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Mag. Johannes Wahala »Als Therapeut sage ich meinen KlientInnen immer, wer guten Sex will, muss mittelmäßigen in Kauf nehmen - und ich meine das so. Es kann nicht immer super sein.«

Vielfalt der Geschlechtsidentitäten

Interview

Johannes Wahala, Präsident der österreichischen Gesellschaft für Sexualforschung über Erotik, Sexualität, Arbeit und Wirtschaft.

Arbeit&Wirtschaft: Herr Mag. Johannes Wahala, Sie sind Psychotherapeut, Theologe und Sexualtherapeut. Unser aktuelles Schwerpunktthema heißt Laster, Lust und Liebe. Ist das überhaupt ein Thema mit dem sich ArbeitnehmerInnenvertretungen beschäftigen sollten?

Mag. Johannes Wahala: Das Thema Las­ter, Lust und Liebe oder sexualwissenschaftlich formuliert Erotik, Begierde und Sexualität ist ein ganz wesentliches Thema, das unser ganzes Leben durchzieht, von der Geburt bis zum Tod, alle sozialen Schichten, alle Bevölkerungsgruppen. Es ist also sicher vom Arbeitsplatz nicht abzutrennen, sondern in Arbeitswelt und auch in der Wirtschaft wesentlich.

Sie leiten die Österreichische Gesellschaft für Sexualforschung - wer oder was ist das?

Die ÖGS wurde 1979 von Ernest Bornemann gegründet. Wir feiern heuer übrigens Anfang Dezember im Bildungszentrum der Arbeiterkammer unser 30-jähriges Jubiläum. Wir verstehen uns als eine ExpertInnengruppe mit den Zielen, das Thema Sexualität in der Gesellschaft zu enttabuisieren, Aufklärungs- und Bildungsarbeit zu machen, professionelle Sexualberatung und -therapie anzubieten und in der Forschung tätig zu sein.

30 Jahre sind eine lange Zeit und in den letzten 30 Jahren hat sich unsere Gesellschaft sehr stark verändert - was bedeutet das für die Sexualität?

Die wesentlichste Änderung, die Sexualität betreffend, lag sicher in den 1970er-Jahren. Damals ging es darum, die Sexualität aus der Unterdrückung, aus der Tabuisierung zu befreien. Heute leben wir in der sogenannten Postmoderne: Sexualität hat ganz unterschiedliche Seiten und Facetten, sodass es heute in der Sexualforschung und auch in der Sexualtherapie darum geht, Menschen - Jugendliche und Erwachsene - zu einer selbstbestimmten und authentischen Sexualität hin zu begleiten.
Dazu kommt die Gender-Thematik, die unsere Gesellschaft sehr verändert hat. Hier hat sich ja - Gott sei Dank - mehr und mehr eine Gleichwertigkeit der Geschlechter entwickelt, wobei wir aber gesellschaftlich noch viel zu tun haben - auch und gerade in den Bereichen Arbeit und Wirtschaft. Denken wir nur an die Lohnschere zwischen Frauen und Männern.
Eine weitere wichtige Veränderung war auch die Enttabuisisierung und zunehmende Akzeptanz der Homosexualität. Heute leben wir in einer Gesellschaft, wo man schon ein Stück fragen kann, ob nicht vielleicht sogar die Bisexualität die omnipotente Leitkultur ist? Als wesentlich sehe ich auch, dass derzeit das Thema Transgender, also Menschen, die in irgendeiner Weise zwischen den Geschlechtern switchen, offener wird. Auch Menschen, die transident sind - ich sage bewusst nicht transsexuell, denn es geht hier in erster Linie um die Identität eines Menschen - müssen das nicht mehr verbergen. Das hat es ja alles immer schon gegeben. Da wird aber auch in Arbeit und Wirtschaft noch einiges auf uns zukommen. Was die Vielfalt der Geschlechtsidentitäten betrifft, werden wir umlernen müssen, um diese Menschen nicht zu diskriminieren.

Homosexualität wird mehr und mehr gesellschaftlich akzeptiert. Jetzt gibt es sogar die eingetragene Partnerschaft. Ist man in der Gesellschaft angekommen?

