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Wirtschaftsdemokratie

Schwerpunkt

Demokratie in der Wirtschaft bedeutet, alle Betroffenen müssen an allen Entscheidungen beteiligt sein, weil sie gemeinsam die Folgen ihres Handeln tragen.

Gewerkschaften dehnen durch ihre Existenz den Raum der Demokratie aus, denn sie stellen eine Selbstorganisation der Lohnabhängigen dar, die sich durch Koalitionen Stimmrecht geben und die Macht der Kapitalseite einschränken. Um dieses Recht wahrnehmen zu können, müssen sie auch für andere demokratische Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit eintreten. Die Existenz von Gewerkschaften ist keineswegs gesichert, es lassen sich vielfache Angriffe auf sie feststellen: Attacken in den Medien auf die Organisationen und ihre FunktionärInnen, Finanzierung gelber »Gewerkschaften« durch Unternehmen, Korruption von Betriebsräten, Verhinderung der Bildung von Betriebsräten etc. Mitbestimmungsrechte, gar wirtschaftsdemokratische Forderungen werden von den ArbeitgeberInnen bekämpft.

Defensive Rechtfertigung

Beteiligung an wirtschaftlichen Entscheidungen erscheint selbst vielen GewerkschaftsfunktionärInnen und ihnen nahestehenden WissenschafterInnen kaum möglich. Die Gewerkschaften rechtfertigen Mitbestimmung und Wirtschaftsdemokratie eher defensiv: die Modernisierung und Effizienzsteigerung der Unternehmen, das Vertrauen der Mitarbei-terInnen und der soziale Friede. Das ist zu eng, wenn auch nicht falsch. Im Gegenteil gehört es zu den Aufgaben der Gewerkschaften, sich um den Produktions- und Verteilungsapparat der Gesellschaft zu kümmern und die Fähigkeiten der Lohnabhängigen zu stärken, die notwendig sind, die gesellschaftliche Produktion und Verteilung zu verstehen und zu organisieren. Gerade deswegen müssen Wirtschaftsdemokratie und Mitbestimmung immer an die funktionellen Grundlagen der Wirtschaft anschließen. Gleichzeitig muss die Wirtschaft selbst demokratisiert werden. Das Verständnis der wirtschaftlichen Prozesse sollte zu einer demokratischen Teilnahme und einer besseren, bedarfsorientierten und effizienten Gestaltung ökonomischer Prozesse führen können.
In einer mehr oder weniger funktionierenden parlamentarischen Demokratie gehört es zu den Formen demokratischer Praxis, dass Interessengruppen sich wechselseitig absprechen, Allgemeininteressen zu verfolgen. Gewerkschaften ist immer wieder vorgeworfen worden, nur Interessen ihrer Mitglieder oder nur einer kleinen Zahl von ArbeitnehmerInnen zu vertreten. Lange haben sich die Gewerkschaften darauf zurückgezogen, dass sie die Mehrheit der Bevölkerung, der ArbeitnehmerInnen, also das Allgemeininteresse vertreten. Gerade dies wird vielfach bestritten. Demgegenüber genießen heute manchmal sehr kleine NGOs sogar große Wertschätzung, weil bei ihnen vermutet wird, dass sie für Interessen des Allgemeinwohls eintreten. Für die Gewerkschaften ist dies eine neue historische Herausforderung. Denn sie müssen sich als demokratische Kraft verstehen und begründen, dass die Interessen der lohnabhängig Beschäftigten einem demokratischen Allgemeinheitsanspruch entsprechen. Aus diesem folgt nicht nur die besondere Bedeutung der Gewerkschaften, sondern eben auch die Verbindung mit anderen demokratischen AkteurInnen der Gesellschaft und der Forderung nach einer Vertiefung der Demokratie.

Kraft demokratischer Allgemeinheit

In einer Demokratie läßt sich der Anspruch, das Allgemeine zu vertreten, jedenfalls nicht ein für allemal fixieren. Was als allgemein gilt, muss jeweils durch komplizierte Prozesse der Verallgemeinerung und der Bündnisse hergestellt und erhalten werden. Die Gewerkschaften vertreten bestimmte Themen, die es rechtfertigen in ihnen eine Kraft demokratischer Allgemeinheit zu sehen. Dabei habe ich vor allem die Sicherung und Erneuerung eines nachhaltigen Produktionsapparats durch Investitionen-Innovationen-Qualifikation, seine Ausrichtung auf Ziele der Nachhaltigkeit und die Ermöglichung der demokratischen Kontrolle von Entscheidungen über Investitionen, über Produkte und Verfahren vor Augen.

Rückhalt durch Lohnabhängige?

