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Hans Dichand ist ein optimaler Verkäufer für seine Zeitung, aber von Journalismus hat er keine Ahnung. Er könnte auch nur sagen, er möchte Geld, aber ich denke, er möchte auch Macht. Hans Dichand ist ein optimaler Verkäufer für seine Zeitung, aber von Journalismus hat er keine Ahnung. Er könnte auch nur sagen, er möchte Geld, aber ich denke, er möchte auch Macht.

Ein Boulevardstück

Schwerpunkt

2002 drehte die belgische Journalistin Nathalie Borgers eine Dokumentation über Österreichs populärste Zeitung. Für uns erinnert sie sich.

Österreich verfügt über die größte Tageszeitung der Welt, wenn man die Zahl der LeserInnen mit der EinwohnerInnenzahl ins Verhältnis setzt. Von acht Millionen ÖsterreicherInnen erreicht die »Kronen Zeitung« täglich 2,919.000 LeserInnen pro Ausgabe. Sonntags, zum Frühstück mit Kaisersemmel, kommen noch einmal rund 500.000 Krone-LeserInnen dazu. Ein Phänomen wie es weltweit einzigartig ist. Fast die Hälfte der österreichischen Bevölkerung liest das Blatt und holt sich seine Meinung über alles was gut oder böse, wahr oder falsch, recht und billig ist.

Kein Sendeplatz im ORF

Als der Dritte zum Ersten gekrönt wurde und Österreich vom Bannstrahl der Europäischen Gemeinschaft getroffen wurde, hat die belgische Journalistin und Filmemacherin Nathalie Borgers begonnen, sich mit dem Weltblatt »Kronen Zeitung« zu befassen. Entstanden ist ein Film mit distanziertem Blick von außen in den Redaktionsalltag, Ansichten über das Maß an Selbstdarstellung der Porträtierten, ein Streifzug durch die Ressorts, der zeigt, wie ungeniert diese Zeitung Politik zum Spektakel erhebt. Die Regisseurin erinnert sich an die Vorbereitungen, Dreharbeiten und Erfahrungen ihres 2002 gedrehten Dokumentarfilms »Kronen Zeitung - Tag für Tag ein Boulevardstück« für den bis heute der ORF »leider« keinen Sendeplatz gefunden hat. Ob Selbstzensur, die Macht der Zeitung, wer weiß?

Erinnerungen der Regisseurin

Nathalie Borgers: Die Idee zu dem Film fiel in eine Zeit, als die FPÖ zweitstärkste Partei in Österreich geworden ist. Ich hab damals gedacht, das ist schlimm. Ich lebte in Paris und hab mich mit einer Freundin aus Österreich darüber unterhalten. Ich wollte etwas zu diesem Thema machen, vor allem welche Rolle die Medien dabei spielten. Sie hat mir über die Kronen Zeitung erzählt, und ich hab das als ein unglaublich gutes Thema gefunden. Es gab damals in Belgien einen Wettbewerb für Projekte über Österreich und Demokratie - es war die Zeit der Sanktionen gegen Österreich -, den wir mit unserem Projekt gewonnen haben. So ist der Film entstanden.
Ich hab natürlich dem Hans Dichand gesagt, ich möchte einen Film machen wegen des Erfolges dieser Zeitung. Ich hab ihm von Anfang auch gesagt, es interessiert vielleicht auch die Menschen in anderen Ländern, weil Österreich jetzt wegen dieser Wahl im Mittelpunkt steht, und sie sagen ja die Zeitung reflektiert die österreichische Seele, und das möchte ich porträtieren und sehen wie das zusammenhängt. Das hat ihm gefallen, eine Anerkennung von außerhalb Österreichs zu haben. Am Anfang hat er sogar Geld angeboten, was ich natürlich abgelehnt habe, ich wäre nicht mehr frei gewesen.
Während des Drehs hat er mir irgendwann ein Fax geschickt - er hat mich nie direkt angesprochen -, ich würde ein Komplott mit dem Standard vorbereiten. Ich konnte ihn überzeugen, dass ich das nicht mache, und so hat er wieder erlaubt, dass ich filmen konnte. Ich musste aber dann damals unterschreiben, dass er den Film sehen will, bevor er veröffentlicht wird.
Also bin ich vor der Ausstrahlung extra nach Wien geflogen und hab den Film gezeigt. Das war schrecklich für mich. Wir waren in einem Vorführraum, ich ganz vorne, Herr Dichand, ein Finanzdirektor, der Chefredakteur und die Sekretärin sind hinten gesessen. Ich konnte nicht sehen wie sie auf den Film reagiert haben. Nach etwa 17 Minuten, als Heide Schmid gesprochen hat, ist die Stimmung schlechter geworden. Am Ende hat er nichts gesagt, aber die anderen. Der »Finanzminister« hat gemeint, es gebe zu viel Heide Schmid, zu viel Tierecke, es gäbe ja viel anderes in der Zeitung. Sie meinten, sie fühlen sich in die rechte Ecke gedrückt. Ich habe ihnen gesagt, es geht um den Aufstieg der FPÖ, das gibt es auch in ihrer Zeitung. Sie wollten die Kassette unbedingt behalten, aber ich hab sie nicht dort gelassen. Der Druck war groß und nach der Ausstrahlung in ARTE wurde das Fernsehprogramm des Senders nicht mehr in der Zeitung gedruckt.
Die Stimmung in der Kronenzeitung reflektiert vielleicht die österreichische Seele. Vieles funktioniert nur auf Basis Instinkt und Frustration. Positives gibt es sehr wenig. Es ist immer eine schlechte Stimmung, die Leute können nicht positiv oder ein bisschen offen denken. Ich hatte nie das Gefühl, dass die Leute, die dort arbeiten, etwas für eine bessere oder offene Zukunft tun wollen. Es ist sehr schwierig, einen Film zu machen in einer Atmosphäre, die man nicht gerne hat und mit Menschen, die sich nicht mitteilen. Ich habe einige Jahre zuvor schon einen Film über Medien und Politik gemacht. Unabhängige Journalisten haben gegen Staatspropaganda für eine multikulturelle Welt gekämpft. Es war damals eine angenehmere Erfahrung, weil diese Kollegen für richtige Information und Fakten gekämpft haben.

