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Neue Feindbilder alten Musters Obwohl der Islam seit 1912 eine staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft ist, war Österreich der erste Staat, in dem im Zuge der neu entflammten Islam-Debatte 2007/2008 Moscheen- und Minarettverbote mittels bürokratischer Schikanen umgesetzt wurden.

Neue Feindbilder alten Musters

Schwerpunkt

Dem viel zitierten »Kampf der Kulturen« können und sollten die Gewerkschaften einiges entgegensetzen.

Wirbel um österreichische Türk-Milch« lautete eine sommerliche Schlagzeile. Grund der Aufregung: Seit Wochen liefert die Badener Molkerei Nöm türkisch-deutsch beschriftete Milch an türkische Supermärkte. Im Internet folgte ein Sturm der Entrüstung inklusive Boykott-Aufrufen. Noch heftiger gestalteten sich die Reaktionen auf die »Minarett-Provokation« (Kurier) des Vorsitzenden der islamischen Glaubensgemeinschaft Schakfeh. Die FPÖ forderte sogar eine Volksbefragung zum generellen Verbot von Minaretten und Kopftüchern in der Öffentlichkeit sowie eine verpflichtende Erklärung von allen Muslimen, die österreichische Rechtsordnung zu akzeptieren.

»Ausländer raus war gestern«

»Ausländer raus war gestern« schreibt »Biber« (türkisch: Paprika; Synonym für scharf), eine Zeitung vorwiegend für junge Menschen mit Migrationshintergrund, und bringt damit den Wandel in der »Ausländerdebatte« auf den Punkt. Während gerade rechte Gruppen bestimmte MigrantInnen (z. B. Serben/-innen) sogar gezielt umwerben, stehen in vielen Ländern Europas speziell Menschen aus Staaten mit muslimischer Mehrheit unter einer Art Generalverdacht. Sie gelten als nicht integrierbar und anfällig für terroristische Gruppen.
»Türk‘ und Jud‘, giftig‘s Blut« wurde im März 2010 auf die Außenmauer des ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen geschmiert. Es sind freilich nicht nur die Hetzparolen der Neonazis, welche einen neuen »Kulturkampf« nach altem Muster erahnen lassen. Dessen Kreise ziehen sich bereits weiter: Obwohl der Islam hierzulande seit 1912 eine staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft ist, war Österreich - und nicht etwa die Schweiz  -  der erste Staat, in dem im Zuge der neu entflammten Islam-Debatte 2007/2008 Moscheen- und Minarettverbote mittels bürokratischer Schikanen umgesetzt wurden. Der Politikwissenschafter Farid Hariz weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass bei den entsprechenden Beschlüssen u. a. die ÖVP-Landesgruppen in Kärnten und Vorarlberg mit im Boot waren.
Dass auch Gruppierungen und Personen diesen »Kampf der Kulturen« führen, die sich selbst gerne als »normal« oder in der »Mitte der Gesellschaft« betrachten, erscheint dabei als besonders bedrohlich. Paradebeispiele dafür sind selbsternannte Bürgerinitiativen gegen den Bau von Gebets- und Kulturzentren, die sich im Laufe der Zeit radikalisieren und als Plattform für Rechtsextreme fungieren können. Traurige Berühmtheit erlangte hier die »Bürgerinitiative Dammstraße gegen die Errichtung von Moscheen/Veranstaltungszenren im dicht verbauten Wohngebiet«. Auf deren Demonstrationen tummeln sich inzwischen regelmäßig aus ganz Österreich angereiste Neonazis. Doch auch auf höherer Ebene wird der Islam zunehmend als das zentrale Problem ausgemacht: Für Furore sorgte bereits vor Jahren eine vom Innenministerium lancierte Studie, in welcher behauptet wurde, 45 Prozent aller Muslime wären nicht integrationswillig. Untersuchungen der Universität Wien haben den Behauptungen des BMI allerdings entgegnet, dass z. B. 97 Prozent der befragten Jugendlichen der zweiten Generation - die stets als besondere »Problemgruppe« genannt werden - Gewalt im Namen des Islam vehement ablehnen würden.

