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Gesundheitsausgaben USA, Schweden, Österreich Zum Vdergrößern aufs Bild klicken!

Unverzichtbar

Schwerpunkt

Der Sozialstaat hat als eine der zentralen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts wesentlich zur positiven Entwicklung Österreichs beigetragen.

Der Sozialstaat wird zu Recht als Erfolgsmodell bezeichnet. Ohne ihn wäre Österreich, wie wir es heute kennen, unvorstellbar. Alles spricht dafür, dass der Sozialstaat auch in Zukunft unverzichtbar ist. Neue Herausforderungen müssen bewältigt und bestehende Schwachstellen beseitigt werden. Neben "traditionelle" Familienstrukturen treten zunehmend andere Lebensformen (Patchwork-Familien, AlleinerzieherInnen, Singles). Risikolagen, die früher innerhalb der Familien bewältigt wurden, werden verstärkt zu "gesellschaftlichen" Herausforderungen (Kinderbetreuung, Pflege etc.).

Wandel der Erwerbsarbeit

Die immer kurzfristigere Ausrichtung vieler Unternehmen, technologischer Wandel, Globalisierung etc. führen zu massiven ƒnderungen in der Arbeitswelt: mehr kurzzeitige Arbeitsverträge, Arbeitsverdichtung, rascher Wandel der Qualifizierungserfordernisse, steigende Flexibilitäts-/Mobilitätsanforderungen, mehr atypische Arbeitsformen etc.
Der Arbeitsmarkt ist bedrohlich gespalten: Viele sind arbeitslos oder finden nur prekäre Arbeit, andere arbeiten mehr als ihrer Gesundheit zuträglich ist und sind in hohem Maß Burn-out-gefährdet. Menschen mit Benachteiligungen finden immer schwerer Zugang zum Arbeitsmarkt.
Die "Alterung" der Bevölkerung führt zum Anstieg der Zahl älterer Menschen. Die geburtenstarken "Baby-Boom-Jahrgänge" (1955-1970) sind derzeit 40 bis 55. In zehn Jahren werden sie zwischen 50 und 65 sein. Die Verbesserung der Erwerbschancen von ƒlteren ist daher eine der größten Aufgaben der Gegenwart.
Wir erleben - mit wenigen Unterbrechungen - eine kontinuierliche Steigerung der Wirtschaftsleistung, auch wenn die Zuwachsraten deutlich niedriger liegen als in früheren Jahren. 2000 bis 2008 wurde in Österreich ein reales Wachstum des BIP um 16,9 Prozent verzeichnet. Der Wohlstandszuwachs ist allerdings ungleich verteilt. Macht- und Vermögenskonzentration, Zurückdrängung gewerkschaftlicher Gegenmacht etc. führen zu wachsender Ungleichheit. Die Lohnquote ist zwischen 1995 und 2005 von 66,2 Prozent auf 60Prozent zurückgegangen. Die Managergehälter waren 2003 in den börsennotierten Aktiengesellschaften 20-mal und 2007 bereits 48-mal so hoch wie die Durchschnittseinkommen der dort Beschäftigten!

Schlechte Wachstumserwartungen

Die Krise auf den Finanzmärkten hat massive Spuren in der Realwirtschaft und in den öffentlichen Budgets hinterlassen. Trotz extrem teurer Auffang- und Stützungsprogramme gab es einen kräftigen Wirtschaftseinbruch. Die Erwartungen für die kommenden Jahre sind sehr bescheiden. Die zusätzliche Dämpfung der Nachfrage durch europaweit geplante Sparpakete droht die Situation weiter zu verschlimmern.

Zur Zukunft des Sozialstaats

1.Der Sozialstaat bleibt unverzichtbar: Gesamtgesellschaftliche Ziele wie Beteiligung aller am erarbeiteten Wohlstand und Sicherung des sozialen Zusammenhalts sind nur mit einem leistungsstarken Sozialsystem erreichbar. Die neuen Herausforderungen lassen erwarten, dass der Sozialstaat in Zukunft sogar an Bedeutung gewinnen wird.

2.Erwerbsarbeit bleibt zentrale Erwerbsquelle: Die These "der Gesellschaft geht die Arbeit aus" wird durch die Realität nicht bestätigt. Potenzial für Erwerbsarbeit gibt es genug. Die steigende Produktivität muss den Arbeitenden zugute kommen und Arbeit ausgewogen verteilt werden. Lohn- und Arbeitszeitpolitik, die Verhinderung von Jugendarbeitslosigkeit, die (Re-)Integration von Arbeitslosen, bessere Erwerbschancen für ƒltere, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und spezifische Hilfestellungen für benachteiligte Gruppen sind dabei die wichtigsten Aufgaben. Je mehr Menschen über eigene Erwerbsarbeit ihr Einkommen sichern, desto weniger benötigen Transferleistungen. Selbst bei massiv steigendem Altenanteil lässt sich die Zahl der LeistungsbezieherInnen relativ zu den Erwerbstätigen in bewältigbaren Grenzen halten, wenn es gelingt, die Erwerbsbeteiligung zu steigern und die Arbeitslosen-, Invaliditäts- und  Frühpensionierungsraten zu senken.

