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Krank machende Arbeitsbedingungen führen nicht nur zu dauerhaften gesundheitlichen Schäden bei den Beschäftigten, sie kosten auch der Wirtschaft Milliarden Euro. Krank machende Arbeitsbedingungen führen nicht nur zu dauerhaften gesundheitlichen Schäden bei den Beschäftigten, sie kosten auch der Wirtschaft Milliarden Euro.

Lang und unregelmäßig

Schwerpunkt

Gesundheit ist das wichtigste Gut im Leben der Menschen. Oft kommt sie zu kurz, weil die Arbeitszeiten viel zu lange sind.

Susanne F. fühlt sich erschöpft und ausgelaugt. Seit Tagen kämpft sie gegen den hartnäckigen Schnupfen an, doch ein Kollege ist bereits im Krankenstand und ein wichtiger Arbeitsauftrag muss noch diese Woche erledigt werden. Mit ein paar Stunden mehr Arbeit wird das schon zu schaffen sein! Susanne ist kein Einzelschicksal - immer mehr Beschäftigte in Produktionsbetrieben klagen über hohe Arbeitsbelastungen und gesundheitliche Probleme. Eine aktuelle Studie im Auftrag der Produktionsgewerkschaft macht den Handlungsbedarf deutlich.

Eine Frage der (Arbeits-)Zeit

Rund 7.000 Beschäftigte aus über 100 Betrieben in ganz Österreich hat das Institut für Empirische Sozialforschung (IFES) im letzten Quartal 2009 über Arbeitsbelastungen und gesundheitliche Beeinträchtigungen befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass Überstunden in Österreich immer noch Tradition haben. Mit durchschnittlich 40 Stunden pro Woche arbeiten die Produktionsbeschäftigten deutlich mehr als laut Kollektivvertrag vereinbart. Knapp drei Viertel der Befragten leisten zumindest gelegentlich Wochenendarbeit. Überlange Arbeitszeiten und regelmäßige Nachtarbeit können das Krankheitsrisiko beträchtlich erhöhen. Neben Beschwerden des Bewegungs- und Stützapparates schlagen auch psychische Belastungen vermehrt auf den Magen. Georg Michenthaler, Studienleiter vom IFES, gibt vor allem ungünstigen Arbeitszeiten die Schuld an den gesundheitlichen Beschwerden. Rund ein Drittel der Befragten arbeitet im Schichtdienst und zumindest gelegentlich auch in der Nacht. Ein Fünftel macht häufig Überstunden, jede/r Dritte hält zudem die Arbeitspausen nicht ein.

Hohes Risiko in der Nacht

Ob am Tag, in der Nacht oder am Wochenende - Schichtarbeit ist sowohl für die betroffenen Beschäftigten als auch für die Gesellschaft ganz alltäglich geworden. In vielen Produktionsbereichen, wie zum Beispiel in der Chemischen Industrie oder in der Stahlindustrie, ist es selbstverständlich, dass Produktionsprozesse ohne Unterbrechung durchlaufen. Wenn die Nacht zum Tag wird, bedeutet das arbeiten gegen die innere Uhr. Die Auswirkungen auf die Gesundheit sind vorprogrammiert. Während 64 Prozent der Befragten angeben, unter Schlafstörungen zu leiden, erhöht sich dieser Anteil bei regelmäßiger Nachtarbeit um 13 Prozent. Beeinträchtigungen des Hörvermögens nehmen um zehn Prozent zu, Herz- und Magenbeschwerden um acht Prozent.
In kaum einem anderen EU-Land wird so lange gearbeitet wie hierzulande. 2008 lag die tatsächliche Wochenarbeitszeit mit 41,6 Stunden um 1,2 Stunden über dem EU-Durchschnitt, wie aus einer Studie der EU-Agentur zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) hervorging. Auch im Krisenjahr 2009 hat sich das Bild kaum verändert. Im ersten Quartal haben laut Statistik Austria rund 730.000 Personen in Österreich regelmäßig Überstunden geleistet. Der Durchschnitt lag bei 8,5 Überstunden pro Woche, bei 120.000 Beschäftigten waren es sogar mehr als 15. Österreich liegt damit im europäischen Spitzenfeld. Geht es nach den Vorstellungen vieler ArbeitgeberInnen, könnten wir es zum Europameister schaffen. Aber wollen wir das?

Überstunden lohnen sich nicht

"Überstundenleistende sind unzufriedener. Für viele lohnen sie sich nicht", merkt Michenthaler vom IFES an. Die Unzufriedenheit ist verständlich, wenn man bedenkt, dass ein Drittel der Überstunden unbezahlt ist. Längere Arbeitszeiten gehen zudem auf Kosten der Gesundheit. Beschäftigte, die regelmäßig Überstunden leisten, fühlen sich durch Zeitdruck, aufreibende Arbeit und schlechte Gesundheitsbedingungen am Arbeitsplatz deutlich stärker belastet als ArbeitnehmerInnen, die keine Überstunden machen. Die von der Wirtschaftsseite hartnäckig geforderte Flexibilisierung der Arbeitszeiten ruft daher bei ArbeitsrechtlerInnen und ArbeitsmedizinerInnen Kopfschütteln hervor. Unter dem Schlagwort "Flexibilisierung" werden längeres Arbeiten und das Streichen von Überstunden-Zuschlägen propagiert. Dabei würden viele Betriebe gerade mit dem gegenteiligen Modell wirtschaftlich besser aussteigen, wie Rudolf Karazman, wissenschaftlicher Leiter und Gründer des Instituts für Humanökologische Unternehmensführung, aus eigener Erfahrung weiß.

