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Ich arbeite erhobenen Hauptes für die WGKK. Funktionierende Krankenkassen sind eine wichtige Säule der sozialen Sicherheit und sind unerlässlich für den sozialen Frieden im Land. Davon profi-tieren auch die Wirtschaft und der Standort Österreich. Ich arbeite erhobenen Hauptes für die WGKK. Funktionierende Krankenkassen sind eine wichtige Säule der sozialen Sicherheit und sind unerlässlich für den sozialen Frieden im Land. Davon profi-tieren auch die Wirtschaft und der Standort Österreich.

Eine ehrenvolle Aufgabe

Interview

Mag. Ingrid Reischl ist seit September 2009 Obfrau der Wiener Gebietskrankenkassa und damit für rund eine Million Versicherte und 400.000 Mitversicherte zuständig.

Aufgrund ihres dicht gedrängten Terminplans führten wir das Interview mit Mag. Ingrid Reischl per E-Mail.

Arbeit&Wirtschaft: Kollegin Mag. Ingrid Reischl, du bist seit September 2009 die erste Obfrau der Wiener Gebietskrankenkassa und damit für rund eine Million Versicherte und 400.000 mitversicherte Personen zuständig. Könntest du bitte für uns ein erstes Resümee ziehen?

Ingrid Reischl: Ich habe mir zuallererst die Abläufe und Prozesse der Wiener Gebietskrankenkassa (WGKK) angesehen. Was gut läuft, was vielleicht verbesserungswürdig wäre, und auch wie wir von den PartnerInnen und Versicherten gesehen werden. Ich bin noch immer dabei mich intensiv einzuarbeiten. Leider hat mich der Alltag sehr schnell eingeholt - die Zeit ist also äußerst knapp.

In den vorigen Jahren gab es immer wieder große Aufregung um die »kranken Kassen« - die Situation der Wiener Gebietskrankenkassa war schon vor der Krise nicht rosig. Müssen wir Angst um unser Gesundheitssystem haben?

Die Liquiditätslage der WGKK war vergangenes Jahr tatsächlich kritisch. Beschlossene Hilfen der Bundesregierung waren überwiegend Einmalmaßnahmen. Seit 2010 drohen für mehrere Gebietskrankenkassen - nicht nur für die WGKK - neuerlich Abgänge. Klar ist, dass das Gesundheitswe-sen aus meiner Sicht nicht über Leistungskürzungen zu konsolidieren ist. Deshalb plädiere ich für eine stärker steuerfinanzierte Schiene in einem sonst beitragsfinanzierten System. Steuerfinanziert werden sollten im Sinne der Transparenz jene Bereiche, die keine Krankenversicherungsauf-gaben im engeren Sinne sind, etwa das Wochengeld. Außerdem sollte der beitragsfinanzierte Teil so weiterentwickelt werden, dass es zu einer Entlastung des Faktors Arbeit kommt.

Gespart muss werden, das ist klar. Wo siehst du das Potenzial für Einsparungen?

Ich habe sicher nicht vor, Leistungen für die Versicherten zu streichen. Sollte der Gesetzgeber in diese Richtung gehen, werde ich mich nach Kräften dagegen wehren. Sparpotenziale sehe ich vor allem dort, wo für die PatientInnen belastende Untersuchungen unnötig oder doppelt vorgenom-men werden. Hier wird Geld ohne Zusatznutzen ausgegeben.

Neben Kommerzialrätin Renate Römer bist du die einzige Frau an der Spitze eines österreichischen Sozialversicherungsträgers. Auch in der Wirtschaft gibt es ja so etwas wie Trümmerfrauen - wenn also viel in Schutt und Asche liegt wie jetzt in Zeiten der Krise, dürfen Frauen in Führungspositionen und aufräumen. Siehst du dich ein bisschen als Trümmerfrau in diesem Sinn?

Die Gebietskrankenkassen sind seit 2000 unverschuldet in ihre prekäre Finanzlage geraten und nicht durch ihre Führungsorgane, die »Schutt« verursacht hätten, der jetzt in den Häusern aufgeräumt werden müsste! Franz Bittner hat mir ein gut bestelltes Haus mit kompetenten und motivierten MitarbeiterInnen übergeben. Ich halte es jedenfalls für eine sehr ehrenvolle Aufgabe, die WGKK zu führen. Schließlich ist jede Gebietskrankenkasse eine zentrale Säule unseres Sozialstaates. Die Aufgaben, die sie erfüllt, sind für Millionen von Versicherten sehr wichtig. Ich arbeite erhobenen Hauptes für die WGKK. Funktionierende Krankenkassen sind eine wichtige Säule der sozialen Sicherheit und sind unerlässlich für den sozialen Frieden im Land. Davon profitieren auch die Wirtschaft und der Standort Österreich. Darüber hinaus soll nie vergessen werden, dass das Gesundheitswesen zehn Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung generiert und damit selbst ein bedeutender Wirtschaftsfaktor ist, der gerade in der Krise stabilisierend wirkt. Der Gesundheitssektor sichert hochwertige Arbeitsplätze und stützt die Kaufkraft und darf nicht bloß als geldverschlingender Defizitproduzent betrachtet werden, der »zurückgestutzt« werden müsste.

