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Erst vor wenigen Wochen verursachte ein Krankentransportfahrer einen Unfall mit Personenschaden wegen Übermüdung - er war bereits 22 Stunden im Dienst, als sich der Unfall ereignete. Erst vor wenigen Wochen verursachte ein Krankentransportfahrer einen Unfall mit Personenschaden wegen Übermüdung - er war bereits 22 Stunden im Dienst, als sich der Unfall ereignete.

Zukunftsinvestitionen

Schwerpunkt

Der Bedarf an Gesundheits- und Betreuungsleistungen steigt, die Finanzierung hält damit nicht Schritt. Das spüren auch die Beschäftigten.

In 20 Jahren wird jede/r Neunte in Österreich über 75 Jahre alt sein. Sind derzeit 23 Prozent der Bevölkerung 60 Jahre oder älter, so werden es 2020 laut Prognose der Statistik Austria 26 Prozent sein, ab 2030 sogar mehr als 30 Prozent. Die Zahl der über fünfundsiebzigjährigen Menschen steigt bis 2030 von derzeit 662.000 auf über eine Million.

Zukunftsbranche Gesundheitssektor

PolitikerInnen aller Richtungen weisen deshalb in Reden gern darauf hin, dass der Gesundheits- und Betreuungssektor eine Zukunftsbranche sei. Um den Mangel an Beschäftigten in Pflege und Betreuung zu beseitigen, finden laufend AMS-Ausbildungsprogramme statt. Gegen die Finanzierungsengpässe, mit denen viele Vereine, Institutionen und Organisationen aus dem Gesundheitsbereich zu kämpfen haben, wurde bislang jedoch nichts unternommen. Das wirkt sich auf die Arbeitsbedingungen aus: überlange Arbeitszeiten, die stete Abänderung der Dienstpläne, sodass die Freizeit kaum planbar ist, und eine Unterbesetzung mit Personal sind große Belastungen für die Beschäftigten im Gesundheitswesen, attestiert auch eine Studie, die kürzlich im Auftrag der AK NÖ erstellt wurde.1 Auch die Löhne und Gehälter sind nicht gerade üppig. Das Brutto-Durchschnittseinkommen im Gesundheits- und Sozialwesen liegt um rund ein Fünftel unter dem Durchschnittseinkommen aller ArbeitnehmerInnen in Österreich.

Weiße Flecken in der KV-Landschaft

Während es für den Großteil der Beschäftigten im Gesundheitsbereich Kollektivverträge gibt, ist das bei den Rettungs- und Krankentransporten derzeit noch nicht der Fall. Für die ArbeitnehmerInnen des Roten Kreuzes gibt es einen Kollektivvertrag, für die restlichen Vereine und Unternehmen nicht. Überlange Arbeitszeiten, ja selbst Löhne, die sich an der Leistung orientieren - also an der Anzahl der gefahrenen PatientInnen - kommen bei manchen Unternehmen vor. Erst vor wenigen Wochen verursachte ein Krankentransportfahrer einen Unfall mit Personenschaden wegen Übermüdung - er war bereits 22 Stunden im Dienst, als sich der Unfall ereignete. "vida schaltete das Arbeitsinspektorat ein, das daraufhin die Einteilung von 24-Stunden-Diensten untersagt hat", erzählt der zuständige Bundesfachgruppensekretär, Rudolf Wagner. Auch bei den Mindestlöhnen für die Branche sollte es in Kürze eine Regelung geben. Das Bundeseinigungsamt wird voraussichtlich im Mai auf Antrag der Gewerkschaften vida und GPA-djp entscheiden, welcher Kollektivvertrag für die Rettungs- und Krankentransporte anzuwenden ist.
Ohne Kollektivvertrag sind auch die Beschäftigten in den privaten Kur- und Rehabilitationseinrichtungen. Der Wellnessboom, aber auch die Auslagerung der Leistungen durch die Sozialversicherungen führen zu einem steten Anwachsen dieser Betriebe. "Manche Arbeitgeber lehnen sich bei der Entlohnung an den Kollektivvertrag für das Hotel- und Gastgewerbe an. Was gezahlt wird, ist aber von Betrieb zu Betrieb höchst unterschiedlich", sagt der stellvertretende vida-Vorsitzende Willibald Steinkellner. Zwar möchte auch der WKÖ-Fachverband der privaten Krankenanstalten und Kurbetriebe den "schwarzen Schafen", die mit Dumpingpreisen und schlechter Qualität agieren, einen Riegel vorschieben. Deshalb verhandelt der Fachverband mit vida und der GPA-djp über einen Kollektivvertrag. "Ein Abschluss ist bislang aber gescheitert, denn die Arbeitgeber sind nicht zu einem fairen Lohn- und Gehaltsschema bereit", berichtet Steinkellner. Als unterste Grenze für Hilfskräfte verlangt die Gewerkschaft einen Bruttolohn für Vollzeit von 1.300 Euro brutto.

