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Analphabet oder Arzt Wer hat ihn noch nicht erlebt, den »ausländischen« Taxifahrer, der in seinem Herkunftsland einen vorzüglichen akademischen Abschluss gemacht hat, hier in Österreich aber keine adäquate Beschäftigung findet?

Analphabet oder Arzt

Schwerpunkt

Kriteriengeleitete Zuwanderungssysteme betonen den Bildungsstand und auch die Frage nach der Anerkennung von Qualifikationen.

Im Ö1-Morgenjournal vom 30. Juli 2010 sagte Bundesministerin Maria Fekter in einem Interview zu Fragen der Zuwanderung unter anderem Folgendes: »Ich bin dafür, dass wir das im Interesse Österreichs ein bisschen besser steuern. Wir haben ja derzeit ein System, wo wir den unqualifizierten Analphabeten aus irgendeinem Bergdorf genauso behandeln, wie den hochqualifizierten Diplomingenieur.« Fekter meinte dann weiter, dass man für Zuwanderer/-innen, die hoch qualifiziert sind und gute Deutschkenntnisse haben, die Bürokratie »etwas lockern« sollte, sprich die gut Qualifizierten leichter einbürgern sollte.

Bildungsstruktur und Qualifikationen

Egal wie man zu kriteriengeleiteten Ansätzen bei der Zuwanderung steht, ist es interessant, einen Blick auf die Bildungsstruktur und die Qualifikationen der in Österreich lebenden Menschen mit Migrationshintergrund zu machen. Daran kann man dann die Fragen anschließen, ob Österreich dieses Potenzial im Sinne einer guten Integrationspolitik auch nützt.

Höchst unterschiedliches Niveau

Im Durchschnitt des Jahres 2009 lebten in Österreich rund 1,5 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund, davon etwas mehr als eine Million (1,083) selbst im Ausland geboren.
Das Bildungsniveau all dieser Menschen ist höchst unterschiedlich, und sie sind statistisch sowohl in den höchsten Bildungsabschlüssen (Hochschulabschluss) als auch in niedrigsten (Pflichtschulabschluss) überproportional ver­treten.
Betrachtet man im Jahr 2009 die Bevölkerung im Alter zwischen 25 und 64 Jahren, ergibt sich dazu Folgendes: Hatten damals 13,70 Prozent der ÖsterreicherInnen einen Hochschulabschluss, waren es bei den Menschen mit Migrationshintergrund 17,40 Prozent. Am anderen Rand des Bildungsspektrums verfügten im gleichen Jahr 13,30 Prozent der ÖsterreicherInnen über maximal einen Pflichtschulabschluss, bei den Menschen mit Migrationshintergrund war dieser Anteil mit 31,30 Prozent mehr als doppelt so hoch.
Der über dem österreichischen Durchschnitt liegende Anteil qualifizierter MigrantInnen ist vor allem auf die Zuwanderung aus der EU, und da vor allem auf die aus Deutschland zurückzuführen. Die deutlich geringer Qualifizierten kommen aus dem ehemaligen Jugoslawien und aus der Türkei. Gibt es also unter den Zugewanderten einerseits besonders viele niedrig Qualifizierte, und andererseits viele hoch qualifizierte Personen?
Der Eindruck entsteht leicht aufgrund der österreichischen Situation: Wir haben eine breite mittlere Bildungsebene der Lehr- und Fachschulausbildungen, welche die inländische Bevölkerung seit Jahrzehnten überdurchschnittlich in Anspruch nimmt und abschließt. Dieser Mittelbau ist in Österreich durch gesetzliche Bestimmungen hoch formalisiert und findet in anderen Ländern kaum eine Entsprechung.
Eine Ausnahme bildet die Lehre bzw. die duale Ausbildung, wie wir sie kennen. Sie gibt es in sehr ähnlicher Form auch in der Bundesrepublik Deutschland und in der Schweiz, zwischen denen es Übereinkommen zur gegenseitigen Anerkennung der Abschlussprüfung gibt. Damit ist die Lehre der am ehesten vergleichbare Ausbildungstyp in Europa. Der Rest der Berufsausbildungen und ihre Abschlüsse sind in Europa und auch anderswo kaum vergleichbar, was die berufliche Anerkennung international so schwierig macht.

Taxler Arzt - Putzfrau Ingenieurin?