Schreiben für Anerkennung

Natürlich gibt es auch einige Journalisten in der Zeitung mit guten »Absichten«. Zum Beispiel habe ich den Kindermann nicht als eine intelligente Person empfunden, aber er war menschlich ein netter Kerl. Er brauchte Anerkennung, und die hat er auch von der Kronen Zeitung bekommen. Aber er hat keine kritische Einstellung und das ist peinlich. Mit ihm Zeit zu verbringen ist nicht so schlimm, da gibt es andere, das ist schrecklicher. Der Wolf Martin ist höflich, aber er ist ein armer Kerl, ich bin »sorry« für ihn, er ist ein einsamer Kerl. Seine Freunde sind diese jungen Neonazis, die ihn wahrscheinlich nur mögen, weil er in der Kronen Zeitung schreibt. Seine rassistische Einstellung finde ich erschreckend, und ich finde es skandalös, dass diese Zeitung sie veröffentlicht.
Hans Dichand ist einerseits ein normaler Mensch, andererseits ist er kein offener Mensch, er ist ein ordentlicher Mensch. Er ist überzeugt von seiner geordneten Idee was Österreich sein sollte.
Ich meine, die Krone ist eine »Volkszeitung« - an sich kein Problem - wäre sie nicht so populistisch. Wenn man die Kronen Zeitung liest, weiß man, in welche Richtung die Politik gehen wird. Das bedeutet nicht, dass die Parteien alles machen was die Kronen Zeitung schreibt, aber die Richtung in der sie denken werden. Sie meinen das ist die Meinung der Bevölkerung. Menschen, die Kronen Zeitung lesen sind keine schlechten Menschen, aber die Zeitung wird sie nicht besser machen.
Ich finde, das was dort gemacht wird, hat mit dem ursprünglichen Begriff von Journalismus überhaupt nichts mehr zu tun. Hans Dichand ist ein optimaler Verkäufer für seine Zeitung, aber von Journalismus hat er keine Ahnung. Er könnte auch nur sagen, er möchte Geld, aber ich denke, er möchte auch Macht. Ich habe Journalismus studiert, gelernt wie man recherchiert. Solche Sachen gibt es dort nicht. Ich finde es beispielsweise sehr wichtig, Informationsquellen zu nennen. Auch wenn sie dort recherchieren, machen sie trotzdem etwas anderes. Zum Beispiel als während des Afghanistan-Krieges ein junger Journalist wissen wollte, wie viele afghanische Flüchtlinge schon auf den Weg nach Österreich sind, hat er an zwei verschiedenen Stellen Informationen eingeholt. Die Fremdenpolizei sagte ihm mehrere Hundert würden erwartet, die andere Quelle sagte, es seien noch keine angekommen, aber man erwarte zehn. In der Zeitung liest man dann, dass 1.000 kommen werden. Sie sagen nicht: Die Fremdenpolizei sagt das, und die andere Quelle sagt, wir wissen es noch nicht genau. Das wäre die richtige seriöse Information gewesen. Wenn sie recherchieren, dann wissen sie genau was für sie am besten ist, nämlich Angst zu provozieren. Aber das ist kein Journalismus.

Österreich - Schöpfung der Krone?

Natürlich ist diese Zeitung eine gute Plattform, weil alle sie lesen. Ich finde es gefährlich, was man mit dieser Zeitung anrichten kann, aber MedienanalystInnen können eher sagen, wohin das wirklich führen kann. Zumindest ist es aber so, dass die Krone-LeserInnen oft falsch oder zumindest nicht richtig informiert werden, und die Stimmung des Landes ist sehr geprägt davon.

Info&News
Nathalie Borgers, Filmemacherin, geboren in Belgien, hat in Brüssel Journalismus studiert. Nach mehrjähriger Tätigkeit als Fernsehjournalistin in den USA lebt sie jetzt in Paris.
Filmtitel: Kronen Zeitung - Tag für Tag ein Boulevardstück
Buch und Regie: nach einer Idee von Lena Deinhardstein
Infos unter www.navigatorfilm.at/krone
Bezugsadresse für die DVD:
info@navigatorfilm.com

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