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Nie mehr Schule Die PISA-Ergebnisse zeigen, dass die ­SchülerInnen der zweiten Generation gleich abschneiden wie ihre gleichaltrigen ­einheimischen KollegInnen.
Nie mehr Schule

Nie mehr Schule

Schwerpunkt

Faire Bildungschancen stärken den Zusammenhalt einer zunehmend heterogenen Gesellschaft und ihrer künftigen Entwicklung.

Österreich ist ein Einwanderungsland, das ist durch zahlreiche Statistiken belegt und prägt die Lebensrealität aller in diesem Land lebenden Menschen. Wenn etwa in Wien rund ein Drittel der Wohnbevölkerung entweder im Ausland geboren ist oder einen im Ausland geborenen Elternteil hat, dann muss das in allen Politikbereichen zur Kenntnis genommen werden. Verschiedenheit ist zur Realität geworden, parteipolitisch motiviertes Leugnen dieser Tatsache führt nur dazu, dass die Chancen von Vielfalt für die gesellschaftliche Entwicklung nicht genutzt werden, führt zu gesellschaftlicher Spaltung, sozialen Konflikten und volkswirtschaftlichen Nachteilen.

Begabungen fördern

Ein weiteres Kennzeichen der gesellschaftlichen Entwicklung in Österreich ist die Alterung unserer Gesellschaft - sollen Wohlstandsniveau und Entwicklungsstand erhalten und gesichert werden, darf kein Talent, keine Befähigung von Menschen mehr verloren gehen. Bereits hier wird die zentrale Bedeutung einer auf soziale Inklusion ausgerichteten Bildungspolitik deutlich sichtbar. Denn ein Bildungssystem, das Bildungschancen und soziale Schichtung vererbt, das anstelle von Förderung auf Defizite orientiert ist, das viel zu früh Bildungswegentscheidungen erzwingt und damit über die Entwicklungschancen eines Menschen bereits mit 14 Jahren entscheidet, ist nicht geeignet, Menschen dabei zu unterstützen, ihre Potenziale so weit wie möglich zu entfalten. Potenziale, die gerade auch für die wirtschaftliche Entwicklung in Österreich wichtiger denn je sind.
Die wachsende soziale und ethnische Heterogenität in den Klassenzimmern ist die Herausforderung für unser künftiges Schulsystem. Die Bildungspolitik hat auf die steigende Anzahl von Menschen mit Migrationshintergrund und die wachsenden sozialen Unterschiede in der Gesellschaft bislang nur unzureichend reagiert. Viele Jugendliche erreichen nur einen Pflichtschulabschluss und nicht ein nach ihren Begabungen mögliches Bildungsniveau und sind daher von der Facharbeit oder Tätigkeiten, die höhere Qualifikationen erfordern, ausgeschlossen. Damit gehen viele Talente verloren, vor allem können Kinder und Jugendliche aus sozioökonomisch schwachen Familien und aus Familien mit Migrationsgeschichte ihr Potenzial nicht ausschöpfen. Die Entwicklung Österreichs hin zu einer Wissensgesellschaft zieht steigende Qualifikationsanforderungen an alle Erwerbstätigen mit sich. Mit steigendem Qualifikationsniveau und umfassenderen Produktivitätsanforderungen an die ArbeitnehmerInnen sinken die Beschäftigungschancen von formal gering Qualifizierten und BildungsabbrecherInnen rapide. Das erhöhte Risiko von Arbeitslosigkeit und der damit einhergehenden sozialen Exklusion führt zu volkswirtschaftlichen Nachteilen und ist eine Gefahr für den sozialen Zusammenhalt.
In diesem Zusammenhang rückt der Anteil der frühen BildungsabbrecherInnen in den Vordergrund. Der Anteil der sogenannten Early School Leavers liegt in Österreich bei 10,1 Prozent (EUROSTAT 2008). Dabei gibt es eklatante Unterschiede nach ethnischer Herkunft. In der IHS-Studie »Early School Leaving in Österreich 2008« (Steiner, Mario 2008) zeigt sich: »Während ›ÖsterreicherInnen‹ einen Anteil früher BildungsabbrecherInnen von nur 4,5 Prozent aufweisen, steigt dieser Anteil innerhalb der zweiten Generation auf 20,8 Prozent und erreicht bei MigrantInnen einen Höchststand von 30 Prozent. Während bei manchen ›MigrantInnen‹ noch vermutet werden kann, dass Bildungszertifikate vorliegen, die in Österreich nicht anerkannt wurden, es sich also bei einigen nur de jure um Early School Leavers handelt, haben Jugendliche, die der zweiten Generation zugerechnet werden, einen Großteil ihrer Bildungslaufbahn im österreichischen Bildungssystem absolviert und kann ihr vorzeitiger Abbruch dem hiesigen System zugerechnet werden.« Daraus lässt sich die hohe soziale Selektivität des österreichischen Bildungssys­tems in Abhängigkeit von der ethnischen Herkunft mehr als deutlich ablesen.

