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In Zeiten einer Vertrauenskrise, brachialer Umstrukturierungen und Personalabbaumaßnahmen fällt vielen Beschäftigten die Identifikation mit ihrem Unternehmen und seiner »Mission« immer schwerer. In Zeiten einer Vertrauenskrise, brachialer Umstrukturierungen und Personalabbaumaßnahmen fällt vielen Beschäftigten die Identifikation mit ihrem Unternehmen und seiner »Mission« immer schwerer.

Spiel mit neuen Regeln

Schwerpunkt

Neue Kommunikationsmethoden sind wertvolles Werkzeug für die ArbeitnehmerInnenvertretung im Betrieb und damit Chance für mehr Demokratie.

Im Buch »Der flexible Mensch« beschreibt der Kultursoziologe Richard Sennett in einer Episode die Szene-Regeln in New York, der Welthauptstadt der Werbebranche. Überlebensnotwendig sei der Tanz durch ein Netzwerk bestehend aus Dinners, Vernissagen, Drinks und anderen Varianten des Nachtlebens. Ergebnis und Triebfeder ist der sogenannte »Buzz«, das Summen des Gerüchtestroms, wo jene Storys erzählt werden, die den Informationsvorsprung bilden.
Analog funktionieren innerbetriebliche Kommunikationsströme. Erst in ihren Drehungen, Wendungen und Interpretationen erhalten die offiziell kolportierten Fakten jene Bedeutungen, die schlussendlich die Meinungsbildung bestimmen. In Gruppen und Grüppchen - in Pausen, Fahrgemeinschaften, bei Betriebsausflügen, Betriebsfeiern etc. - brillieren jene, die mit den »heißesten Storys« aufwarten. Sie sind die SchlüsselspielerInnen in den sozialen Netzwerken.

Mission-Statement

Andererseits zeichnet sich das moderne Großunternehmen durch Einheitlichkeit aus: Von den Konzernzentralen wird in einem Mission-Statement der Wesenskern des Unternehmens auf den Punkt gebracht und dann von oben nach unten ausgerollt. Großunternehmen lassen sich das auch einiges kosten. In aufwendig inszenierten Veranstaltungen werden die MitarbeiterInnen, meist unterstützt durch externe BeraterInnen, auf die Unternehmensleitlinien eingeschworen.
Unwillkürlich erinnert diese Methode der Ausübung von Herrschaft an Antonio Gramscis Konzept der kulturellen Hegemonie. Danach wäre es nicht der Zwang, durch den Herrschaft erst richtig gefestigt würde, sondern die Produktion zustimmungsfähiger Ideen. Damit ein Herrschaftssystem auf stabilen Beinen steht, müssen sich die Unterworfenen mit den bestehenden Praktiken identifizieren oder sie zumindest passiv hinnehmen. Es müsse quasi die Meinung vorherrschen, in der »besten aller möglichen Welten zu leben«. Eine Überzeugung, aus der sich lange Jahre der Neoliberalismus speiste. In Erinnerung ist heute noch das von Margaret Thatcher proklamierte »There is no alternative« sowie die ideologische Unterfütterung durch Francis Fukuyamas »Das Ende der Geschichte«.

Vertrauenskrise

Das war vor der Finanzkrise. Nach Umfragen hat seither nicht nur das Vertrauen in die Banken und die Politik massiv gelitten, sondern auch in die Führungseliten der sogenannten Realwirtschaft.
In Zeiten einer Vertrauenskrise, brachialer Umstrukturierungen und Personalabbaumaßnahmen fällt vielen Beschäftigten die Identifikation mit ihrem Unternehmen und seiner »Mission« immer schwerer. Damit müssen auch innerbetriebliche Interessenvertretungen in ein neues Feld der Auseinandersetzungen eintreten. Durch die nachhaltige Förderung von Kommunikation im Betrieb müssen sie die Entwicklung neuer Sichtweisen ermöglichen und gleichsam eine Gegen-Hegemonie aufbauen.
Dafür wurden in den vorigen Jahren eine Reihe von Kommunikationsmethoden und -instrumenten entwickelt. Vier werden nachfolgend vorgestellt.