In deinen Antrittsinterviews hast du erklärt, dass ein ausgeglichenes Budget bis 2013 nicht möglich sein wird. Wann wird die WGKK wieder schwarze Zahlen schreiben, und was ist dazu notwendig?

Meine Bemühungen, die finanzielle Lage der WGKK zu verbessern, gehen in zwei Richtungen. Erstens: Die Aufwandsdämpfung muss weitergeführt werden. Außerdem geht es darum, moderate Vertragsabschlüsse mit den Vertragspartnern auszuverhandeln. Zweitens geht es um eine nachhaltige und dauerhafte Finanzierung, die mit dem Kassenpaket 2009 bestenfalls begonnen, aber sicher noch nicht abgeschlossen ist. Die WGKK wird sich nicht erst mit der Neuverhandlung des Finanzausgleichs und der Spitalsfinanzierung 2013 gemeinsam mit dem Hauptverband mit Vor-schlägen einbringen.

Im November 2009 gab es eine groß angelegte Impfaktionen gegen den A/H1N1-Virus, die sogenannte Schweinegrippe. War das notwendig/hilfreich?

Der »Hype« um die Schweinegrippe war sicher überzogen. In vielen europäischen Ländern wur-den die Interessen der Pharmaindustrie sehr stark lobbyiert. Gesundheitsminister Stöger ist hier eine sehr ruhige und besonnene Linie gefahren. Er hat einerseits potenzielle Bedrohungen ernst genommen und eine ausreichende Vorsorge getroffen, andererseits die Begehrlichkeiten all jener, die mit einer Schweinegrippehysterie bloß gute Geschäfte machen wollten in die Schranken gewiesen. Die WGKK hat während der »Schweinegrippe« die wichtige öffentliche Versorgungsfunktion ihrer eigenen Gesundheitszentren unter Beweis gestellt: Ohne sie wäre es in Wien nicht möglich gewesen, innerhalb kurzer Zeit Massenimpfstraßen für die Bevölkerung inklusive der dafür notwendigen Logistik und Ressourcen zu etablieren. Kritisch sehe ich, dass die Politik den Kassen die Kosten für die Schweinegrippeimpfung und die Impfstraßen gesetzlich übertragen hat, ohne für eine entsprechende Finanzierung gesorgt zu haben. Ein weiteres Beispiel dafür, dass der Gesetzgeber bei den Kassen gerne bestellt, aber auf das Zahlen vergisst.

Für Beunruhigung sorgen derzeit auch die Medienberichte zu geheimen Medikamentenstudien durch Ärzte - siehst du eine unheilige Allianz zwischen Pharma und Ärzteschaft?

Es gibt den begründeten Verdacht, dass manche sogenannte »Anwendungsbeobachtungen« weniger wissenschaftlichen Zwecken dienen, sondern manches Mal eine sehr starke »Marketingkomponente« haben. Es sollte nicht sein, dass unter dem Deckmantel einer »wissenschaftlichen Studie« in Wahrheit Verkaufsförderung betrieben und das Verschreibeverhalten der ÄrztInnen durch »Studienhonorare« beeinflusst wird. Die WGKK hat daher schon im Herbst vergangenen Jahres die Forderung erhoben, eine Meldepflicht für solche Studien einzuführen, um mehr Trans-parenz in diesem Bereich schaffen.

Eine aktuelle repräsentative Umfrage des Instituts Oekonsult hat ergeben, dass 91 Prozent der befragten ÖsterreicherInnen eine Gesundheitsreform fordern und 71,2 Prozent auch mit höheren Selbstbehalten rechnen. Werden sie recht behalten?

Ich hoffe, dass die Befürchtung vieler Menschen, dass es weitere Selbstbehalte geben wird, nicht eintritt. Über weitere Selbstbehalte kann die Finanzierungsproblematik im Gesundheitswesen nicht gelöst werden. Außerdem: Ist es gerecht, dass ausgerechnet die kranken Menschen, die Leistungen in Anspruch nehmen müssen, die Kosten der Krise schultern sollen?

In derselben Studie erklären 91,7 Prozent der Befragten, dass sie glauben, dass Besserverdienende und Vermögende eine bessere medizinische Versorgung genießen. Ist das so, haben wir bereits eine Zwei-Klassen-Medizin?

Wir haben in Österreich auch im internationalen Vergleich einen sehr niederschwelligen Zugang zu den medizinischen Leistungen. Es ist aber richtig, dass Personen mit geringem Einkommen schlechtere Gesundheitschancen haben. Das gilt im Übrigen auch für jene mit geringerer Bildung. Es ist eines meiner Ziele, diese Unterschiede auszugleichen. Hier ist jedoch nicht bloß die Kasse gefordert, sondern die gesamte Sozial-, Wirtschafts- und Bildungspolitik.

Das Schwerpunktthema dieser Ausgabe der »Arbeit&Wirtschaft« ist »Demokratie in der Wirtschaft, der Traum von einem anderen Wirtschaften«. Du bist studierte Politikwissenschafterin und Leiterin der Grundlagenabteilung der GPA-djp: Wie demokratisch ist die Wirtschaft, wie viel Demokratie braucht sie?