Einerseits ja, denn durch das Gesetz akzeptiert man die Wirklichkeit gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und dadurch wird es zu noch mehr Akzeptanz in der Gesellschaft führen.
Andererseits ruft einiges bei der eingetragenen Partnerschaft nur Kopfschütteln bei mir hervor. Dieses Partnerschaftsgesetz ist in manchen Teilen homophob.
Alle Studien weltweit über Kinder in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften sagen ganz klar aus, dass sich diese Kinder im emotionalen, im intellektuellen, im sozialen Verhalten genauso gut bzw. schlecht entwickeln wie in heterosexuellen Partnerschaften. Sie entwickeln sich in einem Punkt sogar besser: Sie haben oft mehr Empathie gegenüber Diskriminierungen und leben später in ihren eigenen Partnerschaften mehr Gleichwertigkeit.
In unserem Partnerschaftsgesetz hat man allerdings aus lauter Angst, die Homosexuellen könnten als nächstes die Familie wollen, die Stiefkindadoption, die Adoption überhaupt und die künstliche Befruchtung verboten. Ein Beispiel: Zwei lesbische Frauen, eine davon bringt aus einer heterosexuellen Partnerschaft zwei Kinder mit in die Beziehung. Die biologische Mutter ist schwer krebskrank, der biologische Vater möchte oder kann die Obsorge nicht übernehmen. Die Partnerin hat keinerlei Rechte und die Eltern der Krebskranken sagen schon jetzt, dass sie die Kinder nach dem Tod der biologischen Mutter zu sich nehmen wollen - obwohl die Frauen über zehn Jahre mit beiden Kindern in einer glücklichen Elternschaft leben.
Hier hat sich die Politik gesagt, wenn wir schon die Partnerschaft nicht mehr verhindern können, dann verhindern wir wenigstens die Familie. Das ist einfach diskriminierend im Kontext von Homosexualität vom Schutz für Ehe und Familie zu sprechen. Die Homosexuellen können nichts dafür, dass die heterosexuelle Ehe sich derzeit wandelt oder vielleicht sogar ein ­Auslaufmodell ist. Gleichgeschlechtliche Elternschaft und Regenbogenfamilien sind schon längst eine Realität, die braucht die Politik nicht erst zu erfinden.

In letzter Zeit wird immer wieder kritisiert, dass zwar das Thema »Schwulsein« in der Öffentlichkeit angekommen ist, dass es da Verständnis gibt und Toleranz. Lesbische Frauen haben aber kaum Öffentlichkeit …

Ein Grund dafür ist ein historischer. Die Schwulenbewegung gibt es seit 1969, »Stonewall«, als sich erstmals Schwule in diesem Lokal in New York gegen die repressiven Übergriffe der Polizei zur Wehr gesetzt haben. Die Lesbenbewegung bzw. Frauenbewegung gab es ja schon in den 1920er- und 1930er-Jahren.
Schwulen Männern ging es darum, dass sie so akzeptiert werden, wie sie sind - also homosexuell und vielleicht ­bisexuell. Den Frauen ging es nicht nur um Akzeptanz, sondern um eine Veränderung der patriarchalen Gesellschaft und deren Struktur. Die Lesbenbewegung war lange Zeit in der Frauenbewegung integriert. Diese Frauen wurden dann - auch von Frauen - mit Attributen belegt wie Mannweiber und Kampflesben, weil sie als gefährlich galten, weil sie Strukturen verändern wollten. Und das ist ihnen ja auch gelungen, denn ich glaube, die starke Gender-Mainstreaming-Diskussion, die wir heute führen, ist auch diesen Frauen zu verdanken.

Eine der großen Änderungen der letzten 30 Jahre sind die neuen Medien - oft wird kritisiert, dass Sex im Internet im Überfluss vorhanden ist und so eine »normale« Sexualität behindert wird. Wie sehen Sie das?

