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WIFO-Chef Karl Aiginger Wir müssen heuer darauf schauen, dass wir mit dem Impulspaket die Konjunktur stabilisieren, und bei der Konsolidierung sehr aufpassen, dass sie strategisch gemacht wird und weder Zukunftsinvestitionen noch Sozialnetz vernachlässigt.

Jetzt Gas geben ...

Interview

WIFO-Chef Karl Aiginger über die Chancen einer ausgewogenen Budgetkonsolidierung, fehlende Kinderbetreuung und strategische Privatisierungen.

Interview vom 9. März 2010

Arbeit&Wirtschaft: Herr Professor Aiginger, in der eben veröffentlichten WIFO-Studie "Optionen zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte in Österreich" schätzen Sie den Konsolidierungsbedarf auf zehn Mrd. Euro bis 2013 - wie setzt sich diese Summe zusammen?

Karl Aiginger: Die Budgets waren schon vorher nicht ausgeglichen und wurden durch die Krise noch stärker defizitär. Die Zinszahlungen machen jetzt 7,5 Mrd. Euro aus und werden - wenn wir nichts tun - auf elf Mrd. Euro steigen. Das hieße dann, dass ca. ein Drittel der Lohnsteuer jedes Jahr für Zinszahlungen draufgeht. Wir müssen konsolidieren, auch aus eigenem Interesse nicht nur wegen EU und Stabilitätspakt. Das ist zwar eine wichtige Außenkontrolle, aber es geht auch um unser Wohl und unsere Zukunft. Die zehn Mrd. entstehen konkret, wenn wir von heute 4,7 Prozent Defizit bis 2013 unter drei Prozent kommen wollen. Insofern ist das eine politische Entscheidung, getragen und unterstützt durch EU-Regeln. Da hat der Finanzminister ein wenig Spielraum.

Was gilt es also, Ihrer Meinung nach jetzt zu tun?

Unser Rezept lautet, in der Krise Gas geben, investieren. Aber nach der Krise muss saniert werden. Wir müssen primär schauen, wo es Effizienzreserven gibt. Also Ausgaben, die nicht sehr sinnvoll sind und noch dazu eher den höheren als den niedrigen Einkommensschichten zugute kommen. Als zweites können wir dann feststellen, ob es eine Ergänzung auf der Steuerseite braucht. Falls wir sie brauchen, gestalten wir sie so, dass wir zunächst die Defizite beheben, dann aber später den Faktor Arbeit entlasten. Wenn es sehr viel mehr Gerechtigkeit geben soll, dann kann die Wirtschaftspolitik eine Steuerstrukturreform prinzipiell auch unabhängig vom Konsolidierungsbeitrag vornehmen. Höhere Steuern auf Vermögenszuwachs und Energie, und mit den Erträgen den Faktor Arbeit entlasten - so hätten wir dann ein besseres und gerechteres Steuersystem, das auch noch Beschäftigung schafft.
Wir haben derzeit drei Probleme in Österreich: das Budgetproblem, das Arbeitslosenproblem und die geringen Zukunftsinvestitionen. Das ist eine wirkliche politische Gestaltungsaufgabe. Wenn wir das Budget konsolidieren und nicht auf die Beschäftigung achten, wird die Arbeitslosigkeit intolerabel hoch und kostet über die Arbeitslosenversicherung wiederum sehr viel Geld. D. h. man muss bei der Konsolidierung darauf achten, arbeitsfördernde Maßnahmen zu verstärken und jene Sachen, die für den Faktor Arbeit nicht so wichtig sind in den Hintergrund zu stellen.

Wie könnte das aussehen?

Man muss die Menschen besser qualifizieren, ihnen die Möglichkeit geben, von einem Job, in dem es keine Nachfrage mehr gibt, zu einem Job zu wechseln, in dem sie Chancen haben. Es werden KinderbertreuerInnen, LehrerInnen, TechnikerInnen, Pflegepersonal gesucht. Die Arbeitsmarktstrategie muss qualifizierte Arbeitsplätze bringen.
Wenn das gelingt, könnte es sein, dass wir nach der Krise mehr Arbeitsplätze haben als vorher. Die Konsolidierung könnte eine Chance sein, Effizienzreserven zu heben, die wir nie heben konnten.

