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Die Zuwächse an Vermögen und Spitzeneinkommen fließen immer mehr in Finanzanlagen und gehen dem realen Wirtschaftskreislauf verloren. Die Zuwächse an Vermögen und Spitzeneinkommen fließen immer mehr in Finanzanlagen und gehen dem realen Wirtschaftskreislauf verloren.

Der Ökonomische Faktor

Schwerpunkt

Die Umverteilungsprozesse durch den Sozialstaat steigern den allgemeinen Wohlstand durch höheres Wachstum.

Der Sozialstaat und seine Einrichtungen wurden in den vorigen Jahrzehnten durch die Dominanz der neoliberalen Wirtschaftsphilosophie in den Empfehlungen der internationalen Organisationen und in den Vorstellungen der konservativen Parteien vielfach als Klotz am Bein der Wirtschaftsentwicklung dargestellt. Der hohe Staatsanteil, die hohen Sozialkosten und Behinderungen der Flexibilität am Arbeitsmarkt durch arbeitsrechtliche Regulierungen wurden für Wachstumsschwäche und Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht.

Goldenes Zeitalter des Kapitalismus

Aber belastet der Sozialstaat tatsächlich die Wirtschaftsentwicklung?
Die Sechziger- und frühen Siebzigerjahre, in denen die europäischen Wohlfahrtssysteme zügig ausgebaut wurden und - wie etwa in Österreich - die Sozialquote um zehn Prozentpunkte (von 16 auf 26 Prozent) stieg, werden heute als "Goldenes Zeitalter des Kapitalismus" bezeichnet. Damals wurden die Institutionen des Sozialstaates allgemein als stabilisierend und wachstumsfördernd anerkannt. Seit aber im Namen der Globalisierung Lohnzurückhaltung und der Rückbau des Sozialstaats auf der politischen Agenda stehen, stockt der Wachstumsmotor, sinkt die Lohnquote und steigt die Arbeitslosigkeit.
Auch die positive Entwicklung der skandinavischen Länder widerlegt die Behauptung, die wohlfahrtsstaatlichen Institutionen stünden Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum im Wege: Die Länder mit den höchsten Staats- und Sozialquoten - Schweden, Finnland, Dänemark und Norwegen - zählen zu den erfolgreichsten Volkswirtschaften mit überdurchschnittlichem Wachstum, sinkender Arbeitslosigkeit, hohen Beschäftigungsquoten sowie Budget- und Außenhandelsüberschüssen.

Die Dualisierung kostet

Trotz hoher Sozial- und Umweltstandards ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas intakt. Die amerikanische Wirtschaft wird dagegen trotz niedriger Sozialaufwendungen und niedriger Umweltstandards von enormen Außenhandelsdefiziten geplagt.
Der Wohlfahrtsstaat stellt zum einen für den privatwirtschaftlichen Produktionsprozess wichtige Infrastruktur, wie Bildungs-, Gesundheits-, Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen, zur Verfügung. Zum anderen belasten die Sozialausgaben die öffentlichen Haushalte nicht nur, sie bringen vielmehr auch Einsparungen, etwa in der öffentlichen Sicherheit und im Gesundheitssystem: Die Dualisierung der Gesellschaft zwischen enormem Reichtum und großer Armut hat ihre Kosten, die sich in Krankheit, psychischen Problemen und hoher Kriminalität niederschlagen. In Europa kamen 2005 auf 100.000 EinwohnerInnen 109 Gefangene, in den USA 738 und in den skandinavischen Ländern 75. Die Folgen sind auch in hohen privaten Sicherheitsaufwendungen zu spüren: In den USA verzeichnen die privaten Wachdienste die höchsten Beschäftigungszuwächse. Obwohl rund 45 Mio. AmerikanerInnen keinen Krankenversicherungsschutz haben, weisen die USA mit rund 15 Prozent des BIP mit Abstand die höchsten Gesundheitsaufwendungen aus; bei einer um zwei Jahre geringeren Lebenserwartung als in Europa und der bei weitem höchsten Säuglingssterblichkeitsrate unter den Industrieländern. Die Wachstumsdynamik der USA, auf die sich die Kritiker des Sozialstaats berufen, resultiert nicht aus dem niedrigen Sozialaufwand und geringer Regulierung, sondern aus einer pragmatischen, wachstumsorientierten Makropolitik. Europa hielt dagegen - zumindest bis zum Ausbruch der Finanzkrise - an einem rein an der Inflationsrate orientierten Stabilitätsdogma fest, das Wachstum und Beschäftigung und damit erheblichen Wohlstand kostete.

