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Dr. Sabine Oberhauser Das System ist finanzierbar, die Kassen sind krank gemacht. Krank gemacht in den Jahren 2000 bis 2006 mit einer Menge Maßnahmen, mit denen man versucht hat, die Krankenkassen zu ruinieren.

Der Druck wächst

Interview

Die Ärztin Sabine Oberhauser ist seit bald einem Jahr ÖGB-Vizepräsidentin.Gesundheit am Arbeitsplatz ist ihr ein Anliegen.

Zur Person
Dr. Sabine Angela Oberhauser, MAS
geboren am 30. August 1963, ist seit 2. Juli 2009 ÖGB-Vizepräsidentin.
Sie ist verheiratet mit Dr. Gerold Oberhauser und hat zwei Töchter.
1981-1987: Studium der Humanmedizin an der Universität Wien
1987: Promotion zum Dr. med. an der Uni Wien
1997: Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde, Ärztin für Allgemeinmedizin
2002: Abschluss zur akademischen Krankenhausmanagerin an der WU Wien
2003: MAS in Gesundheitsmanagement an der Donau Universität Krems
1998: freigestellte Personalvertreterin/Gewerkschafterin in der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten (GdG), Landesgruppe Wien, Hauptgruppe II
seit 2002: Mitglied des Wiener Vorstandes der GdG
1999-2003: Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft ÄrztInnen im ÖGB; 2003-2010: Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft ÄrztInnen im ÖGB
1999-2006: Kammerrätin der Wiener Ärztekammer; 2003-2006: Präsidialreferentin der Wiener Ärztekammer
2004-2006: Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings; 2004-2006: Vorstandsmitglied der european women‘s lobby
seit 2006: Abgeordnete zum Nationalrat, Gesundheitssprecherin der SPÖ

Arbeit&Wirtschaft: Dr. Sabine Oberhauser, seit bald einem Jahr bist du ÖGB-Vizepräsidentin. Vor 15 Jahren hast du dich als Ärztin um Neugeborene gekümmert. Was hat dich bewogen diesen doch ungewöhnlichen Weg einzuschlagen?

Sabine Oberhauser: Am Anfang stand ein Sachthema: Nach der Matura entschloss ich mich spontan Medizin zustudieren. Meine Liebe zur Kinderheilkunde war von Anfang an da. Vom Preyer’schem Kinderspital über das Krankenhaus Hietzing kam ich dann ins Mauthner Markhof ’sche Kinderspital, wo ich mit der Ausbildung zur Kinderärztin begann. Um das Jahr 1993 begann die Diskussion um die sanfte Neonatologie. Im Mauthner Markhof ’schen Kinderspital sollte die Neonatologie geschlossen werden. Also habe ich damals, gemeinsam mit Rudolf Hundstorfer, versucht, die Neonatologie zu erhalten. Wir konnten erreichen, dass die Neonatologie als erste Abteilung des Mauthner Markhof ’schen Kinderspitals in die Rudolfstiftung übersiedelte. Ich fand Spaß daran, jenseits der Medizin etwas Organisatorisches zu machen. Rudolf Hundstorfer fragte mich danach, ob ich mir vorstellen könnte, in die Gewerkschaft zu kommen und mein Know-how, das ich mir im Rahmen der politischen Verhandlungen angeeignet hatte, für Ärzteangelegenheiten zu nutzen. Im September 1998 wurde ich dann mit Unterstützung von Kollegen Hundstorfer und Monika Mayrhofer für die Gewerkschaftsarbeit freigestellt. Ab diesem Zeitpunkt begann ich, die Ärztevertretung als erste freigestellte Ärztin weiterzuentwickeln.
Dass sich mein Leben in den nächsten Jahren noch viel tief greifender verändern würde, damit hat niemand gerechnet. Von der Gewerkschaftsarbeit, über Standespolitik in der Ärztekammer bis ins Parlament als Gesundheitssprecherin der SPÖ. Doch die Gewerkschaftsbewegung mit ihrem Kampf für ArbeitnehmerInnenrechte ist für mich immer ein Herzstück meiner politischen Arbeit geblieben. Im Vorfeld des 17. ÖGB-Kongresses wurde mir dann die große Ehre zuteil, von den FSG-Frauen als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft des ÖGB nominiert zu werden. Am 2. Juli 2009 wurde ich vom ÖGB-Bundeskongress, dem höchsten Gremium des ÖGB mit überwältigenden 93 Prozent zur Vizepräsidentin gewählt. Wieder bin ich die erste Ärztin in dieser Position. Ich halte dies für ein Signal, dass der ÖGB die Zeichen der Zeit versteht und Menschen, die nicht dem "klassischen" ÖGB-Klischee entsprechen in solche Positionen bringt.