Können Sie uns Beispiele für Effizienzreserven nennen?

Laut Rechnungshof ist das Heeresspital in Wien zu fünf Prozent ausgelastet, rechnet man großzügig zu zwanzig Prozent. Andere Wiener Spitäler sind auch unausgelastet und da gibt es dieses große Spital auf einem noch größeren Grundstück in bester Lage. So etwas ändert sich nur, wenn wirklich gespart werden muss. In den Rechnungshofberichten sind viele solche Beispiele zu finden.
Oder die Hacklerregelung: Wir wissen mittlerweile, dass die Hacklerpensionen nicht physisch schwer belasteten Personen mit frühem Berufsantritt zugute kommen, sondern Beamten. Viele Beamte haben für die Hacklerpension zu wenig Jahre gehabt. Daraufhin wurde die Regel gemacht, dass man die Jahre nachkaufen kann. Damit sich die Beamten das besser leisten können, ist dieser Nachkauf auch noch steuerlich abschreibbar.
Nichts von all dem ist ohne Grund entstanden, die Frage ist nur, ob es heute noch Sinn ergibt. Eine Budgetkonsolidierung bietet die Chance so etwas aufzuzeigen und somit eine gute Möglichkeit, solche Missstände zu beheben.

Die Krise macht den Menschen Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.

Internationale Studien zeigen, dass Konsolidierungen nicht Arbeitsplätze kosten müssen, wenn die Strategie insgesamt ausgewogen ist und als solche akzeptiert wird. In Schweden und Finnland gab es in den 1990er-Jahren starke Einschnitte - wesentlich stärkere als derzeit in Österreich notwendig - aber sie wurden in einem Gesamtpaket umgesetzt und als glaubwürdig empfunden, um aus der Krise herauszukommen. Es wurden primär Ausgaben gekürzt, ergänzend Steuern temporär erhöht und es wurde in Ausbildung und Forschung investiert, also jene Bereiche, die zukünftig für Wachstum und Wettbewerb wichtig sind.
Das schlagen auch wir vor. Wir haben in der Strategie vor Konsolidierungsbeginn noch ein Impulspaket zugeschaltet und während der Konsolidierung eine Aktivkomponente. Impulspaket heißt: Je höher die Wachstumsdynamik am Beginn, desto geringer sind Arbeitslosigkeit und auch Konsolidierung selbst. Gelingt es uns also, heuer das Wachstum auf 1,5 plus oder zwei Prozent zu heben, dann ist schon das heurige Defizit niedriger und die positive Wirkung setzt sich fort.

Wie könnte dieses Impulspaket aussehen?

Wir würden einen Umfang von ein bis eineinhalb Mrd. Euro vorschlagen. Da müsste man sich zuerst um mehr Kinderbetreuungseinrichtungen kümmern, die fehlen total, mit Qualifikationsmaßnahmen für BetreuerInnen. Die Ganztagsschulen haben zu wenig Lehr- und Betreuungskräfte. Darüber hinaus müsste man Umschulung und thermische Sanierung fördern. Die eigentliche Konsolidierungsperiode sollte 2011 beginnen und 2013 abgeschlossen sein. Wenn wir zwei Mrd. Euro pro Jahr sparen müssen, sollten wir die Summe höher ansetzen, also zweieinhalb oder drei Mrd. Euro, um einen Polster zu haben für Zukunftsmaßnahmen, also Kinderbetreuung und Energie.

Sie betonen die Bedeutung der Kinderbetreuung - ist es tatsächlich so, dass die mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Familie, das Budget belastet?

Ich kenne keine Frau, die einen qualifizierten Beruf hat, die wirklich lange zu Hause bleiben will. Ich kenne aber viele Frauen, die zwei, drei Jahre zu Hause bleiben, weil es nicht anders geht. Das reicht schon, um manche Karriere empfindlich zu dämpfen. Kommt dann noch ein zweites Kind, sind das sechs Jahre. Nach dieser Zeit ist die gute Qualifikation um 50 Prozent abgewertet. Das ist kein reines Frauenproblem, die Qualifikation hat uns allen Geld gekostet. Es geht um die Nutzung des Humankapitals. Es ist natürlich auch eine Gerechtigkeitsfrage - aber es ist eben auch eine ökonomische Frage.

