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Nicht anerkannt Arbeitssuchende qualifizierte ­Migrantinnen werden beim Arbeitsmarktservice (AMS) als »Ungelernte« eingestuft, sofern sie keine ­Anerkennung ihrer Abschlüsse oder ihrer im Herkunftsland gesammelten Berufserfahrungen vorweisen können.

Nicht anerkannt

Schwerpunkt

Auch sehr gut ausgebildete Migrantinnen haben es besonders schwer, wenn es um die Anrechnung ihrer Qualifikationen und Kompetenzen geht.

Frau P., studierte Biochemikerin mit Berufserfahrung in einem Forschungsinstitut in ihrem Heimatland, kam vor fünf Jahren nach Österreich. Das langwierige und komplizierte Verfahren für die Diplomanerkennung konnte sie sich aus finanziellen Gründen nicht leisten. Ihre Qualifikationen und Kompetenzen blieben unberücksichtigt und Frau P. wurde vom AMS als Reinigungskraft vermittelt.

Arbeiten unter Qualifikationsniveau

In der Gruppe der hochqualifizierten ArbeitnehmerInnen ist Österreich laut OECD-Statistik das Land »mit dem geringsten Anteil« an akademisch ausgebildeten Einwanderinnen, d. h. Österreich liegt mit 11,3 Prozent nach Polen an letzter Stelle. Im Vergleich zu 29 Prozent der österreichischen HochschulabsolventInnen arbeiten ca. 47 Prozent der ausländischen AkademikerInnen häufiger in Jobs, die unter ihrem Qualifikationsniveau liegen. Allein in Wien sind ca. 14.000 MigrantInnen aus Nicht-EWR-Ländern mit Hochschulabschluss nicht adäquat beschäftigt oder gar arbeitslos. In den übrigen Bundesländern sind es zusätzlich ca. 10.000 EinwanderInnen, die sich in derselben Situation befinden.1 Zudem werden qualifizierte Migrantinnen, die als Familienangehörige einreisen und keiner Erwerbstätigkeit nachgehen bzw. aufgrund der Selbstverständlichkeit der Versorgungsarbeit, von den Statistiken natürlich nicht erfasst.
Bei der Anwerbung von ausländischen Schlüsselkräften wird die Tatsache, dass sich Migrantinnen mit der geeigneten Qualifikation bereits im Land befinden, übersehen, denn etwa die Hälfte der migrantischen Arbeitnehmerinnen besetzen eine Stelle weit unter ihren Qualifikationen oder gehen einer Teilzeitarbeit nach.2 So geht bereits vorhandenes Humankapital verloren (brain waste). Warum diese Verschwendung?
Eine wesentliche Anerkennungsbarriere stellt die unzureichende Informationslage in Bezug auf die komplexen Anerkennungsmöglichkeiten und -zuständigkeiten dar. Dies betrifft nicht nur Antragstellerinnen, sondern ebenso BeraterInnen, ArbeitsvermittlerInnen und Unternehmen. Die mit einer Anerkennung verbundenen Kosten sind ein weiteres Hindernis. Neben den Kosten für Beglaubigungen und Übersetzungen ist eine Nostrifizierungstaxe in der Höhe von derzeit 150 Euro zu leisten. Hinzu treten weitere Gebühren und Verwaltungsabgaben. Oftmals sind im Zuge der Anerkennung Prüfungen zu absolvieren, die wiederum hohe Kosten verursachen.
Wenn die Unterschiede zum österreichischen Studium zu groß sind, kann um Zulassung zum österreichischen Studium angesucht werden. Nach erfolgter Zulassung kann die Anerkennung von Prüfungen aus dem ausländischen Studium, so weit sie den österreichischen gleichwertig sind, erfolgen. Solche Anpassungsqualifizierungen können sich über Monate und Jahre erstrecken, wobei nur die Lehrpläne verglichen werden. Die bereits erworbenen Erfahrungen und Kompetenzen der Migrantinnen werden überhaupt nicht berücksichtigt. Während des Prozesses der Anerkennung müssen die Frauen bzw. ihre Männer alle Kosten tragen, und die Frauen sind gezwungen, einer niedrig qualifizierten Teilzeitarbeit nachzugehen, oder sie müssen die totale ökonomische Abhängigkeit von ihren Männern im Kauf nehmen.

Unsicherheiten und Ängste

Viele von den Einwanderinnen können es sich finanziell oder zeitlich nicht leisten, die Ausbildung im Aufnahmeland zu wiederholen bzw. eine andere gleichwertige Ausbildung zu absolvieren. Arbeit und Familie zu vereinbaren, stellt ein weiteres Problem dar, da das soziale Netz, auf das viele österreichische Frauen im Notfall zurückgreifen können, fehlt.
Aus diesen Gründen entstehen Unsicherheiten und Ängste bei den Frauen, die an Autonomie und Selbstwertgefühl verlieren. In weiterer Folge erschwert sich dadurch ein Eintritt in den Arbeitsmarkt. Eine entsprechende Beschäftigung wird dadurch erschwert, dass in vielen Betrieben die Einwanderinnen mindestens zwei Qualifikationsstufen mehr vorweisen müssen, um die gleiche Position wie Einheimische einnehmen zu können.3 Eine Leitungsposition ist unter diesen Umständen kaum vorstellbar.

