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Freier statt Freiheit Die Gründe dafür, dass (junge) Frauen ans Auswandern denken sind vielfältig: In Filmen, Videoclips, etc. sehen sie nicht nur, dass es manchen Frauen finanziell viel besser geht, sondern auch dass diese wesentlich mehr Freiheiten haben.

Freier statt Freiheit

Schwerpunkt

Die Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa lässt sie ihre Heimat verlassen. Hier angekommen, landen viele Migrantinnen in der Prostitution.

Ich konnte nicht nach Nigeria zurück. Ich hatte kein Geld und mein Pass war spurlos verschwunden. Tony behauptete, er müsse verloren gegangen sein. Als gute Ehefrau hatte ich alle meine Ersparnisse meinem Mann überlassen: 40.000 Euro Erlös aus dem Verkauf meiner Boutique! Vorher hatte ich fünfzehnhundert für das Ritual ausgegeben.«* Erst nachdem sie sich einem einwöchigen Voodoo-Ritual unterzogen hat, kann die junge Nigerianerin Joana Adesuwa zu ihrem Mann Tony nach Wien reisen. Angeblich besitzt er dort ein Reisebüro, tatsächlich verdient Tony sein Geld als Mädchenhändler und Zuhälter. Joana soll als »Madame« die Frauen beaufsichtigen. Sie verlässt ihren Mann und beginnt, sich ein eigenes Leben aufzubauen - ständig mit der Angst vor der Rache ihres Mannes oder bösem Voodoo-Zauber aus Nigeria im Nacken.

Ausstieg geschafft
Joana Adesuwa ist eine der wenigen, denen frühzeitig der Ausstieg gelungen ist. Mehr noch, sie schaffte es auch, aus der Anonymität zu treten, gründete 2006 den Verein EXIT, der sich für vom Menschenhandel betroffene Frauen und Mädchen einsetzt. 2008 erschien ihr Buch »Die Wassergöttin«, in dem sie ihre Jugend in Nigeria und die ersten Monate in Wien beschreibt.
Vielen Afrikanerinnen, Asiatinnen und Südamerikanerinnen, die von einem regelmäßigen Einkommen, von Sicherheit und einem selbstbestimmten Leben träumen, ergeht es noch viel schlechter als Joana. Ihnen wird versprochen, dass sie in Europa oder den USA studieren, als Kellnerin, Stubenmädchen oder Tänzerin arbeiten können. Sie stürzen sich in Schulden, erleben Traumatisches auf strapaziösen Reisen, müssen hungern, werden ständig geschlagen, zur Prostitution gezwungen - und dann womöglich wieder abgeschoben.

Nach dem kürzlich präsentierten Bericht des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) werden in Europa jährlich 140.000 Menschen Opfer von Menschenhandel (human trafficking). Der neueste Trend sind SüdamerikanerInnen, darunter auch Transgender aus Brasilien. Laut OSZE sind 50 bis 75 Prozent aller Prostituierten durch Schlepper ins Land gekommen. Mit einem geschätzten Jahresumsatz von zwölf Mrd. US-Dollar weltweit rangiert Frauenhandel nach Waffen- und Drogenhandel an dritter Stelle. Die meisten Frauen (und Mädchen) werden in der Sexindustrie eingesetzt, aber auch als Hausangestellte, Kranken- und AltenpflegerInnen. In der Regel wird den betroffenen Frauen der Pass weggenommen, und sie müssen in einer Art moderner Sklaverei leben ohne Rechte, Sozialleistungen etc.
Die Gründe dafür, dass (junge) Frauen ans Auswandern denken sind vielfältig: In Filmen, Videoclips und in Touristengebieten quasi direkt vor der Haustür sehen sie nicht nur, dass es manchen Frauen finanziell viel besser geht, sondern auch dass diese wesentlich mehr Freiheiten haben. Moderne Frauen können selbst entscheiden, welchen Beruf sie ergreifen, ob und wo sie studieren möchten, wie sie sich kleiden, mit wem sie sich treffen und in welchem Lokal, wen sie heiraten etc. Der Unterschied zu der oft noch von Traditionen geprägten (Macho-)Welt ist enorm: »Seit Jahren hatte ich niemandem auf Knien das Essen gereicht. In ganz Nigeria war diese Tradition mit der Zeit verschwunden. Entweder war das noch nicht bis zu meinem Mann vorgedrungen, oder er wollte vor seinen Freunden nicht als Idiot dastehen.«* Religiöse Vorschriften und Aberglauben schränken das Leben und die Entscheidungsfreiheit vor allem von Frauen stark ein. So werden in vielen Teilen Westafrikas nach wie vor Frauen als Hexen oder für besessen erklärt und für sämtliches Unglück in einer Familie verantwortlich gemacht, gequält, verfolgt und mitunter getötet.

