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Sozialer Rückzug und sinkende Aktivität über längere Zeit können körperliche und psychische Probleme verursachen bzw. verstärken. Das Ganze ist ein Teufelskreis, der bei Menschen, die wegen einer Krankheit den Job verloren haben, besonders deutlich ist. Sozialer Rückzug und sinkende Aktivität über längere Zeit können körperliche und psychische Probleme verursachen bzw. verstärken. Das Ganze ist ein Teufelskreis, der bei Menschen, die wegen einer Krankheit den Job verloren haben, besonders deutlich ist.

Krank und antriebslos?

Schwerpunkt

Erwerbslosigkeit kann die Gesundheit gefährden, psychische und körperliche Probleme nehmen deutlich zu. Einzelne Projekte helfen, greifen aber zu kurz.

Jobverlust ist für viele - unabhängig von ihrer Arbeitseinstellung - erst mal ein Schock. Hinzu kommt später meist Geldmangel, der irgendwann dazu führt, dass man mit Freunden und Bekannten nicht mehr mithalten kann, das Gefühl, irgendwas falsch zu machen oder nicht mehr gebraucht zu werden. Das sind nur einige der unangenehmen Aspekte von Arbeitslosigkeit. Und was kränkt, das macht irgendwann krank.

Scham macht krank

Die Liste lässt sich fortsetzen, die gesellschaftliche Stigmatisierung von Arbeitslosigkeit - eigentlich Erwerbslosigkeit - macht alles noch schlimmer. Viele Betroffene schämen sich. Dieser Stress führt unter anderem dazu, dass Erwerbslose mehr als doppelt so häufig an psychischen Störungen leiden wie Erwerbstätige. Nach einer Studie der Europäischen Kommission bestehen in fast allen EU-Ländern und den USA signifikante Zusammenhänge zwischen Arbeitslosigkeit und erhöhter Herz-Kreislauf-Mortalität sowie Suizidraten. Die Frage, ob diese Zahlen dadurch entstehen, dass so mancher eben aus gesundheitlichen Gründen arbeitslos wurde, ist mit Hilfe entsprechender Studien geklärt: Erwerbslosigkeit ist ein Risikofaktor. Wie stark die Belastung tatsächlich ist, wurde unter anderem an der Arbeitsmedizinischen Ambulanz der MedUni Wien vier Jahre hindurch an mehr als 300 Jobsuchenden (darunter zwei Drittel Langzeitarbeitslose) untersucht. Es zeigte sich, dass bereits nach sechs Monaten Erwerbslosigkeit der Alkoholkonsum drastisch zunimmt, Blutdruck und Gewicht unabhängig von Alter und Geschlecht ansteigen, während die körperliche Leistungsfähigkeit sinkt. Der Stress-Indikator Cortisol im Blut stieg im Laufe des Untersuchungszeitraums deutlich an. Dr. Evelyne Wohlschläger, Co-Autorin der Untersuchung: »Vielfach fördert Arbeitslosigkeit die Ausprägung von Konfliktmustern, die ohne aktive und professionelle Intervention von den Betroffenen nur sehr schwer zu durchbrechen sind.«
Frustration und Resignation führen zu Veränderungen im Ernährungs- und Bewegungsverhalten, Aktivitäten werden eingeschränkt. So sind 43 Prozent der weiblichen Erwerbstätigen körperlich aktiv, aber nur 29 Prozent der erwerbslosen Frauen. Bei den Männern ist dieser Effekt weniger ausgeprägt. Sozialer Rückzug und sinkende Aktivität über längere Zeit können körperliche und psychische Probleme verursachen bzw. verstärken. Das Ganze ist ein Teufelskreis, der bei Menschen, die wegen einer Krankheit den Job verloren haben, besonders deutlich ist.

Messbare Erfolge

Mit einem speziellen Interventionsprogramm wurde versucht, den Belastungen durch die Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken: körperliches Training dreimal pro Woche, Ernährungs- und Suchtberatung, Coaching mit Potenzialanalyse etc. Nach drei Monaten war der Blutdruck bei allen Belastungsstufen in der Interventionsgruppe deutlich niedriger als in der Kontrollgruppe. 95 Prozent fühlten sich besser als vorher, der Medikamentenverbrauch sank. Acht Monate danach hatten die Teilnehmer des Gesundheitsprogramms dreimal häufiger eine neue Anstellung gefunden als die Personen der Vergleichsgruppe.

