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Heftig wird über Leistungskürzungen gestritten, um den Betroffenen ja nicht zu viel fürs "Nichtstun" zu zahlen, und damit auch hier zu zeigen versucht, dass Armut kein Problem der Gesellschaft, sondern eines von persönlicher Verantwortung ist. Heftig wird über Leistungskürzungen gestritten, um den Betroffenen ja nicht zu viel fürs "Nichtstun" zu zahlen, und damit auch hier zu zeigen versucht, dass Armut kein Problem der Gesellschaft, sondern eines von persönlicher Verantwortung ist.
Armutsgefährdung 2008 Zum Vergrößern aufs Bild klicken!

Verteilung und Armut

Schwerpunkt

Wird der Sozialstaat untergraben, wird sich die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter öffnen und der soziale Frieden gerät in Gefahr.

Der österreichische Sozialstaat hat eine stark umverteilende Wirkung. Betrachtet man nur die sogenannten Markteinkommen - jene Einkommen, die aus Erwerbsarbeit bezogen werden - so betrug die Armutsgefährdungsrate1 im Jahr 2008 in Österreich 43 Prozent. Lässt man jene Menschen unberücksichtigt, die kein entsprechendes Markteinkommen erwirtschaften, weil sie bereits das Pensionsantrittsalter erreicht haben, so betrug sie immer noch 24 Prozent.
Nach Einbeziehung von sozialstaatlichen Leistungen wie Arbeitslosengeld, Familienbeihilfe oder Gesundheitsleistungen reduzierte sich die Armutsgefährdungsrate auf 12,4 Prozent. Das bedeutet, dass der österreichische Sozialstaat - neben all seinen anderen Leistungen - die Gefahr von Einkommensarmut betroffen zu sein drittelt oder zumindest halbiert (siehe Tabelle).

Mehr als Sozialhilfe

Der Beitrag, den der Sozialstaat zur Bekämpfung von Armutslagen leistet, beschränkt sich nicht auf die Bereitstellung von Leistungen für Menschen, die sich in akuten Notlagen befinden. Leistungen wie die Sozialhilfe oder die bedarfsorientierte Mindestsicherung, die die Sozialhilfe ab Herbst 2010 ablösen soll, sind als Unterstützung für Personen gedacht, die durch die Maschen des vorgelagerten Sozialversicherungssystem rutschen. Die Leistungen des Sozialstaates sind um vieles weitreichender.
Es gehört zu den zentralen Aufgaben moderner Sozialstaaten für eine ausgleichende Umverteilung des gesellschaftlichen Wohlstandsgewinns zu sorgen. Umso mehr, als die Primärverteilung, die Verteilung wie sie sich aus dem Marktprozess ergibt, in den vorigen Jahrzehnten zunehmend ungleicher geworden ist.
Ein offenkundiges Beispiel für diese Entwicklung sind die mittlerweile viel zitierten Working Poor. Jene Menschen, die trotz (Vollzeit-)Erwerbsbeteiligung nicht über der Armutsgefährdungsgrenze verdienen. Eine daraus abgeleitete Gruppe sind AusgleichszulagenbezieherInnen, jene MindestpensionistInnen (meistens Frauen), deren Ansprüche aus der gesetzlichen Pensionsversicherung trotz entsprechender Versicherungszeiten sehr niedrig sind. Auch arbeitslose Menschen, deren Zahl seit Beginn der Wirtschaftskrise stark gewachsen ist, erwerbsunfähige Personen oder solche mit Betreuungspflichten, die deshalb keiner Erwerbsarbeit nachgehen können, sind von umverteilenden Leistungen des Sozialstaates abhängig, da sie sonst massiv von Armut bedroht wären.

Aufgaben des Sozialstaats

Der Sozialstaat hat zum einen die Aufgabe, Menschen gegen wirtschaftliche Risiken wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Armut oder Invalidität abzusichern, zum anderen für gesellschaftliche Teilhabe durch Bereitstellung öffenlicher Dienstleistungen zu sorgen. So wird z. B. eine alleinerziehende Mutter nur dann die Chance haben ein existenzsicherndes Einkommen zu verdienen, wenn ihr entsprechende Möglichkeiten zur (Ganztags-)Kinderbetreuung angeboten werden.
Doch abgesehen von diesen beiden, materiell leicht fassbaren Konzepten, die hinter dem Bekenntnis zu einem starken, umverteilenden Sozialstaat stehen, verbirgt sich noch ein weiteres, globaleres Konzept: jenes des sozialen Friedens.
Eine Gesellschaft, die wenige ihrer Ressourcen dafür aufwendet, Menschen durch Bildung, Arbeitsplätze und faire Beschäftigungsbedingungen zu inkludieren, wird unverhältnismäßig viel mehr für die Folgen dieser Exkludierung, wie Jugendarbeitslosigkeit, politische Radikalisierung oder steigende Kriminalität, auszugeben haben.

