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In der Retrospektive betrachtet zeige sich, wo in Zukunft Einsparungspotentiale genutzt werden können. Am meisten sparen könne sie beim Essen, sagt sie. In der Retrospektive betrachtet zeige sich, wo in Zukunft Einsparungspotentiale genutzt werden können. Am meisten sparen könne sie beim Essen, sagt sie.

Eine halbe Sau

Schwerpunkt

Als der Bausparvertrag auslief, musste der Sohn der Schule fernbleiben. Ein Modell der Mikroökonomie, bei dem der Faktor Mensch zählt.

Es gibt eine Reihe von Regeln, an die sich die Beteiligten am Wirtschaftssystem im Haus Wegscheid1 fast ausnahmslos zu halten scheinen. Jedes der drei Kinder ist nicht nur für seine eigenen Sachen, sondern auch für bestimmte Arbeiten im Haus verantwortlich. Nur einmal, erzählt die Chefin, habe das Älteste der drei Kinder ein wenig übertrieben. "Aber das", sagt die Mutter verschmitzt, "bleibt unter uns."
Der Unfall des Vaters vor etwa zehn Jahren hat das Leben der Familie von Grund auf verändert. Der ehemalige Lehrer kann heute, wenn es gut geht, nur noch Hilfsarbeiten verrichten. Maximal 325 Euro monatlich erhält er dafür, den Baumbestand des Gutsherrn in verschiedenen Regionen Niederösterreichs in Ordnung zu halten. Ist der Wald weiter weg, rechnet sich der Einsatz kaum. Denn die Benzinkosten sind eine Variable, die im Haushaltsbudget möglichst gering zu halten ist.

Keine Schnitzelsemmel

Die Geldbörse der Mutter ist am Monatsende prall gefüllt. Sie bewahrt darin sämtliche Rechnungen auf, die sich seit Monatsanfang angesammelt haben. In der Retrospektive betrachtet zeige sich, wo in Zukunft Einsparungspotenziale genutzt werden können. Am meisten sparen könne sie beim Essen, sagt sie. Nicht einmal zur Diskussion stehen hier die Schnitzelsemmeln oder das Cola, die in der Schulkantine angeboten werden. Deren Sinnhaftigkeit sehe sie nicht ein. Brot wird zu Hause gebacken, die selbst gemachten Fruchtsäfte sind nicht nur billiger, sondern auch gesünder. Die sorgfältig aufbewahrten Rechnungen haben ihr gezeigt, dass im Durchrechnungszeitraum eines Jahres zu viel für Fleisch ausgegeben wird. Jetzt muss eine halbe Sau her. Denn ganz auf Fleisch zu verzichten, sei auch nicht gesund. Die Arbeit im Herrschaftswald ist schließlich hart.

Haushaltsbuch und Haushaltstipps

Aus dem Gespräch zur Frage über "Führen Sie ein Haushaltsbuch?" wird eine Einführung in praktizierte Hauswirtschaftslehre. Etwa: Man gehe nie ohne Einkaufszettel in den Supermarkt bzw. kaufe nichts, was nicht auf diesem steht. Außer, eine Ausnahme von dieser Regel ist sachlich zu begründen. Oder: Altes Gebäck, das an der Arbeitsstelle weggeworfen wird, verwerte man als Brösel, in Puddings und Suppen. Man binde alle Mitglieder des Haushaltes in die Jagd nach Sonderangeboten ein. Aus dem Sparen wird so ein Sport, aus dem Verzicht ein Einkaufsspaß für die ganze Familie.
Sehr viel sparen könne sie bei sich selbst, sagt sie, denn es gebe einiges, was sie nicht brauche. Neue Kleidung wird ausschließlich für die Kinder gekauft. Das Kleid zur Matura hat die Tochter nach dem Ball in eBay inseriert. Das Snowbord für den Sohn hat Frau Wegscheid im Internet ersteigert. Dass er beim Wettbewerb in der Schule damit eine Goldmedaille gewonnen hat, "war zwar nicht nötig, freut einen aber schon". Frau Wegscheid wählt das Nötigste für sich und den Mann aus den Altkleidern oder näht selbst.

