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Auf der einen Seite existierte Neid als subjektives Gefühl in der Arbeiterbewegung tatsächlich, andererseits wurde der Vorwurf gezielt als Strategie der Eliten genutzt, um den berechtigten Forderungen nicht nachkommen zu müssen. Auf der einen Seite existierte Neid als subjektives Gefühl in der Arbeiterbewegung tatsächlich, andererseits wurde der Vorwurf gezielt als Strategie der Eliten genutzt, um den berechtigten Forderungen nicht nachkommen zu müssen.

Neid-Debatten

Schwerpunkt

Im Zentrum der Diskussion steht die Frage nach sozialer Gerechtigkeit. Gerade der Neoliberalismus hat sich dieser Debatte bedient, um den Wohlfahrtsstaat anzugreifen.

Wer von Neid spricht, der meint meist etwas völlig anderes, ohne das Kind beim Namen nennen zu wollen. Fast alle historischen Neid-Debatten haben sich rasch als Diskussion über den Erhalt oder die Neuordnung des Systems sozialer Gerechtigkeit entpuppt. Auch jetzt hat Österreich wieder eine solche Debatte erfasst. Und auch diesmal steht der zentrale Begriff in dieser Diskussion als Chiffre für einen Angriff auf das System sozialer Gerechtigkeit.

Blick zurück

Um die aktuelle Debatte besser einordnen zu können, ist ein Blick in die Vergangenheit durchaus sinnvoll. Denn in der Geschichte haben sich unterschiedliche Formen der Neid-Debatte herausgebildet. Schon im 19. Jahrhundert war die Arbeiterbewegung mit dem Vorwurf des Neids konfrontiert. Forderungen nach höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen wurden als Ausfluss eines unkontrollierbaren, der Vernunft unzugänglichen Affekts gewertet. Heute haben sich die Paradigmen dieser Debatte grundlegend gewandelt: Während früher die gesellschaftlichen Eliten ihre Interessen mit dem Neid-Vorwurf gepanzert hatten, so versucht man heute im Namen des neidvollen Blickes - Schlagwort Transparenz - das System staatlicher Transferleistungen infrage zu stellen. Die wesentliche Pointe des Neid-Diskurses hat sich damit verschoben.

Neid und Lohnkämpfe

Die Neid-Debatte hat also viele Gesichter. Auch der Sozialwissenschafter Emmerich Tálos von der Universität Wien unterscheidet zumindest zwei Arten innerhalb dieser Diskussion: »In ihrer ersten Form wirft die Debatte die Frage auf, ob die Reichen ihr Vermögen eigentlich zu Recht besitzen.« Dieser Diskussionsstrang reicht bis in die Ursprünge der Arbeiterbewegung zurück. Denn in der langen Geschichte von Lohnkämpfen wurde die Forderung nach besserer Bezahlung und kürzerer Arbeitszeit immer wieder unter dem Verweis abgeschmettert, man würde bloß den Fabriksbesitzern Vermögen und Stellung neiden. »Dieser Strang setzt sich bis zur aktuellen Diskussion über Manager-Gehälter fort. Wenn man das Gehalt eines Herrn Ackermanns kennt, stellt sich die Frage, welchen Bezug das zu einer erbrachten Leistung hat«, verdeutlich Tálos.
Dieser Strang der Neid-Debatte ist aber doppeldeutig: Auf der einen Seite existierte Neid als subjektives Gefühl in der Arbeiterbewegung tatsächlich, andererseits wurde der Vorwurf gezielt als Strategie der Eliten genutzt, um den berechtigten Forderungen nicht nachkommen zu müssen. Im Zentrum stand jedenfalls die Frage nach einer gerechten Verteilung gesellschaftlicher Güter. Die Forderungen der Schlechtergestellten wurden meist als Neid auf die Stellung der sozialen Eliten interpretiert.
Selbst in der Philosophie manifestierte sich diese Form der Neiddebatte. Auf konservativer Seite interpretierte Friedrich Nietzsche in »Zur Genealogie der Moral« Neid als Ressentiment der sozial Benachteiligten. In seiner Sichtweise würde man damit einer Sklaven-Moral folgen, die in krassem Gegensatz zur Herren-Moral stünde. Damit hatte Nietzsche die Grundlagen des Kampfes um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen infrage gestellt.
Dementgegen interpretierte Karl Marx den sozialen Neid der Arbeiterbewegung als Herausforderung für die Bewegung. Er sah darin eine naive Form des sozialen Protests gegen die Besitzenden in der Gesellschaft. So schreibt er in den ökonomisch-philosophischen Manuskripten: »Der Gedanke jedes Privateigentums als eines solchen ist wenigstens gegen das reichere Privateigentum als Neid und Nivellierungssucht gekehrt, sodass diese sogar das Wesen der Konkurrenz ausmachen.« Teile der Arbeiterbewegung vollziehen »nur die Vollendung dieses Neides und dieser Nivellierung von dem vorgestellten Minimum aus«.

Neid und Sozialschmarotzer

Eine neue Form der Neid-Debatte hat sich vor allem während der Krise des Keynesianismus im Übergang zum Neoliberalismus herausgebildet. »In ihrer zweiten Form äußert sie sich vor allem als Sozialschmarotzer-Debatte. Dabei wird gegen Empfänger von Sozialleistungen polemisiert«, erklärt der Politologe Tálos. Der Neid kehrt sich dabei gegen die untersten Schichten der Gesellschaft: Empfänger von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld werden nun absurderweise das Objekt der Begierde. Ihnen wird unterstellt, sie würden die Leistungen zu Unrecht erhalten. Damit hat sich aber die wesentliche Stoßrichtung der Neid-Debatte verschoben: Denn während früher die gesellschaftliche Elite der Arbeiterklasse den Neid zum Vorwurf machte, wird er nun als Tugend erkannt. Im Namen einer Leistungsgerechtigkeit wird gegen den Sozialstaat gewettert. Man neidet dem sogenannten Sozialschmarotzer seinen Müßiggang und macht das System der Umverteilung dafür verantwortlich. Die strategische Richtung wendet sich damit gegen wesentliche Elemente des Wohlfahrtsstaates.

Neid und Wettbewerb

Dennoch zweifeln SozialwissenschafterInnen daran, dass der Neid als subjektiver Affekt tatsächlich ein gesellschaftlich relevantes Phänomen darstellt: »Der Neoliberalismus geht grundsätzlich davon aus, dass der Wohlfahrtsstaat überdehnt und überfinanziert sei, und dass dieser Individuen vom Wettbewerb abhalte. Die Neid-Debatte dient aber weniger dazu, tatsächlich den Neid zu schüren, als vielmehr auf diesen Weg die Mechanismen der Umverteilung anzugreifen«, meint dazu Tálos. Auch der Politikwissenschafter Ulrich Brand von der Universität Wien zeigt sich skeptisch: »Der Neoliberalismus verschärft die Konkurrenz und betont den Wettbewerb der Individuen miteinander. Dennoch zweifle ich daran, dass dies zu mehr Neid in der Gesellschaft führt. Aufgrund des verstärkten Wettbewerbs haben die Menschen möglicherweise sogar weniger Zeit, um sich gegenseitig etwas zu neiden.«

Solidarität versus Konkurrenz

Alle historischen Neid-Debatten kreisten also letztendlich um die Frage der sozialen Gerechtigkeit. Neid an sich kann zwar bloß als ein subjektiver Affekt, als Missvergnügen über den Besitz oder die Stellung anderer interpretiert werden. Dennoch haben die Neid-Debatten eine wesentliche gesellschaftliche Relevanz: »Der Vorwurf des Neids ist ein Reflex der konservativen Eliten, um ihre eigene Position zu legitimieren. Gleichzeitig werden damit gegnerische Positionen delegitimiert«, erklärt Ulrich Brand.
Zwar hat sich die Funktion und der Zusammenhang des Neid-Begriffs - wie wir gesehen haben - stark verändert, doch die grundlegenden Paradigmen der Diskussion um soziale Gerechtigkeit sind für diese Diskussion immer bestimmend gewesen: Gemeinschaft versus Individuum, Solidarität versus Konkurrenz. Die hegemoniale Stellung des Neoliberalismus hat die Konkurrenz des Individuums für sakrosankt erklärt. Und obwohl gemeinschaftlich orientierte Positionen schon einige Rückschläge einstecken mussten, so ist der Schrei des Liberalismus noch nicht verstummt. Erst im Juni veröffentlichte Peter Sloterdijk in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen polemischen Essay über die Zukunft des Kapitalismus. Darin wettert er über die »Kleptokratie des Staates«, die es ermöglichen würde, »dass die Unproduktiven mittelbar auf Kosten der Produktiven leben«.
Um eine ehrliche Debatte zu ermöglichen, wäre es also sinnvoll, weniger von Neid als vielmehr von sozialer Gerechtigkeit zu sprechen.

Verschobene Paradigmen

Der Neoliberalismus hat die Paradigmen der Debatte deutlich verschoben, um weitere Attacken gegen Umverteilungsmechanismen zu lancieren. »Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass die Neid-Diskussion ein Sprechen über soziale Gerechtigkeit verunmöglicht«, meint dazu Brand. Doch gerade in ihrer neueren Form, der Sozialschmarotzer-Debatte, ist die Neid-Diskussion tief in die Poren der Gesellschaft eingedrungen.

Buchtipp
Attac Sommerakademie 2009
mit einem Beitrag von Ulrich Brand
2009, 102 Seiten,  14,90ISBN: 978-3-7035-1401-2
Vorbestellung:
ÖGB-Fachbuchhandlung, 1010 Wien, Rathausstr. 21, Tel.: (01) 405 49 98-132
fachbuchhandlung@oegbverlag.at

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