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Ein echter Wiener Obwohl der Islam seit 1912 eine staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft ist, war Österreich der erste Staat, in dem im Zuge der neu entflammten Islam-Debatte 2007/2008 Moscheen- und Minarettverbote mittels bürokratischer Schikanen umgesetzt wurden.

Ein echter Wiener

Schwerpunkt

Wiener Blut erwärmt das Herz, wenn’s als Walzer rauscht. Als Wahlkampf-Parole taugt es nicht.

Polarisieren im braunen Bunker. »Mehr Mut für unser ›Wiener Blut‹« fordert H.C. Strache im Zuge der Wiener Gemeinderatswahlen. Nicht die Walzerklänge, doch den besonderen Saft mit »reiner« Wiener DNA will er schützen. Als Antwort auf die Plakate posteten zahlreiche UserIn­nen: »Strache: Kurzform vom slawischen Personennamen Strachomir oder Ortsnamen Strachwitz/Strachow. Ableitung von slawisch Strach = Furcht«

Wiener Blut - Vielfalt tut gut

Hikmet Kayahan ist einer der drei Vorstände von »Das Bündnis für Menschenrechte & Zivilcourage - gegen Diskriminierung & Extremismus«. Der studierte Pädagoge und Germanist, geboren in der Türkei und im Alter von fünf Jahren nach Deutschland übersiedelt, ist Koordinator der »Beratungsstelle Courage« in Wien. Um den blauen Wahlplakaten ein Korrektiv zu bieten, hat »Das Bündnis« gemeinsam mit »Comics gegen Rechts« (Initiative der österreichischen Comicszene) Ende August die Plakatkampagne »Wiener Blut - Vielfalt tut gut« gestartet und eine typische Wiener Gegensprechanlage plakativ aufbereitet: Namensschilder mit Darabos, Wrabetz, Dogudan, Prohaska und Plachutta sind darauf vertreten.
Die durch Spenden finanzierten Pos­ter können gegen einen freiwilligen Betrag bestellt werden. Mitinitiator Kayahan: »Die Reaktionen sind überwältigend und sehr positiv. Gerade, weil das Plakat ein ruhiges und schlichtes Bild präsentiert ohne ein Feindbild aufzubauen. Die ers­ten 1.500 Stück sind schon weg«.
Aus welchen Ländern die Urgroßeltern einwanderten, ist meist bekannt. Welche Bedingungen und Nachbarn sie vorfanden, schon nicht mehr. Wiens Ex-Bürgermeister Helmut Zilk war von der Ausstellung »The Peopling of London« (1993/1994, Museum of London) so begeistert, dass er sich Ähnliches für Wien wünschte und bekam.
Dr. Peter Eppel, Historiker im Wien Museum, war Kurator von »WIR. Zur Geschichte und Gegenwart der Zuwanderung nach Wien« (1996). Allein das Plakat zur Schau wusste das Grübeln anzuregen: ein dichter Baum, in dessen Krone die WienerInnen grünen. Zum Stamm hin wachsen nebst Deutschmährern und Albanern, Briten, Lombarden und Hunnen auch die Römer an den Zweigen - jeder Stamm, jede Nation ist im Wien-Baum vertreten.
Auslöser für die Ausstellung waren freilich auch die Geschehnisse von 1993: das FPÖ-»Österreich zuerst«-Volksbegehren und das daraus resultierende Protest-Lichtermeer von SOS Mitmensch. Bei der Nationalratswahl am 9. Oktober 1994 wurde die FPÖ drittstärkste Partei.
 »Die Fremdenfeindlichkeit war in den Straßen Wiens präsent, gemeinsam mit Eva Zitterbart von Radio Wien startete ich den Aufruf ›Zukunft braucht Herkunft‹«, erinnert sich Peter Eppel. Die Wiener Bevölkerung wurde mittels »ORF« und »Kurier« aufgefordert, dem Museum Unterlagen zu bringen, die etwas über ihre Herkunft aussagten. Viele Dokumente und interessante Stücke durfte das Wien Museum behalten. Darunter eine Ziegelform, die der Nachfahre eines tschechischen Wienerberger-Ziegelarbeiters stiftete. »Um 1900 hatte Wien die zweitgrößte tschechische Bevölkerung nach Prag«, weiß Historiker Eppel.

