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Sozialquote in Österreich Zum Vergrößern aufs Bild klicken!

Europas Sozialmodell

Schwerpunkt

Die Finanzierung der europäischen Sozialstaaten erfolgt durch eine Kombination von Beiträgen zu den Sozialversicherungen und Steuermitteln aus den Budgets.

Durch das sog. "Europäische Sozialmodell" hat die Bevölkerung in den EU-Staaten einen deutlich höheren Sozialschutz als die Bevölkerung der USA. Zwischen den europäischen Staaten gibt es beträchtliche Unterschiede in den konkreten Formen wie der Sozialschutz organisiert ist. Dabei handelt es sich jedoch immer um umfassende, staatlich organisierte Systeme der sozialen Absicherung in den Bereichen Alter, Invalidität, Gesundheit, Familienleistungen und Arbeitslosigkeit. Die gemeinsame Betonung des Sozialschutzes findet ihren Niederschlag in einem höheren finanziellen Aufwand, gemessen als Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP), in der "Sozialquote". Diese liegt in den "alten" EU-Ländern meist zwischen 25 Prozent und 30 Prozent, damit um etwa zehn Prozentpunkte höher als in den USA.

Schwankende Sozialquoten

In Österreich schwanken die Sozialquoten in den vergangenen 15 Jahren zwischen 28 (2007) und 29,6 Prozent (2003), zuletzt (2008) waren es 28,3 Prozent. Die Sozialausgaben laufen also keineswegs, wie oft behauptet, den anderen Ausgaben davon - in diesem Zeitraum war ihr Anteil ziemlich konstant. (Siehe Grafik: "Sozialquote in Österreich") Leicht zu erkennen ist, dass die Sozialausgaben gegen den Konjunkturverlauf schwanken, und zwar aus naheliegenden Gründen: Sie sind die wichtigsten "automatischen Stabilisatoren" der Konjunktur. In der Rezession steigen die Ausgaben für Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe, der Pensionsantritt wird oft, wenn möglich, vorgezogen; die Einnahmen der sozialen Sicherungseinrichtungen, die überwiegend von der Beschäftigung abhängen, gehen zurück. Dies war auch 2009 der Fall, wobei für dieses Jahr die Zahlen noch nicht vorliegen. Im Aufschwung bringen aber die Sozialhaushalte wieder eine Entlastung für das Budget. Jetzt - kaum ein Jahr nach der schwersten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren - wegen des Budgetdefizits eine Kürzung der Sozialausgaben zu fordern, würde das Vertrauen der Bevölkerung in das soziale Sicherungssystem schwächen und damit auch die ohnehin noch schwache Erholung der Wirtschaft gefährden.

Europa setzt auf Direktzahlungen

Die Ausgabenseite des Sozialstaats besteht in Österreich wie in den anderen europäischen Ländern aus Direktzahlungen (Pensionen, Familienbeihilfen, Arbeitslosenunterstützungen) und staatlich finanzierten Leistungen (v. a. im Bereich der Gesundheitsleistungen). Im Vergleich dazu setzt das US-amerikanische Sozialsystem viel stärker auf die steuerliche Begünstigung von privaten Aufwendungen zur sozialen Absicherung (z. B. bei der Krankenversicherung, auch nach der jüngsten Reform durch Präsident Obama). Die BezieherInnen niedriger Einkommen, die keine oder nur wenig Einkommensteuer zahlen, haben aber nichts oder nur wenig von solchen Begünstigungen. Steuerbegünstigungen sind also nicht geeignet, zum sozialen Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Einkommen beizutragen. Die Kosten für das Budget durch Steuerausfall sind dabei kaum geringer als diejenigen für die Direktzahlungen. Aber nur durch einheitlich gestaltete Direktzahlungen und Leistungen kommt der positive Umverteilungseffekt des Sozialstaates zustande, der in der jüngsten Umverteilungsstudie des Instituts für Wirtschaftsforschung im Detail dargestellt ist1.
Die Finanzierung des Sozialstaats nach europäischem Muster erfolgt überall durch eine Kombination von Beiträgen zu den einzelnen Sozialversicherungssystemen und Steuermitteln, die aus den Budgets bereitgestellt werden. In Österreich wurden zuletzt (2008) rund zwei Drittel der Sozialausgaben durch Beiträge und ein Drittel durch Steuermittel aus den Bundes-, Länder- und Gemeindehaushalten finanziert.

