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Die slowenischen Gewerkschaften haben sowohl ihren gesellschaftlichen Einfluss eindrucksvoll unter Beweis gestellt, als auch ihren unmittelbaren politischen Einfluss auf gesamtwirtschaftliche Entwicklungen. Die slowenischen Gewerkschaften haben sowohl ihren gesellschaftlichen Einfluss eindrucksvoll unter Beweis gestellt, als auch ihren unmittelbaren politischen Einfluss auf gesamtwirtschaftliche Entwicklungen.

Slowenien

Internationales

Die günstige wirtschaftliche Entwicklung unserer Nachbarn beruht auch auf hoch organisierten Arbeitsbeziehungen und gesamtwirtschaftlicher Lohnpolitik.

Unter den neuen mittel- und osteuropäischen Mitgliedsländern (MOEL) der EU weist Slowenien das höchste wirtschaftliche Leistungsniveau auf. Diese vergleichsweise günstige wirtschaftliche Entwicklung nach dem Übergang zu einer kapitalistischen Marktwirtschaft beruht auch auf den hoch organisierten und stark institutionalisierten Arbeitsbeziehungen, der regelmäßigen Einbindung der Sozialpartner in die politischen Entscheidungsprozesse und der gesamtwirtschaftlich koordinierten Lohnpolitik.

Gewerkschaften

Es gibt in Slowenien nicht weniger als sieben bedeutende Gewerkschaftsbünde, die allerdings in der Regel eng kooperieren. Der größte Dachverband, der »Bund Freier Gewerkschaften« (ZSS), vereinigt nahezu die Hälfte aller Gewerkschaftsmitglieder auf sich. Wie in fast allen europäischen Ländern ging auch in Slowenien der gewerkschaftliche Organisationsgrad seit 1990 zurück, jedoch weniger stark als in den anderen MOEL. 2005 belief er sich auf 37 Prozent. Damit weist Slowenien einen weit über dem Durchschnitt der EU-27 (25 Prozent) liegenden Organisationsgrad und den höchsten unter den MOEL auf.
Seit der Unabhängigkeit (1991) haben die slowenischen Gewerkschaften sowohl ihren gesellschaftlichen Einfluss, also ihre Fähigkeit, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und öffentliche Proteste zu organisieren, eindrucksvoll unter Beweis gestellt, als auch ihren unmittelbaren politischen Einfluss auf gesamtwirtschaftliche Entwicklungen, v. a. über die Mitwirkung im Wirtschafts- und Sozialrat und über Kollektivverträge.
Die lohnpolitische Steuerung erfolgt in Slowenien über ein vierstufiges System sozialpolitischer Abkommen, bestehend aus einem dreiseitigen gesamtwirtschaftlichen Sozialpakt und aus jeweils zweiseitigen Kollektivverträgen (KV) für den privaten Sektor, auf der Branchenebene und auf der Unternehmensebene. Diese Abkommen stehen in wechselseitiger Beziehung zueinander: Die Umsetzung der Regelungen der Sozialpakte beruht im lohnpolitischen Bereich (horizontale und vertikale Koordination) auf den hierarchisch geordneten KV. Und die KV niedriger Ebene nehmen Bezug auf die Vereinbarungen auf höherer Ebene.
1994 einigten sich Regierung und Sozialpartner über die systematische Zusammenarbeit und die Schaffung eines dreiseitigen Gremiums, des »Wirtschafts- und Sozialrats« (ESS). Von besonderer Bedeutung unter den zahlreichen Funktionen des Rats sind die Ausarbeitung von Entwürfen arbeitspolitischer Gesetze, die Aushandlung und der Abschluss von Sozialpakten und die Beratungen über die Höhe des gesetzlichen nationalen Mindestlohns.
Im Juli 2007 vereinbarten Regierung und Sozialpartner einen Sozialpakt, welcher die wirtschafts- und sozialpolitische Strategie für die ersten drei Jahre nach der Einführung des Euros (1. 1. 2007) festlegte. Am stärksten umstritten war das Kapitel über Lohnpolitik. Einige Arbeitgebervertreter hatten gefordert, dass Lohnverhandlungen nur noch auf der Betriebsebene geführt werden. Den Gewerkschaften gelang es jedoch, diesen Vorstoß abzuwehren und den Fortbestand des überbetrieblichen KV-Systems zu sichern.

Mindestlohn

Gemäß dem Mindestlohngesetz von 2006 setzt der Arbeitsminister nach Konsultation der Sozialpartner im Rat alljährlich die neue Höhe des Mindestlohns fest. In Bezug auf das Ausmaß der Anpassung sieht das Gesetz eine Anhebung nur in der Höhe der Inflationsprognose vor.
Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich die Relation zwischen Mindestlohn und durchschnittlichem Bruttolohn von 43,1 Prozent (2004/5) auf 39,7 Prozent (2007/8) verschlechterte. Ab August 2008 belief sich der gesetzliche Mindestlohn auf 589 Euro pro Monat (netto 425 EUR). Der Anteil der Vollzeitbeschäftigten, die lediglich den Mindestlohn bezogen, betrug im März 2009 rd. drei Prozent. Der Bund Freier Gewerkschaften forderte die Anhebung des Mindestlohns über die Armutsrisiko-Schwelle (2007 netto 495 EUR für Ein-Personen-Haushalte).
Nach mehreren ergebnislosen Verhandlungsrunden, einer Großkundgebung der Gewerkschaften in Laibach und einem generellen Warnstreik einigten sich die Sozialpartner des privaten Sektors Ende Mai 2008 auf einen KV für 2008/09. Dieser beinhaltet u. a. die jährlichen Erhöhungen des niedrigsten Grundlohns der ersten Stufe der neunteiligen Lohnskala. Die Gewerkschaften setzten die Aufnahme einer Produktivitätsklausel in Bezug auf die Branchen-KV durch: Die Unternehmungen sind demgemäß verpflichtet, die Möglichkeit von zusätzlichen Lohnerhöhungen entsprechend der Zunahme der Arbeitsproduktivität der jeweiligen Branche im Vorjahr und unter Berücksichtigung der Gewinnsituation der Firma zu überprüfen. Unmittelbar betreffen die Regelungen des sektoralen KV jene rd. 40.000 Beschäftigten von Privatunternehmen, die nicht einem Branchen-KV unterliegen.
Der KV für den privaten Sektor und die meisten Branchen-KV sehen in einheitlicher Weise neun Lohnstufen vor, die nach Qualifikationsanforderungen (Stufe Eins = Tätigkeiten ohne Qualifikationsanforderung, Stufe Neun = Tätigkeit hoher Verantwortung) definiert sind. Der niedrigste Grundlohn der Stufe Neun beträgt das Dreifache des niedrigsten Grundlohns der Stufe Eins.

Branchenkollektivverträge

2007 bestanden in Slowenien 28 Branchen-KV im Bereich des privaten Sektors, drei für staatliche Wirtschaftsbereiche und neun im öffentlichen Dienst. Diese KV regeln nicht nur die Löhne und Gehälter der Beschäftigten, sondern auch die sonstigen Arbeitsbedingungen.
Gemäß dem Kollektivvertragsgesetz 2006 erklärt der Arbeitsminister jene Branchen-KV für allgemeinverbindlich, welche durch repräsentative Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände abgeschlossen wurden, deren Mitgliedsunternehmen im betreffenden Bereich mehr als die Hälfte der ArbeitnehmerInnen beschäftigen. In der Vergangenheit waren dank der Pflichtmitgliedschaft in der Wirtschaftskammer (GZS) alle Branchen-KV allgemeinverbindlich. Der Deckungsgrad der KV in Slowenien war daher außergewöhnlich hoch und lag bei ca. 95 Prozent.
Doch im Juni 2006 beschloss die Mitte-Rechts-Mehrheit im Parlament ein neues Wirtschaftskammer-Gesetz, welches für diese Organisation freiwillige Mitgliedschaft vorsieht. Seither ist die Mitgliederzahl in der Wirtschaftskammer stark rückläufig. Nur noch Arbeitgeberverbände mit freiwilliger Mitgliedschaft sind zum KV-Abschluss berechtigt.
Da sich die organisatorischen Kapazitäten der übrigen Arbeitgeberverbände noch im Aufbau befinden, ist in naher Zukunft mit einem deutlichen Absinken des Organisationsgrades der Arbeitgeberverbände zu rechnen. Somit besteht auch die Gefahr, dass in manchen Branchen ihr Erfassungsgrad unter die 50-Prozent-Schwelle sinkt, deren Überschreitung die Voraussetzung für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung darstellt. Der Deckungsgrad der KV wird sich also zweifellos erheblich reduzieren. Wie weit, wird zum einen von der Mitgliedschaftsdynamik auf der Arbeitgeberseite abhängen, und zum anderen von den Bemühungen der Gewerkschaften, ihre Präsenz in den Unternehmen zu verstärken, um kollektivvertragliche Arbeitsbedingungen entsprechend dem jeweiligen Branchenabkommen durchzusetzen. Über die Branchen-KV hinaus besteht die Möglichkeit, auf dezentraler Ebene KV abzuschließen, welche die besondere Situation des Unternehmens oder Betriebs berücksichtigen. Derartige Firmen-KV existieren v. a. in den erfolgreichen Groß- und Mittelunternehmen. Da es für Unternehmens-KV keine Registrierungspflicht gibt, ist ihre Zahl unbekannt. Experten schätzen sie auf mehrere Tausend.

Duales System

Die in Slowenien ebenfalls bestehenden Betriebsräte (duales System der betrieblichen Interessenvertretung) können Betriebsvereinbarungen in dem Rahmen abschließen, in dem das Gesetz oder ein bestehender Firmen-KV sie dazu ermächtigt. In der Praxis kooperieren Betriebsräte und Gewerkschaften und stimmen ihre jeweiligen betrieblichen Aktivitäten miteinander ab, weil die Gewerkschaften in der Regel die Mehrheit der Mitglieder des Betriebsrates stellen.
Die nächsten Jahre werden weisen, ob die Stabilität und Arbeitsmarktregulierungs-Effektivität des slowenischen Arbeitsbeziehungssystems, welche auf dem hohen kollektivvertraglichen Deckungsgrad beruhten, auch nach den neoliberal inspirierten Gesetzesbeschlüssen der Jahre 2004-08, insbesondere der Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft in der Wirtschaftskammer, bestehen bleiben werden.

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