Positive Reaktionen

Die Reaktionen auf »WIR« waren überwiegend positiv, eine Schulklasse setzte sich nach dem Museumsbesuch mit der echten Wiener Küche auseinander, die sich nicht zuletzt aus böhmischen Spezialitäten zusammensetzt. Andere SchülerInnen besuchten das Wiener Integrationshaus und sammelten Spenden für die Be­wohnerInnen. Im Gegenwartsteil der Ausstellung fanden sich viele Aufnahmen des Fotografen Didi Sattmann: Brunnenmarkt, Mexikoplatz, Wohnungen. »Die Bevölkerung und die Geschäfte vom Mexikoplatz verändern sich permanent. Handelsplatz von Zuwanderern und Matrosen ist er geblieben.«
»Der echte Wiener ist jener, dessen Vorfahren aus anderen Gebieten, etwa den ehemaligen Kronländern kommen. Ein Problem, das es bezüglich der nationalen Zugehörigkeit immer wieder gibt, wie etwa im zerfallenen Ex-Jugoslawien, ist der Unterschied zwischen Selbstverständnis und dem, was tatsächlich im Pass steht.« Der Wiener Historiker selbst stammt mütterlicherseits aus Mähren, väterlicherseits aus Niederösterreich ab. Migration, ein Thema, das Wien immer ausgemacht hat und auch zukünftig wird - egal, wie oft noch gegen Zuwanderung gehetzt wird.
Zur aktuellen FPÖ-»Wiener Blut«-Kampagne hat sich der Privatmensch Eppel eine klare Meinung gebildet: »Ich persönlich finde die Plakate der FPÖ widerlich und unappetitlich. Die diskriminierenden Bemerkungen unserer Innenministerin über Roma und Sinti sowie ihre Asylpolitik halte ich aber für noch schlimmer.« Zufällig hängt im Atrium des Wien Museums das Plakat zu Willi Forsts Operettenverfilmung »Wiener Blut« von 1942, während rund um den Karlsplatz weniger Heiteres affichiert ist.

80 Jahre Kal-Marx-Hof

Im zweiten Hof des Karl-Marx-Gemeindebauareals wird gefeiert: 11. September 2010, 80 Jahre »KMH« (initiiert von Bezirksrätin Brigitte Achtig). Vier Langzeitbewohnerinnen sind mit dabei: Erna Mörixbauer (geb. 1929), Doris Nasty (geb. 1928), Margarethe Bruckner (geb. 1920) und Hertha Strosche (geb. 1923). Alle Damen haben eine bewegte Geschichte, keine Interesse an rechter Hetze.
Der Vater von Erna Mörixbauer, 81, stammt aus dem tschechischen Iglau, ihre Mutter aus dem niederösterreichischen Hohenau. »Ich habe mich immer als Wienerin gefühlt«, erzählt Mörixbauer, die in der elterlichen Wohnung im Karl-Marx-Hof geboren wurde. »Ich wähle nicht Strache, das kann ich sagen. Das Wiener Blut ist gut, weil es eine Mischung ist.« Nur für kurze Zeit hat Erna Mörixbauer nicht in Heiligenstadt gewohnt: Nach ihrer Eheschließung 1954 zog sie mit ihrem Mann nach Kaisermühlen und schon 1960 zurück in den Karl-Marx-Hof: »Es ist selbstverständlich, dass Menschen aus Kroatien, Serbien, Tschechien, Slowakei und Ungarn für ein besseres Leben nach Wien gezogen sind. Die Wiener sind für mich eine Mischung und man kann das Wiener Blut nur aus dieser Mischung zusammensetzen.«
Bisweilen ärgert sich Mörixbauer, dass die Hausordnung im Karl-Marx-Hof nicht mehr eingehalten wird und das liegt auch an den nicht »üblichen Gewohnheiten«, wie sie sagt. »Aber das hat es in der 1. Republik auch schon gegeben. Auf der einen Seite, die unter furchtbarsten Bedingungen lebenden tschechischen Ziegelarbeiter im 10. Bezirk. Auf der anderen Seite die Hautevolee, die von diesen Arbeitern gelebt hat. Die Spannung war groß, die beiden wollten nie zusammengehören.« 

Geholt zum Arbeiten

Jeden Donnerstag arbeitet Erna Mörixbauer sechs Stunden ehrenamtlich im Archiv des »Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung«. Aktuell betreut sie den Nachlass der Sozialdemokratin Hilde Krones. »Ich habe den Eindruck, dass die FPÖ mit den niedrigsten Gefühlen spekuliert. Man hat die Migranten viel zu wenig mit unseren Lebensgewohnheiten vertraut gemacht - geholt hat man sie, weil man sie zum Arbeiten brauchte, der Rest war wurscht. Der Karl-Marx-Hof war ein rotes Bollwerk, durch den Zustand der SPÖ ist das anders geworden.«
Bis auf wenige Kilometer genau können WissenschafterInnen der »University of Edinburgh« angeblich die Herkunft eines Menschen per DNA-Analyse klären. Kleinste Unterschiede zeigen, von welchem Kontinent die Vorfahren stammen. Der belgische Journalist Jean-Paul Mulders sammelte gar Speichelproben von Hitlers männlichen Verwandten in Österreich und den USA. Über die väterliche Y-DNA glaubt Mulders, eine Verwandtschaft zu Berbern in Marokko bis hin zu Somalia entdeckt zu haben.
Ob solche Forschungen fremdenfeindlichen Menschen nicht noch mehr Auftrieb geben, wird zu beobachten sein.

Weblinks
Mehr Infos unter:
www.das-buendnis.at
www.comicsgegenrechts.at
www.machen-wir-uns-stark.at
www.gastarbajteri.at

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sophia.fielhauer@chello.at
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