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Die rund 36.000 Neuen Selbstständigen Österreichs sind in den unterschiedlichsten Sparten und in über 150 Berufen tätig von AnimateurIn, AutorIn, JournalistIn, Reinigungskraft, ÜbersetzerIn über Vortragende, WahrsagerIn bis zu ZahntechnikerIn. Die rund 36.000 Neuen Selbstständigen Österreichs sind in den unterschiedlichsten Sparten und in über 150 Berufen tätig von AnimateurIn, AutorIn, JournalistIn, Reinigungskraft, ÜbersetzerIn über Vortragende, WahrsagerIn bis zu ZahntechnikerIn.

Ständig für mich selbst

Schwerpunkt

»Ihr seid alle Individuen«, sagt Brian im Film. »Ja«, antwortet der Chor. »Wir sind alle verschieden.« Ich nicht.

Ich hätte, wirft mir die Kollegin vor, die Stöckelschuhe ohnehin verinnerlicht. In der Aufmachung, hatte ich gemeint, hätten wir den Auftrag nicht übernehmen sollen. Wir säßen, sagte sie, doch eh im Finstern, in der Dolmetschkabine.
Ob wir kurzfristig einspringen könnten, waren wir gefragt worden. Es ginge um Finanzthemen, Unterlagen gäbe es nicht. »Selber schuld«, hatten wir fröhlich gesagt, »ohne Vorbereitung kein gutes Produkt.« Aber wir kämen, zum Eiltarif. Beim Eingang am Seitentrakt der Hofburg kommt das flaue Gefühl im Magen. »Flache Schuhe bei Frauen verweisen auf mangelnde Kompetenz«, scherze ich. Die Kollegin tippt mit dem Finger gegen den Kopf.

Drei Stunden als Papagei

Die Arbeit schließlich ist simpel. Eine Liste verbotener Wörter liegt neben dem Mikrophon. »Verkauf« ,»Versicherung« oder »anwerben« ist untersagt. »Erfolg«, »Produkt« und »beraten« erlaubt. Auf unserem Monitor sehen wir die Bühne. Junge Finanzkeiler, würde ich sagen, aus ganz Europa werden durch Pokale verschiedener Größe für ihren Einsatz belohnt. Zwischen jedem Land singt ein Chor von drei dürren Mannequins. Sie singen aber nicht wirklich, die Technik spielt das Playback ein.
Nachher gehe ich mit einem befreundeten Freiberufler essen. Er ist Arzt, aber heute habe ich in drei Stunden als Papagei mehr verdient, als er den ganzen Tag in einem Randbezirk Wiens. Zumindest darauf bin ich stolz. Auch sage ich nichts Genaues über die Arbeit, die Hofburg als Referenz muss genügen. Es wird dann zumindest ein schöner Abend.

Was bin ich?

Genau weiß ich nicht, was ich bin. Eine alte Neue Selbstständige, vielleicht. Ein EPU, ein Ein-Personen-Unternehmen, frei jedenfalls. Zum äußeren Zeichen meiner inneren Verbundenheit habe ich meine Rostschüssel durch einen neuen Fiat 500 ersetzt. An manchen Orten bin ich damit wer. An anderen wiederum schäme ich mich dafür. Denn Josef ist Physiker, beschäftigt sich aber seit rund 25 Jahren selbst. Er und seine Frau Elenore veranschaulichen Naturphänomene durch selbstgebaute Stationen, die sie an Bildungseinrichtungen vermieten oder verkaufen. Gelegentlich erfolgt der Transport mit dem Fahrradanhänger. Einmal hatte Josef Probleme mit dem Finanzamt. Es könne nicht sein, hieß es, dass man von so wenig lebe.
Die Ich-AG, ursprünglich ein Instrument der deutschen Arbeitsmarktpolitik, um ExistenzgründerInnen aus der Arbeitslosigkeit zu verhelfen, hat sich als Begriff durchgesetzt. Wenn er auch zur Benennung selbstständiger Arbeit falsch ist und auf einer unrichtigen Übersetzung beruht. So war aus dem Titel des zum Erfolg gepushten Buches »Reinventing Work: The brand 'you’«: »Selbstmanagement. Machen Sie aus sich die Ich-AG« geworden.
»Schon der Begriff ›Ich-AG‹ bestürzt«, schreibt die deutsche Sozialpsychologin Christine Morgenstern im Forum-Wissenschaft. »Die gesellschaftlichen Risiken, die durch veränderte Unternehmensstrategien entstehen, sollen von Einzelnen übernommen und abgefedert werden. Das Ich steht dem Kapital und seinen Modernisierungsschüben ungeschützt und allein gegenüber.« Der Verzicht auf staatliche Schutzfunktionen und kollektive Solidarisierung, etwa durch gewerkschaftliche Organisation, erzeuge das risikobewusste Individuum mit unbegrenzter Bereitschaft, sich wie ein Chamäleon den Arbeitsmärkten anzupassen. Ein schmiegsames und veränderungsorientiertes Ich, das gleichzeitig über hohe moralische Kompetenz verfügen soll. »Eine Persönlichkeit, die sich von der Schwarzarbeit abwenden, aber nicht fragen soll, welche Lücken Unternehmen nutzen, um keine Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen«, meint Morgenstern.

