topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Josef Wallner Wenn wir wollen, dass der wirtschaftliche Nutzen ­weiterhin überwiegt und der soziale Zusammenhalt ­erhalten bleibt, dann brauchen wir eine ­integrationsorientierte Politik, die alle gesellschaftlichen Gruppen ernst nimmt.

Kulturmix als Basis für Kreativität

Interview

Arbeiterkammer-Experte Josef Wallner ist davon überzeugt, dass Österreichs Wohlstandszuwachs ohne Migration nicht möglich gewesen wäre.

Zur Person
Josef Wallner
Geboren 1956 in Villach/Kärnten, Volksschule und Humanistisches Gymnasium in Kärnten
Zwei Jahre Politikwissenschaftsstudium und Volkswirtschaft, Universität Wien; danach Ausbildung zum Diplomverbandsmanager des Verbandsmanagement Instituts der Universität Freiburg/CH
1980-1982: Arbeitsmarktservice Niederösterreich
1982 laufend: Arbeiterkammer Wien (AK Wien)
Mitglied im Gründungsvorstand des Beratungszentrums für MigrantInnen
Seit 1993: Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt der AK Wien
1994-2002: Vertreter der AK Wien im Landesdirektorium des AMS Wien
1998: Gründung und bis 2002 Leitung des Insolvenzschutzverbandes für ArbeitnehmerInnen im Auftrag der AK Wien und des ÖGB
Seit 2002: Vertreter der Bundesarbeitskammer im Verwaltungsrat des AMS-Österreich
1990 bis 2002 u. a. auch verantwortlich für Organisation der Rechtsberatung für MigrantInnen in ihrer Muttersprache in der AK Wien
Seit 2002 laufend: Zielgruppenverantwortung für AK-Mitglieder mit Migrationshintergrund
Seit November 2008: verantwortlich für die organisatorische Weiterentwicklung der »Abteilung Arbeitsmarkt« zur Abteilung »Arbeitsmarkt und Integration« in der AK Wien

Arbeit&Wirtschaft: Josef Wallner, du bist Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der AK Wien. Migrationspolitik ist da ein wichtiges Thema. Betrachtet man aktuell die Plakate zwischen »Wiener Blut« und »Reden wir über Bildung. Am besten auf deutsch«, fragt man sich schon, was ist da los?

Josef Wallner: Migration ist eines der Megathemen der nächsten Jahre. In den letzten vier Jahrzehnten hat Zuwanderung in relevantem Maße stattgefunden, weil unsere Gesellschaften ökonomisch und sozial nur noch unter der Voraussetzung von Zuwanderung funktionieren. Andererseits gibt es noch keinen tragfähigen Konsens darüber, wie die Regeln dafür sein sollen. Die Bewusstseinsbildung für diesen Prozess startet im Grunde genommen erst jetzt ernsthaft, weil wir eben jetzt eine »kritische Masse« von dauerhafter Zuwanderung erreicht haben und uns das bewusst geworden ist. Traditionelle Einwanderungsländer wie USA und Australien unterscheiden sich hier stark. Diese Staaten sind ja von Einwanderern gegründet worden. Sie haben daher auch andere Einwanderergruppen angezogen: Nämlich die, die z. B. nach Amerika gehen, um Amerikaner zu werden. Und eben nicht die, die dort hingehen, um temporär Geld zu verdienen und dann heimzukehren. Genau das ist aber das Konzept, das in den 1960er-Jahren in Europa entstanden ist.

Der sogenannte Gastarbeiter …

Genau - und im Bewusstsein vor allem der deutschsprachigen Länder ist erst jetzt die Erkenntnis angekommen, dass dieses »Rotationskonzept« nicht mehr funktioniert. Ein Alternativkonzept muss aber erst gesellschaftlich ausverhandelt werden mit allen Schwierigkeiten auch auf der emotionalen Ebene, die es dabei gibt. Daher kommt es zu Konflikten.

