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Fristlos entlassen Salvatores Engagement wird noch intensiver. Er wird bedroht und 2007 wird er von der Werft abgezogen und in das Hafenbecken versetzt, obwohl er nachweislich unter Klaustrophobie leidet, muss er einen Monat unter Tage arbeiten.

Kampf um die Würde

Internationales

Auf der Werft Fincantieri in Sizilien kämpfen Arbeiter wie Salvatore Palumbo für Ge-sundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz. Er bezahlte mit seinem Job.

Palermo im Oktober 2009. Früher Abend am Hafen, lebhaftes Kommen und Gehen, die großen Fähren bereiten sich auf ihre Ausfahrt vor. Hier sind die Hallen und großen Kräne von Fincantieri, das größte italienische Schiffsbauunternehmen, zu 98 Prozent in Staatsbesitz, der Hauptsitz befindet sich in Triest. In ganz Italien gibt es Werften von Fincantieri: in Monfalcone, Marghera (Venedig), Genua, Ancona, Castellamare di Stabia (bei Neapel) und Palermo. Während die Kreuzfahrtwerften boomen - fast die Hälfte aller Kreuzfahrtschiffe weltweit werden von Fincantieri produziert - wird die Werft in Palermo seit den 1970er-Jahren immer mehr vernachlässigt. Wurden hier früher ganze Schiffe gebaut, entstehen heute nur noch Teile davon. In den 60er-Jahren arbeiteten noch 15.000 Menschen hier, in den 70er-Jahren 2.000, heute sind es nur noch 500, 700 arbeiten für diverse Zulieferfirmen.

Fristlos entlassen

Inmitten der Container und Lastwagen, die sich in eine der Fähren einschiffen, zeigt mir Salvatore Palumbo seinen ehemaligen Arbeitsplatz. Er ist Ende 30, Metallarbeiter von Beruf. Doch derzeit besteht seine Arbeit darin, wieder seine Anstellung bei Fincantieri zurückzubekommen. Am 30. August 2007 wurde er fristlos entlassen. Der offizielle Grund: Er hätte im Bereich des Werftbeckens, sein Arbeitsbereich, nicht gearbeitet, sondern sei »in flagranti« beim Angeln erwischt worden. Der wahre Grund: Seit seiner Einstellung bei Fincantieri im Jahr 2001 machte er unermüdlich und unerschrocken auf Sicherheitsmängel aufmerksam.

1.200 tödliche Arbeitsunfälle im Jahr

Er tat dies in einem Land, in dem in den vergangenen Jahren mehr als 1.200 Menschen jährlich durch Arbeitsunfälle ums Leben kamen (der Fall der sieben verunglückten Thyssen-Arbeiter im Dezember 2007 machte europaweit auf diese Zustände aufmerksam). Salvatore wuchs in einem Arbeitervorort von Palermo, Borgonovo, auf. Sein Vater arbeitete für das Fährunternehmen Tirrenia, oft war er nicht da. Sein Onkel Giuseppe, der Bruder seiner Mutter, wurde zu einer Art Ersatzvater. Salvatore war keine acht Jahre alt, als dieser geliebte Onkel bei der Arbeit ums Leben kam. Ein großer Schock. Salvatore erzählt ohne Pause, stringent und mitreissend. Schon im Kindergarten lernt er seine zukünftige Frau Angela kennen, als sie mit ihrer Familie in den Norden, nach Bologna, geht, folgt er ihr. Mit 17 geht er zum Militär nach Padua. Nach zwei Jahren beim Militär geht er zu Angela nach Bologna, er wird Facharbeiter, Metallarbeiter. Als er genügend Erfahrung hat, arbeitet er selbstständig. Er und Angela heiraten, der älteste Sohn wird geboren. Es geht ihnen gut in Bologna, seine Frau arbeitet für eine Wäschefirma, gemeinsam verdienen sie Ende der 90er-Jahre rund 3.500 Euro im Monat.
Doch das Heimweh nagt. Als sie nach Weihnachten wieder die Fähre in den Norden nehmen, meint er zu seine Frau, wie es denn wäre, hier am Hafen in der Werft zu arbeiten. Sie entscheiden zurückzukehren. 2001 bewirbt er sich bei Fincantieri Palermo und bekommt etwas zu hören, was im Süden Italiens (und nicht nur dort) zum traurigen Standard gehört: »Haben Sie eine Empfehlung?« Salvatore gibt nicht auf, er meldet den Zwischenfall bei der Zentrale des Unternehmens in Triest. Mit Erfolg, doch man fragt ihn auch, ob er denn tatsächlich in Palermo für Fincantieri arbeiten will, die Niederlassung dort sei auf dem absteigenden Ast.

