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Freihandel um jeden Preis Das befreiende Lachen auf dem internationalen Theaterfestival in Bogot·, in der Realität ist das Militär ein Schrecken für viele Gewerkschafter.

Freihandel um jeden Preis

Internationales

In Kolumbien werden Gewerkschafts- und Menschenrechte mit Füßen getreten. Beim EU-Lateinamerikagipfel in Madrid Mitte Mai wurde das kaum thematisiert.

Die Bekenntnisse zur Demokratie und Entwicklungshilfe der Europäischen Union verblassen, wenn es um den Schutz von Investitionen ihrer Konzerne und der Sicherung von Rohstoffen geht. Das war zumindest der Eindruck vieler Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen, als Mitte Mai bei dem EU-Lateinamerikagipfel in Madrid sogenannte Freihandelsverträge mit den mittelamerikanischen Staaten, aber insbesondere mit Kolumbien - dem für GewerkschafterInnen gefährlichsten Land der Welt - unterzeichnet wurden.

Regime Alvaro Uribe

Unter dem Stichwort der "demokratischen Sicherheit" führt Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe seit dem Jahr 2002 ein stramm rechtes Regime. Der Kampf gegen die letzte große Guerilla-Bewegung des Kontinents rechtfertigt für Uribe scheinbar jede Maßnahme. Und die Europäische Union zog aus den massiven Menschenrechtsverletzungen, der Nähe von Uribes Partei zu den paramilitärischen Todesschwadronen und einem Geheimdienstskandal direkt vor dem Gipfel keinerlei Konsequenzen. Oder vielleicht doch? Kolumbien ist ein Land mit starkem Wirtschaftswachstum und großem Rohstoffreichtum. Da wollen die Europäer keineswegs den USA allein den Raum geben, das gilt insbesondere für den Gastgeber des jüngsten Gipfels: Spanien ist nach den USA der zweitwichtigste Investor in Kolumbien, der größte Teil der Gelder fließt in Bergbau und Ölförderung. Zudem hat sich der Andenstaat in den vergangenen Jahren zum wichtigsten Produzenten von Palmöl auf dem Kontinent gemausert, eine auch in Europa interessante Alternative angesichts des absehbaren Endes des Erdölzeitalters.
In all diesen Wachstumsbranchen gibt es brutale Menschenrechtsverletzungen. Ölpalmen sind flächenintensiv, da werden häufig ganze Dorfgemeinschaften, insbesondere afrokolumbianischer oder indigener Herkunft von paramilitärischen Banden mit Waffengewalt vertrieben. Hunderttausende KolumbianerInnen werden jedes Jahr Flüchtlinge im eigenen Land.
In der Industrie, aber auch im öffentlichen Sektor sind Gewerkschaften nicht gern gesehen. Selbst von multinationalen Konzernen wie Chiquita und Coca-Cola wurde bekannt, dass sie sich sozusagen dem nationalen Trend anpassten und Killerkommandos anheuerten, um einer unabhängigen ArbeitnehmerInnenvertretung den Garaus zu bereiten. In keinem Land der Erde werden jährlich so viele Gewerkschaftsmitglieder ermordet wie in Kolumbien: 2008 fielen 49 KollegInnen dem Terror zum Opfer, 2009 eine Person weniger, aktuell scheint sich die Situation zu verschlechtern, denn bis zum Madrider Gipfel waren bereits 25 Opfer zu beklagen. Fast alle Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien bleiben ungesühnt.
Kein Wunder, dass heute nur noch vier Prozent aller Beschäftigten organisiert und weniger als zwei Prozent durch Tarifverträge geschützt sind. Neben dem Terror hat hierzu eine Politik der "Flexibilisierung" und Privatisierung beigetragen. Diese Entwicklung hat natürlich auch ihre "positiven Seiten": Wirtschaft und Gewinne wachsen, allerdings nur für Wenige, darunter der scheidende Präsident. Uribe ist nicht nur ein bekannter Großgrundbesitzer, sondern auch wichtiger Aktionär bei einem der größten privaten Gesundheitsanbieter.
Die Übergriffe auf GewerkschafterInnen sind keine Einzelfälle, sondern sind Teil eines unerklärten Bürgerkriegs gegen alle sozialen Bewegungen und Menschenrechtsverteidiger, die in aller Regel in keinerlei Zusammenhang mit der bewaffneten Auseinandersetzung zwischen der Regierung und diversen Guerillagruppen stehen.