Eine Frage des Geldes

Karazman hat zahlreiche Arbeitsprojekte begleitet, die mittlerweile Geschichte gemacht haben: Ob Polyfelt, Agrolinz oder Voest Linz - in allen Produktionsbetrieben hat sich eine Verkürzung der Arbeitszeit positiv auf die Krankenstände und die Produktivität ausgewirkt. "Bei der Polyfelt stimmen heute 100 Prozent für die Verkürzung, seit 1999 ist niemand mehr in Frühpension gegangen, der Krankenstand ist seit 2000 um 25 Prozent gesunken und die Produktivität um 15 Prozent gestiegen. Und: Es wurden zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen!", so Karazman. Laut dem Gesundheitsexperten plädieren jedoch ArbeitnehmerInnen oft lieber für Zulagen und andere Mittel des gesundheitlichen Ausverkaufs als für die eigene Gesundheit. Schon der irische Schriftsteller Oscar Wilde hat den Stellenwert des Finanziellen klar zum Ausdruck gebracht: "Als ich klein war, glaubte ich, Geld sei das Wichtigste im Leben. Heute, da ich alt bin, weiß ich: Es stimmt." Mit 46 Jahren ist Wilde nicht alt geworden.

Krank in die Arbeit

"Stress ist ein ständig steigendes Problem und kein Phänomen, das nur bei Managern auftritt", so Georg Michenthaler. Bei der IFES-Studie gaben 45 Prozent der Befragten an, dass sich die Arbeitsmenge und der Zeitdruck in den vergangenen Jahren verschlechtert haben. An durchschnittlich 18 Tagen pro Jahr gehen Beschäftigte laut der Umfrage trotz Krankheit in die Arbeit. Tatsächlich verbrachten die Befragten im letzten Halbjahr 2009 im Schnitt nur vier Tage im Krankenstand. Krank machende Arbeitsbedingungen führen nicht nur zu dauerhaften gesundheitlichen Schäden bei den Beschäftigten, sie kosten auch der Wirtschaft Milliarden Euro. Die Arbeiterkammer hat im Frühjahr 2009 gesamtwirtschaftliche Kosten von 2,8 Mrd. Euro durch Krankengeld, entfallene Wertschöpfung und Krankenbehandlungskosten errechnet. Psychische Belastungen sind hier noch nicht miteingerechnet.
Viele der lauernden Gesundheitsgefahren sind vermeidbar. Vor allem, wenn Präventivmaßnahmen gesetzt werden und nicht erst gehandelt wird, wenn es zu spät ist. Die Studie von IFES und PRO-GE zeigt zwar ein gestiegenes Gesundheitsbewusstsein bei den Beschäftigten, der Handlungsbedarf in den Betrieben bleibt aber groß. "Viele Betriebe kommen ihrer Fürsorgepflicht gegenüber ihren MitarbeiterInnen nicht ausreichend nach. Eine gesunde Jause und ein Salatbuffet zu Mittag sind zu wenig", kritisiert der stellvertretende PRO-GE-Vorsitzende Franz Riepl. Mit Gesundheitskonzepten, die für den jeweiligen Betrieb maßgeschneidert sind, setzt die Produktionsgewerkschaft daher auf Vorsorge. Im Rahmen der Gesundheitskampagne hat die PRO-GE bereits knapp 300 BetriebsrätInnen und JugendvertrauensrätInnen zu Gesundheitsvertrauenspersonen ausgebildet. Diese sollen mit Unterstützung der Gewerkschaft, den Gebietskrankenkassen und Vitaltrainern Projekte zur betrieblichen Gesundheitsförderung umsetzen. In einigen Betrieben laufen aufgrund der Kampagne bereits erste Pilotprojekte. Gesundheit am Arbeitsplatz muss mehr zum Thema gemacht werden. Daher will die PRO-GE auch neue Arbeitszeitformen unter die Lupe nehmen, denn ein Großteil der gesundheitlichen Beschwerden geht auf lange und unregelmäßige Arbeitszeiten zurück.

Info&News
Die Ergebnisse der IFES-Studie "Nachtarbeit und überlange Arbeitszeiten machen krank" sowie Informationen zur Gesundheitskampagne der PRO-GE sind unter www.proge.at/gesundheit abrufbar.

Weblink
Die Eurofound Studie:
www.eurofound.europa.eu/eiro/studies/tn0903039s/tn0903039s.htm

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