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Dr. Viviane Reding Ich habe den Menschen, mit denen ich gesprochen habe, immer vermittelt, was für Glück sie haben mit einer Frau zu sprechen. Ich fühlte mich weder unterdrückt, noch hatte ich das Gefühl ein Problem zu haben.

In Vielfalt geeint

Interview

Die Journalistin Viviane Reding ist seit Jahresbeginn Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und für die Grundrechte zuständig. Diversity ist ihr ein Anliegen.

Frau Dr. Reding, Sie sind Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und für die Gleichstellung der Geschlechter, die Bekämpfung von Diskriminierung, die Zivilgesellschaft, für die Grund-rechte sowie die Bürgerschaft zuständig. Was sind die Ziele und Projekte der Kommission in Hinblick darauf?

Viviane Reding: Wir haben bereits ein weitreichendes Regelwerk auf europäischer Ebene gegen Diskriminierungen am Arbeitsplatz und in anderen Bereichen des Lebens. Mit der Annahme der "Charta für Frauen" voriges Monat hat die EU-Kommission ihr verstärktes Engagement für eine Gleichstellung von Mann und Frau zum Ausdruck gebracht. Jetzt müssen wir daran arbeiten, dass diese auch "umgesetzt" wird, sprich, dass Gleichstellung wirklich Teil unserer EU-Politik wird - von der Entwicklungshilfe, bis zur Digitalen Agenda. Außerdem, wird die Kommission im zweiten Halbjahr 2010 eine neue Strategie zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen für 2010 bis 2015 vorlegen. Sie enthält konkrete Maßnahmen mit Zeitplänen. Die Beseitigung der geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede wird jedenfalls zu den Hauptprioritäten gehören.

Wir haben uns bei der Präsentation der Equal-Pay-Kampagne kennengelernt. Dabei geht es um das geschlechtsspezifische Lohngefälle. Im EU-Schnitt verdienen Frauen 17,4 Prozent weniger als Männer. Ihre Heimat Luxemburg steht da mit einem Lohngefälle von zehn Prozent sehr gut da, Österreich zählt mit 25,5 Prozent zu den Schlusslichtern. Woran liegt das?

Das Lohngefälle ergibt sich aus dem Zusammenspiel einer Reihe juristischer, sozialer und wirtschaftlicher Faktoren, die miteinander verwoben sind. Ich möchte aber ausdrücklich die Anstren-gungen unterstreichen, die die österreichische Regierung in den vergangenen Jahren unternommen hat, um das Gefälle zu verringern: Es wurden konkrete Maßnahmen ergriffen, wie z. B. Geld-bußen für ArbeitgeberInnen, die den Grundsatz gleicher Bezahlung nicht respektieren, oder Maßnahmen, um Mädchen zu "nicht-traditionellen" Berufswegen zu ermutigen.
Ich beglückwünsche ihre Regierung auch zur Verabschiedung des Nationalen Aktionsplans für Gleichstellung, der aufruft, in den nächsten fünf Jahren konkrete Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt in fünf verschiedenen Aktionsfeldern zu ergreifen, darunter die Verringerung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles. Ich hoffe, dass diese Bemühungen bald Früchte tragen.

Viele Frauen entscheiden sich bewusst für Teilzeit, um mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen …

Teilzeit ist eine Lebensentscheidung. Wenn eine Frau aufgrund des Kindes, nicht mehr Vollzeit arbeiten möchte, muss sie sich bewusst sein, dass sie das kaum mehr aufholen kann. Deswegen setzen wir uns für Maßnahmen ein, die beide Elternteile betreffen. Es ist höchste Zeit, dass die Väter aufwachen und erkennen, dass auch sie für die Kinder verantwortlich sind. Da treffen verschiedene Fakten zusammen und die Folge ist, dass auf ein Arbeitsleben gerechnet Frauen einfach benachteiligt sind.

Was letztendlich auch bei der Pension zu spüren ist. Sie haben drei Söhne großgezogen und immer Vollzeit gearbeitet?

Zeit-Management ist alles. Ich habe meine Söhne geboren, als ich schon Parlamentarierin war. Es war nicht immer einfach. Ich wollte eine gute Mutter sein und trotzdem nichts vernachlässigen. Meine Söhne habe ich gestillt, alle drei. Man braucht Disziplin, aber es geht.
Und ich habe meinen Söhnen von klein auf beigebracht, selbstständig zu sein. Irgendwann kam einfach der Moment, an dem ich nicht mehr ihre Hemden gebügelt, sondern ihnen gezeigt habe, wo das Bügeleisen steht. Heute können sie alles im Alltag: Sie wissen wie man kocht, putzt, bügelt, aber auch wie man Spaß hat, Wein serviert und Frauen Komplimente macht.

Die Lohnunterschiede hängen aber nicht nur mit der Mutterschaft zusammen. Das Problem beginnt schon früher.

