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Sucht im Job Nicht nur die Volksdroge Alkohol ist relevant: In der sechsten Kaufsuchtgefährdungsstudie der AK-Wien wurde 2009 ein neuerlicher Anstieg der stark Kaufsucht-Gefährdeten auf zehn Prozent der Gesamtbevölkerung festgestellt.

Sucht im Job

Schwerpunkt

Nicht immer sind die Symptome so deutlich wie bei Kollegen F., der öfters stark angeheitert aus der Mittagspause kommt.

Wohl jede/r kennt das: Ein Raucher, der gerade mal einen Film lang ohne Zigarette durchhält, behauptet »wenn ich wollte, dann könnt ich es mir jederzeit abgewöhnen. Aber noch macht es mir einfach Spaß und schmeckt«.

Vom Genuss zum Missbrauch
Die Übergänge von Vergnügen und Genuss zu Missbrauch und später zu Abhängigkeit sind in der Regel fließend und verlaufen individuell unterschiedlich. Mitunter werden negative Konsequenzen allerdings deutlich, lange bevor sich die Betroffenen eines Problems bewusst sind. Denn Alkohol, Drogen und Medikamente gefährden die Sicherheit am Arbeitsplatz. Man schätzt, dass 15 bis 20 Prozent der Arbeitsunfälle durch Alkohol verursacht werden. Insgesamt gelten rund fünf Prozent aller Beschäftigten als alkoholkrank, weitere zehn Prozent als gefährdet. Aber nicht nur die Volksdroge Alkohol ist relevant: In der sechsten Kaufsuchtgefährdungsstudie der AK-Wien wurde 2009 ein neuerlicher Anstieg der stark Kaufsucht-Gefährdeten auf zehn Prozent der Gesamtbevölkerung festgestellt. Schon in Betrieben mittlerer Größe ist daher die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man mit Abhängigkeit und Missbrauch konfrontiert wird.
In den meisten Fällen vergeht einige Zeit bis eine Suchterkrankung am Arbeitsplatz virulent wird. Selbst bei Alkohol kann es bis zu zehn Jahre dauern, bis die Krankheit offensichtlich wird - obwohl dessen Missbrauch durch Ausfallserscheinungen und Alkoholfahnen bzw. den Versuchen, diese mit Kaugummis etc. zu überdecken, relativ auffällig sein kann. Aber auch die nicht-substanzgebundenen Suchtformen (Spiel-, Kauf-, Sex- oder Esssucht) führen mit der Zeit zu offensichtlichen Problemen und Verhaltensänderungen. Schwierigkeiten innerhalb der Familie, Geldsorgen etc. beeinträchtigen schließlich die Leistungsfähigkeit im Job. Alkoholkranke fehlen 16-mal häufiger im Job und sind 2,5-mal öfter im Krankenstand. Depressionen und Suizidgedanken sind bei Suchtkranken und -Gefährdeten deutlich häufiger als bei der restlichen Bevölkerung.

Welches Suchtmittel auch immer im Spiel ist, die Symptome und daraus entstehende Probleme sind ähnlich:

  • Kontrollverlust: Betroffene vergessen auf Termine, auf Verabredungen und haben nur noch das Eine im Sinn. Am Arbeitsplatz bedeutet das: häufiges Zuspätkommen, Kurz-Krankenstände (die Entschuldigung erfolgt meist durch Dritte), der Betroffene ist telefonisch oft lange Zeit nicht erreichbar, wenn er/sie endlich zurückruft, dann folgen unglaubwürdige Erklärungen oder Wutausbrüche und Verweigerung.
  • Soziale Kontakte werden vernachlässigt, weil im Vordergrund immer die Sucht steht.
  • Geldprobleme schränken das soziale Leben ebenfalls ein. Sie entstehen direkt (Kauf-, Spiel- oder Drogensucht) oder indirekt, weil Süchtige andere Lebensbereiche vernachlässigen oder den Job verlieren. Typische Alarmzeichen: Betroffene nehmen kaum oder nicht mehr an Gemeinschaftsaktivitäten teil, sobald diese mit Geldausgeben verbunden sind. Sie haben etwas anderes vor, sagen mit Ausreden in letzter Minute ab, kritisieren die geplanten Aktivitäten, fangen Streit an etc. Sie fahren nicht mehr auf Urlaub, brauchen Gehaltsvorschuss etc.
  • Entzugserscheinungen wie psychosomatische Beschwerden, Unruhe, Gereiztheit, erhöhte Empfindlichkeit sowie Aggressionen gegen Schwächere (im Pflegebereich auch gegen PatientInnen) können durch finanzielle Probleme und (Suchtbedingte) Schwierigkeiten in der Familie zusätzlich verstärkt werden.
  • Verheimlichen: Theoretisch könnte die Tatsache, dass man in Zusammenhang mit Alkoholkonsum, Einkäufen etc. die Unwahrheit sagt, für Betroffene ein erstes deutliches Alarmzeichen sein. Leider erklären die meisten ihre Lügen und Heimlichkeiten aber mit dem Unverständnis von Familie, Freunden und Kollegen.

