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Philipp Ikrath: »Die Jugendlichen heute haben keine großen Ideologien, sie wollen sich einfach bestmöglich an die gesellschaftliche Ordnung anpassen. Aber sie wissen, was auf sie zukommt.« Philipp Ikrath: »Die Jugendlichen heute haben keine großen Ideologien, sie wollen sich einfach bestmöglich an die gesellschaftliche Ordnung anpassen. Aber sie wissen, was auf sie zukommt.«

Null Bock auf "Null Bock"

Schwerpunkt

Die »Null-Bock-Generation«: Ist die Jugend von heute unsolidarisch, desinteressiert, vergnügungssüchtig und konsumfixiert? Oder benachteiligt und unterschätzt?

So lange ich mein Bier und Schnitzel hab, ist mir alles wurscht«, sagt Nizi N. (23). Ach, diese Kinder! Was soll denn nur aus Österreich werden? Sie wollen nicht arbeiten, noch weniger wollen sie lernen. Sie zeigen kein Interesse an Umgebung, Politik und Zukunft. Stattdessen hängen sie lieber in Einkaufszentren und ihren »In-Treffs« ab oder spielen irgendwelche gewalttätigen Computerspiele. Abends und am Wochenende wird gefeiert bis die Rettung kommt. Am nächsten Tag beherrschen Schlagzeilen wie »12-Jährige mit 2,5 Promille« die Boulevardzeitungen, und der bekannte Stoßseufzer »Ach, die Jugend von heute ...« weht durch die Alpenrepublik. Wer ist denn die Zukunft dieses Landes? Bitte vor den Vorhang: Die Generation nach der Generation X. Spitzname: Null-Bock-Generation. Hauptvorwurf: Party feiern statt Kinder kriegen. Äußere Merkmale: Apathie, Desinteresse. Innere Merkmale: Frustration, Unsicherheit, Resignation.

Unfähig und unzuverlässig

»Die junge Generation musste immer mit dem tief sitzenden Vorurteil der älteren Generationen leben, unfähig und unzuverlässig zu sein«, sagte der berühmte deutsche Jugendforscher Klaus Hurrelmann. Doch werden die Jugendlichen dem »Null-Bock«-Stigma auch tatsächlich gerecht? »Wenn ich der Jugend von heute ein Etikett verpassen müsste, dann hieße dieses pragmatisch«, sagt der Wiener Jugendforscher Philipp Ikrath. »Die Jugendlichen heute haben keine großen Ideologien, sie wollen sich einfach bestmöglich an die gesellschaftliche Ordnung anpassen. Aber sie wissen, was auf sie zukommt. Wenn man sie nach Ihrer Pension befragt, sind sie sich bewusst, dass sie wenig oder keine Pension erhalten werden.
Der stoische Gleichmut der Jugend wird als ›Null-Bock‹-Haltung interpretiert.«

Null-Ahnung-Generation

Und was sagen die Jugendlichen zu den Vorwürfen? »Null-Bock-Generation ist vielleicht der falsche Ausdruck. Null-Ahnung-Generation trifft es wahrscheinlich eher«, sagt Nizi, gelernter Buchhändler aus Wien. »Weil wir keine Ahnung haben, wie gut es uns im Sozialstaat Österreich geht, und wir uns nicht anstrengen müssen. Aber auf der anderen Seite fordert und fördert uns niemand. Und die Älteren sehen, dass was schief läuft. Aber sie können nicht zwischen den Zeilen lesen und interpretieren alles falsch.«
Jung zu sein ist heutzutage alles andere als leicht. Die gute alte »Kernfamilie« ist passé, das Elternhaus gibt nur noch im seltensten Fall ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit. Das Leben ist schneller, komplexer und flexibler als vor 20 Jahren. Die Jugend fängt früher an und hört später auf. Bereits mit 14 Jahren muss die berufliche Laufbahn feststehen, um den richtigen Ausbildungsweg einschlagen zu können. Und trotz Ausbildung wird von den Jugendlichen immer eine gewisse Flexibilität und Belastbarkeit verlangt. Die Mühe mit der Zeit Schritt zu halten, ständiger Erfolgs- und Leistungsdruck und die Suche nach Sicherheit überschatten die Pubertät, die eigentlich dazu dienen sollte, den Charakter zu stärken und festigen. Aber »Null Bock« auf Bildung und Arbeit?
Während die bildungsnahen Jugendlichen im Wettbewerb bestehen wollen und von sich und der Umwelt extrem unter Leistungsdruck gesetzt werden, versuchen Lehrlinge und junge ArbeitnehmerInnen einfach ihre Sicherheit - sowohl materiell als auch emotional - mit aller Kraft festzuhalten und zu festigen, begleitet von ständiger Angst um Job oder Lehrplatz. Beides erfordert viel Zeit und Kraft und beides verhindert die Entwicklung und Entfaltung des Individuums.