Hat das Gastarbeiter-Konzept denn je funktioniert und wenn ja, wie lange?

Es hat bestenfalls kurzfristig funktioniert bis Anfang der 1970er-Jahre. Es ist allerdings immer leicht, mit dem Wissen von heute zu sagen der damalige Zugang war falsch. In den 1960er-Jahren gab es einen illusionären Konsens zwischen den Aufnahmeländern, die einen Arbeitskräftemangel temporär abdecken wollten, und den Zuwanderern, die ihrerseits nur vorübergehend nach Europa wollten, um mit dem hier verdienten Geld später daheim eine Existenz aufzubauen.

Ist Österreich ein Einwanderungsland?

Geht es um Zahlen, Daten, Fakten ist Österreich ganz klar ein Einwanderungsland - mit einem Bevölkerungsanteil an Menschen mit Migrationshintergrund von rund 17 Prozent. Auf der Bewusstseinsebene muss der Abschied vom Gastarbeitersystem erst verarbeitet werden. Das ist der Unterschied zu den klassischen Einwanderungsländern, wo ein Großteil der Bevölkerung weiß, dass die eigenen Vorfahren eingewandert sind. Die »Gastarbeiter-Länder« Deutschland, Schweiz, Österreich haben das Rotationssystem auf die Spitze getrieben. Die Schweiz hat aber vor Jahren die Bremse gezogen, indem sie ihr berüchtigtes Saisoniermodell praktisch abgeschafft haben. Vielleicht am konsequentesten von allen drei Ländern wurde die Lage in Deutschland neu überdacht und die Weichen in Richtung Einwanderungsland gestellt. Österreich steht im Grunde genommen am Beginn dieser Diskussion.

Österreich hat ja eine Geschichte als Vielvölkerstaat. Wenn ich an die »Wiener Blut«-Debatte denke, habe ich den Eindruck, dass manche das verdrängen?

So ist das wahrscheinlich, allerdings wurden auch im Vielvölkerstaat Konflikte auf die ethnische Ebene verlagert. Eine der Ursachen, warum die Debatte heute so konfliktreich verläuft, ist ihre Instrumentalisierung. Einerseits gibt es die bekannten Demagogen, deren Politik von unsachlicher Zuspitzung lebt. Andererseits wird oft ignoriert, dass z. B. die Pers­pektive des reichen Vorstandsmitglieds in seiner Döblinger Villa eine andere ist als die der 80-jährigen Rentnerin, die seit 40 Jahren in Ottakring lebt und jetzt damit zu Rande kommen soll, dass sich ihre direkte Umgebung sozial komplett verändert hat. Es ist auch der Bobo nicht in derselben Lage, der bewusst auf den lebendigen Yppenplatz zieht. Er könnte nämlich auch in den 13. Bezirk ziehen …

… und später, wenn die Kinder in die Schule kommen, wird er das auch tun …

Ja, dann schicken viele ihre Kinder in Privatschulen und nicht in solche, wo es 80 Prozent Migrantenanteil gibt. Der hohe Migrantenanteil an manchen Schulen rührt ja auch daher, dass die situierte Mittelschicht ihre Kinder dort herausnimmt, aber gleichzeitig mit erhobenenem Zeigefinger anderen Fremdenfeindlichkeit vorwirft. Diese fühlen sich dann nicht verstanden, was wieder die Sache der Demagogen sehr erleichtert. Ich glaube, dass zu wenig bedacht wird, dass die neue gesellschaftliche Situation für Zuwanderer und für unsere 80-jährige Rentnerin in Ottakring in mancher Hinsicht ähnlich ist. Zuwanderer kommen, fühlen sich in der fremden Umgebung oft nicht wirklich wohl und versuchen, sich ihre Nestwärme in ihren Communities zu holen. Der in ihrem Viertel seit Jahrzehnten verwurzelten alten Rentnerin geht es genauso: Ihr ist Ottakring fremd geworden, sie fühlt sich nicht mehr wirklich wohl. Auch sie muss Anpassungsarbeit leisten und das ist nie leicht, egal für wen. Undifferenziert gleich den Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit parat zu halten, ist unsensibel und ebenso falsch wie das ständige Beschwören einer drohenden »Parallelgesellschaft«.