Arbeitsmarktpolitische Hindernisse

Arbeitssuchende qualifizierte Migrantinnen werden beim Arbeitsmarktservice (AMS) als »Ungelernte« eingestuft, sofern sie keine Anerkennung ihrer Abschlüsse oder ihrer im Herkunftsland gesammelten Berufserfahrungen vorweisen können. Dementsprechend werden sie auch in inadäquate Jobs vermittelt, obwohl ihr Know-how laut der momentanen Debatte über geregelte Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften sehr gefragt wäre.
Die Integrationspolitik zielt auf Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau und unterstützt keinesfalls qualifizierte Frauen. So gibt es kaum Deutschkurse für Fortgeschrittene, um die Sprache zu perfektionieren, obwohl das sehr wichtig wäre, vor allem wenn Frauen einen qualifizierten Job anstreben. Die Perfektionierung der deutschen Sprache ist - mehr als soziale Kompetenz und berufliche Erfahrung - eine Voraussetzung dafür.
Förderungen (z. B. in Form von Stipendien), aber auch spezifische Weiterbildungsangebote, fachspezifische Deutschkurse oder Deutschkurse mit unterschiedlichen Schwerpunkten und auf verschiedenen Niveaus sind notwendig, um die Anerkennung der mitgebrachten formalen Qualifikation zu erzielen.
In Dänemark werden die ausländischen Bildungsabschlüsse gänzlich anerkannt, sofern keine wesentlichen Unterschiede zwischen den ausländischen und inländischen Bildungsabschlüssen bestehen.4 Die Anerkennungsprinzipien basieren auf den Lernergebnissen und nicht auf formalen Abschlüssen. Dieses flexible System verfügt über eine zentrale Koordinationsstelle und unterstützt den Erwerb von Fachwissen bezüglich Anerkennungsprinzipien und -verfahren. Die internationalen Bildungssysteme sind einheitlich dokumentiert, und BeraterInnen, Ämter und ArbeitgeberInnen können sich bei der dafür zuständigen Koordinationsstelle informieren.
Es handelt sich um eine Bewertung und einen Vergleich der Qualifikationen (»Letter of Assessment«) von der Grundschule bis zum Doktoratsstudium. Die Bewertung ist kostenlos und die durchschnittliche Bearbeitungszeit pro Fall beträgt ca. 30 Tage. Da diese Bewertung auch von den ArbeitgeberInnen anerkannt wird, können Einwanderinnen sich schneller am Arbeitsmarkt eingliedern und einen ihren Qualifikationen entsprechenden Job anstreben. Auch Flüchtlinge und Asylwerberinnen können ohne Dokumente eine Bewertung ihrer Qualifikationen beantragen. So können sie ihre Kompetenzen und Berufserfahrungen auch während des Asylverfahrens einsetzen. Migrantinnen haben durch den »Letter of Assessment« leichter Zugang zu höheren Bildungseinrichtungen.

Status quo in Österreich

Seit kurzem findet eine Diskussion zwischen Politik und Sozialpartner über das Thema »Zuwanderung und Qualifikation« statt. Vertreter der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung verlangen gut ausgebildete MigrantInnen, um dem wachsenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken. PolitikerInnen aus den eigenen Reihen möchten den Wünschen der Wirtschaft nachkommen, gestalten allerdings die Rahmenbedingungen so, dass Österreich als Einwanderungsziel für Fachkräfte eher abschreckend ist. Die Arbeiterkammer sieht die Lösung des Problems eher in der besseren Ausbildung der in Österreich lebenden MigrantInnen. Diese Diskussion würde eventuell gar nicht stattfinden, wenn sich Österreich ein Beispiel am dänischen Modell nähme, denn innerhalb kürzester Zeit würden Tausende gut ausgebildete Migrantinnen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und ihre Qualifikationen würden sichtbar werden.
Erwerbstätigkeit ist ein wichtiger Faktor für die soziale Integration (Einkommen, Anerkennung, Kontakte, Selbstbewusstsein). Für die Aufnahmegesellschaft gilt es, die Partizipation dieser Frauen am Arbeitsmarkt zu fördern und insbesondere gut ausgebildeten Arbeitskräften den Zugang zu Stellen zu ermöglichen, die ­ihren Qualifikationen entsprechen.

1Der Standard vom 7.11.2009: Hoch qualifizierte Migranten - Österreich an letzter Stelle
2Riaño, Yvonne; Baghdadi, Nadia (2006): Hoch qualifizierte Migrantinnen aus Entwicklungsländern in der Schweiz und ihr Wirkpotenzial für die Entwicklung ihrer Herkunftsländer. In: Interdialogos. La Chaux-de-Fonds
3Rommelspacher, Birgit: »Wenn sie so wären wie wir«. Gastvortrag vom 18.12.09. FH St. Pölten
4Bruun Pedersen, Allan: »Recognition of foreign qualifications in Denmark«. Vortrag vom 3.12.09. Wien.

Weblink
VSG-Woman Frauenberatung in Linz:
www.vsg.or.at/woman_angebot.php

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