Für den Konsum verfügbar

Das kleine Haus, mitten in einem Dorf an den Ausläufern der Wagramer Hügelkette, wirkt behaglich, es fehlt hier - offenbar - an nichts. Das strenge Sparprogramm der Familie hat ein Interieur hervorgebracht, das in keinem Möbelkatalog zu finden wäre. Auch die Geschichten der einzelnen Stücke berichten von Abenteuern, die zu ihrer Erlangung führten, Besuche von Einkaufshäusern sind keine dabei.
In der mikroökonomischen Haushaltslehre, so eine Definition, ist ein Budget das für den Konsum verfügbare Einkommen eines Privathaushalts. Das sind im Hause Wegscheid, je nach Hinzuziehung des Mannes auf dem Arbeitsmarkt, in guten Zeiten rund 500, in schlechten 300 Euro pro Monat, oder auch darunter. Frau Wegscheid ist Krankenschwester. Bei guter Organisation, sagt sie, gelingt es, so viel zu arbeiten wie eineinhalb Personen.
Immer wieder falle ein Nachtdienst aus, in Wien oder Linz.
So käme es, dass auch in schlechten Zeiten kein Minus auf ihrem Konto entstanden sei. Denn eine Rente bezieht der Mann (Migrationshintergrund) aus seinem Unfall nicht.
Neben der finanziellen Monatsplanung erstellt Frau Wegscheid einen ökonomischen Jahresplan. Hier werden Schulbeginn und andere voraussehbare Kostenfaktoren eingetragen. Ebenso die wenigen erwartbaren Sondereingänge, wie Weihnachts- und Urlaubsgeld, die für Sonderausgaben und Extrabelastungen genutzt werden. Als der Bausparvertrag des Jüngsten fällig war, wurde die Schule für einen Tag gestrichen. Seine Aufgabe war es, die Wände des neuen Holzkellers streichen. Das Geld aus der Bausparkasse war in die Umstellung der Heizung von Gas auf Holz investiert worden. Nicht allein wegen dem Unfall des Vaters hat die Familie ein Wirtschaftssystem der Knappheit.
Die Ausbildung von drei Kindern "geht ins Geld. Aber hier wird nicht gespart". Die Älteste studiert bereits in Wien, die Schwester folgt demnächst, der Jüngste träumt von einer Karriere als Tiefbauingenieur. Das alles sei teuer, aber das einzige, das wirklich lohne.
"Sind Sie", frage ich, "ein Vorzeigeopfer der Krise? Pflanzen Sie ihre Tomaten selbst am Balkon?" Nein, antwortet sie. Die Tomaten pflanze der Mann im Garten, seit Jahren schon. Es brauche keine Krise zur Nutzung des Hausverstandes.

Keine Tomaten am Balkon

Herbert Steiner1 pflanzt keine Tomaten. Er hat weder Garten noch Balkon. Er wohnt in einem der neuen Siedlungsbauten am Rand einer niederösterreichischen Kleinstadt, da wo es ausschaut wie überall und nirgends. Hier kennt jeder noch jeden, vom Steiner weiß man, dass er Arbeit sucht. Der wird keine finden, sagt man, aber ihm nicht direkt ins Gesicht.

Ein guter Tag beginnt ohne Budget

Ein guter Tag beginnt ohne Budget, hat er gewitzelt, damals zur Zeit des Finanzministers mit der grünen Badehose, als er die Arbeit verlor. Das ist lange her, heute lebt Herr Steiner von knapp 600 Euro Notstandshilfe. Die Differenz, die ihm als Ausgleichsrichtsatz zustünde, holt er nicht ab.
"Den sollen sie sich ..." sagt er, als könne er sich durch den Verzicht auf sein Recht rächen an jemandem, der ihm durch Entzug der Arbeit auch sein Ansehen genommen hat. Und wenn er, vielleicht, eines Tages doch wieder Arbeit hat, dann müsse er die Sozialhilfe ja wieder zurückzahlen. Und Schulden hat er noch nie gemacht, darauf ist er stolz.
Im Vergleich mit dem Bevölkerungsdurchschnitt haben die Klienten und Klientinnen der Schuldnerberatung monatlich deutlich weniger als das Durchschnittseinkommen zur Verfügung. Der Grundbetrag des (nicht exekutierbaren) Existenzminimums lag 2008 bei 747 Euro. Rund 23 Prozent der KlientInnen verdienen weniger als das Existenzminimum. Das, so die Experten, macht die Schuldensanierung deutlich schwieriger.
Wie hoch ist Herrn Steiners Monatsbudget nach Abzug der Fixkosten? "Niedrig," sagt er. Laut der SILC-Erhebung2, die über die Lebensbedingungen der Privathaushalte in der Europäischen Union gesammelt werden, stehen dem untersten Einkommenszehntel jährlich weniger als 10.635 Euro zur Verfügung. Das sind rund 800.000 Personen (zehn Prozent der Bevölkerung), die mit nur vier Prozent des gesamten Einkommens auskommen müssen. (Die oberen zehn Prozent haben 22 Prozent des gesamten Äquivalenzeinkommens zur Verfügung.)

... und manchmal schämt er sich

Herr Steiner schämt sich, die Sozialhilfe abzuholen. Manchmal, so sagt er, geht er jetzt zum Sozialbus, der seit einigen Monaten die Gegend bereist. Aber nur wenn er dort Halt macht, wo ihn keiner der Nachbarn sieht.

Weblinks
Haushaltsbudgetrechner der AK Wien
www1.arbeiterkammer.at/Haushaltsbudget/
Rechner, die sparen helfen
wien.arbeiterkammer.at/rechner.htm

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gabriele.mueller@utanet.at
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