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Politische Bildung - wozu?

Gesellschaftspolitik

Ein grundlegendes Verständnis von Politik und Parteien ist demokratiepolitisch notwendig und eine Chance für die ArbeitnehmerInnenvertretung.

Ein Rückblick auf die relativ kurze Geschichte der politischen Bildung zeigt, dass diese meist ein wenig geliebtes Kind im Erziehungssystem gewesen ist. Gerade im Schulbereich hatten Eltern und Lehrende oft wenig Freude mit der vermuteten "Politisierung" scheinbar "unpolitischer" Sachverhalte. Spätestens in den 1980er- Jahren kam noch ein weiterer Kritikpunkt hinzu: Im Rahmen einer weitreichenden Ökonomisierung fast aller gesellschaftlichen Bereiche wurde mit Blick auf den Arbeitsmarkt immer wieder die Frage gestellt, was es denn eigentlich "nützen" würde, sich mit allgemein politischen Fragestellungen zu befassen - und ob Zeit und Geld nicht besser in andere Ausbildungsziele investiert werden sollten.

Bildung gegen Rechtspopulismus

Um solchen relativ weit verbreiteten Kritikpunkten zu begegnen, sollten zuerst einmal grundsätzliche Fragen beantwortet werden: Was genau ist eigentlich politische Bildung, und wo liegen ihre Potenziale - nicht nur im Schulunterricht, sondern auch in der Bildungsarbeit von Gewerkschaften? Gerade vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte (man denke etwa das europaweite Aufkommen eines radikalen Rechtspopulismus) zeigt sich, dass politische Bildung nicht nur demokratiepolitisch notwendig ist und daher auch von den öffentlichen Bildungseinrichtungen betrieben werden muss. Sie kann - darüber hinaus - gerade auch für eine gewerkschaftliche Interessenvertretung zu einem Moment der Stärke werden.

Im Schulunterricht ...

In Österreich wurden Debatten um politische Bildung und deren notwendige Reformen am häufigsten und intensivsten für den Bereich der Schulen geführt. Immerhin ist der "Grundsatzerlass", der politische Bildung als eines von zahlreichen "Unterrichtsprinzipien" definierte, schon über 30 Jahre alt. Es war vor allem die etwas abrupt erfolgte Wahlaltersenkung im Jahr 2007 (in Österreich als bisher einzigem Staat in der Europäischen Union verfügen bereits 16-Jährige über das aktive Wahlrecht), die einige Fragen zur politischen Bildung aufwarf: Kennen Jugendliche in diesem Alter die grundlegenden Elemente unseres politischen Systems und wissen sie, wie sich die politischen Parteien voneinander unterscheiden? Werden sie vor allem im Schulunterricht ausreichend darauf vorbereitet? Allzu rosig dürften die Antworten nicht ausgefallen sein. Einige Aktivitäten seitens der Regierung wurden daher rasch gesetzt. So wurde z. B. das Unterrichtsfach "Geschichte und politische Bildung" bereits in der 8. Schulstufe angeboten, um die Kinder früher als bisher damit zu erreichen. Doch trotz einer ausgerufenen "Demokratie-Initiative" inkl. diverser Internetplattformen scheint sich der pädagogische Elan in überschaubaren Grenzen gehalten zu haben. Vor allem aber wurden grundlegende Probleme einfach nicht gelöst, wie etwa jenes der Ausbildung der Lehrenden: Es gibt schlichtweg kein Lehramtsstudium für politische Bildung, das notwendigerweise mit der Einführung eines entsprechenden Unterrichtsfaches verbunden wäre. Diese langjährige Forderung vieler Experten scheiterte bislang an recht unterschiedlichen Interessenlagen - auch in der Lehrerschaft ist die Stimmung dazu geteilt.

… und in Erwachsenenbildung

Was die Schule versäumt, kann die Erwachsenenbildung nicht einfach nachholen. Das gilt auch für die politische Bildung. Dennoch sollte man sich die Frage stellen, was die Debatte der vorigen Jahre für die gewerkschaftliche Bildung bedeuten könnte. Dafür müssen zuerst einmal die Unterschiede festgehalten werden.
Da ist zum einen der unterschiedliche Adressatenkreis: Gewerkschaftliche Veranstaltungen erreichen auch Menschen mit geringer formaler Bildung, die anderswo kaum mit politischer Bildung in Berührung kommen. Zum anderen aber auch die Zielrichtung: Gewerkschaften setzen politische Bildung gezielt als Instrument zur Verbesserung der Interessenvertretung von Beschäftigten ein. Das hat bedeutende Konsequenzen für die politische Bildungsarbeit, die sich neben der Allgemeinorientierung (Förderung demokratischen und toleranten Verhaltens etc.) auch durch eine spezifische Zweckgerichtetheit (in diesem Fall: Interessenvertretung) auszeichnet. Das muss kein Widerspruch sein: Denn politische Bildung, die auch als "Demokratieerziehung" begriffen werden kann, orientiert sich allgemein an gesellschaftlicher Demokratisierung. Damit ist nicht nur eine Vermittlung politischen Wissens gemeint, sondern etwa auch eine Intensivierung von politischen Diskussionen oder Partizipationsmöglichkeiten. Sie kann aber auch zweckgerichtet und im Einklang damit als Mittel zur Durchsetzung von demokratischen Interessen begriffen werden.
Denn politisch gebildete ArbeiternehmerInnen verfügen über höhere (fachliche, soziale, rhetorische etc.) Kompetenzen, um ihre Interessen erfolgreich zu vertreten.