Was das Gesundheitssystem angeht, bedeutet die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, dass der Staat Aufgaben der öffentlichen Hand jenen Personengruppen überlässt, die davon unmittelbar betroffen sind. Dadurch ist gewährleistet, dass wichtige Belange unseres Sozialstaates nicht unmittelbar der schnelllebigen Tagespolitik untergeordnet sind. Gleichzeitig gibt es für die Selbstverwaltung eine stabile demokratiepolitische Legitimierung über die Wahlen zu den gesetzlichen ArbeitnehmerInnen- und Arbeitgebervertretungen. Durch die Selbstverwaltung ist also gewährleistet, dass die Interessen der Versicherten im Vordergrund stehen - und nicht bloße Ein-sparinteressen.

Was sind deine Hauptziele und -anliegen für die nächsten Monate und Jahre?

Angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise und der dadurch weiter verschärften finanziellen Rahmenbedingungen für die Kassen geht es zuallererst darum, dass die Versicherten den permanenten Kampf um Ressourcen nicht zu spüren bekommen. Das Leistungsniveau muss hochgehalten werden. Für die weitere Zukunft ist meine Vision, dass das Angebot des Wiener Gesundheitswesens bedarfsgerecht, modern und für alle Menschen zugänglich ist - unabhängig von ihren ma-teriellen Verhältnissen. In fünf Jahren sollte sich die Zufriedenheit der Versicherten mit ihrer Krankenkasse weiter verbessert haben. Wichtig wird zudem sein, die Effizienz und Effektivität der Leistungserbringung in unserem Medizinbetrieb zu verbessern. Die WGKK sollte sich im Benchmark mit anderen Kassen bewähren.

Wir danken für das Gespräch.

Zur Person
Mag. Ingrid Reischl
geboren am 24.12.1958 in Wien. Sie begann ihre berufliche Laufbahn 1977 als Erzieherin.
Nach einem Studium an der Universität Wien (Politikwissenschaften und Fächerkombination Pub-lizistik, Philosophie, Geschichte, Pädagogik) wechselte sie 1990 in die GPA. Neben ihrer aktuellen Hauptverantwortung für den Geschäftsbereich Grundlagen war sie in führender Position für Ge-schäftsfelder wie Public Relations, Internationales, Backoffice und Support verantwortlich.
Seit 1993 ist sie als Universitätslektorin am Institut für Staats- und Politikwissenschaften tätig. Ihr Schwerpunkt: österreichische Regimelehre (Sozialversicherung, Finanzwissenschaften). Reischl ist (Ko-)Autorin und Herausgeberin zahlreicher Publikationen zu wirtschafts-, sozial- und arbeits-marktpolitischen Themen.
1998 absolvierte sie eine Betriebswirtschaftliche Managementausbildung an der Linzer Manage-mentakademie, 2008/2009 die »Betriebswirtschaftsakademie«. Ingrid Reischl ist auch Vorsitzende der Trägerkonferenz des Hauptverbandes.
Sie ist Mutter zweier Töchter.

Info&News
Unser Gesundheitssystem
In Österreich ist die Sozialversicherung gemessen an Budget und betroffenen Personenkreis die Haupteinrichtung der sozialen Sicherheit. 
Es herrscht das Prinzip der Pflichtversicherung. Der Leistungsbedarf eines Jahres wird nahezu vollständig aus dem Beitragsaufkommen des gleichen Jahres bestritten, d. h. angesammeltes Ka-pital dient im Wesentlichen nur als kurzzeitige Schwankungsreserve (Nachhaltigkeitsrücklage, Generationenvertrag, Finanzierungsprinzip). Die Leistungen werden vorwiegend als für alle Versi-cherten gleiche Sachleistungen (Solidaritätsprinzip) oder als beitragsabhängige Geldleistungen (zum Beispiel Pensionen, Krankengeld) erbracht. Zu den Aufgaben der Sozialversicherung gehö-ren neben den Versicherungsleistungen im engeren Sinn auch Gesundheitsvorsorge, Sicherheits-beratung sowie Rehabilitation.
Die österreichische Sozialversicherung ist in Selbstverwaltung organisiert, indem die gesetzlichen (beruflichen) Interessenvertretungen VertreterInnen in die Organe eines Sozialversicherungsträ-gers entsenden, welche die Geschäfte der Sozialversicherung weisungsfrei führen. Dem Staat steht ein Aufsichtsrecht durch Aufsichtsbehörden zu.
Das hat historische und praktische Gründe, denn das direkte Interesse der Betroffenen soll rasche und praxisbezogene Entscheidungen herbeiführen. Ein weiterer Vorteil der Selbstverwaltung liegt in der Entlastung der Staatsverwaltung.
Die Träger der Krankenversicherungen sind die jeweils zuständigen Krankenkassen, darunter die neun Gebietskrankenkassen.

Weblinks
Mehr Infos unter:
www.wgkk.at
www.sozialversicherung.at
www.hauptverband.at

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