Projekt (F)itworks

Ähnlich gute Erfolge verzeichnete ein zweijähriges Modellprojekt zur Gesundheitsförderung Arbeitssuchender mit rund 1.000 TeilnehmerInnen der Schulungsgruppen der Personalservice GmbH itworks (gemeinnützige Arbeitskräfteüberlassung).
Das Projekt (F)itworks startete 2007 in Zusammenarbeit mit dem AMS, der Wiener Gebietskrankenkasse und einigen Gesundheitseinrichtungen. Gesundheitskurse und -sprechstunden, Gesundheitstage mit Schnupperangeboten kamen bei der Mehrzahl der TeilnehmerInnen sehr gut an. Vor dem Projekt hatten 70 Prozent der Männer und 84 Prozent der Frauen körperliche (z. B. Kopf- oder Kreuzschmerzen) oder psychische Probleme (Schlaflosigkeit, Unruhe, Depressionen). Danach fühlte sich die Mehrheit ausgeglichener, weniger verspannt, Probleme wie Kreuzschmerzen waren deutlich reduziert. 91,4 Prozent der anonym Befragten bezeichneten die Gesundheitskurse als sehr gut. Itworks plant, einen Großteil der Angebote weiterzuführen.
In einer großen Metaanalyse über die psychosozialen Folgen von Arbeitslosigkeit haben Wissenschafter der Universität Erlangen-Nürnberg festgestellt, dass nach rund neun Monaten ohne Job das Maximum der Belastung erreicht ist. Danach setzt häufig eine Verbesserung und Stabilisierung ein. Über die Auswirkungen von Erwerbslosigkeit über mehr als 2,5 Jahre, wo sich auch bei finanziell besser Gestellten der Geldmangel bemerkbar machen dürfte, gibt es noch zu wenig Datenmaterial. Wie man nach dem ersten Schock über den Jobverlust mit der neuen Situation umgeht, ist von entscheidender Bedeutung. Wem es gelingt, das Mehr an Zeit positiv zu nützen, der wird in jeder Hinsicht weniger Probleme haben. Mag. Maria Hintersteiner untersuchte in ihrer Diplomarbeit1 die Lebensgestaltung Erwerbsloser.

Die Arbeitslosen von Marienthal

Weltbekannt ist die 1933 entstandene Erhebung von Marie Jahoda, Hans Zeisel und Paul Lazarsfeld »Die Arbeitslosen von Marienthal«. Betroffene konnten das Übermaß an freier Zeit nicht nützen, alles verlangsamte sich, das Interesse an Kultur, Politik und gemeinsamen Aktivitäten ging deutlich zurück. Dieses überwiegend triste Bild war vermutlich schon damals nicht wirklich repräsentativ. Denn - so gaben auch Jahoda und Lazarsfeld zu bedenken - die aktiven, positiver eingestellten Menschen hatten wahrscheinlich schon davor mit der ersten Auswanderungswelle den Ort verlassen. Dementsprechend fand Maria Hintersteiner in ihrer aktuellen Arbeit, dass Menschen ganz unterschiedlich mit Erwerbslosigkeit umgehen. Rund ein Drittel beginnt relativ rasch, die gewonnene Zeit zu nutzen, ja sogar zu genießen. Sie engagieren sich sozial, kulturell oder politisch, werden künstlerisch tätig etc. Die zweite Gruppe versucht, die positiven Seiten zu sehen, setzt aber den Fokus auf Jobsuche und Weiterbildung. Der Rest ist voll auf die Erwerbsarbeit konzentriert, fühlt sich für die Arbeitslosigkeit verantwortlich und sucht verzweifelt nach einem Job. Hier stimmt der Eindruck mit den Ergebnissen der Metaanalyse der Uni Erlangen überein: Am meisten leiden jene, für die Arbeit einen besonders hohen Wert hatte.
Phasen der Depression oder Untätigkeit kommen zwar immer wieder vor. »Während der Arbeitslosigkeit war mein Haushalt unordentlicher als je zuvor«, ist nur eines der typischen Zitate. Doch es ist keineswegs unausweichlich, dass Erwerbslose krank, übergewichtig, depressiv und antriebslos werden. Dass der Tagesablauf nur durch Fernsehen und Essen strukturiert wird, ist nicht unbedingt typisch. Für diese Gruppe der Erwerbslosen wären Gesundheitsprogramme unter Mitwirkung des AMS, die derzeit nur punktuell durchgeführt werden, sicher hilfreich.

Erwerbslosigkeit als Chance

Schon Marie Jahoda hat festgestellt, dass Erwerbsarbeit neben dem Einkommen auch sogenannte latente Funktionen hat. Zeitstruktur, Sozialkontakte, Teilhabe an kollektiven Zielen, Status und Identität, regelmäßige Aktivität zählen dazu. Sozialkontakte werden aus Geldmangel weniger, viele haben das Gefühl, über ihre aktuelle Situation mit erwerbstätigen Freunden und Bekannten nicht wirklich reden zu können. Zusätzlich wird vor allem Langzeitarbeitslosen von AMS & Co. immer wieder vermittelt, dass sie sich nur mehr bemühen müssten, um wieder dazuzugehören. Aber wem es gelingt, neue Kontakte zu knüpfen, Wertschätzung zu erleben, neue Ziele zu finden - kurz, wer sich weiter als wertvolles Mitglied der Gesellschaft betrachten kann, für den kann Erwerbslosigkeit auch eine Chance sein.

Begriff Arbeit überdenken

Last but not least wäre es - auch angesichts sinkender Beschäftigungszahlen - erstrebenswert, den Begriff Arbeit neu zu überdenken, der Stigmatisierung Erwerbsloser als Tachinierer, Unfähige, Unzulängliche entgegenzuwirken.

Weblink
Weitere Infos unter:
www.oesb.at/2432.0.html

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1 Erfahrungshorizonte bei Tätigkeiten Erwerbsarbeitsloser unter Einschluss von Muße

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