Hauptziele des Sozialstaats

Die wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen kosten nicht Wachstums- und Beschäftigung, sondern bilden einen wichtigen ökonomischen Faktor. Für eine nachhaltige Entwicklung und die anstehenden Herausforderungen müssen sie nicht reduziert, sondern reformiert werden.
Die Hauptziele des Sozialstaates bilden die Absicherung gegen Armut und der Erhalt des Lebensstandards im Falle von Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit und Behinderung. Dies geschieht einerseits durch Umverteilung über Steuern und Abgaben, Transfers (wie Pensionen) und reale Leistungen (Gesundheitsversorgung), andererseits durch regulierende Eingriffe in den Marktprozess (Arbeitsrecht, Sicherheit am Arbeitsplatz). Beides wird von den Marktfundamentalisten weitgehend abgelehnt und nur in minimalem Umfang akzeptiert.

Das Thema hier ist der Sozialstaat als produktiver, wachstumsfördernder Faktor:

  • Der sozialstaatliche Umverteilungsprozess bekämpft Armut und fördert Wachstum. Die ungleiche Verteilung der Markteinkommen ergäbe in Österreich eine Armutsgefährdungsquote von 43 Prozent. Durch die sozialstaatliche Umverteilung sinkt sie auf zwölf Prozent. Dieser Umverteilungsprozess lindert nicht nur Armut und materielles Leid, sondern steigert den allgemeinen Wohlstand durch höheres Wachstum. Denn unsere Volkswirtschaften leiden nicht an zu geringem Angebot, sondern an zu niedriger Nachfrage. Die wachsende Vermögens- und Einkommenskonzentration stärkt die Kaufkraft der gesättigten Bevölkerungsschichten und lässt jene zurück, denen es am Notwendigsten mangelt. Die Zuwächse an Vermögen und Spitzeneinkommen fließen immer mehr in Finanzanlagen und gehen dem realen Wirtschaftskreislauf verloren. Von den Einkommen des untersten Drittels der Einkommensverteilung werden unmittelbar 80 Prozent konsumwirksam, im obersten Drittel nur 40 Prozent.
  • Die Arbeitskraft bildet den wichtigsten Produktionsfaktor. Die Familienpolitik, das öffentliche Bildungsangebot und die Gesundheitsleistungen bilden daher eine entscheidende Voraussetzung für ein leistungsfähiges, produktives und innovatives Arbeitskräfteangebot. In deren Qualität wird in Zukunft der entscheidende Standortvorteil einer Volkswirtschaft bestehen, nicht in einem Lohn- und Sozialdumping gegen Niedriglohnanbieter.
  • Der rasche wirtschaftliche Wandel erfordert immer größere Anpassungsfähigkeit der Menschen im Produktionsprozess. Dies ist mit vermehrten Unsicherheiten verbunden. Eine gute soziale Absicherung gibt den Menschen Vertrauen und ist eine wichtige Voraussetzung für Risikobereitschaft und Flexibilität.
  • Die Vorteile des Sozialstaates erschließen sich vor allem aus volkswirtschaftlicher Sicht, also auf gesamtwirtschaftlicher Ebene, sie werden aber betriebswirtschaftlich häufig nur als Kostenfaktor (Lohnnebenkosten, Kündigungsschutz, hohe Steuerlast) gesehen.

Der Sozialstaat steht angesichts der demografischen Alterung, der Globalisierung, der Veränderungen in der Arbeitswelt und in den individuellen Lebensentwürfen, die durch deutlich instabilere Beschäftigungs- und Partnerbeziehungen gekennzeichnet sind als in der Vergangenheit, vor neuen Herausforderungen. Die Sozialstaatsarchitektur der Zukunft erfordert:

  • einen Umbau vom Transfer- zum Dienstleistungsstaat, d. h. in der Familien- und Bildungspolitik massive Investitionen in Kinder. Zum einen in qualifizierte und leistbare frühkindliche Betreuungs- und Bildungseinrichtungen, um die kognitiven Fähigkeiten aller Kinder rechtzeitig zu fördern und die soziale Vererbung zu verringern, und zum anderen in ganztägige Schulformen, um die Durchlässigkeit des Bildungssystems und die Chancen aller zu erhöhen. Im Sinne einer neuen Frauenpolitik, die auf ›gender-equalityÜ setzt, ist auch ein ausreichendes und leistbares Pflegeinfrastrukturangebot erforderlich;
  • ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Geschlechtern im Erwerbsleben erfordert auch eine Neuverteilung der Lebensarbeitszeit, die insgesamt auf größere Flexibilität, eine Verkürzung der täglichen und eine Verlängerung der Lebens-Arbeitszeit hinausläuft;
  • schließlich erfordert der Sozialstaat der Zukunft eine neue Finanzierungsbasis, die sich angesichts der langfristig sinkenden Lohnquote nicht nur auf Erwerbseinkommen, d. h. vor allem Lohneinkommen, stützt, sondern von der gesamten Wertschöpfung - also auch die Vermögenseinkommen - und stärker vom allgemeinen Steueraufkommen getragen wird.

Weblink
Homepage Mag. Alois Guger:
alois.guger.wifo.ac.at

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