Du bist akademische Krankenhausmanagerin und hast einen MAS in Gesundheitsmanagement. Hierzulande wird immer wieder gerne behauptet, das Gesundheitssystem sei unfinanzierbar - gerade in Zeiten der Krise - die Kassen kranken, deine Diagnose?

Das System ist finanzierbar, die Kassen sind krank gemacht. Krank gemacht in den Jahren 2000 bis 2006 mit einer Menge Maßnahmen, mit denen man versucht hat, die Krankenkassen zu ruinieren. Es beginnt jetzt langsam ein gegenrudern. Wir haben erstmals Steuergeld im Kassensystem. Die Krankenkassen bekommen 100 Mio. Euro aus dem Strukturfonds. Das haben wir SP-Gesundheitsminister Alois Stöger zu verdanken. Die Krankenkassen sind bei weitem nicht gesundet, aber zumindest am vorsichtigen Weg der Genesung. Damit sie aber all ihre Leistungen aufrecht erhalten können, werden sie auch weiterhin Geld brauchen und natürlich auch mehr Effizienz. Alle Beteiligten am Gesundheitssystem müssen ihren Beitrag leisten, die PatientInnen dürfen aber keinen Nachteil haben.

Das Geld wäre ja da, denken wir an die ausstehenden Dienstgeberbeiträge, über die wir im Heft berichten. So weit die Einnahmenseite. Und was ist mit den Kostentreibern auf der Ausgabenseite?

Die Schulden der Industrie sind eminent - was da an nicht einbezahlten Sozialversicherungsbeiträgen den Kassen vorenthalten wird. Wenn man dieses Geld effizienter eintreiben würde, hätte man die Kassen wohl relativ schnell besser finanziert. Die sogenannten Kostentreiber Ärzteschaft, ApothekerInnen oder Pharmaindustrie sind natürlich alles Spieler im System, die versuchen ihren Gewinn zu maximieren. Ich gehe davon aus, dass 99 Prozent der Ärzte/-innen zum Wohle der PatientInnen behandeln - auch unter Druck der Krankenkassen. Natürlich kann man überall effizienter sein.
Zur Pharmaindustrie: Die Preise in Österreich sind relativ niedrig. Es liegen viele Spannen dazwischen, und es verdienen alle ihr gutes Geld. Auch da ist Effizienz und Sparen möglich. Augenmaß ist aber notwendig.

Du kommst aus dem Gemeindebereich. Auch im Krankenhausbereich wird gerne privatisiert, z. B. Reinigungsbereich oder Küche - was sagst du?