Mädchen sind heute sehr gut in der Schule, viel besser als Jungs und doch studieren sie Fächer mit geringen Karrierechancen und sind schlecht bezahlt. Wir müssen jungen Mädchen vermitteln, dass es noch andere Wege gibt, als Krankenschwester oder Lehrerin zu werden. Nach wie vor entscheiden sich nur wenige junge Frauen für die Finanzbranche oder Technikstudien - dort könnten sie Karriere machen.

Wurden Sie selbst je diskriminiert?

Nein, niemals. Wohl weil ich immer sehr stolz darauf war, eine Frau zu sein. Ich habe eigentlich davon immer nur profitiert. Ich war die erste politische Journalistin in Luxemburg, ich war Politikerin, ich habe drei Söhne großgezogen. Aber ich würde meine Geschichte nicht mit durchschnittlichen Lebens- und Karriereverläufen von Frauen vergleichen. Ich weiß von sehr vielen Frauen, dass sie Probleme haben.
Eines können Frauen von mir lernen: Ich habe den Menschen, mit denen ich gesprochen habe, immer vermittelt, was für Glück sie haben mit einer Frau zu sprechen. Ich fühlte mich weder unterdrückt, noch hatte ich das Gefühl ein Problem zu haben. Ich denke einfach: Es ist wundervoll, eine Frau zu sein, Sie armer Mensch sind bloß ein Mann.

Welche Vorteile sehen Sie in der Diversität der Geschlechter?

Frauen haben immense Fähigkeiten und mittlerweile wurde das analysiert. Firmen mit gut ausge-wogener Verteilung von Männern und Frauen sind wirtschaftlich erfolgreicher als Firmen mit männlichem Überhang. Man braucht das Feingefühl von Frauen, das Verständnis für Menschen, für soziale Aspekte des Marktes - das zu nutzen ist im Sinn jeder Firma.
Frauen ticken anders. Als ich als Journalistin begonnen habe, haben Frauen über Essen und Familie geschrieben. Ich wollte unbedingt politische Journalistin werden. Was war der Unterschied zwischen meinen Artikeln und denen meiner männlichen Kollegen? Ich habe immer die Menschen angesprochen, hochpolitisch - aber direkt. Frauen verstehen es, Dinge konkret zu machen. Ganz egal in welchem Bereich, diese spezielle Gabe der Frauen kann überall von Nutzen sein.
Stellt uns nicht in die Ecke. Wir Frauen haben viele verschiedene Talente und können der Gesell-schaft so viel geben. Das ist auch eine Frage des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Wenn wir das Problem der Ungleichheit lösen, die große Fähigkeit von Frauen zu lernen und ihr produktives Po-tenzial nutzen würden, wenn die Geburt eines Kindes nicht ein Karriereende bedeuten würde, wenn also die Talente von Frauen über ihre ganze Lebensspanne geschätzt würden, könnte das laut einer 2009 angefertigten Studie in den EU-Mitgliedsstaaten zu einem Anstieg des BIP um bis zu 15,45 Prozent führen. Das ist ökonomisch notwendig.

2006, während der EU-Ratspräsidentschaft Österreichs, haben Sie Wien als Herz Europas und frühes Modell für Einheit in der Vielfalt - unity in diversity - bezeichnet. Auch in Österreich haben wir Probleme mit rechten Gruppierungen und Fremdenfeindlichkeit. Wie will die EU dem entgegenwirken?

Laut einer EU-Meinungsumfrage vom Vorjahr, sind 63 Prozent der ÖsterreicherInnen der Ansicht, dass Diskriminierung aufgrund ethnischer Abstammung ein weit verbreitetes Problem in Öster-reich ist (EU-Durchschnitt bei 61 Prozent). Rund 45 Prozent denken, dass mehr unternommen werden sollte, um Diskriminierung zu bekämpfen. Gleichzeitig ist jedoch festzustellen, dass die Menschen in Österreich am schlechtesten informiert sind, sollten sie Opfer von Diskriminierung werden: nur 16 Prozent wissen über ihre Rechte Bescheid, während der EU-Durchschnitt bei 33 Prozent liegt, und Finnland mit 63 Prozent Vorreiter ist. Ich denke, hier muss die EU zusammen mit den nationalen Regierungen noch einiges leisten, um die BürgerInnen über ihre Rechte aufzuklären. Wenn Rechte nur am Papier existieren - wir haben umfangreiche Anti-Diskriminierungsgesetze - bringt das nichts. Deshalb sind auch alle Sensibilisierungsmaßnahmen, wie die Kampagne "gegen Diskriminierung, für Vielfalt" auf EU-Ebene so wichtig. Dabei benötigen wir die Mitgliedsstaaten als unsere Partner.

Sie haben erklärt, dass Sie im ersten Jahr Ihrer Amtszeit eine Strategie für Menschen mit Behinderungen für den Zeitraum ab 2010 vorstellen möchten.

