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Wohin fließem Mittel der Arbeitslosenversicherung?

Abhängig vom AMS

Schwerpunkt

Kürzungen der Sozialleistungen, wie sie manche gerne möchten, wären konjunktur- und sozialpolitisch unverantwortlich.

Arbeit ist der Umweg zu allen Genüssen« - dieses Zitat wird Willy Brandt (1913-1992) nachgesagt. Zu den Genüssen würden viele Menschen gerne gehen, können aber angesichts der aktuellen Wirtschaftslage, geringer Qualifikation, mangelnder Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder anderer Hindernisse diesen »Umweg« nicht beschreiten. Arbeitslosigkeit stellt heute kein Randgruppenphänomen dar, sondern ist für österreichische Verhältnisse zum Massenphänomen geworden und wird dies auch in den kommenden Jahren bleiben. Diese These wird durch folgende Kennzahlen belegt:

  • Fast 800.000 Personen sind pro Jahr zumindest einen Tag arbeitslos gemeldet,
  • die Register-Arbeitslosigkeit wird im Jahresdurchschnitt von 212.300 (2008) auf 302.700 (2010) steigen (vgl. WIFO-Prognose),
  • nur bei einem realen Wirtschaftswachstum von mehr als plus 2,5 Prozent sinkt die Arbeitslosigkeit, d. h. bei den aktuellen Prognosen für 2009 (minus 3,4 Prozent) und 2010 (plus ein Prozent) ist also eine noch drastischere Situation am Arbeitsmarkt absehbar.

Dass es sich bei der »Register-Arbeitslosigkeit« nicht um das tatsächliche Ausmaß der Arbeitslosigkeit handelt, ist bekannt - mit den geläufigen AMS-Zahlen werden ausschließlich jene Personen erfasst, die sich auch beim AMS gemeldet haben. Die »Reservearmee« der Arbeitslosen müsste u. a. um SchulungsteilnehmerInnen, PensionsvorschussbezieherInnen, Arbeitslose im Krankenstand etc. erweitert werden, um das »zusätzliche« Arbeitskräfteangebot abzuschätzen, dem derzeit keine (existenzsichernden) Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Es stellt sich somit die Frage, ob die Arbeitslosenversicherung (ALV) der Herausforderung gewachsen ist, der steigenden Zahl an arbeitssuchenden Personen z. B. durch Qualifizierungsmaßnahmen eine neue Perspektive für den Arbeitsmarkt zu geben, ohne dass arbeitslose Personen der »Armutsfalle« ausgeliefert werden. Die Problemlage des AMS ist augenscheinlich: Sinkende Beitragsleistungen stehen stark steigenden Ausgaben gegenüber. Die ALV ist vorwiegend (ca. 90 Prozent) über Beiträge finanziert, der Rest wird aus dem allgemeinen Budget abgedeckt.
Aus der aktuellen WIFO-Studie »Umverteilung durch den Staat in Österreich« (9/09) geht eindeutig hervor, dass die Leistungen der Arbeitslosenversicherung eine hohe Umverteilungswirkung zugunsten von einkommensschwächeren Haushalten aufweisen. Demnach fließen über 80 Prozent der »passiven« Leistungen (Arbeitslosengeld und Notstandshilfe) und »aktiven« Aufwendungen (u. a. Qualifizierungen, Beschäftigungsförderung) aus der ALV in das unterste Einkommensdrittel. Insgesamt sind 60 Prozent der Haushalte »Nettoempfänger« , d. h. die in Anspruch genommenen Leistungen übersteigen die Beitragsleistungen. Somit kann die ALV als »progressivste« Versicherungsleistung gesehen werden, die für die einkommensschwächsten Haushalte eine wesentliche und oft die einzige Existenzgrundlage darstellt.
Die Ergebnisse der WIFO-Studie wie auch aktuellere Berechnungen mit AMS-Daten bestätigen, dass die wesentlichsten Geldleistungen der Arbeitslosenversicherung, nämlich Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, seit Jahren in ihrem realen Wert verlieren. Die inflationsbereinigten Verluste zwischen 2000 und 2008 belaufen sich auf minus fünf Prozent beim durchschnittlichen Arbeitslosengeld und sogar auf minus acht Prozent bei der Notstandshilfe. Die wesentlichen Gründe für diesen Rückgang sind dabei v. a. die Entwicklung der Einkommen und jene im Leistungsrecht:

  • Steigende Teilzeitbeschäftigung, gestiegener Einkommensdruck auf geringer Qualifizierte und steigende Arbeitslosigkeit haben die Entwicklung der einkommensabhängigen Bemessungsgrundlagen negativ beeinflusst.
  • Trotz einer Ausweitung des BezieherInnenkreises in der Arbeitslosenversicherung dominieren seit Beginn der 1990er-Jahre materiellrechtliche Leistungsverschlechterungen (z. B. Senkung der Nettoersatzrate, Erhöhung der Mindestbeschäftigungszeit für eine neue Anwartschaft).

Angesichts eines durchschnittlichen Arbeitslosengeldes (ALG) in der Höhe von 773 Euro und eines durchschnittlichen Notstandshilfebezugs (NH) von 596 Euro von einer »sozialen Hängematte« zu sprechen, kommt einer Verhöhnung der Betroffenen und einer Verharmlosung des sozialen Konfliktpotenzials gleich.
Gerade die deutlich niedrigeren Leistungsniveaus (2008) der Frauen (ALG = 690 EUR; NH = 520 EUR) sind Ausdruck einer nach wie vor schlechten Vereinbarkeit von Beruf und Familie - die sich v. a. in einem sehr hohen Anteil an Teilzeitbeschäftigungen niederschlägt - wie auch einer mittelbaren Diskriminierung durch das Leistungsrecht (»Anrechnung des Partnereinkommens«). Das Verarmungsrisiko von Frauen liegt damit deutlich höher als jenes der Männer.
Nicht nur aus einer Individualperspektive sind die Leistungen aus der ALV von besonderer Bedeutung. Makroökonomisch spielen das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe gerade in Krisenzeiten als »automatische Stabilisatoren« eine tragende Rolle, indem sie einen wertvollen Beitrag leisten, die Konsumausgaben der privaten Haushalte auf einem möglichst stabilen Niveau zu halten. Während Exporte und Investitionen aktuell im zweistelligen Bereich wegbrechen, verhindern die Konsumausgaben einen noch drastischeren Wirtschaftsabschwung. Thesen, dass Sozialleistungen oft eine »Brückenfunktion« zwischen verschiedenen Lebenssituationen oder Lebensabschnitten haben, sind bekannt. Dass Sozialleistungen »tragende« gesellschaftliche und ökonomische »Säulen« darstellen, wird in Diskussionen oft elegant ignoriert!

Neue ökonomische Theorie

Verfolgt man den wissenschaftlichen Diskurs zur »idealen« Höhe der Arbeitslosenunterstützung sowie des erfolgreichen Designs von Arbeitsmarktpolitik, so fällt auf, dass auch hier traditionelle Paradigmen aufzubrechen scheinen. Empirisch können die »traditionell« formulierten mikroökonomischen Vorbehalte gegen eine großzügigere Ausgestaltung des Leistungsrechts im Rahmen der ALV, die zu niedrigerer Beschäftigung und niedrigerem Wirtschaftswachstum führen würden, nicht ausreichend belegt werden. Im Gegenteil: Es ist theoretisch und praktisch sogar belegbar, dass höhere passive Leistungen zu einem besseren »Matching« von Arbeitsangebot und -nachfrage beitragen können und damit Produktivität und Wachstum fördern.

Resümee
Angesichts der steigenden Betroffenheit von Arbeitslosigkeit sind zunehmend mehr Haushalte von Leistungen des AMS abhängig. Eventuelle Kürzungen dieser (Sozial-)Leistungen treffen daher in der Regel Haushalte mit niedrigem Einkommen unverhältnismäßig stark. Das wäre nicht nur konjunkturpolitisch falsch, sondern sozialpolitisch absolut unverantwortlich. Unmittelbare Leistungsverbesserungen scheinen insbesondere im Bereich der Notstandshilfe unumgänglich zu sein. Die steigende Zahl der NotstandshilfebezieherInnen als Indikator für sich verfestigende Arbeitslosigkeit in Kombination mit niedrigen Leistungsniveaus müssen endlich als ökonomisches und gesellschaftliches Warnsignal wahrgenommen werden.

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Weblink
Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung:
www.wifo.at

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