Wir haben in Österreich, je nach Träger, bei den sogenannten patientInnenfernen Diensten unterschiedlich viel Eigenversorgung. Natürlich wird auch im öffentlichen Raum versucht, Kosten auszulagern, ob in den Spitälern oder anderen Bereichen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass z. B. in punkto Hygiene und in der sehr wichtigen Zusammenarbeit hauseigene Dienste besser sind. Sie sind integrierter, die Kolleginnen und Kollegen sind vertraut und durch die fixe Zugehörigkeit besteht auch eine höhere Identifikation.
Ein weiteres Argument für Eigenleistung ist, dass in Zeiten, in denen der ¬Arbeitsmarkt eng ist, jene Arbeitsplätze auch die Möglichkeit bieten Menschen anzustellen, die sich am freien Markt schwerer tun Arbeit zu finden, also z. B. Menschen mit Beeinträchtigungen. Und ich glaube, auch das ist eine wichtige Aufgabe für Einrichtungen des öffentlichen Raums und des Gesundheitswesens.

Der Gesundheits- und Pflegebereich wird gerne als Arbeitsmarkt der Zukunft hingestellt, der Bedarf wächst. Die Beschäftigten allerdings sind oft schlecht bezahlt und an der Schwelle zum Burn-out.

Allein wenn ich an das Gesundheitspersonal denke, erreichen viele schon die Grenzen ihrer psychischen und physischen Belastbarkeit. Der Personalstand wird überall geringer. RettungssanitäterInnen, Pflegepersonal, aber auch Ärzte/-innen leiden z. B. unter extrem großer Belastung und hohem Druck. In vielen dieser Bereiche merken wir auch aufgrund der Krankenstandshäufigkeiten, dass Menschen immer häufiger an die Grenzen ihrer Belastbarkeit kommen. Im öffentlichen Bereich läuft die Entlohnung auf der Basis Gehalt plus Überstunden. Da das Gehalt oft niedrig ist, machen viele Überstunden und überlange Dienste. Sie wollen etwas verdienen, das halte ich für legitim, aber überlange Arbeitszeiten machen krank.Da wäre es besser, das Grundgehalt anzuheben und somit die Überstunden und die Selbstausbeutung nicht so attraktiv zu machen.
Ich bin überhaupt der Ansicht, dass Dienstleistungen im Vergleich zu anderen Bereichen zu gering bezahlt sind. Denken wir nur an die klassischen Frauenberufe in der Pflege, die sind viel zu gering entlohnt. Ob Hauskrankenpflege oder mobile Dienste, da besteht großer Handlungsbedarf.

Was stellen ÖGB und Gewerkschaften sich da genau vor?

Viele Einrichtungen und Organisationen leiden unter Finanzierungsengpässen, die dringend behoben werden müssen. Denn der Geldmangel lässt nicht nur den Arbeitsdruck auf die Beschäftigten steigen, sondern gefährdet auch die Qualität der Dienste. Daher ganz klar: Wir müssen in den Gesundheits- und Sozialbereich investieren, und es müssen Arbeitsplätze mit Einkommen geschaffen werden, von denen man auch leben kann.

Die Arbeitszeiten haben sich ja auch durch moderne technische Geräte, Handy, Laptop, Netbook, wie sie auch vor uns liegen, stark verändert.

Ja, diese Geräte helfen uns in vielen Dingen, erweitern aber auch den Arbeitsplatz auf die U-Bahn, das Auto etc. Der Druck wird immer größer, gerade in Zeiten der Krise, wo der Arbeitsplatz vielleicht nicht so sicher ist. Der überlange Einsatz ist modern und ein Gradmesser für Engagement, Fleiß und Interesse. Untersuchungen haben ergeben, dass von den vielen Überstunden, die hierzulande geleistet werden, 27 Prozent nicht bezahlt werden. Die Menschen arbeiten in Österreich mehr als im europäischen Schnitt - 41,6 Stunden in der Woche. Problematisch sind da auch die sogenannten "All-in-Arbeitsverträge". In der modernen Arbeitswelt spielen auch sie eine immer größere Rolle. Überarbeitung und ein großzügiger Verzicht auf Arbeitszeiterfassungen sind nur einige der Begleiterscheinungen von All-in.
Natürlich ergäben weniger Überstunden auch mehr Arbeitsplätze, aber die Arbeitgeber lassen lieber die Leute Überstunden machen, als neue MitarbeiterInnen anzustellen. Da müssen wir dringend gegensteuern.