Jedes Pendel schlägt zuerst in die Gegenrichtung aus - ich glaube, das pendelt sich jetzt langsam ein. Als Therapeut sage ich meinen KlientInnen immer, wer guten Sex will, muss mittelmäßigen in Kauf nehmen - und ich meine das so. Es kann nicht immer super sein. Ich finde das Einschränken der Sexualität nur auf die Penetration massiv einengend - Sex ist mehr. Es kann einfach auch schön sein, wenn man sich küsst, kuschelt, massiert ... Es gibt heute ungleich mehr Möglichkeiten in der Sexualität als früher. Wir haben im Grunde nur noch drei große Tabus: die sexuelle Gewalt, den Inzest und die Pädosexualität. Ich verwende ungern das Wort Pädophilie, das ja Liebe zu Kindern bedeutet, wenn es um sexuelle Gewalt geht. Durch die Freiheit und die vielen Möglichkeiten, die die Sexualität heute bietet, geraten viele Menschen aber auch unter Druck.

Und unter Druck stehen viele Beschäftigte heute auch Tag für Tag am Arbeitsplatz - was ist Ihre therapeutische Erfahrung, wie wirkt sich das auf die Sexualität aus?

Das ist meines Erachtens ein sehr wichtiges Thema. Früher war die Welt linearer. Die katholische Ehe war das Partnerschaftsmodell: Heiraten, Haus bauen, Kinder bekommen, der Mann arbeitet an der Karriere, die Frau an der Familie - heute ist das ganz anders. Die Welt ist komplexer, vernetzter, globaler geworden. Wir haben mit Unmengen von Information zu tun.
Ich erlebe sowohl in der Beratungsstelle COURAGE als auch in meiner Praxis häufig, dass Arbeit und Wirtschaft sehr oft stark vereinnahmende Lebensbereiche sind. Denken wir an die liberalisierten Ladenöffnungszeiten. Da kann dann jeder am Samstag einkaufen, vielleicht am Sonntag auch, aber wann sollen die VerkäuferInnen Zeit für ihre Partnerschaft haben?
Berufs- und Arbeitswelt sind heute für viele die Herausforderung und es bleibt weniger Zeit für soziale Kontakte, für Hobbys und Freizeit und - dort, wo es Familie gibt - für Familie. Früher gab es noch die klassische Aufteilung: Frau - Mann. Heute stehen wir in der Gender-Diskussion. Und dann gibt es ja auch noch die Patchwork-Familien, da müssen gleich mehrere Familien gemanaged werden. Da sind Menschen oft überfordert und dort, wo der Stress in den schlechten Dysstress übergeht, hat das massive Auswirkungen nicht nur für die Gesundheit, sondern auch auf die Sexualität. In der Tendenz haben wir heute in der Sexualität weniger Funktionsstörungen, dafür mehr Lustlosigkeit.
Wenn Sexualität nicht gelebt werden kann, kommt es zu Kompensationen und die Möglichkeiten dazu sind heute vielfältiger als früher. Damals musste der heterosexuelle Mann in ein Puff oder ein Sexkino gehen - heute liefert ihm sein PC das ins Haus. Es wird daher nicht selten durch Internetsexualität kompensiert. Wir nennen das heute das »virtuelle Fremdgehen«. In den Chatrooms werden Fantasien ausgetauscht, es tun sich scheinbar unendliche Möglichkeiten auf, und falls es mir doch zu viel wird, ist das Gegenüber mit einem Knopfdruck weg. Mit meinem Partner, meiner Partnerin müsste ich weiter diskutieren. Das gemeinsame Reden über Wünsche und Bedürfnisse wird in Partnerschaften noch immer viel zu selten gemacht.

Wie eng sind eigentlich Sexualität und Macht verbunden?