Wie könnte Integration funktionieren?

Es ist klar, dass der große Wohlstandszuwachs seit den 1960er-Jahren ohne Zuwanderung nicht gekommen wäre. Aber das erleben nicht alle gleich. Unternehmen profitieren ganz unmittelbar und kräftig von Zuwanderung und forcieren sie aktiv, weil sie billige und gut qualifizierte Arbeitskräfte erhalten. Auf der anderen Seite stehen Gruppen, die nicht unmittelbar einen Vorteil in der Zuwanderung sehen können; ihr Umfeld hat sich verändert, ohne dass sie darauf Einfluss hatten, und auf dem Arbeitsmarkt erleben sie oft verschärften Konkurrenzdruck.
Wenn wir wollen, dass der wirtschaftliche Nutzen weiterhin überwiegt und der soziale Zusammenhalt erhalten bleibt, dann brauchen wir eine integrationsorientierte Politik, die alle gesellschaftlichen Gruppen ernst nimmt und die ohne Oberlehrergehabe auskommt. Basis dafür sind Verteilungsgerechtigkeit und sichere Arbeitsplätze. Von der EU-Erweiterung haben vor allem Industrie und Banken profitiert, nicht ArbeitnehmerInnen, Arbeitslose oder PensionistInnen. Es muss daher wieder ein höherer Anteil der Gesamtwertschöpfung bei den Lohnabhängigen landen. Hauptansatz für die eigentliche Integrationsarbeit ist die Bildungsebene: Gerade unter den Bedingungen der Zuwanderung sind zu frühe Bildungswegentscheidungen schlecht. Die Potenziale der Zuwandererkinder werden nicht ausgeschöpft. Ein weiteres Problem: Informelle und mitgebrachte Kompetenzen werden in der Arbeitswelt nicht anerkannt. Das erschwert die Arbeitsmarktintegration, nicht nur bei MigrantInnen. Das schöne Modell »Du kannst was!« der Arbeiterkammer Oberösterreich zeigt, wie es gehen könnte. Die haben gemeinsam mit dem AMS, dem ÖGB und der Wirtschaftskammer ein Pilotmodell gestartet, in dem Menschen ohne formale Facharbeiterausbildung aber mit fundierter Berufserfahrung in einem Berufszweig die Chance bekommen, den Lehrabschluss nachzuholen.

Ein wichtiges Thema bei der Integrationspolitik bleibt die Sprache …

Ja - häufig leider auch für die zweite und dritte Generation. Einerseits gibt es zunehmend Jugendliche, die höhere Schulen besuchen und einen Universitätsabschluss machen. Es gibt aber auch viele, die weder Deutsch noch die Muttersprache der Eltern wirklich beherrschen. Die­se jungen Leute haben es schwer, selbst wenn sie intelligent sind. Auch hier ist schon beim Schulsystem anzusetzen. Wichtig sind aber auch Initiativen bei denen die Eltern an Bord geholt werden - wie »Mama lernt deutsch«.

Die Migrations- und die Asylfrage werden gerne miteinander vermischt - wo kann man Unterschiede festmachen?

Da gibt es unterschiedliche Modelle. Schweden hat z. B. schon in den 1980er-Jahren Arbeitsmarktmigration stark heruntergefahren. Zuwanderung aus Drittstaaten erfolgt primär über den Asylweg. Gesteuert wird über Kontingente. Wer kommen darf, erhält echte Integrationsbegleitung: Da gibt es umfangreiche Sprachschulung und sogar subventionierte Einstiegsjobs; der Aufbau eines Systems zur Anerkennung mitgebrachter Qualifikationen wird vorangetrieben. In Österreich war es zwar phasenweise deutlich leichter Asyl zu erhalten, für die Integration der Asylsuchenden wird aber im Vergleich nichts getan. Daraus resultieren soziale Probleme. Bei uns wären auch klare Strukturen zu schaffen.