Die Produktionsgewerkschaft PRO-GE hat eine Gesundheitskampagne gestartet, die Gewerkschaft vida bietet Seminare gegen Burn-out an, es gibt verschiedene Initiativen aus dem Gewerkschaftsbereich zum Thema Gesundheit - warum dieses Engagement?

Die Gewerkschaften engagieren sich da traditionell, denk nur an den ArbeitnehmerInnenschutz. BetriebsrätInnen sorgen gemeinsam mit dem arbeitsmedizinischen Dienst für Verbesserungen am Arbeitsplatz. Sie haben den Auftrag, auf das körperliche Wohl ihrer KollegInnen zu schauen. Heute reichen Schutzhelme und Handschuhe nicht mehr, heute spielen auch die Psyche oder die Ernährung eine Rolle. Da ist Vermittlungs- und Aufklärungsarbeit auch bei uns nötig. Und wir müssen uns da auch bei den ArbeitgeberInnen durchsetzen.
Denn ich halte nichts davon, dass man Leute mit Know-how bereits mit 50 Jahren verliert, weil sie krank werden. Es kommt nicht von ungefähr, dass Österreich innerhalb der EU zu den Staaten mit der niedrigsten Beschäftigungsquote von älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zwischen 55 und 64 Jahren zählt. Gesundheit und Qualifikation älterer ArbeitnehmerInnen müssen aktiv unterstützt werden. Davon haben schließlich alle etwas.

Ein oft totgeschwiegenes Problem ist Alkohol am Arbeitsplatz - manche Menschen greifen im großen Stress zu dieser Selbstmedikation.

Alkohol ist die legale Droge in Österreich mit langer Geschichte. Er wird gerne verwendet zum Abschalten, und natürlich wird er permanent angeboten. Nicht trinken ist immer mit Erklärungsnotstand verbunden. Da wird starker sozialer Druck aufgebaut. Alkoholsucht ist eine Krankheit, die therapiert und angesprochen gehört. Das ist eine sehr schwierige Situation für BetriebsrätInnen. Sie sollten Alkoholmissbrauch am Arbeitsplatz aber unbedingt thematisieren und betroffenen KollegInnen Hilfe anbieten.

Eine weitere Suchtkrankheit, die heftig diskutiert wird, ist das Rauchen.

Zum Thema Rauchen: Darüber wird sehr emotional diskutiert. Klar geht es hier um die Eigenverantwortung. Aber vergessen wir bitte nicht die KollegInnen im Gastgewerbe. Wir wissen, dass Gastronomiebedienstete passiv relativ viel mitrauchen, wenn sie nicht auch noch aktiv rauchen. Ganz problematisch ist das z.B. bei Schwangeren, die dann dem Rauch ausgesetzt sind - das ist sehr schädlich für Mutter und Ungeborenes. Dazu gibt es aber klare Forderungen der Gewerkschaft vida z. B. auch, dass Schwangere früher in den Mutterschutz gehen können.

Zu guter Letzt, Frau Doktor, wie hältst du es mit deiner Gesundheit?

Als ich damals in die Politik gewechselt bin, habe ich gesagt: "Endlich keine Nachtdienste mehr, mehr Zeit für die Familie." Darüber witzeln meine Mutter, FreundInnen und Familie laufend.
Im Ernst: Ich versuche mir Zeitfenster zu nehmen, Bewegung in den Alltag einzubauen, manchmal gehe ich Nordic-Walken oder Laufen mit dem Hund. Ich versuche auch regelmäßig und gesund zu essen. Obwohl das nicht so einfach ist, auch für eine Politikerin: Bei fast jedem Ausschuss gibt es Würsteln und Brote. Und ich lache viel, lachen hält auch gesund.

Wir danken für das Gespräch.

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