Zielschuldverhältnis

Die Zahl der Ein-Personen-Unternehmen (EPU) ist im Steigen. Unter uns sind Selbstständige mit Gewerbeschein, Neue Selbstständige und Freiberufler. Im Wesentlichen decken sich die Merkmale der Neuen Selbstständigen mit jenen von Selbstständigen mit Gewerbeschein: Wir sind persönlich und wirtschaftlich vom Auftraggeber unabhängig und verfügen über unternehmerische Strukturen wie Betriebsmittel oder ein Büro. Wir üben die Tätigkeit im Rahmen eines Werkvertrages aus. »Der Werkvertrag«, so die Definition, »zählt zu den Zielschuldverhältnissen, die mit Erbringung des Werkes erfüllt sind.«
»Manchmal«, erzählt ein Kollege, »stehen mir in der Früh die Haare zu Berge, und ich weiß nicht wieso.« Eine Form schlechten Gewissens treibe ihn zeitig aus dem Bett. Auch er ist freier Übersetzer. Gerne zitiert er den Satz »Begnadigen nicht hängen«, im Zusammenhang mit der vitalen Bedeutung der Beistrichsetzung. Er verdient wenig Geld, manchmal aber braucht er eines, dringend.
So hätte ihm ein »e« an falscher Stelle beinahe drei Monatseinkommen gekostet. Im Brief stünde eigentlich nichts, lautete der Auftrag, nur ein paar Sätze, die aber sofort, Ministerium, Flugzeug und wichtig. Chemische Verbindungen in Eile zu übersetzen kann gefährlich sein. Der Auftraggeber, ein weltweit tätiger Pharmakonzern, forderte Schadenersatz. Haftpflichtversicherung hat der Kollege keine. Nach längerem Briefwechsel, auch die Rechtspraktikanten großer Firmen wollen beschäftigt sein, einigte man sich: Kein Honorar und Schwamm drüber.

Animation bis Zahntechnik

Die rund 36.000 Neuen Selbstständigen Österreichs sind in den unterschiedlichsten Sparten tätig. Auf ihrer Website listet das Forum zur Förderung der Selbstständigkeit über 150 Berufe auf, von AnimateurIn, AutorIn, JournalistIn, Reinigungskraft, ÜbersetzerIn über Vortragende, WahrsagerInnen bis zu Zahntechniker- und ZivilingenieurInnen.
Die Einkünfte von Selbstständigen sind, laut Einkommensbericht des Rechnungshofes, bescheiden. So lag das mittlere Jahreseinkommen 2005 (vor Steuern, nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge) bei 10.632 Euro, (Frauen: 7.757, Männer: 12.248 Euro). Auch zwischen den Wirtschaftsbereichen bestehen große Unterschiede. So weist die Statistik mit 31.319 Euro jährlichem Medianeinkommen die Selbstständigen im Gesundheitsbereich als Spitzenreiter aus, zurückzuführen auf die gute Lage mancher selbstständiger MedizinerInnen. Am anderen Ende der Einkommensskala sind etwa Selbstständige in der Land- und Forstwirtschaft (Medianeinkommen: 7.242 Euro) und ausschließlich selbstständig Erwerbstätige in der Erbringung von öffentlichen und persönlichen Dienstleistungen (8.229 Euro).
Von den 454.000 in Österreich insgesamt selbstständig Beschäftigten sind 14 Prozent von Armut bedroht, im Vergleich zu elf Prozent bei HilfsarbeiterInnen (Quelle: Bericht zur Armut in Österreich der Statistik Austria). Besonders prekär ist die Situation bei Kunst- und Kulturschaffenden. Eine vom Bildungsministerium (bm:ukk) in Auftrag gegebene Studie zur sozialen Lage der KünstlerInnen zeigt eine dramatische Armut: 37 Prozent leben von einem Jahresgesamteinkommen unter der Armutsgefährdungsgrenze (Gesamtbevölkerung: 12,6 Prozent, Erwerbstätige: acht Prozent).
KunstproduzentInnen sind ein gutes Beispiel dafür, meint die deutsche Politologin Isabell Lorey, »inwiefern ›selbst gewählte‹ Lebens- und Arbeitsbedingungen, mitsamt den Vorstellungen von Autonomie und Freiheit, mit politischen und ökonomischen Umstrukturierungen verbunden sind«. Als bisse sich eine Katze in den Schwanz, wolle der oder die kreativ Tätige Aus-sich-selbst-schöpfen. »Die Selbstverwirklichung wird zur reproduktiven Aufgabe für das Selbst«, schreibt die Wissenschafterin. »Arbeit soll die Reproduktion des Selbst gewährleisten.«

Nein sagen, geht schon

Ich ziehe die Selbstständigkeit, trotz allem Pessimismus, jeder Anstellung vor. »Nein« sagen: Das geht schon. Im Fall der »Finanzdienstleister« kann ich von dieser Freiheit keinen Gebrauch mehr machen. Sie feiern heuer nicht in der Hofburg. (Die Geschichten sind wahr, das »Ich« frei erfunden.)

Weblink
Neue Selbständige bei der GPA-djp  work@flex:
www.gpa-djp.at/servlet/ContentServer?pagename=GPA/Page/Index&n=GPA_4.2

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