Im Konsolidierungs-Papier werden auch Privatisierungen angeregt. Müssen wir nun das Familiensilber verscherbeln?

Die Idee ist folgende: Um ein Unternehmen zu beherrschen, braucht man 25 Prozent Beteiligung. Manchmal 50 Prozent - dann, wenn das Risiko besteht, dass ein anderer 75 Prozent hat. Wir haben ausgerechnet, dass wenn man bei allen Unternehmungen, die in Staatsbesitz sind, auf 50 Prozent geht, kann man acht Mrd. Euro Privatisierungserlöse erzielen, bei 25 Prozent 25 Mrd. Euro. Das ergibt jährliche Zinsersparnisse in der Höhe von 300 Mio. bis eine Mrd. Euro.
Ich würde es nicht Verscherbeln von Familiensilber nennen - ich sehe es als Verscherbeln von Familiengold, wenn wir zu wenig Geld für Kinderbetreuung, Bildung und Forschung haben. In Zeiten, wo Geld gebraucht wird, muss der öffentliche Eigentümer sich einfach überlegen, ob er höhere Anteile als zur strategischen Beherrschung eines Unternehmens notwendig halten will, und dann kein Geld für Kinderbetreuung und Schulen hat.
Das zweite Argument für Privatisierungen ist, dass erfahrungsgemäß privatisierte Firmen stark wachsen und höhere Dividenden ausschütten als vorher. Die OMV hat sich bis zur Privatisierung darauf konzentriert, möglichst viele Tankstellen in Österreich zu haben. Seit ein arabischer Partner mit 25 Prozent dabei ist, der auf Internationalisierung und höhere Dividenden drängt, haben sich Umsätze und Dividenden drastisch erhöht. Die OMV bringt heute dem Staat mit einem wesentlich kleineren Anteil an Eigentum eine höhere Dividende und eine höhere Körperschaftssteuer.
Ich halte intelligente "Teil-Privatisierungen" für durchaus sinnvoll, aber letztendlich muss die Politik entscheiden. Wir waren überrascht, wie viel Privatisierungspotenzial da ist, ohne dass der Staat die strategische Führung an einem Einzelunternehmen verlieren würde.

Auf der Einnahmenseite gibt es ja schon länger Vorschläge des WIFO, wie etwa die Erhöhung der Steuern auf Emissionen, Glücksspiel, Alkohol, Tabak ...

Dass die Tabaksteuer nicht erhöht wird ist unverständlich. Der Staat hat einen Mindestpreis "verordnet" damit Jugendliche nicht zu rauchen beginnen. Dieser wurde von der EU-Kommission aufgehoben. Sie empfiehlt eine Erhöhung der Tabaksteuer, die in Österreich deutlich niedriger ist. Rund um die Raucherei wird viel Irrationales gemacht. Ich könnte mir auch eine Steuer auf Raucherbereiche in den Lokalen vorstellen - und ich bin selbst Raucher.
Tabaksteuer, aber auch Mineralölsteuer haben den Nachteil, dass sie sozial regressiv sind, also die niedrigen Einkommen höher betreffen, aber das muss man abgelten. Da könnte man einen Tausch machen, indem man die Sozialversicherungsbeiträge für niedrige Einkommen senkt und Mineralöl-, Tabak-, Alkohol- und Glücksspielsteuer erhöht. Damit hätte der Staat höhere Einnahmen, eine bessere ökologische, eine bessere gesundheitliche Wirkung und sozial kann ich es damit überkompensieren. Hier gibt es aber sehr starke Lobbys.
Wir sind auch für eine Vermögenszuwachssteuer. Es ist nicht einzusehen, warum ein Sparbuch besteuert wird, ein Aktiengewinn aber nicht. Stiftungen sollen langfristig an die übrigen Kapitalgesellschaften angeglichen werden. Das einfachste wäre, von jeder Stiftung einen sozialen Beitrag zu verlangen - das ist ja der ursprüngliche Grund für die günstigere Besteuerung.