Kredite müssten öffentlich kontrolliert werden - womit keineswegs gemeint ist, dass staatliche Banken dem entsprechen. Weiters gehört demokratiepolitisch dazu, für mehr freie Zeit einzutreten, die Beteiligung an gesellschaftlichen Entscheidungen zu ermöglichen und das Verhältnis mit anderen Bereichen außerhalb der Arbeit auszubalancieren: Reproduktionsaktivitäten, Bildung und Fortbildung, Muße.
In der Diskussion über Wirtschaftsdemokratie wurde von der Partizipationsforschung oft kritisiert, dass jene kaum Rückhalt hatte in der Beteiligung der Lohnabhängigen am Arbeitsplatz, zumeist durch die organisierte Interessenrepräsentation durch Betriebsräte oder Gewerkschaften vermittelt. Demgegenüber stellen viele Untersuchungen fest, dass es bei den Beschäftigten den starken Wunsch nach subjektiv befriedigender, als sinnvoll erfahrener Arbeit gibt, und dieser Wunsch mit Erwartungen auf Beteiligung verknüpft ist: Autonomie, Koordination der Arbeitsprozesse mit den KollegInnen, Überwindung von Hierarchien und Kontrolle, Möglichkeiten, eigene Erfahrungen einzubringen, berufliche Weiterbildung.
Dieses Bedürfnis wurde von den ArbeitgeberInnen ausgenutzt durch Angebote für direkte Beteiligung an die Beschäftigten. Obwohl diese Beteiligungspraxis zumeist in Strategien der Steigerung der Leistungsabgabe von Beschäftigten eingebaut ist, scheint es dabei auch zu Kompromissen kommen zu können: (informelle) Mitspracherechte im Austausch gegen größere Leistungsabgabe durch Offenlegung des Produzentenwissens. Für die Gewerkschaften stellt sich deswegen die Frage, wie dieser Bedarf nach direkter Beteiligung sich mit alten und neuen institutionalisierten Rechten verbinden läßt. Auch die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise drängt zu dieser Frage. Denn viele Unternehmen werden insolvent, könnten jedoch bei geringeren Renditeansprüchen von den MitarbeiterInnen in demokratisch verwalteten Betrieben weitergeführt werden. Die erworbenen Erfahrungen bei der autonomen Arbeitsgestaltung können gute Voraussetzungen bilden. Die historischen Erfahrungen der Arbeiterbewegung mit der Gemeinwirtschaft, mit Genossenschaften müssten kritisch berücksichtigt werden.
Die Forderung nach Wirtschaftsdemokratie ergibt sich als Konsequenz der modernen Demokratie. Diese unterstellt die Gleichheit der BürgerInnen. Eine Einschränkung durch die Grenzen der Wirtschaft und insbesondere durch das Recht auf das Privateigentum an den Produktionsmitteln versteht sich nicht von selbst, sondern muss begründet werden. Doch gerade diese überzeugenden Begründungen gibt es nicht. Es wird gesagt:

  • KapitaleigentümerInnen gehen ein Risiko ein, doch das tun auch die abhängig Beschäftigten, die sich unterordnen und das Unternehmensrisiko als ein Einkommens- und Arbeitsmarktrisiko tragen müssen. Unter Demokratiegesichtspunkten sollten alle mitentscheiden können, die von den Risiken betroffen sind.
  • UnternehmerInnen schießen Kapital vor und leiten daraus das Recht ab, über das Ergebnis der kollektiven Arbeit fortgesetzt verfügen zu dürfen. Dabei bleibt außer Betracht, dass durch die Arbeit der Lohnabhängigen der Wert des Kapitals erhalten und vermehrt wird. Der Überschuss, der akkumuliert wird, ergibt sich aus der Mehrarbeit der Lohnabhängigen. Nach mehreren Kapitalkreisläufen läßt sich nicht mehr sinnvoll davon sprechen, dass der privat angeeignete Reichtum und die unternehmerischen Kontrollrechte eine Belohnung für und Verzinsung auf vorgeschossenes Kapital darstellen. Es handelt sich um Aneignung fremder Arbeitskraft.
  • Die Verantwortung von UnternehmerInnen, die Kompetenz von ManagerInnen steht nicht so unstrittig fest, dass nicht auch hier Demokratie zur Anwendung gelangen kann. UnternehmerInnen investieren nicht nach dem Bedarf der Gesellschaft, sondern nach Gesichtspunkten der Rendite, es kommt also einerseits zu Überkapazitäten und langfristig zu Zerstörung von gesellschaftlichem Reichtum, andererseits zu Versorgungsdefiziten und gesellschaftlich problematischen Produkten und Produktionsprozessen.

Die Effizienz von Unternehmen bemisst sich am Kapitalgewinn, nicht an Gesichtspunkten befriedigender Arbeit und gesellschaftlichen Bedarfs.

Organisierte Unverantwortlichkeit

Die gegenwärtige Wirtschaftskrise zeigt einmal mehr, dass UnternehmerInnen und ManagerInnen - wie sie selbst es auch einräumen - nicht wissen, was sie tun. Diese organisierte Unverantwortlichkeit spielt mit dem Leben von vielen Millionen Menschen und entspricht nicht dem Gedanken, dass wir frei sind und die Verhältnisse bestimmen können, unter denen wir leben.
Demokratie in der Wirtschaft bedeutet: Alle von den wirtschaftlichen Prozessen Betroffenen müssen an allen Entscheidungen beteiligt sein, weil sie gemeinsam auch die Folgen ihres Handeln zu tragen haben. Entsprechend muss die Wirtschaft demystifiziert und ein gesellschaftliches Verhältnis umgebaut werden, unter dem vernünftiges Handeln und gemeinsames Entscheiden über die gemeinsame Erzeugung der Lebensbedingungen für alle möglich wird.

Weblink
Mehr Infos unter:
de.wikipedia.org/wiki/Alex_Demirovic

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demirovic@em.uni-frankfurt.de
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