50 Nationalitäten am Strich
Österreich ist durch seine geografische Lage sowohl Transit- als auch Zielland für den Menschenhandel aus Zentral- und Osteuropa. 60 bis 80 Prozent der Sexarbeiterinnen sind Migrantinnen, viele davon nicht registriert. Asylwerberinnen haben selbst wenn sie eine Arbeitsbewilligung bekommen meist schon wegen mangelnder Sprachkenntnisse schlechte Jobchancen. Da erscheint die Prostitution oft als einzige Alternative. Die Globalisierung macht sich auch in diesem Bereich bemerkbar. Wurden 1994 noch zwölf verschiedene Nationalitäten unter den Prostituierten in Holland, Deutschland, Italien und Österreich gezählt, so waren es zehn Jahre später bereits 50. Gar nicht so selten zählen auch Frauen zu den Täterinnen. So führte etwa die Wirtschaftskrise in Nigeria in den 1980er-Jahren dazu, dass Frauen vom Handel mit Gold und Handtaschen auf Mädchenhandel umgestiegen sind.
Endlich im »gelobten Land«, irgendwo im reichen Europa, wo alle eine fremde Sprache sprechen, das Leben oft ganz anders verläuft als in der Heimat, werden die Frauen und Mädchen weiter unter Druck gesetzt - ohne Papiere, mit Tausenden Euros Schlepper-Schulden, dazu kommen noch horrende Kosten für die Unterkunft. Durch Unwissenheit gefährden vor allem illegale Prostituierte oft ihre Gesundheit (und die ihrer Kunden), wenn sie ohne Kondom arbeiten und nicht regelmäßig zum Arzt gehen. Viele haben mehr Angst vor einer Schwangerschaft als vor Geschlechtskrankheiten, und so manche denkt, dass die Pille auch gegen Krankheiten schützt.

Mehr Rechte für Betroffene
Das Beratungszentrum LEFÖ in Wien bietet seit 1991 Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen an, basierend auf Partizipation und Empowerment. LEFÖ ist unter anderem Partnerin des europäischen Netzwerks TAMPEP (European Network for HIV/STI Prevention and Health Promotion Among Migrant Sex Workers). Außerdem befindet sich hier die österreichweit einzige Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel (IBF). TAMPEP bietet bundesweit aufsuchende Gesundheitsprävention direkt am Arbeitsplatz der Sexarbeiterinnen, muttersprachliche Beratung sowie Begleitung zu Behörden. IBF hilft von Menschenhandel betroffenen Frauen in sämtlichen Lebensbereichen (Notwohnungen, Unterstützung bei Behörden und Prozessbegleitung, Deutschkurse, Rückkehrvorbereitung etc.). Renate Blum: »Die meisten Frauen kommen über Vermittlung der Polizei oder NGOs zu uns, rund 50 Prozent stammen derzeit aus den neuen EU-Ländern.«

Verurteilungen wegen Frauenhandel gibt es relativ selten, denn nur wenige Opfer erstatten tatsächlich Anzeige. Sie haben Angst vor Rache, sehen oft keine anderen Job-Chancen und befürchten schließlich die Ausweisung. Bisweilen werden die Frauen offiziell auch als Table-Tänzerinnen o.ä. engagiert und theoretisch können sie selbst entscheiden, wie weit sie mit einem Kunden gehen. Damit sind Menschenhandel und Prostitution vor Gericht nur sehr schwer zu beweisen. Großeinsätze wie im vergangenen April, als mit einem Schlag mehr als zehn »Gürtel-Größen« wegen schwerer Erpressung, schwerer Körperverletzung und Menschenhandel verhaftet wurden, sind selten - und noch sind die Angeklagten nicht verurteilt. Im Rahmen des nationalen Aktionsplans zur Bekämpfung des Menschenhandels für 2009 bis 2011 sollen unter anderem die bundesweite, aber auch die internationale Zusammenarbeit bzw. die Kooperation zwischen Polizei, Beratungseinrichtungen und Behörden verbessert sowie das Problembewusstsein in der Öffentlichkeit erhöht werden. In Österreich können die Behörden derzeit Zeugen/-innen und Opfern von Menschenhandel eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis von mindestens sechs Monaten (meist ein Jahr) gewähren. Entsprechende Anträge müssen binnen sechs Wochen bearbeitet werden. Ein positiver Bescheid beinhaltet allerdings noch keine Arbeitsgenehmigung.

Zugang zur Gewerkschaft gewünscht
Die Öffnung des Arbeitsmarktes für MigrantInnen bzw. AsylwerberInnen ist daher eines der wichtigsten Anliegen von LEFÖ. Außerdem sollten Betroffene Zugang zum Gesundheitssystem und Bildungseinrichtungen bekommen. Und - angesichts der Tatsache, dass SexworkerInnen in Österreich noch nicht in der Gewerkschaft vertreten sind - dass auch Personen zu Gewerkschaften Zugang bekommen, die bisher ausgeschlossen waren.

*Aus: Joana Adesuwa-Reiterer: Die Wassergöttin - Wie ich den Bann des Voodoo brach; Knaur-Verlag

Weblink
Verein Exit:
www.adesuwainitiatives.org

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