Ältere sehen Jugend als Konkurrenz

Die ältere Generation ist dabei keine Hilfe - sieht sie die Jugend als Konkurrenz. »Die Menschen versuchen, sich so jung wie möglich zu inszenieren. Denn Jugend ist heute weniger eine Generation als ein Wert«, meint Ikrath. »Die Älteren haben Angst, von den Jungen verdrängt zu werden. Denn Werte wie Weisheit und Arbeitserfahrung zählen nicht mehr - heute werden »flexible, motivierte, belastbare« ArbeitnehmerInnen gesucht. »Es wird wahnsinnig viel verlangt«, sagt Isabelle (19), eine gelernte Informatikkauffrau. »Gleichzeitig wird man aber auf das Abstellgleis gestellt. Man gibt dir keine Chance, du wirst kaum gefördert und auf die Art kann man sich nicht weiterentwickeln.«
Die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen erschweren das Jungsein noch mehr. Die Anzahl der Lehrlingsplätze sinkt kontinuierlich, die Jugendarbeitslosigkeit steigt, Bedürfnisse und Interessen der Jugend werden nicht wahrgenommen - weder von Wirtschaft und Politik noch von der Gesellschaft. Ende 2009 wurde auch das Institut für Jugendforschung geschlossen - ein erneuter Schlag in das kindliche Gesicht Österreichs.

Reform notwendig

Die Gleichgültigkeit und die stiefmütterliche Behandlung der Jugend schadet der Gesellschaft zunehmend. Die Schul- und Bildungsreform, die so dringend nötig ist, um eine moderne, gebildete Jugend mit Zukunft zu erziehen und auszubilden, wird aus Angst vor Veränderungen seit Jahren blockiert. Wenn Österreich im internationalen Wettbewerb weiterhin bestehen will - politisch, wirtschaftlich und kulturell - müssen tief greifende Änderungen vorgenommen werden - auch wenn es der »Wir haben es immer schon so gemacht, und daher ist es gut so«-Mentalität widerspricht.
Es geschah ohne Vorwarnung, ohne Pressekonferenz, ohne Strategie: Am 20. Oktober 2009 besetzten Studierende und Lehrende die Aula der Akademie der bildenden Künste in Wien - als Protest gegen die geplante Umstellung der Ausbildung auf die Bologna-Struktur. Zwei Tage später schwappte der Protest auf die Hauptuniversität Wien und nach und nach auf alle Unis Österreichs über. In Wien wurde der größte Hörsaal des Landes, das Audimax, besetzt. Innerhalb von Tagen wurde eine komplette Infrastruktur aus dem Boden gestampft: Die Studierenden haben in wenigen Tagen etwas erschaffen und geschafft, wozu Parteien und Verbände längst nicht mehr in der Lage sind: Ohne Organisationsstrukturen, ohne Funktionärsbasis, ohne PR-Konzept konnten sie mit einfachsten Mitteln die Massen mobilisieren: mit Web2.0 und Mobiltelefonen. Die Medien tauften die Bewegung »generation 09«. Mit Twitter, Trommeln und Transparenten brachten sie die Politik in Erklärungsnot. Ganz gleich, wie das Ergebnis der Proteste auch aussehen mag, die Jugendlichen haben bereits gewonnen. Mit diesen Aktionen hat die Jugend gezeigt, dass sie keineswegs apathisch und passiv ist, sondern durchaus imstande ist »Es reicht!« zu schreien und sich für ihre Rechte zu engagieren. Nur eben nicht auf parteipolitischer Basis, wie die hilflose ÖH gezeigt hat.

Politik? Ja bitte, aber anders!

»Einerseits sind die Jungen viel zu sehr mit ihrer eigenen Biografie beschäftigt, um die wenige Freizeit auch noch in die Partei zu investieren«, sagt Philipp Ikrath. »Auf der anderen Seite hat die Politik nicht begriffen, dass man heutzutage nicht mehr klassisch der Partei beitritt. Da jammern sie alle über die Politikverdrossenheit der Jugend und versuchen nicht einmal zeitgemäß zu sein, auf die Jungwähler attraktiv zu wirken!« Außer einer. »Der Strache, der macht das leider perfekt«, sagt Nizi. »Er stellt vor allem Parteien bloß und macht sich gleichzeitig zur einzig wählbaren Alternative.

Was kann ich schon machen?

Er geht in die Discos und spricht die Jungen direkt an. Und sagt genau, was er machen will.« »Es wird uns ja nicht einmal zugehört«, meint Isabelle: »Da gehen Tausende von Studenten auf die Straße, und die Politiker ignorieren das einfach! Wozu soll ich mich engagieren, wenn eh niemanden interessiert, was ich denke?« Nizi nimmt einen Schluck aus seinem Krügerl. »Ich mein, so wurscht is mir alles a ned. Aber was kann ich schon machen?«

Weblinks
Bundesminsterium für Wirtschaft, Familie und Jugend:
www.bmwfj.gv.at/Jugend/Forschung/jugendbericht
Österreichisches Institut für Jugendforschung (geschlossen):
www.oeij.at

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maja.nizamov@gmx.at
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