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Und dieses permanente Wachstum, das wir auf Kosten der Ärmeren aufbauen, zerstört die Welt in der wir leben. Die Natur hält das was wir tun nicht mehr aus. Da müssen wir radikal umdenken. Nur Wachstum kann nicht funktionieren. Und dieses permanente Wachstum, das wir auf Kosten der Ärmeren aufbauen, zerstört die Welt in der wir leben. Die Natur hält das was wir tun nicht mehr aus. Da müssen wir radikal umdenken. Nur Wachstum kann nicht funktionieren.

Immer mehr von allem

Interview

Der Träger des alternativen Nobelpreises Manfred A. Max-Neef über die Grenzen des Wachstums und nachhaltigeres Wirtschaften.

Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Manfred A. Max-Neef
geboren am 16. Oktober 1932 in Valparaíso ist ein chilenischer Ökonom deutscher Herkunft.
Max-Neef studierte an der Universidad de Chile (Santiago de Chile); er erwarb Abschlüsse als Wirtschaftsingenieur, in Entwicklungsökonomie und in Wirtschaftswissenschaften.
Anschließend arbeitete er für den Ölkonzern Shell.
1957 wandte er sich von der Industrie ab und den Problemen der Armen in der Dritten Welt zu. Er arbeitete für UN-Organisationen und lehrte u. a. an der University of California, Berkeley.
1981 gründete er die Organisation CEPAUR (Centro de Estudio y Promoción de Asuntos Urbanos).
1983 bekam er den Alternativen Nobelpreis.
1993 kandidierte er als Präsidentschaftskandidat von Chile und erreichte mit 5,55 Prozent den vierten Platz. Heute ist er Professor an der Universidad Austral de Chile in Valdivia (Chile), deren Rektor er 1993-2001 war.
Seit dem Mai 2007 ist er außerdem offizielles Ratsmitglied im World Future Council und setzt sich für die Rechte zu-künftiger Generationen ein.

Manfred Max-Neef war auf Einladung der Fachgruppe UBIT der Wirtschaftskammer in Wien und sprach über ein nachhaltiges und solidarisches Wirtschaftssystem nach der Krise. Arbeit&Wirtschaft hat mit ihm in Wien gesprochen.

Arbeit&Wirtschaft: Herr Prof. Max-Neef, Sie sprechen von einer Krise der Menschheit, während alle Welt von einer Finanzkrise redet und erfreut ist, dass sich die Börsen schon wieder erholen.

Manfred Max-Neef: Es muss uns klar sein, dass es noch nie in der Menschheitsgeschichte eine solche Anzahl an Krisen gab, die gleichzeitig ihrem Höhepunkt zustreben. Das sind die Klimakrise, die Energiekrise, eine Krise was die Schlüsselressourcen des Menschen wie Wasser, Luft, genetische Vielfalt, saubere Böden etc. angeht und nicht zuletzt die Tatsache, dass eine gigantische Spekulationsblase - 50-mal größer als die Realwirtschaft - sich aufgebaut hat und zu platzen droht.

Was sind die Wurzeln dieser Entwicklung?

Das ist zum einen das dominierende Paradigma, das schnelles wirtschaftliches Wachstum um jeden Preis propagiert - das fördert die Gier. Dazu kommt, dass wir seit Jahrzehnten die fossilen Ressourcen völlig unkontrolliert nutzen und damit ein unkontrolliertes wirtschaftliches Wachstum »füttern«.
Außerdem wird den Menschen seit langem eingeredet, Konsumerismus wäre der Weg zum kollektiven Glück der Menschheit. Dabei bleiben traditionelle Kulturen, Werte, Sprachen auf der Strecke, dafür wird ein »traditionelles ökonomisches Modell« eingeführt, das die Werte der dominanten Kultur unterstützt.
Darüber hinaus werden die Grenzen der Ressourcen von denen, die davon profitieren, einfach negiert. Aber auch die Grenzen dessen, was unsere Welt an Verschmutzung und Müllaufkommen ertragen kann werden nicht wahrgenom-men. Zuallerletzt: die mögliche Überbevölkerung. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass wir mehr werden, als die Erde ertragen kann. Schon jetzt verbrauchen wir 1,3 Erden, obwohl wir nur eine haben.

Wie wird diese Entwicklung weitergehen, wenn wir nicht einen anderen Weg gehen? Und wer wird am Schluss die Rechnung zahlen?

Die Klimaerwärmung wird uns durch das Steigen des Meeresspiegels und zunehmendes Wachstum der ariden Wüstengebiete viel produktives Land kosten. Land, auf dem hochwertige Nahrung produziert wurde. In den ärmeren Ländern wird das auch große soziale Probleme schaffen, durch massive Flüchtlingsströme, die aus den überfluteten Gebieten auswandern müssen. Die Ausbeutung von billigem Öl und Gas hat eine direkte Auswirkung auf die gesamte Welt: Wir sind daran gewöhnt, Autos, Plastik, chemische Produkte etc. ohne Überlegungen zu konsumieren. Das wurzelt in der Annahme, dass diese billige Energie ewig verfügbar sein wird.
Es werden aber neben Energie und Erdöl auch (und vor allem) sauberes Wasser, Wälder, landwirtschaftlich nutzbare Böden und Biodiversität extrem abnehmen. Wenn wir so weiter tun wie bisher, müssen wir damit rechnen, 50 Prozent der Pflanzen und Tiere auf der Welt für immer zu verlieren. Hier gegenzusteuern wird eine riesen Herausforderung für die Menschheit. Die Sache steht schlimmer als die meisten glauben.