Verheerende Hygienebedingungen

Trotzdem tritt Salvatore seine Arbeit an, zu groß ist der Wunsch, wieder nach Sizilien zu kommen. Die zwei jüngeren Söhne werden geboren. Nach und nach merkt er, worauf er sich eingelassen hat. »Beruflich und menschlich bin ich im Norden erwachsen geworden.« Schon nach 20 Tagen Arbeit bei Fincantieri macht er - zunächst anonym - auf untragbare Verhältnisse aufmerksam: Dort, wo der Schiffsrumpf gebaut wird, herrschen verheerende hygienische Verhältnisse. Theoretisch müssten die Toiletten jede Stunde gereinigt werden. Ein Subunternehmen ist dafür verantwortlich, doch seitdem Fincantieri diesem Unternehmen statt einer Mio. Euro nur noch 700.000 Euro jährlich zahlt, sind die Klos unbenutzbar - die menschlichen Bedürfnisse werden am oder nahe beim Arbeitsplatz erledigt. Die Gesundheit der Arbeiter leidet.
Neben mangelnder Hygiene gibt es viele Sicherheitsprobleme: Ungeeignete Leitern, Löt- und Malereiarbeiten werden ohne die notwendigen Absaugegeräte durchgeführt. Wenn sich ein Arbeiter verletzt, wird ihm nahegelegt, sich aus anderen Ursachen krank zu melden, damit die Sta-tistik geschönt werden kann.

Bedroht und versetzt

2002 explodiert eine Sauerstoffleitung, das schadhafte Teil der Leitung war nicht ersetzt worden, nur mangelhaft repariert. Ein Arbeiter wird schwer verletzt. Zwei Jahre danach stürzt Enzo, Salvatores Kollege und bester Freund, von einer Leiter und stirbt vor seinen Augen. Enzo war verheiratet, seine kleine Tochter war drei Monate alt, als er verunglückte. Salvatores Engagement wird noch intensiver. Er wird bedroht und 2007 wird er von der Werft abgezogen und in das Hafenbecken versetzt, obwohl er nachweislich unter Klaustrophobie leidet, muss er einen Monat unter Tage arbeiten.
Kurz darauf wird er fristlos gekün-digt. Er hatte die illegale Anwesenheit eines Fischerbootes angezeigt, die Betriebsleitung behauptet, er hätte statt zu arbeiten geangelt. Salvatore hat sogar den Beweis, dass er recht hat: wenige Tage später spürt er die Fischer auf, sie geben an, sich dort befunden zu haben. Als er mir seine Geschichte erzählt, zeigt er mir Dokumente und Fotos, die seine Version belegen. Auf den Fotos sind haarsträubende Dinge sind zu sehen, ungesicherte Starkstromkabel ganz nahe an kleinen Wasserpfützen. Kurz vor der Entlassung bietet ihm Fincantieri 25.000 Euro und eine Anstellung in Genua, er weigert sich. Er legt seine Beweise vor, bei einem »Versöhnungstermin« zwischen ihm und Fincantieri beim Arbeitsamt der Provinz Palermo erscheint kein Vertreter von Fincantieri. Das Gericht verhindert zudem die Anwendung des sog. Art. 700, der besagt, dass ein Arbeiter wieder angestellt wird, so lange um die Rechtmäßigkeit der Kündigung gestritten wird.
Salvatore gibt nicht auf. Gemeinsam mit einem Kollegen stellt er ein minutiöses Dossier zusammen, das die unsicheren Arbeitsbedingungen dokumentiert. In Kenntnis der lokalen Praxis des »Unter-den-Tisch-fallen-lassens« legen sie das Dossier zunächst der städtischen Polizei vor und lassen es sich bestätigen. Dann gehen sie zu den Carabinieri und später zur Gesundheitsbehörde. Um ein Zeichen zu setzen, steigt Salvatore im Juni 2008 auf die Säule, die zum Gedenken des von der Mafia ermordeten Staatsanwaltes Giovanni Falcone errichtet worden war. Kurz darauf führen die Behörden erfolgreich eine Razzia bei Fincantieri durch, viele der Sicherheitsmängel werden angezeigt.

Kein Arbeitslosengeld

Die Arbeitskollegen helfen Salvatore moralisch und finanziell, er erhält nämlich keinerlei Arbeitslosengeld. Ein halbes Jahr nach seiner Entlassung, im Dezember 2007, wird er Mitglied des »Rete nazionale per la sicurezza sui posti di lavoro« (Nationales Netzwerk für Sicherheit am Arbeitsplatz). Dieses Netzwerk versucht, Basisgewerkschaften, Betroffene, Hinterbliebenenverbände, lokale Netzwerke und Unterstützer, wie Intellektuelle und Journalisten, zusammenzuführen. Salvatore wird Vertreter für Sizilien.

Salvatore kämpft weiter

Es ist Abend geworden, Salvatore hat mir das Hafenbecken gezeigt, in dem er unter Tage arbeiten musste. Wir fahren beim Haupteingang der Werft vorbei, einige Arbeiter stehen davor, grüßen Salvatore, der Wärter drückt ein Auge zu, »ich habe Verständnis für euer Anliegen«. In den Seitenstraßen gibt es viele Graffitis, »Stellt Salvatore wieder ein«, »Padroni Assassini«.
Sein Kampf geht weiter. Im Sommer bietet ihm Fincantieri 40.000 Euro, damit er seinen Kampf um Wiedereinstellung aufgibt, er lehnt ab. Der Prozess um seine Wiedereinstellung geht erst am 18. Februar 2010 weiter.

Weblink
Solidaritätskampagne (italienisch):
retesicurezzalavorosicilia.blogspot.com/2009/05/campagna-di-solidarieta-al-lavoratore.html

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