Mindestlöhne auf 1.300 Euro anheben

2007 haben die Sozialpartner eine Einigung über die Einführung eines Mindestlohnes von 1.000 Euro brutto für Vollzeit in allen Branchen bis Anfang 2009 unterzeichnet. "Dort wo es Kollektivverträge gibt, ist das gelungen. Als nächstes Ziel peilen wir in allen Branchen einen Mindestlohn von 1.300 Euro an", sagt Steinkellner. Bei den Beschäftigten in den Privatkrankenanstalten liegt das Einstiegsgehalt ohne Zulagen für Hilfskräfte im ArbeiterInnen- und im Verwaltungsbereich derzeit noch um rund 100 Euro unter diesem Wert. Für die 100.000 Beschäftigten in den privaten Sozial- und Gesundheitsberufen, die nach dem BAGS-Kollektivvertrag entlohnt werden, wurde die Schwelle von 1.300 Euro brutto bei den diesjährigen Kollektivvertragsverhandlungen erreicht. "Erst nachdem mehr als 7.500 Beschäftigte Mitte Jänner auf die Straße gingen, waren die Arbeitgeber zu einem akzeptablen Abschluss bereit", erinnert sich die zuständige vida-Bundesfachgruppensekretärin Michaela Guglberger. Die Mindestlöhne der Beschäftigten aus BAGS-Betrieben - darunter fallen ArbeitnehmerInnen aus der mobilen Betreuung und Pflege ebenso wie Senioren- und Pflegeheime, aber auch Beschäftigte in der Behindertenbetreuung und der Kinder- und Jugendarbeit - stiegen nach den österreichweiten Kundgebungen um 1,5 Prozent, mindestens aber um 24 Euro. Mit teils aufreibenden Arbeitsbedingungen schlagen sich aber auch die BAGS-Beschäftigten herum.

Betreuung fast wie am Fließband

"Die Arbeitsintensität ist in der mobilen Betreuung und Pflege in den vergangenen Jahren massiv gestiegen. Die Heimhilfen haben pro Einsatz teils nur 15 Minuten zur Verfügung - da kann man bestenfalls die geforderten Handgriffe erledigen, Zeit für ein Gespräch mit den KlientInnen gibt es kaum", kritisiert Guglberger. Belastend sind auch die geteilten Dienste, die in der mobilen Pflege und Betreuung gang und gäbe sind. Für die Beschäftigten heißt das zweimal am Tag zur Arbeit aufbrechen, erst in der Früh bis Mittag und dann am späten Nachmittag noch einmal. Diese Arbeitseinteilung hat zudem zur Folge, dass es in der mobilen Pflege und Betreuung - anders als im stationären Bereich - so gut wie keine Vollzeitjobs gibt.

Sandwichposition

Den Gewerkschaften ist bewusst, dass sich die Betriebe in einer Sandwichposition befinden. "Die öffentliche Hand bestellt Leistungen bei den Anbietern, ohne dafür ausreichende finanzielle Mittel bereitzustellen", kritisiert Steinkellner. Durch die Wirtschaftskrise könnte sich die Situation noch verschlimmern. "Den Krankenkassen brechen wegen des Anstiegs der Arbeitslosigkeit die Einnahmen weg - sie sparen deshalb bei dem Geld, das für die Kranken- und Rettungstransporte zur Verfügung steht. In den Privatkrankenanstalten wird eine Reduzierung des Finanzierungsfonds befürchtet. Diskussionen über eine Mittelkürzung wurden und werden jedenfalls geführt", erzählt Steinkellner.
Statt in der Krise die Budgets für den Gesundheits- und Pflegebereich weiter zurückzufahren, müsse in die Zukunftsbranche investiert werden, fordern die Gewerkschaften. Steinkellner: "Allen ist klar, dass wir eine Ausweitung des Angebots brauchen, gleichzeitig kann man hier krisensichere Arbeitsplätze schaffen. Und nicht zuletzt geht es um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Menschen, die in den Gesundheits- und Pflegeberufen tätig sind." vida fordert eine Sozialmilliarde als Anstoßfinanzierung für die Branche sowie einen Pflegefonds, der aus Vermögenssteuern gespeist werden soll.
 Auch bei der Finanzierung der Sozialversicherung selbst, insbesondere der Krankenversicherung, ist ein Umdenken angesagt. "Die Berechnungsgrundlage für die Arbeitgeberbeiträge in die Sozialversicherung muss verändert werden. Wir müssen weg von der Berechnung ausschließlich auf Basis der Lohnsumme, hin zu einem Einbezug der Kapitaleinkommen der Betriebe. Das entlastet personalintensive Betriebe und verhindert, dass der Sozialversicherung bei einem Beschäftigungsrückgang die Einnahmen wegbrechen. Über die Wertschöpfungsabgabe wird seit langem diskutiert. Es ist an der Zeit, sie einzuführen."

1 Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen in den Gesundheitsberufen Niederösterreich, erstellt von der Sozialökonomischen Forschungsstelle, abrufbar unter www.noe.arbeiterkammer.at

Weblinks
Gewerkschaft vida fordert "Sozialmilliarde":
bit.ly/dkQeSH
Kollektivvertragsabschlüsse
im Gesundheit und Sozialbereich:
bit.ly/cjXbVH

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