Warum tut aber kaum jemand etwas dagegen?

Der Grund dafür ist die menschliche Dummheit: »Ich handle so, wie ich genau weiß, dass ich nicht handeln soll.« Man muss das Paradigma in der Wirtschaft völlig ändern. Man muss in der Wirtschaft eine Entwicklung machen, wie sie auch in anderen Bereichen längst gemacht worden ist. Die Ökonomie ist die einzige »Wissenschaft«, die mit Para-digmen aus dem 19. Jahrhundert arbeitet. Die neoklassische Ökonomie ist im 19. Jahrhundert stehen geblieben und unsere Politiker und die Manager arbeiten noch immer damit. Das ist verrückt!
Es herrscht immer noch - zumeist unwidersprochen - die Meinung, dass Wachstum der Schlüssel zur Lösung aller Probleme ist. Weil sich kaum jemand zu sagen traut, dass permanentes Wachstum in einer endlichen Welt unmöglich ist.
Aber es tut sich schon etwas: Unter den Politikern kaum, da habe ich die Hoffnung schon aufgegeben. Aber in der Zivilgesellschaft haben das schon sehr viele begriffen und agieren dementsprechend. Aber auch viele Unternehmer haben gesehen: Wer sich gut benimmt, kann trotzdem gute Geschäfte machen. Da sind viele schon auf dem richtigen Weg.

Was halten sie für die schlimmsten Auswüchse unseres Wirtschaftssystems neben der ökologischen Krise?

Nehmen sie ein Beispiel: Glauben sie im Ernst, dass es notwendig ist, 250.000 verschiedene Shampoos zu haben, glauben sie nicht, dass es reichen würde, wenn wir nur 30.000 hätten? Wäre die Welt schlechter? So wie wir wirtschaften ist das nicht nachhaltig - dieses Modell der Wirtschaft kann nur existieren mit permanenten Wachstum.
Und dieses permanente Wachstum, das wir auf Kosten der Ärmeren aufbauen, zerstört die Welt in der wir leben. Die Natur hält das was wir tun nicht mehr aus. Da müssen wir radikal umdenken. Nur Wachstum kann nicht funktionieren.

Aber ohne Wachstum wird es keine neuen Arbeitsplätze geben, wird uns eingebläut?

Wir haben heute mehr Sklaven als zur Zeit der Sklaverei und ein Großteil davon sind Kinder. Die Leute haben eine wirklich miserable Arbeit. Wir brauchen wieder mehr regionale Produkte und Produktion zu fairen Bedingungen. Die Arbeit geht uns nicht aus. Es ist nur eine Frage, wo man die Anstrengungen unternimmt etwas zu ändern. Schauen sie sich die verrückten Bankenrettungspakete an, die weltweit geschnürt wurden. Mit dem Geld könnte man leicht 566 Jahre eine Welt ohne Hunger garantieren. Das Geld war vorher nicht da, weil auf allen internationalen Konferenzen zur Bekämpfung des Hungers und der Armut auf der Welt hieß es: Da haben wir kein Geld dafür.
Und über Nacht war das Geld für die Banken da, und im nächsten Augenblick war es verschwunden - aber nicht um den Hunger zu bekämpfen.
Es gibt einige Mythen, die verhindern, dass es ein anderes, ein nachhaltigeres und ökologisch verträgliches Wirtschaf-ten gibt: Der erste Mythos ist der, dass Globalisierung der einzige wirksame Weg für die Entwicklung der ärmeren Länder ist. Die Länder - wie Südkorea und Taiwan -, die uns heute oft als Vorbilder und Beweis für diesen Mythos vorgehalten werden, die haben ihre wirtschaftliche Entwicklung und Vormachtstellung in der Region durch Handelsschranken, verstaatlichte Banken und die Verletzung von Patenten und Copyrights erreicht. Heute könnte kein Staat der Welt eine solche Entwicklung durchmachen, ohne zahlreiche Regelungen der WTO schwer zu verletzen.
Ein weiterer Mythos ist: Eine stärkere Integration der Weltwirtschaft ist gut für die Ärmeren. Ärmere Länder müssen sich an eine Unmenge von Regeln halten, die ihnen von internationalen Organisationen diktiert werden. Einer der stärksten Mythen ist der vom freien Welthandel. Wettbewerb wäre der effektivste Weg, eine prosperiende Welt zu erschaffen, tönen die sogenannten Experten. Und wer an dieser These zweifelt, macht sich der Häresie schuldig. Der freie Welthandel macht zwar da und dort Konsumgüter billiger, aber um den Preis enormer sozialer und ökologischer Kosten.

Die Globalisierung ist also nicht der richtige Weg, einen Ausgleich zwischen Arm und Reich auf der Welt zu schaffen?