Zuungunsten der ArbeitnehmerInnen

Obwohl die Finanzierungsanteile langfristig relativ stabil sind, hat sich die Finanzierungslast dennoch zuungunsten der ArbeitnehmerInnen verschoben, da Unternehmungen und Selbstständige immer weniger zum allgemeinen Steueraufkommen beitragen. Bei separater Betrachtung der einzelnen Schutzsysteme stellt sich ihre jeweilige Finanzierungsstruktur aus Sicht der ArbeitnehmerInnen in einigen Punkten als durchaus problematisch dar.
Nicht gerechtfertigt ist bei der Pensionsversicherung die Privilegierung der Selbstständigen (Gewerbetreibende und Bauern) durch die im Vergleich zu den ArbeitnehmerInnen deutlich geringeren Pensionsbeiträge. Während 22,8 Prozent vom Lohn und Gehalt (bis zur Höchstbeitragsgrundlage) als Beitrag zur Pensionsversicherung zu entrichten sind, beträgt der entsprechende Prozentsatz 2010 für Gewerbetreibende (nach GSVG) 16,25 Prozent, für Bauern sogar nur 15 Prozent. Der Beitragssatz nach GSVG wird bis 2015 auf 17,5 Prozent angehoben, würde aber dann dauerhaft deutlich unter jenem nach ASVG (Unselbstständige) bleiben, was den Eigendeckungsgrad der Selbstständigen-Pensionsversicherung stark absenkt (nur etwa 30 Prozent gegenüber 87 Prozent bei den ArbeitnehmerInnen). Diese Form der Subventionierung führt zu einer "Wettbewerbsverzerrung" zugunsten der sozialrechtlichen Form der Selbstständigkeit, die im Vergleich zur regulären sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung als DienstnehmerIn billiger wird. Dadurch wird die Scheinselbstständigkeit gefördert. Die Sozialstaatsfinanzierung erleidet dadurch insgesamt eine gewisse Erosion.

Faktor Arbeit hoch belastet

Wenn Systeme wie die Unfallversicherung, die Pensions- und die Krankenversicherung überwiegend durch lohnbezogene Abgaben (ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen) finanziert werden, so hat dies seine Begründung darin, dass zu den Kosten der Arbeitskraft nicht nur die Lebenshaltungskosten während des aktiven Arbeitslebens gerechnet werden müssen, sondern auch die entsprechenden Gesundheitskosten und die Sicherung des Einkommens nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben. Für die Bereiche Familienbeihilfen und Wohnbauförderung kann jedoch kein derartiger Konnex unterstellt werden, auch wenn diese Transfersysteme im Zuge der Lohn-Preis-Abkommen der unmittelbaren Nachkriegszeit eingerichtet worden sind.
Unter heutigen Bedingungen gibt es keinen sachlichen Grund, nicht mit dem Dienstverhältnis im Zusammenhang stehende Beihilfen des Staates, auf die nicht nur ArbeitnehmerInnen Anspruch haben, ganz oder überwiegend durch lohnbezogene Abgaben zu finanzieren, wie dies bei der Familienbeihilfe, beim Kinderbetreuungsgeld und bei der Wohnbauförderung der Fall ist. Als Wohnbauförderungsbeitrag werden je 0,5 Prozent des Lohnes (bis zur Höchstbeitragsgrundlage) als Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag eingehoben. Der Beitrag zum Familienlastenausgleichsfonds beträgt 4,5 Prozent der Lohnsumme (ohne Obergrenze). Insgesamt wird also die Lohnsumme durch diese beiden Beiträge mit 5,5 Prozent belastet.
Wenn immer wieder kritisiert wird, dass die Abgabenbelastung des Faktors Arbeit in Österreich zu hoch ist, bzw. dass damit negative Beschäftigungseffekte verbunden sind, so sollte eine Reduktion dieser Belastung gerade bei diesen Abgaben ansetzen. ÖGB und AK fordern daher seit langem die Umbasierung von bestimmten arbeitgeberseitigen Sozialbeiträgen von der Lohnsumme auf die Wertschöpfung. Durch die Einbeziehung der anderen Wertschöpfungskomponenten (Gewinne, Finanzierungszinsen, Pachten, Abschreibungen) würde auch der Faktor Kapital zur Finanzierung der Familienleistungen und der Wohnbauförderung beitragen. Bei sinkendem Trend der Lohnquote, der in den letzten 20 Jahren zu beobachten war, könnte auch mit einem etwas stärkeren Aufkommen aus einer Wertschöpfungsabgabe gerechnet werden.

Budgetkonsolidierung

Ein Abbau des Budgetdefizits von den derzeit rezessionsbedingt hohen Werten liegt auch im Interesse der langfristigen Sicherung der Sozialstaatsfinanzierung, da sonst ein wachsender Teil der Staatsausgaben für Zinszahlungen aufgewendet werden müsste. Gleichzeitig müssen wir den Sozialstaat vor Einschnitten schützen, die mit der Notwendigkeit einer kurzfristigen Senkung des Budgetdefizits begründet werden. Die Bevölkerung muss weiterhin auf das Funktionieren des Sozialstaats vertrauen können, damit dieser seine Produktivkraft auch in Zukunft entfalten kann.

Weblink
Mehr Infos unter:
de.wikipedia.org/wiki/Europäisches_Sozialmodell

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Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
guenther.chaloupek@akwien.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

1Siehe dazu die Beiträge in Heft 3/2010 von Arbeit und Wirtschaft, Seite 12 und Seite 16.

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