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Symbolfoto Wir müssen heuer darauf schauen, dass wir mit dem Impulspaket die Konjunktur stabilisieren, und bei der Konsolidierung sehr aufpassen, dass sie strategisch gemacht wird und weder Zukunftsinvestitionen noch Sozialnetz vernachlässigt.
Mythen der Krise

Die Ursachen der Krise

Schwerpunkt

Viele ÖkonomInnen sehen die in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegene Einkommens- und Vermögensungleichheit als zentrale Krisenursache.

Während die aktuelle Finanz- und Weltwirtschaftskrise in der medialen Debatte durch unterregulierte Finanzmärkte und individuelles Fehlverhalten erklärt wird, sehen viele ÖkonomInnen die in den vorigen Jahrzehnten stark gestiegene Einkommens- und Vermögensungleichheit als zentrale Krisenursache.

Wachstumsmodelle

Diese Ungleichheit wurde auch politisch herbeigeführt und war zentrales Merkmal des neoliberalen Wachstumsmodells. Sie hat in einigen Ländern, insbesondere in den USA, zur Überschuldung der unteren und mittleren Einkommensgruppen und zu hohen Leistungsbilanzdefiziten beigetragen, in anderen Ländern, unter anderem in Deutschland und Österreich, zu einer dauerhaften Konsumschwäche und extremer Exportabhängigkeit.
Für ein nachhaltigeres, neues Wachstumsmodell ist eine deutliche Umverteilung zugunsten niedriger Einkommen notwendig. Hierbei kommt auch den Gewerkschaften eine entscheidende Rolle zu.
Als Reaktion auf die Probleme des fordistischen Wachstumsmodells - geprägt durch Ausbau des Sozialstaats, produktivitätsorientierte Lohnpolitik und keynesianische Nachfragesteuerung - setzten insbesondere konservative Regierungen ab Ende der 1970er-Jahre ein neoliberales Wachstumsmodell durch. Dieses war geprägt durch deregulierte Finanz- und Arbeitsmärkte und Rückbau des Sozialstaats. Letzteres führte zu nachhaltiger Schwächung der Gewerkschaften und der Lohnverhandlungsmacht der ArbeitnehmerInnen. Entsprechend nimmt in den meisten OECD-Ländern die Einkommensungleichheit seit über zwei Jahrzehnten zu, die Lohnquote (der Anteil der Lohneinkommen am gesamten Volkseinkommen) ab (vgl. OECD 2008a).
Unter vielen ÖkonomInnen wird zunehmend die Rolle der ökonomischen Ungleichheit als wichtige Ursache der jetzigen Wirtschaftskrise thematisiert. Die zentralen Ursachen der Krise liegen demnach in der Interaktion steigender Einkommensungleichheit, deregulierter Finanzmärkte und internationaler Handelsungleichgewichte.
Diese drei Ursachen sind interdependent, aber am einfachsten ist es, die in den vorigen Jahrzehnten zunehmende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen zum Ausgangspunkt zu nehmen. Dies ist der Ansatz eines internationalen ExpertInnengremiums um Jean-Paul Fitoussi und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz: "Die Krise hat strukturelle Wurzeln. Der Mangel an aggregierter Nachfrage ging der Finanzkrise voraus und ist Konsequenz der strukturellen Änderungen der Einkommensverteilung. Seit 1980 stagnierten in den meisten industrialisierten Ländern die Medianlöhne, und Einkommensungleichheiten haben zugunsten der oberen Einkommensgruppen zugenommen. Dies ist Teil eines generellen Entwicklungstrends, welcher ebenso weite Teile der nichtindustrialisierten Welt betroffen hat." (Fitoussi/Stiglitz 2009, S. 3, eigene Übersetzung)

Große Ungleichheit in den USA

Besonders ausgeprägt war die Zunahme der Einkommensungleichheit in den USA, wo nach einem drei Jahrzehnte andauernden Umverteilungsprozess die Ungleichheit wieder etwa so groß ist wie in den 1920er-Jahren vor der großen Depression. Nobelpreisträger Paul Krugman hat in seinem viel beachteten Buch "Nach Bush" (2008) dargestellt, wie dieser Prozess politisch gezielt vorangetrieben wurde. Dennoch war die binnenwirtschaftliche Wachstumsentwicklung in den USA in den vergangenen Jahrzehnten relativ kräftig.
Entscheidend hierfür war, dass Haushalte mit niedrigen oder mittleren Einkommen, die in diesen dreißig Jahren weitgehend stagnierten, durch die Unterregulierung der Finanzmärkte vereinfachten Zugang zu immer weiteren Krediten hatten. So wurden stagnierende Realeinkommen breiter Bevölkerungsteile und fehlende sozialstaatliche Absicherung durch die (politische) Förderung von Wohneigentum und erleichterten Zugang zu Krediten kompensiert. Als die US-Immobilienpreisblase platzte, wurden die Überschuldung breiter Teile der Haushalte und damit die Grenzen des US-Wachstumsmodells offensichtlich.