Gute Ausbildung für alle

Für Österreichs Zukunft ist es wichtig, alle jungen Menschen möglichst so gut auszubilden, dass sie später an einem zunehmend auf Wissen basierendem Wirtschaftsleben voll teilhaben können. Damit wird ein erfolgreicher Bildungsweg ein Schlüssel zur Inklusion am Arbeitsmarkt, und dieser wiederum ist der Schlüssel für die volle soziokulturelle Teilhabe.Die Alternativen sind gesellschaftliche Missverhältnisse, prekäre Erwerbs- und Einkommensverläufe und hohe volkswirtschaftliche Kosten.
Ein Bildungssystem, das inklusiv wirkt, setzt auf die Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten junger Menschen. Es berücksichtigt kulturelle und soziale Unterschiede. Ein inklusiver Unterricht akzeptiert bewusst die Vielfalt aller Kinder und schafft ein schulisches Klima der Anerkennung und Förderung. Es schafft Raum, Fähigkeiten und Fertigkeiten junger Menschen zu entwickeln, setzt sie in die Lage, die Veränderungen sozialer Realitäten der Arbeitswelt erfolgreich bewältigen zu können. Sprachliche und kulturelle Vielfalt wird in so einem Bildungssystem nicht als Problem, sondern als Chance und Mehrwert gesehen.
Dieses Verständnis, Verschiedenheiten sehen, fördern und nutzen zu können, hat zum Beispiel das Toronto District School Board (TDSB) mit beachtenswertem Erfolg umgesetzt. Die Schulbehörde, die für knapp 600 Schulen und mehr als 250.000 SchülerInnen zuständig ist, hat erkannt, dass systemische Veränderungen notwendig sind und verfolgt in ihrer Bildungspolitik einen Ansatz, der Vielfalt als Chance versteht. In manchen Schulen des TDSB erreicht der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund 80 Prozent und mehr, und ein Drittel der SchülerInnen stammt aus den ökonomisch schwächsten Familien. Die PISA-Ergebnisse zeigen, dass die SchülerInnen der zweiten Generation gleich abschneiden wie ihre gleichaltrigen einheimischen KollegInnen.
Das Gelingen, dass die SchülerInnen mit Migrationshintergrund so gute Erfolge erzielen, ist zu einem Gutteil auf das vom TDSB entwickelte Leitbild, für ein inklusives Bildungssystem, das »Equity Foundation Statement«, zurückzuführen, das Chancengleichheit und die gerechte Teilhabe aller postuliert. Der eigentliche Maßstab für Gerechtigkeit im Schulsystem sind die schulischen Ergebnisse der Kinder. Torontos inklusive Schulkultur baut Brücken zwischen jenen, die leichter ­lernen, und denen, die Unterstützung brauchen, und setzt auf kontinuierliche Aus- und Weiterbildung ihres Lehrpersonals.
Ein neues Verständnis unserer Schulpolitik muss die Wichtigkeit der frühzeitigen Förderung der Kinder sowie die Unterstützung der Eltern beachten. Gleichzeitig darf die Lernarbeit nicht in die Familien ausgelagert werden. Um positive Rollenvorbilder und einen besseren Zugang zu Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund und ihren spezifischen Themen und Problemen zu finden, sollte die ethnische Vielfalt der Gesellschaft auch im Lehrkörper abgebildet sein. Die Basis für die Neuorientierung unserer Schule soll Förderung, Unterstützung und Kompetenzaufbau anstelle von Selektion und Aussortieren sein.

Paradigmenwechsel ist notwendig

Ein Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik hin zu einer inklusiven, individuelle Begabungen aller fördernden Schule ist dringend notwendig. Denn eine Fortsetzung der derzeitigen Ausrichtung der Bildungspolitik der Defizitorientierung und des Aussortierens ist die größte Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die erfolgreiche Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen vor denen die österreichische Gesellschaft steht.

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