Behinderung ist kein Randgruppenthema. Früher oder später kann fast jede/r betroffen sein. Die Dringlichkeit des Themas spiegelt sich für mich auch in seiner Mehrdimensionalität.
Primär geht es um Rechte: Das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe, Selbstbestimmung, Arbeit, Zugang zu Dienstleistungen usw.  Das ist für viele Menschen aber leider nicht selbstverständlich. Dieser Grundrechtsansatz wird unterstrichen durch die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung, zu der sich auch die EU verpflichtet hat. Es gibt aber auch eine wirtschaftliche Perspektive: Europa braucht Wachstum und Beschäftigung, und dazu braucht es alle BürgerInnen. Ich denke, dass gerade bei Menschen mit Behinderung das volle Potenzial nicht ausgeschöpft ist. Mit den richtigen Unterstützungen könnten wir sicherlich mehr Menschen in Arbeit bringen. Gleichzeitig bin ich mir natürlich darüber im Klaren, dass Arbeit nicht für alle eine realistische Option ist. Hier müssen wir ein Leben in Würde sicherstellen.
Von 2003 bis 2010 hatten wir den Europäischen Aktionsplan zur Chancengleichheit von Menschen mit Behinderung. Jetzt geht es darum, neue Entwicklungen zu berücksichtigen und in unsere Europäische Strategie einzubringen. Deshalb habe ich die Europäische Strategie im Bereich Behinderung 2010 bis 2020 zu einer meiner Prioritäten erklärt, und ich freue mich bereits darauf, ihnen im Herbst dieses Jahres konkrete Schritte vorstellen zu können.

Sie haben auch angekündigt, dass Sie bei der Bekämpfung von Diskriminierungen eng mit dem Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Integration, dem Ungarn Laszlo Andor zusammenar-beiten werden.

Gleichstellungsfragen haben einen klaren und engen Bezug zu dem Bereich, für den mein Kollege Andor zuständig ist. Deshalb arbeiten wir eng zusammen und bringen die Instrumente aus unserer beider Portfolios zusammen: die Anti-Diskriminierungsgesetze, für die ich zuständig bin, und die EU-Fonds, wie z. B. den Strukturfonds, für den er verantwortlich ist. Gemeinsam sind wir stark! So waren wir z. B. erst vor kurzem zusammen in CÛrdoba und haben an dem zweiten europäischen Gipfeltreffen zur Lage der Roma teilgenommen. Dort haben wir ein Programm vorgestellt, wie die Kommission die wichtigsten Probleme bei der Integration der Roma angehen will.

Sie betonen gerne die Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern. Sind oder waren sie je Gewerkschaftsmitglied?

Ich war zwölf Jahre lang (1986-1989) Vorsitzende des luxemburgischen Journalistenverbands. Ich habe die Interessen der JournalistInnen vertreten und habe für sie, u. a. Gehaltserhöhungen verhandelt. Somit weiß ich, wie wichtig es ist, die Anliegen von ArbeitnehmerInnen zu repräsentieren, zu berücksichtigen und sogar durchzusetzen.

Wo und wie (er)leben Sie im täglichen Leben die Vielfalt von Diversity?

Das Motto der Europäischen Union ist "Unity in diversity" - also "in Vielfalt geeint" und das erlebe ich tagein tagaus in der Arbeit. Jede Woche sitze ich in der Kommission mit 26 KollegInnen aus 26 verschiedenen Ländern, und wir treffen dennoch Entscheidungen als Kollegium - als Ganzes - im Sinne des Europäischen Interesses. Außerdem bin zuständig für drei Generaldirektionen in der Kommission, in denen die MitarbeiterInnen auch aus allen 27 Mitgliedsstaaten stammen - es be-reichert, täglich mit Leuten zusammenzuarbeiten, die die verschiedensten Hintergründe haben. Die Vielfalt ist unser Reichtum.

Wir danken für das Gespräch.

Zur Person
Dr. Viviane Reding
geboren am 27. April 1951 in Esch-sur-Alzette, Luxemburg, ist seit 10. Februar Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft.
1977: Doktor der Humanwissenschaften, Sorbonne, Paris
1978-1999: Journalistin beim Luxemburger Wort
1979-1989: Mitglied des luxemburgischen Parlaments
1986-1998: Vorsitzende des luxemburgischen Journalistenverbands
1981-1999: Mitglied des Gemeinderates der Stadt Esch-sur-Alzette, Luxemburg
1988-1993: Landesvorsitzende der Vereinigung der Christlich-Sozialen Frauen, Luxemburg
1989-1999: Mitglied des Europäischen Parlaments
1995-1999: Stellvertretende Vorsitzende der Christlich-Sozialen Partei, Luxemburg
1999-2004: Mitglied der Europäischen Kommission, zuständig für Bildung, Kultur, Jugend, Me-dien, Sport
2004-2010: Mitglied der Europäischen Kommission, zuständig für Informationsgesellschaft und Medien
2009: Mitglied im Global Council von Women‘s Forum,
Mitglied der Christlich Sozialen Volkspartei Luxemburgs

Weblink
EU-Homepage von Viviane Reding:
ec.europa.eu/commission_2010-2014/reding/

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