Die soziale Netzwerkanalyse

In der innerbetrieblichen Meinungsbildung spielen zwei Kommunikationstypen eine zentrale Rolle: Die Opinion Leader, die innerhalb ihrer Clique maßgeblichen Einfluss auf die Meinungsbildung haben. Und Opinion Broker, die wie Bienen zwischen verschiedenen Gruppen hin und her fliegen und so den Informationsfluss zwischen den Gruppen gewährleisten.
Meist kennen BetriebsrätInnen die WortführerInnen in ihren Betrieben. Aber oft sind für die Stimmungen im Betrieb Personen mitverantwortlich, die sich eher im Hintergrund halten. Um auch sie sicht- und damit greifbar zu machen, braucht es spezielle Analyseinstrumente: z. B. die soziale Netzwerkanalyse.
Diese wird auch von Marketingabteilungen großer Unternehmen kommerziell genutzt. Kundensegmente werden auf die zentralen MeinungsführerInnen durchleuchtet, die dann für die Kooperation, oftmals in Form von Prelaunch Focus Groups, gewonnen werden: In diesen kleinen Gruppen wird getestet, welche Angebote wie bei den Kunden/-innen ankommen, und ausgelotet, welche Bedürfnisse sich in vermarktbare Angebote übersetzen lassen. Gerade in Zeiten der Informationsüberflutung können diese Gruppen eine wichtige unterstützende Funktion für die Betriebsratsarbeit übernehmen. Sie können aufzeigen, wo genau die Belegschaft der Schuh drückt. In ihnen kann man bestimmte Vorhaben bereits im Vorfeld abtesten. Und sie können schließlich die Arbeit des Betriebsrats promoten.
Umfragen waren lange Zeit relativ kompliziert. Seit einigen Jahren existieren einfach handhabbare elektronische Umfrageinstrumente, wie z. B. das surveymonkey, die mühsame Zwischenschritte bis zur Auswertung ersparen. Der Fragebogen wird gleich elektronisch erstellt, per Link versandt, die Antworthäufigkeiten werden automatisch errechnet und können jederzeit abgerufen werden.
Da Umfragen die Stimmung in der Belegschaft einfangen, sind sie höchst wirkungsvoll in der Auseinandersetzung mit dem Management. So können die wirklich brennenden Themen transparent gemacht werden. Und so können die Vorhaben des Managements sehr rasch aus dem Blickwinkel der Beschäftigten bewertet werden. In beiden Fällen wird die Veröffentlichung von Umfrageergebnissen einen lebendigen Diskurs innerhalb der Belegschaft zur Folge haben.

Betriebsversammlungen

Im Regelfall dienen Betriebsversammlungen der Information der Belegschaft über Leistungen und Vorhaben des Betriebsrats und des Managements. In vielen Betrieben lässt sich eine zunehmende Ausdünnung der Betriebsversammlungen feststellen. Betriebsversammlungen als Großgruppenveranstaltungen setzen beim Kommunikationsbedürfnis der Beschäftigten an. Sie bieten die Chance, gleich während der Versammlung miteinander ins Gespräch zu kommen. So könnte ein Schlüsselthema vor Ort in mehreren Kleingruppen diskutiert werden und die Quintesssenz dieser Diskussionen durch die SprecherInnen der Kleingruppen an den Betriebsrat zurückgemeldet werden. Durch diese Chance zur direkten Einflussnahme sind die Beschäftigten den gemeinsam entwickelten Ergebnissen gegenüber stärker verpflichtet, und auch der Betriebsrat hat mehr Rückhalt in der Belegschaft.

Weblogs

Eine der simpelsten und gleichzeitig effektivsten Arten, das Internet zu nutzen, sind Blogs: Ein Blog ist in wenigen Minuten erstellt und bietet nicht nur dem Betriebsrat die Möglichkeit, seine Botschaften zu veröffentlichen. Die MitarbeiterInnen können unverzüglich darauf reagieren und ihre Kritik, ihr Lob oder ihre Fragen unter den Artikel posten. Weblogs sind somit interaktiver als die - oftmals in die Unternehmensseiten eingebundenen - Webseiten der Betriebsräte.
Weblogs müssen nicht notwendigerweise auf diese Funktion einer »interaktiveren Betriebszeitung« beschränkt bleiben. Zu speziellen Themen lassen sich (geschlossene) Newsgroups bilden und durch die Einspeisung in überbetriebliche soziale Netzwerke können die Diskurse - zum Beispiel branchenspezifisch - ausgeweitet und dynamisiert werden. Hier stehen wir wohl erst am Anfang einer rasanten Entwicklung.
Eine Gerüchteküche mit vielen Köchen - so stellen sich Betriebe heute dar, trotz aller Bestrebungen der Unternehmensführung nach einer einheitlichen Corporate Identity. Oftmals hat man sogar den Eindruck, je mehr Vereinheitlichung »von oben« gewünscht wird, umso wilder schießen die Gerüchte ins Kraut und umso unkontrollierter wird die Kommunikation. Mit neuen Kommunikationsmethoden und -instrumenten haben die ArbeitnehmerInnenvertretungen die Möglichkeit, als Gegenpol zur Unternehmensleitung meinungsbildend zu wirken, und die Beschäftigten direkter als bisher in ihre Mitbestimmungsaufgaben miteinzubeziehen. So würde auch die ArbeitnehmerInnen-Interessenpolitik spannender, lustvoller, effektiver und effizienter.

Weblink
Gesellschaftspolitisches Diskussionsforum (gedifo)
www.gedifo.wordpress.com

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ulrich.schoenbauer@akwien.at
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