Wer hat ihn noch nicht erlebt, den »ausländischen« Taxifahrer, der in seinem Herkunftsland einen vorzüglichen akademischen Abschluss gemacht hat, hier in Österreich aber keine adäquate Beschäftigung findet? Er hat schon alles versucht, erzählt er, aber Österreichs Bürokratie verwehrt die entsprechende Anerkennung seiner Abschlüsse, Quali-fikationen, beruflichen Erfahrungen, Kompetenzen etc.
Was so am konkreten Beispiel in Erscheinung tritt, nennt die Berufsbildung bzw. der Arbeitsmarkt »Dequalifizierung« und liegt dann vor, wenn die Beschäftigung hinsichtlich Anspruch und Bezahlung nicht dem Niveau der Ausbildung oder Qualifikation entspricht.
Eine Befragung der Erwerbstätigen im Jahr 2008 ergab, dass sich damals zehn Prozent der in Österreich Geborenen für ihre aktuelle Beschäftigung überqualifiziert fühlten. Bei jenen mit Migrationshintergrund waren es hingegen 28 Prozent! Dabei waren die Frauen in beiden Gruppen in höherem Ausmaß betroffen: 12 Prozent bei den ÖsterreicherInnen, 32 Prozent bei den Frauen mit Migrationshintergrund.
Insgesamt sind MigrantInnen verglichen mit in Österreich Geborenen knapp dreimal häufiger für ihre Tätigkeit überqualifiziert. Ohne Zweifel bestimmen persönliche Bildungsabschlüsse und Qualifikationen wesentlich die spätere berufliche Entwicklung. Mangelt es den »importierten« Qualifikationen an Qualität oder Anerkennung durch den Arbeitsmarkt?

Berufsanerkennung

Für MigrantInnen ist es eine zentrale Frage, was ihnen der mitgebrachte Ausbildungsabschluss auf dem Arbeitsmarkt oder in der Weiterbildung in Österreich nützt. Können sie damit den gewünschten oder ihren Fähigkeiten adäquaten Arbeitsplatz leichter bekommen? Welche Chancen haben sie, sich in Österreich weiterzubilden? Entscheidend kann sein, ob ihre ausländischen Bildungsabschlüsse in Österreich eine formale Anerkennung erlangen oder nicht. Ohne Zweifel sind die verschiedenen Anerkennungsverfahren in Österreich, und nicht nur bei uns, formal sehr anspruchsvoll; egal, ob es sich um die Nostrifikation von Diplomen (Reifezeugnis oder Hochschuldiplom) handelt oder, im Falle der Ausübung eines reglementieren Berufes, um die Anerkennung der Qualifikation nach der geltenden EU-Anerkennungsrichtlinie (2005/36/EG).

Nur wenige Anerkennungsverfahren

Gesicherte und zentral zugängliche Gesamtdaten über laufende oder abgeschlossene Anerkennungsverfahren in Öster­reich sind nicht bekannt. Es ist daher der Statistik Austria zu danken, im Rahmen der Arbeitskräfteerhebung 2008 unter anderem Folgendes zu Tage gebracht zu haben:
In Österreich leben 745.000 Personen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren, die ihre Ausbildung nicht in Österreich abgeschlossen haben. Davon haben sich 131.000 Personen (18 Prozent) um die formale Anerkennung ihrer Ausbildung in Österreich bemüht.
Die übrigen 614.000 (82 Prozent), taten das nicht und begründeten dies folgendermaßen: 512.000 (69 Prozent) gaben an, dass sie für die Ausübung ihres Berufs bzw. ihrer Tätigkeit keine formale Anerkennung brauchten. Die restlichen 102.000 (14 Prozent) nannten andere Gründe, wie den Mangel an Information, Ausübung eines anderen Berufes als des erlernten, kein Interesse, Sprachprobleme, zusätzliche Prüfungen, Zeitmangel sowie Probleme mit dem Nachweis von Dokumenten.

Fazit
Sieben von zehn MigrantInnen haben in der Vergangenheit die formale Anerkennung ihrer Abschlüsse als nicht notwendig erachtet. Sie üben einen Beruf oder eine Tätigkeit aus, die in Österreich nicht reglementiert ist, also ohne besondere Anforderungen an die Qualifikation zugänglich ist. Diejenigen aber, die eine formale Anerkennung brauchen, stehen vor einer existenziellen, weil massiven bürokratischen Hürde. Viele scheuen sie, in dem sie ein Anerkennungsverfahren erst gar nicht anstreben, viele, die es tun, scheitern daran.
Auf der anderen Seite gibt es unter MigrantInnen einen hohen Anteil jener, die sich für ihre aktuelle Tätigkeit als überqualifiziert einstufen. In beiden Fällen wird auf ein fachliches und gesellschaftliches Potenzial verzichtet, das bereits im Land angekommen ist.

Weblink
Statistik Austria: Statistisches Jahrbuch für Migration & Integration,Zahlen. Daten. Indikatoren 2010 www.statistik.at/web_de/­services/publikationen/2/index.html?id=2&listid=2&detail=579

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