Weltbild und »Lösungen«

Nicht nur rechtsextreme Vorkämpfer wie z. B. Andreas Mölzer sind trotzdem der Meinung, dass wir in einer »Art von Kulturkampf zwischen der über 2.000 Jahre christlich geprägter Leitkultur Europas und einem militanten Zuwanderungsislam« leben. Auch der aus der SPD kommende Ex-Senator und Bundesbanker Thilo Sarrazin vertritt in seinem neuen Buch ähnliche Thesen. Die Idee, dass geopolitische oder gesellschaftliche Spannungen nicht in erster Linie ökonomisch oder sozial, sondern durch religiöse, ethnische oder kulturelle Faktoren bedingt sind, ist dabei keineswegs neu. In den vergangenen Jahren ist jedoch ihr fulminanter Aufstieg unübersehbar. Dieser hängt mit dem Wegfall alter Feindbilder im Osten und neuen Konflikten im Zuge der kapitalistischen Globalisierung und deren Folgen zusammen. Populär »neu entdeckt« wurde die These »Kampf der Kulturen« zunächst von konservativen US-Ideologen wie Samuel Huntington. Bereits in den 1990er-Jahren verkündete dieser einen langen und globalen Krieg zwischen unterschiedlichen Zivilisationen. Im innerstaatlichen Bereich folgen solche Befunde im Grunde dem gleichen (rassistischen) Muster. Die Scheinlösungen für die als »Feinde« ausgemachten Bevölkerungsteile - ob nun »katholische« Latinos in den USA oder »muslimische« Türken/-innen und AraberInnen in Europa - liegen dabei auf der Hand. Bestenfalls totale Assimilation, eher aber Abschottung und/oder »Rückführung« lauten die Konzepte. Nicht umsonst bezeichnete Huntington schon in den 1960er-Jahren, das Apartheitsregime in Südafrika als »zufriedene Gesellschaft«.

Parallelgesellschaft und Leitkultur

Nicht nur aus gewerkschaftlicher Perspektive wäre es fatal, Kampfbegriffe wie »Leitkultur« oder »Parallelgesellschaft« stillschweigend zu akzeptieren. Vielmehr gilt es, die jeweiligen »Communities« mit ihren Interaktionen innerhalb der Gesamtgesellschaft, aber auch ihren (»internen«) Unterschieden und Konflikten wahrzunehmen. Dafür plädiert jedenfalls Ernst Orhan von work@migration. Fortschrittliche türkische und kurdische Menschen, die wie Orhan in Vereinen wie »Alternative Solidarität« organisiert sind, befinden sich real in einer doppelten Auseinandersetzung mit fundamentalistischen und rechten Strömungen. Geführt wird diese nämlich nicht nur mit österreichischen »Kulturkämpfern«, sondern z. B. auch mit der »Dachorganisation der Türkischen Kultur- und Sportgemeinschaft (ADÜFT)« (hinter der die rechtsextremen »Grauen Wölfe« aus der Türkei stecken). KollegInnen wie Orhan weisen aber ebenso auf jene Rahmenbedingungen hin, welche Integration in Österreich behindern. So begünstigen z. B. rechtliche Regelungen, die bei Trennung von EhepartnerInnen zum Verlust der Aufenthaltserlaubnis führen können, patriarchale Strukuren unter MigrantInnen. Ebenso ist der Umstand, dass rund 80 Prozent der Türken/-innen noch immer maximal über einen Pflichtschulabschluss verfügen, v. a. ein vernichtendes Urteil für das selektive Bildungssystem. Und nicht zuletzt sind es die weite Verbreitung von Niedriglöhnen und damit Armut unter bestimmten MigrantInnengruppen, die zum Gefühl führen können, vielleicht nie »dazu«zugehören.
Bereits im Habsburgerstaat waren die Gewerkschaften bemüht, dem »Kulturkampf« gegen tschechische, polnische und jüdische (...) MigrantInnen die Idee der Solidarität und der gemeinsamen Organisierung entgegenzusetzen. Dass Fragen ethnischer, kultureller oder religiöser Diskriminierung auch heute gewerkschaftliche Fragen sind, wird z. B. durch die Publikation »Arbeit ohne Unterschiede.Arbeit ohne Vorurteile« des ÖGB unterstrichen. Es liegt wohl auf der Hand: Eine tiefer werdende Kluft zu Hunderttausenden KollegInnen, die aus Ländern mit muslimischer Mehrheit stammen - aber hier leben und arbeiten - wäre letztlich eine Bedrohung für die gesamte österreichische Gewerkschaftsbewegung. Neben dem Kampf gegen Diskriminierung stellt gerade die effiziente Umsetzung gewerkschaftlicher Interessen eine zentrale Basis für erfolgreiche Integration dar. Denn Erfolge, die gemeinsam errungen wurden, stärken den Zusammenhalt. Das gilt natürlich besonders, wenn z. B. Niedriglöhne verschwinden bzw. Verbesserungen in Bereichen errungen werden, in denen z. B. viele türkische KollegInnen beschäftigt sind. Ernst Orhan thematisiert übrigens im Zusammenhang mit solcher - explizit gewerkschaftlicher - Integrationsarbeit ein interessantes Beispiel aus der Türkei. Dort hat jüngst ein großer Arbeitskampf beim staatlichen Tabakkonzern TEKEL in ganzen Regionen den ursprünglich massiven Einfluss fundamentalistischer und nationalistischer Kräfte zurückgedrängt.

Weblinks
Der Historiker Wolfgang Benz über ­Antisemiten und Islamfeinde
www.sueddeutsche.de/politik/­antisemiten-und-islamfeinde-hetzer-mit-parallelen-1.59486
Infos über die ­»Alternative Solidarität«
www.ada.co.at
Sprache(n) und Integration
www.vhs.at/jubiz_aktuelles.html
Infos zum TEKEL-Streik in der Türkei
labournet.de/internationales/tr/tekel.html

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