3.Der Sozialstaat ist nichts Statisches: Es gilt unser gut ausgebautes Sozialsystem zu erhalten und - wo erforderlich - weiterzuentwickeln. Gestärkt werden müssen:

  • soziale Infrastruktur (Kinderbetreuung, Altenpflege, soziale Dienste),
  • integrative Komponenten (Schließung von Lücken im sozialen Netz, Mindestsicherung),
  • investive Komponenten (Prävention, Qualifizierung, Gesundheitsschutz, Umschulung, Arbeitsmarktintegration benachteiligter Gruppen etc).

Nur wenn "Sicherheit im Wandel" gegeben ist, werden die Menschen bereit sein, erforderliche Anpassungen mitzutragen.

4.EU muss auch Sozialunion werden: Sozialpolitik findet vor allem auf nationalstaatlicher Ebene statt, wird aber durch die Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU und die vier EU-Grundfreiheiten massiv beeinflusst. Dringend erforderlich ist, dass die EU mehr als bisher auf den Schutz der Sozialsysteme achtet und dies zum gleichrangigen Politikziel macht. Soziale und die ökologische Nachhaltigkeit müssen als zentrale Werte anerkannt werden. Das Unterlaufen sozialstaatlicher und lohnrechtlicher Regelungen muss gestoppt werden. Es geht dabei vor allem um die Sicherstellung von "gleichem Lohn für gleiche Arbeit" am selben Arbeitsort, und um die Unterbindung eines unfairen Standortwettbewerbs über Steuer- und Sozialdumping.

5.Bereitstellung der erforderlichen Mittel: Ein leistungsstarker Sozialstaat und seine Weiterentwicklung erfordern beträchtliche Finanzmittel. Es ist Aufgabe der Politik, diese Mittel nachhaltig - auch in Krisenzeiten - zu gewährleisten. Strukturelle Schieflagen, wie z. B. die überproportionale Belastung des Faktors Arbeit und fehlende bzw. unzureichende Miteinbeziehung anderer Einkommensarten und hoher Vermögen, müssen beseitigt werden.
Ausgabenseitig bieten sich mittel- bis längerfristig erhebliche Einsparpotenziale, wenn es gelingt, die Armuts-, Krankheits- und Invaliditätsprävention zu verbessern, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren und die Erwerbschancen von ƒlteren zu erhöhen.

6.Keine Kosteneinsparung durch Sozialabbau: Niedrigere Sozialleistungen bedeuten - entgegen der kolportierten Meinung - nicht automatisch Kostenreduktion. Im Gegenteil: Die Folge ist zumeist bloß die "Privatisierung" der Kosten mit nicht selten erheblichen Mehrkosten! Ein Blick auf die Gesundheitsausgaben in verschiedenen Ländern macht das deutlich. In den USA mit sehr hohem Privatanteil liegen die Gesamtausgaben für Gesundheit mit Abstand am höchsten (siehe Grafik).

7.Klare Vorrangstellung der öffentlichen Alterssicherung: Viele BezieherInnen kapitalgedeckter Betriebspensionen haben leidvoll erfahren, was Abhängigkeit der Pensionen von den Börsenkursen bedeutet. Selbst Andreas Khol, der sich vehement für den Ausbau der "2. Säule" eingesetzt hat, stellt nun lapidar fest: "Die Pensionskassenberechtigten verloren bis zu 45 Prozent ihrer angesparten Ansprüche."1
Die Erfahrungen bestätigen die Richtigkeit des von ÖGB und AK verfolgten Weges der klaren Vorrangstellung öffentlicher Alterssicherung auch im Interesse der Jüngeren. Der von vielen propagierte Ausbau kapitalgedeckter Pensionen

  • spart keine Kosten und ist teurer als das öffentliche System (lange wurde das durch überhöhte Ertragserwartungen kaschiert);
  • bedeutet höheres Risiko - börsenabhängige Pensionen bergen viel mehr Risiken;
  • bedeutet Qualitätsverlust - 2. und 3. "Säule" bieten keinen umfassenden Risikoausgleich, keine Anrechnung von Kindererziehungszeiten etc.;
  • der demografische Wandel stellt für kapitalgedeckte Systeme eine mindestens ebenso große Herausforderung dar.

Die Finanzierungsperspektiven der öffentlichen Alterssicherung sind um vieles besser als viele uns weismachen wollen. Nach den Prognoserechnungen der EU wird der Gesamtaufwand für öffentliche Alterssicherung 2050 bei 14 Prozent des BIP liegen, das ist gegenüber dem aktuellen Stand ein Zuwachs von 1,2 Prozent. Ein allfälliger Umstieg auf Kapitaldeckung würde mit Sicherheit mehr kosten.
Ein Abbau des Sozialstaats würde uns teuer zu stehen kommen. Wir sind gut beraten, einen anderen Weg zu wählen - sowohl für uns als auch für unsere Kinder.

Weblink
Struktur + Wirkung von Sozialleistungen:
bit.ly/bDlzMe

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josef.woess@akwien.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

1Der Standard, 11-5-2010

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