Nein. Da sind wir gleich bei einem weiteren Glaubenssatz der heute dominierenden Wirtschaftslehre, der besagt, mehr Globalisierung schafft mehr Jobs. Die ILO (International Labor Organisation) hat 150 Millionen Arbeitslose auf der Welt und über eine Milliarde Unterbeschäftigte für das Jahr 2000 ermittelt. Das ist immerhin ein Drittel aller mögli-chen Arbeitskräfte.
Und dann gibt es noch einen fünften Mythos: Den von der demokratischen und verantwortungsvollen Organisation namens WTO (World Trade Organisation). Viele der Entscheidungen, die hinter verschlossenen Türen in Genf getroffen werden, betreffen Dinge wie Gentechnik, Umweltschutz, aber auch Arbeitsbedingungen. So hat die WTO zum Beispiel keine Regeln betreffend Kinderarbeit. Alles, was sie im Auge hat, ist der Vorteil der Unternehmen. Und lassen sie mich noch den letzten Mythos ansprechen: »den von der Unumkehrbarkeit der Globalisierung«. Natürlich sind Alternativen zum derzeitigen Wirtschaftssystem möglich. Alles, was durch politische Entscheidungen zustande ge-kommen ist, ist auch reversibel.

Aber es muss doch Wachstum geben, um eine positive Entwicklung zu garantieren?

Ich frage sie: Wachsen sie noch? Sie schütteln den Kopf. Aber sie entwickeln sich doch noch? Sehen Sie! Und genau so muss es in der Wirtschaft auch sein: Es geht nicht um Wachstum, sondern um Entwicklung.
Und wenn wir von Entwicklung sprechen, dann sprechen wir von Qualität und nicht von Quantität. Und ich habe fünf Leitsätze definiert, nach denen eine nachhaltigere Wirtschaft möglich ist:
1. Die Wirtschaft hat den Menschen zu dienen und nicht umgekehrt.
2. Entwicklung dreht sich um den Menschen und nicht um Dinge.
3. Wachstum ist nicht dasselbe wie Entwicklung, und Entwicklung braucht nicht notwendigerweise Wachstum.
4. Wirtschaft ist nicht möglich ohne natürliche Ressourcen.
5. Die Ökonomie ist ein Sub-System eines größeren und endlichen Systems, der Biosphere. Daher ist ein permanentes Wachstum unmöglich.

Wie also kann ein neues Wirtschaftssystem aussehen, und welchen Regeln muss es folgen, damit es funktioniert und das für alle Menschen auf der Welt?

Die Eingrenzung der Geldflüsse, also das Gegenteil des grenzenlosen Geldverkehrs ist ein wichtiger Punkt. Wenn Geld lokal zirkuliert - an dem Ort an dem es »entstanden« ist, dann, das belegen Studien und ökonomische Modelle beweisen es, kann es einen Boom der kleinen Unternehmen schaffen. Und das schafft Arbeitsplätze.
Lokale Produktion und regionale Wirtschaft fördern - wo immer das möglich ist -, das bringt den Konsum näher an den Markt und verhindert so ökologische Mehrkosten. Die lokale Wirtschaft soll beschützt werden durch Zölle und Kontingente, ökologische Steuern auf Energieverbrauch, Verschmutzung und andere »negative« Auswirkungen.

Sie haben in ihren Arbeiten den sogenanten Kipppunkt entwickelt und erklärt. Was hat das mit dem Wirtschaftswachstum zu tun?

Die These vom Kipppunkt haben wir in vielen Ländern, auch in Österreich erforscht. Was wird zur Messung von wirtschaftlicher Leistung herangezogen? Das BIP. Hierbei wird alles addiert - aber nichts wird abgezogen, nicht die Umweltverschmutzung, nicht der Stress, nicht das Leid, das durch Kinderarbeit entsteht ..Wir haben ein System entwickelt, wo die positiven Auswirkungen addiert und die negativen abgezogen werden. So bekommt man ein genaueres Bild, denn ab einem bestimmten Punkt braucht man mehr Energie, um Probleme zu lösen, die durch das Wachstum entstanden sind.

Das heißt, unser Wachstum schafft Probleme, die wir mit noch mehr Wachstum versuchen zu lösen?

Ja, der Kipppunkt in Österreich war so in den frühen Achtzigerjahren erreicht. Bis dahin ging es, auch im Gefühl der Menschen, immer aufwärts; und seitdem stagniert das »Glücksgefühl« oder nimmt sogar leicht ab. Und das, obwohl die Wirtschaft immer schneller wächst. Kaum jemand würde heute sein Kind allein in die Volksschule laufen lassen, zu viel Verkehr macht das in den Städten unmöglich und auch am Land wird es immer weniger möglich, Kinder ein-fach loszuschicken. Die Menschen müssen immer mehr arbeiten, um die Folgen des Wachstums im Griff zu behalten und das macht Stress und vermindert auch das Glücksgefühl.

Wir danken für das Gespräch.

Weblink
Wikipedia über Manfred A. Max-Neef:
de.wikipedia.org/wiki/Manfred_Max-Neef

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