Sozialsystem unter Druck

Unser Sozialsystem steht unter Druck - nicht erst seit der aktuellen Wirtschaftskrise. Seit Jahren wird von konservativer Seite gegen den Sozialstaat gewettert. Doch in der Krise hat er sich als Retter in der Not erwiesen, indem er ihre Folgen durch seine Leistungen gelindert hat.
Vor allem die Arbeitslosenversicherung und zwei seit Beginn der Krise verabschiedete Arbeitsmarktpakete haben dafür gesorgt, dass die Auswirkungen der Krise hierzulande im Verhältnis zu anderen Ländern wenig zu spüren waren und sind.  Aktuelle Studien belegen, dass Staaten mit umfassenden Sozialsystemen - so wie Österreich - weniger stark unter den Folgen der Wirtschaftskrise gelitten haben als andere, liberalere.
Doch ein Aufatmen wäre sicher unangebracht. Trotz massiv steigender Arbeitslosigkeit wird vonseiten der ArbeitgeberInnen auf eine Verschärfung der Bedingungen für die Betroffenen gedrängt. Es wird de facto den Menschen die Schuld an der Situation gegeben, in die viele von ihnen durch die Folgen der Wirtschaftskrise geraten sind.
Mit der für Herbst 2010 angepeilten bedarfsorientierten Mindestsicherung verhält es sich kaum anders: Heftig wird über Leistungskürzungen gestritten, um den Betroffenen ja nicht zu viel fürs "Nichtstun" zu zahlen, und damit auch hier zu zeigen versucht, dass Armut kein Problem der Gesellschaft, sondern eines von persönlicher Verantwortung ist - unter allen Umständen.
Inzwischen braut sich am Horizont bereits die nächste bedrohliche Krise für den Sozialstaat zusammen - die anstehende Budgetkonsolidierung. Angesichts des enorm gestiegenen Haushaltsdefizits und der damit einhergehenden steigenden Staatsverschuldung in der Folge der Wirtschaftskrisenbekämpfung sind einschneidende Konsolidierungsmaßnahmen absehbar. Es zeichnet sich bereits ab, dass auch beim Sozialstaat der Rotstift angesetzt werden wird, umso wichtiger wird es sein, hier besonders behutsam vorzugehen und verteilungspolitische Aspekte zu berücksichtigen.
Letztlich hat die Frage nach dem Umgang unserer Gesellschaft mit Umverteilung und Armut eine tiefergehende Bedeutung: Mit und ohne einschneidende Krisenkonsolidierungsmaßnahmen wird die Einkommensschere zwischen Arm und Reich weiter aufgehen. Auch der Anteil der Menschen, die mit ihrem Markt-, sprich Erwerbseinkommen nicht das Auskommen finden (oder aus Gründen wie Arbeitslosigkeit oder Krankheit gar keines erzielen) wird nicht oder kaum kleiner werden.

Ein starker Sozialstaat

Ein starker Sozialstaat, der seine BewohnerInnen vor wirtschaftlichen Risiken schützt und ihnen soziale Teilhabe ermöglicht, kann diese Entwicklung wesentlich entschärfen helfen. Ein System, das in erster Linie gegen Sozialbetrug gerichtet ist und Menschen mehr disziplinieren als sie unterstützen will, wird zu einem Ausgleich nichts beitragen können.
Der Glaube daran, dass eine Gesellschaft Kosten sparen kann indem sie die Sozialausgaben kürzt ist fatal! In Wirklichkeit lassen sich die Kosten nicht einfach reduzieren, sondern bestenfalls privatisieren. Von privater Krankenversicherung aufgrund eines schlechten öffentlichen Gesundheitssystems über Privatschulen aufgrund schlechter Betreuungsverhältnisse im öffentlichen Schulsystem und letztlich privaten Sicherheitsfirmen lassen sich viele Aufgaben des Staates auslagern. Beispiele aus Ländern außerhalb (West-)Europas gibt es viele. Aber dort wollen vermutlich die wenigsten von uns leben.

Weblink
Statistik Austria - Armut und soziale Eingliederung:
www.statistik.at/web_de/statistiken/soziales/armut_und_soziale_eingliederung/index.html

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1Armutsgefährdung laut EU-SILC-Definition bedeutet, über ein gewichtetes Einkommen von weniger als 60 Prozent des Durchschnitts (Median) aller Einkommen (ohne Vermögen) zu verfügen.

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