Politische Kompetenzen

In den vergangenen Jahren gab es einige neue Akzente in der Debatte um politische Bildung in den Schulen, wozu vor allem die Kompetenzorientierung zählt. Neben der Sachkompetenz werden dabei vor allem die Methoden-, Handlungs- und Urteilskompetenz als zentrale Begriffe ins Treffen geführt. Wie bei allen wissenschaftlichen oder pädagogischen Konjunkturen, birgt auch diese Neuorientierung gewisse Gefahren in sich. So könnte etwa die häufig damit verbundene Nachordnung der politischen Wissensvermittlung auch problematische Defizite zur Folge haben, denn ein gewisses Grundwissen (etwa über das politische System oder gegensätzliche politische Ideologien) ist nach wie vor unverzichtbar. Zweifellos ist aber im Einklang damit beispielsweise eine Erweiterung und Unterstützung der politischen Handlungskompetenz oder eine Stärkung der selbstständigen politischen Urteilsfähigkeit von grundlegender Bedeutung. Denn es kann nicht nur darum gehen, reproduzierbares Wissen zu vermitteln. Wichtig ist vor allem auch die Anwendung in der täglichen Praxis. Der gerade auch im gewerkschaftlichen Bereich wichtige Ansatz, mit politischer Bildung eben nicht abstrakt zu agieren, sondern bei individueller und gemeinschaftlicher Betroffenheit anzusetzen, lässt sich mit dieser Kompetenzorientierung gut verbinden. Es ist aber ein etwas spezifischerer Zugang zur Kompetenzfrage notwendig.

Gewerkschaftliche Bildungsarbeit

Auf Oskar Negt geht eine Reflexion über sechs wesentliche Kompetenzen in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit zurück, die in diesem Zusammenhang hilfreich ist.
Der bekannte Sozialphilosoph nennt erstens eine Identitätskompetenz, die er als Fähigkeit zur Herstellung von "Bindungsfähigkeit" definiert, mit der der Verlust traditioneller Identitäten (z. B. sich als Teil der Arbeiterklasse zu fühlen) ausglichen werden sollte. Gerade dieser Identitätsverlust stellt heute ein Problem dar, dem mit den Mitteln der politischen Bildung entgegengewirkt werden könnte.
Zweitens nennt er die ökologische Kompetenz als notwendige Entwicklung einer Ethik der Natur und als Ausbildung eines ökologischen Problembewusstseins (man denke etwa an den Klimawandel).
Es folgt drittens die technologische Kompetenz als die Fähigkeit, Informationen beschaffen und verarbeiten zu können (z. B. über das Internet). Gemeint ist aber auch das Begreifen von Technik als gesellschaftliches Projekt, das von demokratischer Zustimmung abhängt und nicht einfach verordnet werden kann.
Viertens führt Negt die ökonomische Kompetenz an, die nicht nur die Fähigkeit beschreibt, wirtschaftliche Zusammenhänge zu erkennen und zu begreifen, sondern auch ein Entschlüsseln jener betriebswirtschaftlichen Ideologie ermöglicht, die längst zum neoliberalen Mainstream geworden ist und einer Ökonomisierung der Gesellschaft unablässig Vorschub leiste. Dem folgt die Gerechtigkeitskompetenz, die z. B. zur Wahrnehmungsfähigkeit von Gleichheit und Ungleichheit, von Recht und Unrecht, befähigt, sowie abschließend die Geschichts- und Utopiekompetenz, mit der einerseits Erinnerungsfähigkeit (Geschichte der Gewerkschaftsbewegung etc.), aber auch die Fähigkeit gemeint ist, den Blick für künftige, "bessere" Gestaltungsmöglichkeiten der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht zu verlieren. Ganz in diesem Sinne hatte der österreichische Wissenschafter und Arbeiterbildner Otto Neurath (1882-1945) übrigens die Utopisten einmal als "Historiker der Zukunft" bezeichnet.
Paradoxer Befund
Diese Kompetenzen mit konkretem Leben zu erfüllen, ist nicht nur ein wichtiger Impuls für gewerkschaftliche Bildungsarbeit, sondern vor allem auch für gewerkschaftliche Interessenvertretung. Für die politische Bildung ergibt sich damit ein etwas paradoxer Befund: Sie ist einerseits in der Krise, was sich in einer Verknappung der Bildungsangebote und einer Unterfinanzierung vieler Trägerorganisationen bemerkbar macht. Sie gewinnt aber andererseits - gerade auch wegen der wachsenden Komplexität politischer Prozesse - immer mehr an Bedeutung. Die gewerkschaftliche Bildung sollte das nicht übersehen.

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