Arbeiten bis zum Umfallen
Sämtliche dieser Symptome treffen übrigens auch auf Arbeitssucht zu, Workaholics vernachlässigen alles außer ihren Job und finden immer wieder neue (für andere nicht nachvollziehbare) Erklärungen, warum sie so viel arbeiten. Lediglich die bei vielen Suchtkranken irgendwann einsetzenden Geldprobleme fehlen. Die könnten allerdings dann später folgen, denn nicht therapierte Workaholics gehen meist sehr früh in Pension, haben Stress-bedingte Gesundheitsprobleme und sterben nicht selten jung. In Japan beispielsweise gibt es daher bereits mehr als 300 spezielle Workaholics-Behandlungszentren.

Aber selbst wenn Arbeitssucht gesellschaftlich weniger stigmatisiert ist als etwa Alkoholabhängigkeit oder Spielsucht, sind Betroffene typischerweise nicht sofort einsichtig oder bereit zur Therapie. Die Abgrenzung zu normalem Arbeitspensum kann ähnlich schwierig sein wie bei Kaufsucht oder Essstörungen. Im Gegensatz zu Drogen, Spielen oder Alkohol kann man auf Einkaufen, Arbeiten und Essen schließlich nicht gänzlich verzichten.
Wegschauen und das Beste hoffen, ignorieren, kündigen - so sollten KollegInnen, Vorgesetzte und BetriebsrätInnen besser nicht reagieren. Suchterkrankungen sind ein ernstes Problem und sollten nicht heruntergespielt oder verleugnet werden. Leider führt ein direktes Gespräch unter KollegInnen so gut wie sicher zu Frusterlebnissen auf der einen Seite und Misstrauen bei den Betroffenen. Besser ist es, entsprechende Verdachtsmomente direkt mit dem Betriebsarzt oder Betriebsrat zu besprechen. Denn selbst wenn es sich »nur« um Missbrauch handelt, Betroffene sind in der Regel durch ein kollegiales oder freundschaftliches Gespräch nicht zu Verhaltensänderungen zu bewegen.
Stufenplan

In einem Vier-Augen-Gespräch können BetriebsrätInnen/-ärzte, -ärztinnen und Vorgesetzte vermitteln, dass der/die MitarbeiterIn wertvoll für das Unternehmen ist, aber durch verschiedene (möglichst genau protokollierte) Auffälligkeiten derzeit der Job auf dem Spiel steht. Für die nächsten drei Monate sollten konkrete Vereinbarungen getroffen werden (Einhaltung der Arbeitszeit, keine eintägigen Krankmeldungen etc.). Dieses Gespräch sollte in ruhiger Atmosphäre und keinesfalls im Akutfall, womöglich mit einem angeheiterten Mitarbeiter, stattfinden. Dabei sollte man sich nicht in Diskussionen über Trinkmengen oder Trinkgründe u. ä. verwickeln lassen, sondern auf entsprechende Einrichtungen verweisen. Univ.-Prof. Dr. Michael Musalek, Leiter des Anton-Proksch-Instituts in Wien-Kalksburg, der größten Suchtklinik Europas: «Wichtig ist ein gutes Vertrauensverhältnis, und dass nicht sofort mit Sanktionen gedroht wird. Laien sollten keine Diagnosen stellen, sondern etwa eine Beratung an unserem Institut anbieten. Hier kann auch der Grad der Abhängigkeit festgestellt werden.« Günstig sind während der »Probezeit« monatliche Feedback-Gespräche. Ändert sich nach dieser Frist das Verhalten nicht, dann empfiehlt sich ein Konfrontationsgespräch mit mehreren TeilnehmerInnen wie Betriebsrat, Vorgesetzten, Betriebsarzt und wenn möglich ExpertInnen aus einer entsprechenden Beratungseinrichtung. Die daraus resultierenden Vereinbarungen sind nicht mehr vertraulich, sondern offiziell und werden schriftlich festgehalten. Danach empfiehlt es sich, die Situation rund ein halbes Jahr lang zu beobachten. Erst wenn nach diesem Zeitraum keine deutliche Verbesserung merkbar ist, sollten weitere Schritte (Personalabteilung, Abmahnung etc.) gesetzt werden. ExpertInnen sprechen hier von konstruktivem Leidensdruck, das bedeutet, Hilfe anzubieten, aber auch Konsequenzen zu vereinbaren und einzuhalten, wenn die Situation sich nicht bessert.

Offizielle Suchterkrankung
Erst durch ein fachärztliches Gutachten wird eine Suchterkrankung quasi offiziell. Nur so hat man im Krankenstand Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Vorübergehende Abwesenheit etwa durch Alkoholmissbrauch hingegen gilt als grob fahrlässig. Ein Entlassungsgrund liegt dann vor, wenn ein/e ArbeitnehmerIn dem Unternehmen nachweislich schadet. Einmaliger Alkoholmissbrauch ist dafür in der Regel allerdings nicht ausreichend - außer bei MitarbeiterInnen, die das Unternehmen nach außen repräsentieren.

Weblink
Anton-Proksch-Insitut:
www.api.or.at
Online-Infos zu verschiedenen (auch nicht-stofflichen) Suchtformen; Online-Test zu Alkohol und Nikotin

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afadler@aon.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

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