An dem Problem wird man auch in ­Zukunft nicht vorbeikommen - so fliehen weiterhin aus Afrika jede Menge Menschen vor Gewalt und Armut.

Eine Entschärfung der Situation setzt auch die gezielte wirtschaftliche Kooperation mit den Anrainerstaaten voraus und zwar so, dass die Wertschöpfung nicht nur bei den europäischen Konzernen bleibt.

Auch eine Aufgabe für die internationale Gewerkschaftsbewegung?

Ja, weil die ArbeitnehmerInnen die ersten sind, denen die ungelösten Probleme auf den Kopf fallen. Allerdings kommt den Gewerkschaften in der Migrationspolitik eine weit schwierigere Rolle zu als dem Kapital, das mobiler ist als Menschen. So kann es leicht in globalen Strukturen handeln und denken. Für Gewerkschaften ist es viel schwieriger, den Ausgleich zu finden, wenn z. B. eine Fabrik verlegt wird.

Ist das auch einer der Gründe weswegen sich ÖGB und AK für die EU-Übergangsfristen stark machen?

Diese Übergangsfristen wurden mit gutem Grund ausgehandelt, weil die EU-Erweiterung die Fusion zweier ökonomischer Systeme bedeutet, deren Leistungskraft und Standards weit auseinanderklaffen. Das führt zu großen Anpassungsproblemen. Ohne Begleitmaßnahmen, z. B. dem Ausbau einer unterstützenden aktiven Arbeitsmarktpolitik, ist sowas nicht zu bewältigen. Das Aufsetzen von Anpassungsmaßnahmen erfordert aber mehrere Jahre. Österreich hat die Übergangsfristen übrigens sehr durchlässig gehandhabt, daher sind trotz der Fristen wesentlich mehr Zuwanderer/-innen zu uns gekommen als in die meisten anderen EU-Länder ohne solche Fristen.

Die Migrationsdiskussion artete in den vorigen Jahren immer mehr zu einer Religionsdiskussion aus. Dabei wird der Islam häufig als Bedrohung gesehen.

Diese populistische Zuspitzung wird vor allem durch die europäischen Rechtsparteien geschürt. Die haben erkannt, dass sie MigrantInnen als WählerInnen brauchen. Als neues Feindbild haben sie daher die Untergruppe der muslimischen Zuwanderer ausgewählt und versuchen zu spalten. Gleichzeitig geben sie vor, damit die »europäischen Werte«, die ihnen sonst kaum geläufig sind, hochzuhalten. Gearbeitet wird dabei wie üblich mit Verunglimpfung, Unterstellung und Vereinfachung. Eine Werte- und Demokratiediskussion müssen wir in einer lebendigen Demokratie natürlich immer führen, aber fair und nicht mit zweierlei Maß.

Abgesehen davon, dass Österreich heute wirtschaftlich ohne MigrantInnen nicht existieren könnte, was bringt es uns, ein Einwanderungsland zu sein?

Das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen bildet die Basis für Kreativität. Die extreme »Geniedichte« ­Wiens um die Wende zum 20. Jahrhundert hat damit zu tun, dass Wien ein melting pot war, und viele der großen Geister, die wir als unser kulturelles Erbe sehen, hatten Migrationshintergrund. Dieses gelungene Zusammenspiel unterschiedlichster Kulturen ist ja das eigentlich Typische für Österreich und daher »österreichische Heimat«.

Wir danken für das Gespräch.

Katharina Klee für Arbeit&Wirtschaft

Weblink
Mehr Infos unter:
www.dukannstwas.at

Kontakt
Schreiben Sie Ihre Meinung
an die Redaktion
aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum