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Migration und Arbeitsmarkt
Migration und Arbeitsmarkt

Migration und Arbeitsmarkt

Schwerpunkt

Die Migrationspolitik hat sich in den letzten 30 Jahren zum gefährlichsten Minenfeld der politischen Diskussion entwickelt.

Seit den 1970er-Jahren hat sich die Bedeutung der Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte für die Wirtschaftsentwicklung grundlegend geändert. Die erste Welle war von zunehmender Arbeitskräfteknappheit am Ende einer langen Prosperitätsphase induziert worden. Nach dem Ende dieser Phase 1975 gab es in einzelnen Jahren beträchtliche Rückwanderungsbewegungen; die Zahl ausländischer Arbeitskräfte ging von fast 230.000 im Jahr 1973 auf 140.000 im Jahr 1984  zurück, nachdem auf dem Arbeitsmarkt die Knappheit einem steigenden Überangebot Platz gemacht hatte.

Seit 2000: 315.000/Jahrzehnt

Nach Ende der 1980er-Jahre beschleunigte sich die Zuwanderung dramatisch. Die Zuwanderung pro Jahrzehnt hatte in den 1980er-Jahren 138.000 betragen, in den 1990er-Jahren bereits 238.000 und in den neun Jahren seit der Jahrtausendwende sogar 315.000. Die höchsten Zuwanderungszahlen wurden dabei in Jahren mit guter Konjunktur registriert. Im Unterschied zu den 1980er-Jahren kam es auch in Phasen der Rezession bzw. des schwachen Wirtschaftswachstums zu keiner Rückwanderung. Seit 2000 blieb die Zuwanderung auch bei sehr schwachem Wirtschaftswachstum (2001 bis 2004) hoch. Bemerkenswert dabei ist, dass die vermehrte Zuwanderung mit einem langfristig unaufhaltsamen Anstieg der Arbeitslosenrate einherging.
 Die seit 2000 kontinuierlich hohe Zuwanderung ist nicht eine Folge von Arbeitskräfteknappheit auf dem österreichischen Arbeitsmarkt, sondern eines Zustroms aus dem Ausland, primär aus benachbarten Ländern, durch drei Faktoren bedingt: ein hohes Einkommensgefälle, eine relativ bessere Arbeitsmarktsituation in Österreich und die Erleichterung des Familiennachzuges. Ein hohes Einkommensgefälle besteht nach wie vor gegen­über den östlichen Nachbarländern, die 2004 der EU beigetreten sind. Das war auch der Grund dafür, dass für eine Übergangszeit von sieben Jahren nach dem Beitritt der Arbeitsmarktzugang aus diesen Ländern reglementiert blieb (sog. »Übergangsfristen«). Seit der Osterweiterung der EU (Mai 2004) stieg die Zahl der Beschäftigten aus den Beitrittsländern um 25.000. Nach dem Auslaufen der Übergangsbestimmungen im April 2011 (Rumänien und Bulgarien 2013) ist mit verstärktem Zustrom zu rechnen, vor allem durch das dann unbeschränkte Pendeln von Arbeitskräften über die Grenze, das erst durch die Ostöffnung nach der politischen Wende 1989 möglich geworden ist.

Die meisten aus Deutschland

Die größte Zahl an Zuwanderern/-innen kam in den vergangenen Jahren aus einem Land, mit dem beim EU-Beitritt Österreichs 1995 niemand gerechnet hat: aus Deutschland, mit einer Netto-Zuwanderung von 60.000 seit 2002. Das Wohlstands- und Einkommensniveau ist in beiden Ländern annähernd gleich, wohl aber ist die Arbeitsmarktsituation in Österreich trotz der auch bei uns hohen Arbeitslosigkeit erheblich besser als in Deutschland, insbesondere in Ost- und Norddeutschland.
Seit den 1980er-Jahren haben sich die Verhaltensweisen der ArbeitsmigrantInnen deutlich geändert. Während vorher Zu- und Rückwanderung einander ablösten (sog. »Rotationssystem«), bevorzugten Zuwanderer/-innen aus den Balkanländern und der Türkei in zunehmendem Maße Österreich als ständigen Wohnort und nahmen vielfach auch die österreichische Staatsbürgerschaft an. Die weitere Konsequenz war der Nachzug von Familienmitgliedern. Dies machte eine grundlegende Neuorientierung der Migrationspolitik notwendig. Im Unterschied zum früheren Rotationssystem steht jetzt die wirtschaftliche und gesellschaftliche Integration der Zugewanderten und ihrer Familien im Vordergrund. Zweifellos wurden hier die Probleme lange Zeit unterschätzt bzw. Grenzen der Integrationsmöglichkeit zu spät erkannt.
Im unaufhaltsamen Anstieg der Arbeitslosigkeit in den letzten drei Jahrzehnten zeigt sich ein wachsender Angebotsüberschuss auf dem Arbeitsmarkt, der nicht ohne Auswirkung auf die Lohnentwicklung bleiben konnte. Während früher die Löhne  annähernd parallel mit der steigenden gesamtwirtschaftlichen Produktivität gestiegen waren, bleiben sie seit etwa 1990 deutlich hinter der Produktivität zurück. Der Lohnanteil am Volkseinkommen sank von 73 Prozent 1993 auf 69 Prozent 2009. Unter dem Druck steigender bzw. anhaltend hoher Arbeitslosenraten konnten die Gewerkschaften die Kaufkraft der Löhne im Durchschnitt vor der Aushöhlung durch die Inflation schützen, Reallohnerhöhungen konnten jedoch nur noch in geringem Ausmaß erreicht werden. Dieser Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Lohnentwicklung ist der Hauptgrund, warum die Gewerkschaften immer für eine Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung eingetreten sind und den Anspruch erhoben haben, an der Gestaltung und Verwaltung des dafür notwendigen Regelungswerkes aktiv mitzuwirken. Bei den auf absehbare Zeit weiterhin gegebenen starken Anreizen zur Migration nach Österreich kann es weder eine Liberalisierung der Zuwanderung geben, noch kann ein von Unternehmerseite immer erneut eingebrachter »Bedarf« an zusätzlichen Arbeitskräften aus dem Ausland zum Maßstab der Migrationspolitik gemacht werden.

Blick in die Zukunft

Innerhalb der auf 27 Mitgliedsländer erweiterten EU werden spätestens ab 2014 alle Beschränkungen der freien Arbeitskräftewanderung weggefallen sein. Mittel- und langfristig ist mit einem Nachlassen der Migrationsbewegungen aus den neuen in die alten Mitgliedsländer in dem Maße zu rechnen, in dem das Einkommensgefälle reduziert werden kann. Gegenüber allen Drittstaaten muss der Zugang zum Arbeitsmarkt weiterhin reglementiert bleiben, mit der Beschränkung auf jene Qualifikationen, für die am österreichischen Arbeitsmarkt Knappheit nachgewiesen werden kann. Hinter der Behauptung eines »Facharbeitermangels« von Unternehmerseite verbergen sich nur allzu oft Wünsche nach möglichst billigen Arbeitskräften mit mittlerer und geringer Qualifikation. In Österreich wird es in den nächsten Jahren vor allem darum gehen, den Nachholbedarf bei der Integration von MigrantInnen zu bewältigen (»Integration vor Neuzuzug«), um der Bildung von Parallelgesellschaften entgegenzuwirken, und den gesellschaftlichen Zusammenhalt mit den Zuwanderern/-innen wieder zu verstärken.
Nicht zuletzt aber sollte Migrationspolitik gegenüber Drittländern in einer zusammenwachsenden EU als gesamteuropäische Aufgabe begriffen werden. Vor allem muss auf EU-Ebene eine Konzeption entwickelt werden, wie mit dem  wachsenden Immigrationsdruck aus den Kontinenten Afrika und Asien langfristig umgegangen werden soll, der in den Mittelmeerländern unmittelbar wirksam wird, aber als gesamteuropäisches Problem gesehen werden muss. In vielen afrikanischen und einigen asiatischen Ländern sind die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse mehr oder weniger desolat, sodass die Tendenz zur Abwanderung in absehbarer Zeit anhaltend stark bleiben wird. Andererseits ist es aufseiten der EU-Länder legitim, sozialen Zusammenhalt und Sozialstandards vor Erosion durch übermäßige Einwanderung zu schützen. Am besten könnte dies durch eine Konsolidierung der Verhältnisse in den Auswanderungsländern erreicht werden.
Generell, d. h. unabhängig vom Herkunftsland, ist für die EU in ihrer Gesamtheit eine einheitliche Regelung der Zulassung und Reglementierung der Beschäftigung von Arbeitskräften aus Drittstaaten dringend notwendig, da die länderspezifisch recht unterschiedlichen Regelungen und Praktiken auch Auswirkungen in den anderen Mitgliedsländern haben. 

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