Das war und ist zu allen Zeiten ein wesentliches Thema, derzeit besonders geführt in der Genderdiskussion, aber auch, wenn es um sexuelle Gewalt geht. Ich glaube, dass bei beiden Geschlechtern Sexualität und Macht ein wesentliches Thema ist - in einer patriarchalischen Gesellschaft wird diese Macht eher von Männern ausgeübt. An den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche hat sich gezeigt: Je geschlossener ein System ist, je autoritärer, je mehr deutliche Hierarchien es gibt, des­to mehr existiert die Gefahr von Machtmissbrauch und sexueller Gewalt. Und da gibt es auch in der Arbeitswelt nach wie vor deutliche Gefahrenzonen, also autoritäre und geschlossene Systeme, in denen es deutliche Abhängigkeiten gibt - das sind Biotope des Machtmissbrauchs und sexueller Übergriffe. Wo es eine Demokratisierung gibt, wo Diversity gepflegt wird, wo offen kommuniziert werden kann, ist weniger Platz für sexuellen Missbrauch oder Übergriffe.

Wir haben im aktuellen Heft auch zwei Artikel zum Thema Sexarbeit - kann eine Gesellschaft ohne Prostitution auskommen?

Prostitution heißt nicht umsonst das ältes­te Gewerbe der Welt - es gab, glaube ich, noch keine Zeit ohne Prostitution. Wir haben zuerst über Macht gesprochen, Sex ist aber auch ein Wirtschaftsfaktor.
Wir leben derzeit in der größten Völkerwanderung seit Menschengedenken. Da gibt es natürlich jede Menge Missbrauch z. B. Menschenhandel. Das ist schrecklich! Aber es gibt auch Menschen, die sagen: Ich prostituiere mich, ich mache mit meinem Körper Geschäfte, die wird es immer wieder geben. Diesen Menschen sollte man faire Bedingungen bieten und sie nicht an den gesellschaftlichen Rand drängen. Ganz im Gegenteil, man sollte Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern mit ­Respekt und Achtung begegnen. Wenn zwei Erwachsene miteinander Sex haben und ein Mensch bezahlt, der andere lässt sich bezahlen, und das Ganze geschieht im Einvernehmen und mit Res­pekt, dann ist das okay - je mehr Tabuisierung, desto mehr Unterdrückung. So fordere ich schon lange im Namen des Beratungszentrums COURAGE ein Kompetenzzentrum für männliche Sexarbeiter.

Was wünschen Sie sich für die Sexualität der ÖsterreicherInnen?

Ich würde mir eine größere öffentliche Akzeptanz und eine reflektierte Auseinandersetzung mit der Vielfalt der menschlichen Sexualität wünschen. Und ich wünsche mir weiterhin eine Demokratisierung in der Arbeits- und Berufswelt, ein Weiterführen der Genderdiskussion, immer mehr Diversity-Konzepte, wo Diversität bewusst gefördert wird, aber auch kulturelle Vielfalt und noch eindeutigere Gesetze gegen Diskriminierung v. a. von Homosexualität und Transidentität. Ich wünsche mir eine breite Anerkennung der Vielfalt der Partnerschaften und Lebenskonzepte.

Wir danken für das Gespräch.

Zur Person
Mag. Johannes Wahala
geboren am 2. Mai 1955 in Wien, ist Psychotherapeut, Sexualtherapeut, Pädagoge, katholischer Theologe und seit 2002 Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sexualforschung. Er leitet die PartnerInnen-, Familien- und Sexualberatungsstellen COURAGE in Wien, Graz und Innsbruck.
1986: Priesterweihe
1986-1997: Kaplan in Altsimmering, Pfarrer in Trautmannsdorf und Sarasdorf
1991: Verleihung des Goldenen Verdienstzeichens des Landes Wien durch Bürgermeister Dr. Helmut Zilk
1997: Absetzung als Pfarrer durch Kardinal Schönborn wegen seines Einsatzes für gleichgeschlechtliche Lebensweisen
1999: Gründung der Familien-, PartnerInnen- und Sexualberatungsstelle COURAGE mit den Schwerpunkten gleichgeschlechtliche und transgender Lebensweisen, Sexualität und Beziehungen sowie Gewalt und sexuelle Übergriffe
2009: Erweiterung der Beratungsstellen COURAGE in Graz und Innsbruck. Seit 2006: Nationalratsabgeordneter, Gesundheitssprecher der SPÖ

Weblinks
Mehr Infos unter:
www.wahala.at
www.courage-beratung.at
www.oegs.or.at

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