Sie raten aber von einer Mehrwersteuererhöhung ab.

Da sind wir absolut dagegen. Die Mehrwertsteuer ist schon relativ hoch. Sie könnte rechtlich noch erhöht werden, aber sie ist regressiv. Die unteren Einkommen zahlen sehr viel mehr, und sie senkt den Konsum. Das brauchen wir gerade jetzt gar nicht. Wir sagen ein absolutes Nein zu einer Umsatzsteuererhöhung und zu einer Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge. Die übrigen Bereiche allein ergeben genug Erlös. Drei Mrd. Euro wären durch eine Finanztransaktionssteuer und eine Vermögenszuwachssteuer möglich sowie mit Steuern, die das Klima verbessern und nicht die niedrigen Einkommensschichten betreffen.

Stichwort: Finanztransaktionssteuer.

Die Finanztransaktionssteuer wäre absolut sinnvoll. Schon deswegen, weil sie die Zahl der Finanztransaktionen im Verhältnis zu den Realtransaktionen reduziert und weil sie jene Finanztransaktionen belastet, in denen öfter spekuliert wird. Im schlechtesten Fall hat man eine Steuerquelle ohne wesentliche negative Wirkungen auf Konsum, Investitionen etc. Die Finanztransaktionssteuer spüren die BürgerInnen nicht. Im Fall einer Börsenumsatzsteuer würden wir empfehlen, sie mit den Nachbarländern abzustimmen. Wenn Frankfurt dabei ist, fühl ich mich sehr wohl. Wenn die Slowakei nicht dabei ist, fühle ich mich sehr unwohl.

Ist die Talsohle der Krise durchschritten?

In der Produktion ist die Talsohle höchstwahrscheinlich durchschritten. Der Aufschwung ist allerdings sehr zart und es kann immer wieder Rückschläge geben. Die Wahrscheinlichkeit eines großen Rückschlags ist aber sehr klein.
Ich glaube zwar, wir haben aus der Krise immer noch nicht genug gelernt, aber wir sind wenigstens vorsichtiger geworden. Vielleicht bin ich zu optimistisch. Wir müssen heuer darauf schauen, dass wir mit dem Impulspaket die Konjunktur stabilisieren, und bei der Konsolidierung sehr aufpassen, dass sie nicht naiv, nicht quer durch den Gemüsegarten gemacht wird, sondern strategisch. Sie soll weder Zukunftsinvestitionen noch Sozialnetz vernachlässigen, die Steuerstruktur soll arbeitsplatzfördernd werden, die Ausgaben effizient und wachstumsfreundlich.

Wir danken wir das Gespräch.

Zur Person
Prof. Mag. Dr. Karl Aiginger
geboren am 23. Oktober 1948, ist seit 2005 Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO).
1966-1974 Studium  der Volkswirtschaftslehre an der Universität Wien. 1974 Dissertation "Entrepreneurial Decision Making". 1978 Purdue University, Indiana, USA. 1982 Gastprofessor an der Stanford University, CA, USA. 1984 Habilitation: "Production Theory under Uncertainty". 1975-1992 Herausgeber der "Empirica - Austrian Economic Papers". 1991 Gastprofessor am M.I.T., Boston, MA, USA. 1993-2000 Mitglied des Aufsichtsrates der ÖIAG. 2002 Gastprofessor Stanford University, School of Business, USA. 1984-1987, 1996-1998, 2002-2005 stv. Leiter des WIFO. Seit 1992 Gastprofessor, Honorarprofessor Universität Linz. Seit 1998 Gutachter für Economic Journal, European Economic Review, Journal of Industrial Economics, Austrian Economic Papers und andere, Lead Manager und Mitautor des jährlichen "European Competitiveness Report" für die Europäische Kommission. Vorlesungen an der Universität Wien, Wirtschaftsuniversität Wien, Technische Universität Wien, Universität von Hunan (China), Webster University. Seit 2000 Herausgeber des Journal of Industry, Competition and Trade. Seit 2006 Gastprofessor WU Wien.

Weblinks
WIFO-Konsilidierungsstudie:
tinyurl.com/yhavr6n

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