Defizite bei Privat und Staat

"In den USA wurde die Komprimierung niedriger Einkommen durch die Reduktion der Haushaltsersparnisse und steigende Verschuldung kompensiert, was die Aufrechterhaltung bisheriger Konsummuster ermöglichte." (Fitoussi/Stiglitz 2009, S. 4, eigene Übersetzung)
Da sowohl der Privatsektor als auch der Staat in den USA strukturelle Defizite erzielten, musste viel Kapital aus dem Ausland importiert werden. Dem hohen Handelsbilanzdefizit der USA standen also hohe Überschüsse anderer Länder gegenüber. Auch diese erklären sich wiederum wesentlich aus der Unterregulierung der internationalen Finanzmärkte und der steigenden Einkommensungleichheit. Eine erste Gruppe von exportorientierten Volkswirtschaften bilden eine Reihe von Entwicklungsländern in Asien und Südamerika. Diese waren als Reaktion auf die Finanz- und Währungskrisen seit Mitte der 1990er-Jahre darauf bedacht, Kapitalbilanzüberschüsse zu erzielen, um "Devisenkriegskassen" zur Bekämpfung möglicher Währungskrisen anzuhäufen.
In anderen Ländern, insbesondere in Deutschland, aber auch in Österreich, führten die stark zunehmende Lohnzurückhaltung und Einkommensungleichheit zu einer Spaltung von Außen- und Binnenwirtschaft. Während die Exporte angesichts steigender Wettbewerbsfähigkeit florierten, lahmte der heimische Konsum wegen der schleppenden bis stagnierenden Entwicklung der realen Masseneinkommen. In Deutschland sind während des jüngsten Aufschwungs die Reallöhne sogar gefallen. Die OECD (2008b) stellte dazu fest: "Seit dem Jahr 2000 haben in Deutschland Einkommensungleichheit und Armut stärker zugenommen als in jedem anderen OECD-Land."
Anders als in den USA wollten bzw. konnten jedoch die deutschen KonsumentInnen ihre stagnierenden Einkommen nicht durch übermäßige Verschuldung kompensieren (vgl. Horn et al. 2009). Im Ergebnis agierten die exportorientierten Länder als "Trittbrettfahrer", da sie Wachstum nicht aus eigener, binnenwirtschaftlicher Kraft generierten, sondern von der Verschuldung anderer Länder, insbesondere den USA, abhängig waren und somit ihre eigene Verteilungsproblematik ins Ausland verlagerten.  Die globalen Ungleichgewichte waren also Ausdruck des international unterschiedlichen Umgangs mit dem Fehlen steigender Masseneinkommen als Grundlage für eine kräftige Nachfrageentwicklung.

Wie raus aus der Krise?

Notwendig zur Überwindung der Krise ist eine Wirtschafts-, Sozial-, und Lohnpolitik, die die strukturellen Ursachen der Krise bekämpft. Die Verteilungsschieflage mit der einhergehenden Exportlastigkeit des Wachstums muss überwunden werden. Lohnzurückhaltung und Budgetsanierung auf Kosten des Sozialbereichs bieten insbesondere in den Handelsüberschussländern Deutschland und Österreich keinen Ausweg aus dieser Krise, sondern verschlimmern die Situation nur weiter.
Eine egalitärere Primärverteilung könnte durch die Stärkung der gewerkschaftlichen Lohnverhandlungsposition, die Bekämpfung der in den vorigen Jahrzehnten geschaffenen Niedriglohnsektoren durch Mindestlöhne und die Einführung stärkerer sozialrechtlicher Standards für prekäre Beschäftigungsverhältnisse erreicht werden. Mittels veränderter Steuer- und Transferpolitik sowie einem Ausbau öffentlicher Infrastruktur könnte die Ungleichheit der verfügbaren Einkommen weiter korrigiert werden. Die steigende Arbeitslosigkeit ließe sich bereits kurz- bis mittelfristig durch den Ausbau öffentlicher Beschäftigung und durch gezielte Arbeitszeitverkürzung reduzieren.

Es bleiben Fragen offen

Neben der Frage, wie sich Arbeit und Wohlstand gerecht verteilen lassen, muss mittelfristig ein zukunftsfähiges Wirtschaftsmodell entwickelt werden, wofür u.  a. folgende Fragen zu beantworten sind: Wie lässt sich künftiger Wohlstand auch ohne weitere Umweltzerstörung sichern? In welchem Umfang sollten künftige Produktivitätsfortschritte in mehr Produktion bzw. mehr Freizeit übersetzt werden? Wie kann mehr Wirtschaftsdemokratie und individuelle Entfaltung am Arbeitsplatz erreicht werden?

Weblink
Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung von Sturn, S./van Treeck, T./Zwickl K. "Die strukturellen Ursachen der Krise", erschienen in "Die Zukunft - Die Diskussionszeitschrift für Politik, Gesellschaft und Kultur", Ausgabe 12/2009, S. 12-16.
diezukunft.at/?p=940#more-940 

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Literatur:
Fitoussi, Jean-Paul/Stiglitz Joseph (2009): The Ways Out of the Crisis and the Building of a More Cohesive World. OFCE Document de Travail, 17
Horn, Gustav/Dröge, Katharina/Sturn, Simon/van Treeck, Till/Zwiener, Rudolf (2009): Von der Finanzkrise zur Weltwirtschaftskrise (III)   Die Rolle der Ungleichheit. IMK Report, 41
Krugman, Paul (2008): Nach Bush - Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten. Campus: Frankfurt
OECD (2008a): Growing Unequal? Income Distribution and Poverty in OECD Countries. OECD Publishing, Paris
OECD (2008b): Mehr Wohlstand durch Wachstum? Fact Sheet Deutschland: www.oecd.org/dataoecd/3/28/41531752.pdf [27-07-2009]

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