Massengräber und Geheimdienst

Welche Dimension dieses humanitäre Drama in Kolumbien hat, zeigte eine Notiz zu Jahresbeginn, die überraschend wenig Aufmerksamkeit gefunden hat. Im Dorf La Macarena in der Provinz Meta, kaum 200 Kilometer von der Hauptstadt Bogot· entfernt, wurde ein Massengrab mit etwa 2.000 Leichen gefunden, die dort in den vergangenen fünf Jahren verscharrt worden waren. Einer spanischen Parlamentsdelegation sagte der regionale Heereschef, es handle sich um im Kampf gefallene Guerilleros, doch die AnwohnerInnen berichteten von Zivilisten, die man dort "verschwinden ließ". Nach und nach dringen Berichte über solche Massengräber an die Öffentlichkeit, die kolumbianische Generalstaatsanwaltschaft kalkuliert etwa 25.000 "Verschwundene" aus den vergangenen Jahren, vermutlich liegt die Zahl deutlich darüber. Die Regierung Uribe hat sehr wenig Engagement gezeigt, dieses Drama aufzuarbeiten.

IGB gegen Unterzeichnung

Der mit 6.500 Agenten größte Geheimdienst des Kontinents hat offenbar andere Prioritäten. Im Frühjahr kam ans Tageslicht, dass der kolumbianische DAS nicht nur bei Menschenrechtsverteidigern und sogar Richtern am Obersten Gerichtshof des eigenen Landes illegalerweise das Telefon angezapft, sondern ähnliche Aktivitäten auch in Brüssel entwickelt hat. Hier waren MitarbeiterInnen des katholischen Hilfswerkes Broederlijk Delen und von Oxfam ebenso in die Zielscheibe geraten wie Abgeordnete des Europäischen Parlaments.
Angesichts dieser langen Skandalreihe hatte Guy Ryder, der Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes, sich energisch gegen die Unterzeichnung des Abkommens zwischen der EU und Kolumbien ausgesprochen, das keine "soliden Klauseln beinhaltet, die es Gewerkschaftern und Menschenrechtsverteidigern erlaubt, ihre Rechte wahrzunehmen, ohne ihr Leben aufs Spiel setzen zu müssen". Doch die Zeremonie in Madrid mit der Unterzeichung des Abkommens mit Kolumbien mutete wie Hohn auf diese von europäischen und kolumbianischen Gewerkschaften gemeinsam getragene Forderung an.

Freihandel gegen Entwicklung

Die USA haben seit drei Jahren den Freihandelsvertrag mit Kolumbien auf Eis gelegt, insbesondere wegen der prekären Menschenrechtslage und der Verfolgung von Gewerkschaften. Die EU hatte zunächst einen vemeintlich viel breiteren Vorschlag an die Staaten der Andengemeinschaft gemacht: einen Vertrag zwischen zwei Regionalbündnissen, der auf den Säulen des politischen Dialogs, der Entwicklungszusammenarbeit und des Handels ruhen sollte. Schnell wurde klar, dass es Brüssel letztlich nur um Handel und Investitionen ging. Dies war den Andenländern Bolivien und Ecuador zu eng, sie gaben die Verhandlungen auf. So hat faktisch der nun ausgehandelte Freihandelsvertrag mit Kolumbien und Peru die regionale Zusammenarbeit in den Anden geschwächt. Und das Resultat ist ein klassischer neoliberaler Handelsvertrag, der nicht einmal den Menschenrechtsbedenken Washingtons Rechnung trägt.
Die kolumbianischen Gewerkschaften stellen die grundlegende Strategie des Abkommens in Frage, denn es gehe der EU darum, "dass Länder mit kleinen Volkswirtschaften, wie die kolumbianische, ihren Zollschutz aufheben und die Einfuhr von Produkten, Kapital und Dienstleistungen aus Ländern erlauben, die sehr viel entwickelter sind und über stärkere Ökonomien verfügen, in denen viele Exportprodukte zudem subventioniert werden", erläutert Gustavo Triana, der stellvertretende Vorsitzende der CUT, dem größten Gewerkschaftsbund Kolumbiens. Besonders besorgt zeigen sich die etwa 400.000 Familien von kleinbäuerlichen Milchproduzenten in Kolumbien, die sich zukünftig einem perversen Wettbewerb mit dem hoch subventionierten Milchpulver aus der EU konfrontiert sehen werden.
Enttäuschend war der Gipfel von Madrid. Doch der Freihandelsvertrag ist noch längst nicht in Kraft getreten, dazu bedarf es der Zustimmung des Europaparlaments und sämtlicher nationaler Parlamente, vor 2012 ist damit kaum zu rechnen. Es bleibt also noch viel Zeit, um die katastrophale Menschenrechtssituation in Kolumbien und die sozialen Folgewirkungen des Abkommens öffentlich zum Thema zu machen und dagegen die Stimme zu erheben - zwischen Bogot·, Madrid und Wien.

Weblink
Mehr Infos unter:
www.kolumbien-blog.com/bewaffneter-konflikt/kolumbien-wie-lange-soll-der-hohe-blutzoll-der-gewerkschaftler-anhalten

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