, findet, dass »diese Proteste auf jeden Fall zu unterstützen sind, denn es werden und wurden Versprechungen seitens der Regierungen nicht gehalten, es gibt viel zu wenig Personal, überfüllte Hörsäle und eine Gesprächsverweigerung seitens der Regierung, die scheinbar nicht gecheckt hat, dass die Uni eine Investition in die Zukunft ist«. Er findet es auch gut, wenn sich der ÖGB mit den Studierenden solidarisiert, »aber was tut der ÖGB eigentlich für all die Studierenden, die während des Studiums in prekären Jobs in einer Art Lohnsklaverei gehalten werden? Und ich kenne keinen Studierenden, der nebenher nicht noch ein, zwei Jobs macht, um über die Runden zu kommen. Und dann, mit dem Bachelor, geht das ganz unverändert weiter.« Auf die Zukunft der Universität angesprochen, findet er harte Worte. »Die Unipolitik ist kurzsichtig, zukunftsfeindlich, die wichtigste Ressource des Landes wird leichtfertig verspielt. Angeblich soll der Bachelor praxisnah sein, wie die FHs, ist aber de facto eine Abwertung. Der Bachelor ist gleich Matura plus ein Jahr Zeitung lesen. Aber was soll man von einer Regierung erwarten, deren Kanzler Numerus Klausel, statt Numerus Clausus sagt, und der Vizekanzler die Proteste als Aktionismus verunglimpft? Das spricht doch Bände ...«
Viele AbsolventInnen der Uni Wien haben oft Probleme, adäquate Jobs zu finden, dabei handelt es sich aber nicht nur um AbsolventInnen von sogenannten Orchideenfächern, sondern gerade um Studien wie Publizistik, die sich um gesteigerte Praxisorientierung bemühen.

Generation Praktikum

Ein Betroffener ist Frank Gerharter, einer der ersten Absolventen der neuen Studienordnung: »Es gibt immer jemanden, der billiger arbeitet, das heißt, die Arbeitgeber drücken den Lohn und die Arbeitsbedingungen. Man erledigt also als Praktikant um 500 Euro einen Vollzeitjob um 1.500 Euro ohne jegliche arbeitsrechtliche Versicherung. Und braucht noch einen Zweitjob, z. B. in der Gastronomie, um über die Runden zu kommen. Früher hieß der Magistertitel, dass man Meister seines Faches ist, während man sich heute die von der ›Wirtschaft‹ eingeforderten, extra zu bezahlenden, aber um nichts besseren als die früher von der Uni angebotenen, Zusatzqualifikationen wie Orden an die Brust heften muss.«

Weblink
Protesthomepage:
unsereuni.at

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